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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 3.1868

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Heft 3
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https://doi.org/10.11588/diglit.44083#0067
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im Walde.

Die Mög-

v»s Zlraßbiirgcr Minister.

war nicht ausgeschlossen, denn daran, daß
ich bei unserem ersten Begegnen Eindruck
ans sie gemacht, durfte ich nicht zweifeln.
Ich hielt cs für eine Feigheit, jetzt ans
dem Leben zn scheiden, jetzt, da ich einen
kiefern Blick in die obwaltende» Verhält-
nisse geworfen hatte.
— So wurde auch ich gedacht haben,
fügte die Wittwe hinzu; es mußte ein
Grund vorhanden sein, der die kleine
Dame veranlaßte, das Tuch zurückzufor-
dern; dem Anschein nach war deßhalb
eine Zwistigkeit eingctreten . . . Doch
gleichviel, erzählen Sic weiter und fassen
Sie sich kurz. Setzen Sie mich in den
Stand, Alles zn beurtheilen, und Sie
werden sehen, daß cs Mittel gibt, Ihnen
Beruhigung zu schaffen. Was thaten Sic
nach der Unterredung in der Kirche?
— Ich gab den Vorsatz auf, mich
zu tödten . . .
— Das war vernünftig, denn das
Lebenslicht läßt sich nicht wieder anstecken
wie eine Kerze.
— Nun wollte ich eine Unterredung
mit Gabrielen herbeiführen, nm ihr Alles
zn entdecken.
— Gelang Ihnen dies, Vetter?
— Man sagte mir, Gabriele sei ver-
reist.
— Wer sagte es Ihnen?
— Ein befreundeter Offizier, Arnold
Bertram, dem ich mich niitgetheilt hatte.
— Arnold Bertram?
— Ja.
— Er ist also nicht von Adel?
— Bürgerlich, rein bürgerlich, sonst
ist er ein chrenwerther Mann.
Die Wittwe rümpfte die Nase.
— Derselbe Bertram vermittelte eine
C 9

mer noch vor meinen Ohren, sie erregten wun- Täuschung meines Bruders anfzuklären und ihn
derbare Gefühle in mir. Au den Tod dachte ich! zu züchtigen, wie er es verdiente. D'._ ..".I,
nicht mehr, ich wollte leben, nm die gräßliche! lichkeit, in den Besitz Gabrieleus zn gelangen,

Das Kreur
Novelle von Mugulk Schrader.
(Fortsetzung.)
Mein Zustand war nicht der Art, daß
ich mich zwanglos benehmen konnte: ich
wollte meinem Bruder einen Streich spie-
len, wollte seine Perfidie ansdecken und
mich selbst als den hinstellen, der Ga-
brielen anbetete, der das erste Recht auf
ihre Liebe hatte ... in diesem Sinne
handelte ich zunächst; ich nahm das Tuch,
das ich wirklich stets bei mir trug, ans
der Tasche und zeigte es.
„— Ah, rief das kleine blucklichte
Wesen, Sie sind wirklich der schwärme-
rische Liebhaber, für den Sie sich ausgc-
bcn! Das ist mir Ihretwegen lieb, Herr-
Graf. Erlauben Sie mir, daß ich prüfe,
ob es das rechte ist. Ich bin nämlich
die Künstlerin, die die rothen Buch-
staben G. R. gestickt hat.
Ehe ich mich dessen versah, hatte die
kleine Person inir das Tuch aus der Hand
genommen; sie entfaltete es und prüfte
die Buchstaben.
„— Richtig! rief sic. Hier ist das
Werk meiner Kunst! Herr Graf, Sie
haben mir die Rolle der Vermittlerin
übertragen . . . gestatten Sie mir, daß
ich auch gegen Ihren Willen das Tuch
meiner Nichte zurückgebc. Der Streit ist
geschlichtet, Sie sind in Ihre alten Rechte
eingesetzt.
Die Tante verneigte sich und huschte
wie ein Kobold aus der Kirche. Ich war
so bestürzt, daß ich einige Minuten re-
gungslos znrückblieb. Als ich in das
Freie trat, sah ich nur fremde Leute, die
theilnahmlos an mir vorübergingen. Die
Worte der kleinen Dame: „Sie sind in
Ihre allen Rechte eingesetzt" klangen im-


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