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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 3.1868

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Heft 12
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https://doi.org/10.11588/diglit.44083#0339
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In stürmischer Zei!.
Novelle von Eduard Ziehen.
I.
In der niederländischen Provinz Overyssel,
an dem Flüßchen Aa, welches sich in die Zuy-
der See ergießt, liegt die kleine Stadt Steen-
wyk, deren Ursprung in uralte Zeit fällt, und
die früher auch Befestigungswerke besaß, obgleich
diese niemals von irgend einer Bedeutung waren.
An einem Oktoberabend des Jahres
1580, wo der Krieg zwischen den für ihre
Unabhängigkeit kämpfenden Niederländern
und ihren spanischen Bedrückern mit wech-
selndem Glück, aber mit stets gleicher Er-
bitterung fortwüthete, saß der Kausherr
Govert Helling, einer der reichsten Bürger
Steenwyks, mit seiner Tochter Cordclie in
dem geräumigen Wohnzimmer seines statt-
lichen, am Markt gelegenen Hauses, und
blickte gleichgültig auf den stillen Platz hin-
ab, über den die Dämmerung bereits ihre
grauen Schleier gebreitet hatte. Seine
Tochter schien sich dagegen in einer sehr
traurigen Stimmung zu befinden, denn sie
stützte den Kopf in die Hand und fuhr
dann und wann mit dem Taschentuch über
die thränenfeuchtcn Augen.
Die peinliche Stille, welche im Zimmer
herrschte, ward plötzlich durch den Schall
kräftiger Schritte aus der Hausflur unter-
brochen, und einige Augenblicke später trat
der mit Helling befreundete Kaufherr Se-
bastian Groon herein, dessen offenes Ant-
litz und milde blaue Augen sehr vortheil-
haft gegen die scharf markirten Züge und
die lauernden Blicke des Ersteren abstachen.
Bei seinem Erscheinen sprang Cordelie sicht-
lich erfreut empor, Helling aber wandte
sich langsam zu dem Eintretenden und
fragte mit einigem Staunen:
„Ei, was führt Euch denn noch so spät
hierher, werther Freund?"

„Nun, mich wundert's wirklich, daß Ihr nicht
wißt, oder nicht wissen wollt, was uns bevor-
steht!" erwiederte der Ankömmling mit unsäg-
licher Bitterkeit.
„Um Gotteswillen — was ist vorgefallen?"
fragte Cordelie bestürzt, indem sie auf Groon
zueilte und dessen Hände umklammerte.
„Spannt uns doch nicht unnützer Weise auf
die Folter!" rief Helling, der sich ans irgend
eine ungünstige Handelsnachricht oder auf die

Kunde von einer großen Feuersbrunst, von dem
Ableben eines Verwandten oder Freundes gefaßt
gemacht hatte.
„Der Graf v. Renneberg zieht heran, um
unsere Stadt mit Güte oder Gewalt unter die
spanische Herrschaft zu bringen," versetzte Groon.
„Das verhüte der Himmel!" rief Cordelie,
in deren Herzen ein warmes patriotisches Ge-
fühl glühte.
„Der Graf v. Nenneberg?" wiederholte der
spanischgesinnte Helling mechanisch.
„Ja, der Graf v. Renneberg," ent-
gegnete Jener mit scharfem Ton — „der-
selbe Graf v. Renneberg, der noch vor we-
nigen Monaten von jedem Niederländer für
einen wackeren Patrioten und edlen Mann
gehalten wurde, der aber für zehntausend
Goldstücke und etliche leere Verheißungen
seine Ehre verkauft und sein Vaterland
den fremden Unterdrückern verrathen hat!
Schimpf und Schande über den elenden
Schwächling!"
„Nun, wenn Graf Philipp v. Egmont,
der Sohn dessen, der mit seinem Freunde
Horn dem spanischen Henkerbeil zum Opfer
fiel, das Andenken seines edlen Vaters
geschändet und die Stadt Brüssel in die
Hände der Feinde zu spielen versucht hat
— wer soll da noch Treue halten?!"
rief Cordelie in tiefster Entrüstung aus.
„Ja, wer soll da noch Treue halten,"
fuhr Groon fort, „wenn der Herzog v.
Arschot und viele andere hervorragende
Männer aus Eigennutz oder Feigheit die
gerechte Sache preisgeben?"
„Das siegreiche Vordringen des Grafen
v. Renncberg überrascht mich wirklich in
hohem Grade," sagte Helling. '
„Eure Ueberraschung beweist wenigstens,
daß Ihr keine geheime Verbindung mit den
Spaniern unterhaltet," erwiederte Jener.
'„Groon!" fuhr Helling drohend auf.
„Nun, ereifert Euch nur nicht," versetzte
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Die Liktmsschr Mativuo. Pvu Raphael.
 
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