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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 3.1868

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Heft 8
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https://doi.org/10.11588/diglit.44083#0219
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Das Kreuz im Walde.
Novelle von August Schrader.
lFortsehun-,.)
— Wohin, Madame?
So fragte die heimkehrende Wärterin.
— Else, bringst Du Ottilien?
— Ich habe das Kind zu Bett gebracht.
— Unglückliche, Du lügst!
Adele zerrte die Wärterin bei den Hän-
den in das Haus.
— Madame, ich begreife Sie uicht! rief
die ängstliche Bäuerin.
— Wo hast Du mein Kind?
— Es liegt längst in seinem Bettchen.
— Nein, nein!
— Ich habe cs wie jeden Abend sorg-
fältig zugedcckt.
— Sieh' nach.
Else eilte die Treppe hinan.
Die weinende Mutter folgte.
— Sieh' nach! Sieh' nach! rief sie.
Else betrachtete die herumliegendcn Kissen.
— O, Madame! rief sie schaudernd,
was haben Sie gemacht!
— Was ich gemacht habe?
— In der Kammer sicht es gräßlich aus.
— Mein Kind, mein Kind! rief die
Mutter durch das Haus. Man hat mir
mein Kind geraubt!
Die Wärterin faltete bebend die Hände.
— Ich habe Ottilien zu Bett gebracht,
so wahr mir Gott helfe! flüsterte sic.
— Und doch konntest Du Dich entfernen?
— Sie wissen ja, daß ich mit Frau
Kunze abrechnen mußte.
Adele war zusammengebrochen; sic kauerte
am Bodm.
— Else, wimmerte sie, wenn Du weißt,
wo mein Kind ist, so sage es mir; ich bin
Dir stets eine gute Herrin gewesen, habe
Dir Wohlthatcn über Wohlthaten erwiesen

. . . Zeige Dich nun dankbar, treibe mich nicht
zur Verzweiflung!
Die Wärterin wiederholte, daß sie das Kind
zu Bett gebracht habe und versicherte durch einen
kräftigen Schwur, daß ihr das Verschwinden un-
erklärlich sei.
Beide durchsuchten noch einmal das ganze
Haus. Else ging sogar auf den Giebclplatz,
wo die große Eiche stand, und von dort in den.
Garten. Sie kam mit leeren Händen zurück?

Adele saß in dem Schlafzimmer neben ihrem
Bette. Die arme Mutter bot einen bejammerns-
werthen Anblick. Ihr Haar hatte sich aufge-
löst und floß in schwarzen Wellen über das
weiße Hausgewand, das hier und dort zerrissen
war. An ihren zarten Händen, die des Rückens
der schweren Möbel und des Werfens der Bett-
stücke ungewohnt, zeigten sich Blutspuren. Und
wie bleich war ihr schönes Angesicht, bleich wie
der Tod. Ein Fieberfrost durchschüttelte sie,

vcr vom zu Lpcycr.


während ihr großes Auge wirr durch das
Zimmer blickte. Die Wärterin schrak vor
ihr zurück.
— Sie hat das Kind umgebracht!
dachte sie. Das arme Geschöpf war ihr im
Wege, so lieb sie es auch hatte.
Mit scheuem Blicke betrachtete sie die
Mutter, die regungslos neben dem Bette saß.
— Legen Sie sich nieder, Madame! bat sie.
Sie schüttelte schmerzlich das Haupt.
— Glaubst Dn, ich werde schlafen können?
— Sie sind krank.
— Ja, ich bin krank an Leib und Seele.
— Ruhe wird Ihnen wohl thun.
Adele weinte.
— Else, bat sie, wenn Du weißt, wer
mein Kind geraubt hat, so sage es mir
. . . ich werde Dir nicht zürnen, ich werde
dankbar sein und Dich segnen.
— Aber, Madame!
— Habe Erbarmen, Else!
Auch die Wärterin weinte.
— Wenn ich es nur wüßte! Ich würde
es Ihnen ja gern sagen.
Sie beschrieb noch einmal, wie sie das
Kind verlassen hatte.
— Ich habe, schloß sie, mit Frau
Kunze am Gartenzaune gestanden; es ist
Niemand des Wegs gekommen, als der Herr
zu Pferde, und der hatte kein Kind vor sich
auf dem Sattel. Der Herr Förster ist längst
fort, ich habe gesehen, wie er nach dem
Walde ging. Es bleibt mir ein Räthscl...
 
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