Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 3.1868

DOI Heft:
Heft 7
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44083#0218
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Am andern Tag ging Julius in einige an-
dere Hotels, um nach seinem Reisegefährten zn
fragen. Nirgends wollte man von einem Dok-


Jnlius entgegnete: „Das werde ich auch
thun!"
Hieraus verließ der gute Sterninger das
Zimmer, um noch einige Wege zu
machen.
Auf dem Lonlsvurä ciss ca-
xuciuss blieb er vor eineni Spiel-
waarenladen stehen. Es fiel ihm ein,
daß er für seinen kleinen Pathen
noch nichts gekauft habe, und deß-
halb trat er in den Laden. Dieses
besaß der kleine Julius schon, Jenes
nahm zuviel Raum ein, endlich ent-
schloß er sich, ein neues Spiel zu
kaufen, und die zu demselben gehö-
renden Würfel, sowie hundert Stück
Spielmarken, welche so gut gemacht
waren, daß ein kurzsichtiger Mensch
in einiger Entfernung sie für Na-
poleonsd'or anschcn konnte. Jni
nächsten Laden kaufte er eine gehä-
kelte Geldbörse von grüner Seide
und legte die Marken hinein. Er
lächelte gutmüthig vor sich hin, als
er sich die Freude vorstellte, welche
sein Pathchen und dessen Geschwister
über das Spiel und die schönen,
wie Gold glitzernden Marken haben
würden, mit welcher kühnen, drolli-
gen Bewegung der kleine Julius
die Tasche aus seiner Hose ziehen
würde.
Als Sterninger in das Zimmer
im Hotel trat, welches er mit Kraus
gemeinschaftlich bewohnte, fand er
diesen im Begriff, seinen Koffer zu
packen. Julius legte seine neue Börse
mit den Marken auf den Tisch und
begann jetzt ebenfalls einzupacken.
Der Zimmerkellner brachte die gewünschte Rech-
nung; Doktor Kraus nahm sie und sagte zu
Julius: „Da wir bis Köln wieder miteinan-
der reisen, können wir dort zusammenrechnen;
ich sehe, Sie sind mit Einpacken noch nicht fer-
tig, ich will indeß für Sie zahlen."
„Schön, wie Sie wollen, wir können uns
später ausgleichen, Herr Doktor."
Auf dem Wege zum Bahnhof stieg Doktor
Kraus noch einmal aus dem Wagen; er ging
in einen Laden und kaufte eine grünseidenc
Geldbörse von derselben Gattung wie diejenige
war, welche Julius besaß, füllte sie mit dem
Gelde, das er in seinem Portemonnais gehabt
hatte und stieg wieder zu seinem Reisegefährten
in den Fiaker.
Unterwegs zeigte sich Doktor Kraus sehr
nachdenklich, er schaute sich mehrmals um, und
athmete wie von einer schweren Last befreit auf,
als Paris weit hinter ihm lag.
In Brüssel suchte Julius sein Fahrbillct;
er konnte es nicht finden und räumte deßhalb
seine ganze Tasche aus, wobei ihm, da der
Kondukteur etwas ungeduldig wurde, Kraus,
welcher neben Sterninger saß, behülflich war.
Als in Vervier der Zug, nachdem der Wa-
genwechsel stattgefunden hatte, weiter fortgehen
sollte, sah sich Sterninger vergebens nach Doktor
Kraus um. Derselbe war und blieb ver-
schwunden.
„Wir werden uns in Köln im Hotel treffen,"
sagte sich Julius; „der Doktor weiß ja, wo ich
absteigen will. Er wird in der Eile in ein
anderes Coups gekommen sein.
Aber Julius wartete einen ganzen Tag ver-
gebens in dem Hotel, Doktor Kraus erschien nicht.

tör Kraus gehört haben.
Julius schüttelte den Kopf; er fing an be-
sorgt zu werden und theiltc seine Sorge dem
Zimmerkellner mit, welcher, ebenfalls ein Main-
länder, Julius aus seiner Knabenzeit her be-
kannt war; beide hatten in Würzburg zusam-
men in der Lateinschule auf derselben Schulbank
gesessen. Der Kellner lächelte, als der gut-
müthige Sterninger seinen Besorgnissen Ausdruck
gab und sagte:
Mder-Käthsel.

Auslösung dc» Lilder-Näthsel» im sechsten Heft:
Decthoven.


„Machen Sie sich keinen Kummer um diesen
Herrn, danken Sie Ihrem Schöpfer, daß Sie
ihn los sind. Wir sehen gar viele Menschen
im Jahr, wir Gastwirthe, und ken-
nen die Leute. Dieser sogenannte
Doktor Kraus ist ein durchtriebenes
Männle, gelind gesagt, ein nmuvais
sujst, war schon mehrmals hier;
habe ihn auch einmal in Wiesbaden
in den Jahreszeiten gesehen, da
nannte er sich Baron Ostheim, ging
mit den ersten Spielen: Arm in Arm."
„Nicht möglich! Eine große Aehn-
lichkcis muß Sie täuschen, der Mann
hat im Hotel Mirabean eine Rechnung
mit vierhundert Franken für mich
bezahlt und sein Geld noch nicht
zurttckbekommen. Er wollte hier
mit mir abrechnen; ein Gauner gibt
doch sein Geld nicht weg?"
„Allerdings nicht, aber wenn er
nicht bald kommt, so ist er in Ver-
vier entweder von einem Polizeibc-
amten erwischt und abgeführt wor-
den, oder er hat Gefahr gewittert
und sich aus dem Staube gemacht.
„Aber ich möchte dem Mann sein
Geld geben, was soll ich thun, Xaver?"
„Der sogenannte Doktor Kraus
kennt Ihren Namen und Wohnort,
kann sich also schriftlich an Sie wen-
den, wenn er sein Geld haben will.
Wenn Sie meinem Rathe folgen, so
kümmern Sie sich gar nicht mehr
um den Mann, Sie würden nur
allerlei Verlegenheiten und Schere-
reien davon haben. Ich weiß, wie
cs aufhält, wenn man als Zeuge
figuriren muß."
Julius fand diesen Rath verständig, aber
sein gutes Herz sprach dagegen. Im Verlaufe
der Unterredung mit Xaver griff Julius in die
Rocktasche, um seine Sachen in Ordnung zu brin-
gen, und staunte nicht wenig, als er die neue
grüne Börse sehr leicht fand. Er schüttete sic
über dem Tische aus und blieb starr vor Stau-
nen, denn nicht hundert Spielmarken, sondern
mehrere Franken und fünf ganze nebst zwei
halben Napoleons'dor fielen heraus. Jetzt fiel
es ihm wie Schuppen von den Augen, und er
brach in ein schallendes Gelächter aus, in wel-
ches der Kellner mit einstimmte, als er den
Grund desselben erfuhr.
Als Julius später von seinen Freunden ge-
fragt wurde, ob ihm die Reise zur Ausstellung
viel Geld gekostet habe, crwiederte er lachend:
„sehr wenig!"
Der feine Gauner, der sich Doktor Kraus
nannte, hatte sür Julius vierhundert Franken
bezahlt in der Hoffnung, hundert Napoleonsd'or
zu gewinnen, im Coups mit taschenspielerischer
Gewandtheit die Börsen vertauscht und dadurch
dem reichen Sterninger wider Wissen und Willen
fast die ganze Reise bezahlt.
Julius hatte nun einmal Geldglück, und wer
das hat, kommt zu Geld, er braucht sich keiuc
Mühe darum zu geben.
Xaver lachte mehrere Tage, so oft er an
Doktor Kraus dachte, und als Julius dem ehe-
maligen Schulkameraden Lebewohl sagte, waren
Xavers letzte Worte:
„Fünf Thaler gäbe ich darum, wenn ich
das Gesicht des Spitzbuben beim Anblick der
Spielmarken hätte sehen können."
 
Annotationen