Das Kren? im Walde.
Novelle von Uuqust Schrader.
(Schluß.)
Es war Abend. Die Domestiken brannten
die Kerzen in der Villa an und schlossen das
Gitterthor. Da ertönte die Glocke des Grafen.
Der Kammerdiener Franz eilte in das Gemach.
— Ist meine Gemahlin zurück?
— Nein, gnädiger Herr.
— Wie spät ist cs?
— Neun Uhr
— Man melde es mir, sobald die Gräfin
ankommt.
— Zn Befehl.
— Bringe Licht!
Die Kerzen brannten; der Graf setzte sich
und schrieb wieder.
Dann versiegelte er
die vollbeschriebcnen
Blätter in ein Paket,
das er mit der Adresse
versah: „An die ver-
wittwete Gräfin Ga¬
briele von Raven¬
stein."
— An meine
Wittwc! rief er
schmerzlich aus.
Gestern noch war mir
dieser Gedanke grä߬
lich, heute gewährt
er mir Beruhigung.
Meine Ehe kann, wie
sie sich gestaltet hat,
nicht fortdanern; sie
ist eine Pein, eine
Demüthigung, die
Herz und Geist zer¬
reißt. Gelangt auch
der Schurkenstreich
Julian's nicht zur
Kenutniß der Welt, so schmettert er doch mich
zu Boden. O, die verhängnißvolle Aehnlichkeit
der Zwillingsbrüder . . . Wäre ich doch nie
geboren! Einer von uns muß sterben . . . Blei-
ben wir Beide am Leben, sind wir Beide un-
glücklich ... So mag denn die Kugel entscheiden!
Er ging auf und ab. Von Zeit zu Zeit
trat er an das Fenster, um die frische Nacht-
luft einzuathmcn.
— O, flüsterte er dann, wie schön und fried-
lich glänzen die Sterne am Himmel, diese wun-
derbaren Gotteslichter, die ich an Gabriclen's
Seite stets mit Wohlgefallen betrachtet habe...
dort stehen sie Noch in unwandelbarer Pracht,
zeugend von der Majestät und Güte ihres Schö-
pfers . . . Einer gleicht dem andern wie Zwil-
lingsbrüder . . . aber sie hassen und verderben
sich nicht ... die Menschen sind Ungeheuer!
Mein Gott, auch ich habe nicht ehrlich gehan-
delt! Die Leidenschaft trieb mich zu einer Per-
fidie, deren Folgen gräßlich sind! Fort mit dem
Leben, ich gebe es gern hin . . . Gabriele wird
nur kurze Zeit trauern, denn jene Aufzeichnun-
gen beweisen die Nothwendigkeit meines Todes.
O wie klein, wie erbärmlich erscheinen die ir-
dischen Güter dem bekümmerten Gcmüthe! Ich
gäbe Alles hin, könnte ich die Ruhe des Her-
zens, das Glück der Liebe retten!
Eine weiche Stimmung bemächtigte sich sei-
ner. Lauge stand er am Fenster und starrte in
die prachtvolle Nacht hinaus. Er ließ die letzte
glückliche Zeit des Lebens an seinem Geiste vor-
überziehen . . . Als er Julian's gedachte, der
mit rauher Hand die zarte Blüthe seiner Liebe
zerstörte, schauderte er zusammen.
— Er hat das Recht dazu! flüsterte er.
Die Pendüle schlug
zehn Uhr. Immer
noch ward die An-
kunft der Gräfin nicht
gemeldet.
— Sie hat mich
verlassen! flüsterte
Otto bitter lächelnd.
Mag sie im Hinblick
auf Adelen mich für
schuldig halten, es
wird ihr zum Tröste
gereichen! Den schuld-
beladenen Mann wird
sic leicht vergessen...
Er brach in Hel-
les Lachen aus.
— O mein Gott,
ich bin noch groß-
müthig! Ich nehme
Julian's Schuld ans
mich!
In qualvoller
Angst lauschte er ans
jedes Geräusch, das
Vie neuen partLmenls-Sebiiiide in Loudon.
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