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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 3.1868

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Heft 7
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https://doi.org/10.11588/diglit.44083#0188
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182 o-

f

— Ein seltsamer Mensch!
— Ich glaube, er ist schlauer als wir wähnen.
— Ich halte ihn für alterschwach.
— Er weiß sich geschickt meinen Fragen zu
entwinden.
— Forschen Sie weiter.
Der Greis hatte sich mühsam mit Hülfe des
Stocks emporgehobeu. Da stand er nun, eine
große stattliche Gestalt, deren Rücken das Alter
zu beugen begann. Wie imposant mußte er im
kräftigen Mannesalter gewesen sein, wie schön
auch vielleicht. Seine Züge waren nicht die ei-
nes gewöhnlichen Bettlers, sie zeigten bei nähe-
rer Betrachtung ein Gemisch von Noblesse und
Verkommenheit; es sprach sich selbst eine Art
Sarkasmus darin aus, der mit dem Elende
scharf kontrastirte.
— Warten Sie! befahl Richard, indem er
ihm näher trat.
Zugleich hob er den Ranzeü auf, den der
Greis erfassen wollte.
— Danke, mein Herr!
— Sagen Sie mir endlich, wer Sie sind?
— Muß ich das?
— Weun Sie ungehindert weiter ziehen
»vollen.
Des Alten Augen bewegten sich lebhaft.
— Niemand hat das Recht, mich aufzuhal-
ten, denn ich bin ein freier Mann! rief er mit
Stolz.
— Ich bin der Förster dieses Reviers und
übe als solcher Polizeigewalt.
— Gewalt gegen alte, ohnmächtige Leute
. . . ein schönes Verdienst unserer Gesetzgebung!
Vigiliren Sie auf große Verbrecher, mein Herr
. . . dann leisten Sie der menschlichen Gesell-
schaft einen wichtigen Dienst! Wohl kann ich
nicht mehr nützen, aber ich schade auch nicht!
Falle ich Ihnen, falle ich sonst einer Person
lästig? Ich ziehe ruhig meine Straße, und wenn
man mir das für die Nacht erbetene Obdach
verweigert, so schlafe ich auf dem Moosboden
des Waldes! Wer ich bin? Ich will und kann
es nicht sagen. Aber wollen Sie wissen, wer
ich war? Ein Mann von Distinction und gro-
ßem Vermögen ... Ich hielt mir Karossen,
Pferde und Lakaien, und hatte auch viel gute
Freunde, die mir Hände und Füße leckten, weil
ich reich war ... Da fragte kein Polizei-Agent,
wer ich sei . . . Die uniformirten Menschen
wichen aus vor den raschen Hufschlägen meiner
Pferde und grüßten mit tiefem Respekte . . .
Nicht in den Lumpen, mein Herr, suchen Sie
die Verbrecher . . . knöpfen Sie die feinen, mo-
dernen Röcke auf, die mit Ordensbändchen ge-
schmückt sind, unter diesen finden Sie die Schur-
kenherzen . . . Durchwühlen Sie die parketir-
ten und vergoldeten Säle, in denen man tanzt
und schwelgt, dort finden Sie was Sie suchen:
die großen Verbrecher, die Millionen stehlen und
Tausende in die Armenkassen zahlen, aus denen
Tagediebe ernährt werden . . . Mich aber fra-
gen Sie nicht, mich lassen Sie ruhig ziehen;
ich bin weder ein Dieb noch ein Betrüger.
Er warf zitternd den Ranzen über die
Schulter.
Dann wollte er gehen.
— Warten Sie noch einen Augenblick! rief
der Förster.
— Was soll ich noch?
— Fügen Sie sich der gesetzlichen Ordnung
und zeigen Sie mir Ihren Paß.
Auch Sabine trat näher.
— Legitimircn Sie sich, guter Mann! bat.
sie erregt. Sie wissen nicht, wie nöthig eine

scharfe jiontrole ist . . . Sie erhalten von mir
ein gutes Reisegeld, wenn Sie dem Herrn För-
ster die Erfüllung seiner Pflicht erleichtern.
Der Greis sah auf die schön geputzte kleine
Dame stolz hernieder.
— Ich bitte Sie! fügte sie hinzu.
— Sie bitten mich?
— Weil ich das Alter und das unverschul-
dete Elend ehre.
Der Wanderer wiegte langsam das Haupt.
— Das Alter und das unverschuldete Elend!
murmelte er dumpf. -
Nun blickte er zum Himmel auf.
— Ach ja, ich bin alt, ich lebe schon lange
auf dieser Erde, und das Elend, das mich heim-
gesucht, habe ich wahrlich nicht verschuldet! Ich
bin das Opfer jener Schurken, die in Karossen
sich wiegen und in vergoldeten Sälen schwelgen;
jener Freunde, die mir den Staub von den
Stiefeln leckten . . . Hier ist mein guter ameri-
kanischer Paß . . .
Er holte eine Brieftasche von altem Leder
aus dem Rock. Es dauerte lange, ehe er das
beschmutzte Band von derselben abwickelte . . .
dann suchte er unter den vergilbten Papieken.
— Hier ist der Paß!
Der Förster nahm ihn.
— Georg Hagenwald heißen Sie?
—' Ja, mein Herr.
— Sie sind Bürger in New-Jork?
— Wäre ich es nicht, die Behörde würde
es nicht bescheinigt haben.
— Ihrer Sprache und dem Namen nach
sind Sie ein geborener Deutscher?
— Ja, ich bin, Gott sei's geklagt, ein
Deutscher!
— Und nun kehren Sie zurück?
— Wie Sie sehen, mein Herr! antwortete
ironisch der Wanderer.
In dem Passe war als Zweck der Reise
„Geschäfte in Deutschland" angegeben. Richard
verstand so viel von der englischen Sprache, daß
er die Richtigkeit des Passes zu erkennen ver-
mochte. Das gut ausgeprägte Siegel der nord-
amerikanischen Union ließ keinen Zweifel zu.
— Sie sind legitimirt! sagte der Förster.
Nehmen Sie Ihren Paß zurück.
Georg Hagenwald nahm ihn.
Ruhig legte er das Papier in das Porte-
feuille zurück, dann schob er dies in die Brust-
tasche seines Rocks, den er sorgfältig bis an den
Hals zuknöpfte.
Sabine hielt eine feine Perlenbörse inSer Hand.
— Gestatten Sie, daß ich meinem Verspre-
chen nachkomme!
Der Greis, der. sich anschickte, weiter zu
gehen, fragte verwundert:
— Was haben Sie mir versprochen?
— Ein Reisegeld.
Aus der geöffneten Börse blitzten eine An-
zahl Goldstücke. Sabine reichte eines davon dem
Alten.
— Hier!
— Mein Gott! murmelte Hagenwald.
— So nehmen Sie doch.
— Gold, lauter Gold ist in Ihrer Börse!
Er schien das Geld mit den Blicken ver-
schlingen zu wollen. Die Muskeln seines Ge-
sichts zuckten und die Lippen öffneten sich, wie
die eines Menschen, der vor Erstaunen sprach-
los geworden. Der beobachtende Förster wähnte,
Hagenwald würde der Dame das Geld entrei-
ßen. Doch nein, er wandte sich plötzlich ab,
seufzte tief und schwer und machte eine abweh-
rende Bewegung mit der knochigen Hand.


— Es blendet mich nicht! murmelte er da-
bei. Was ist denn im Grunde genommen das
Goldader Reichthum überhaupt? Ein schimmern-
der Firniß, der das Elend des Lebens überzieht.
Behalten Sie. Ihre Goldstücke, ich will kein Al-
mosen . . .
Hagenwald setzte seinen Stab in Bewegung.
Sabine flüsterte:
— Der arme Mann ist geistesschwach.
Der Förster rief:
— Warten Sie, Alter!
Nun stand er in der Mitte des Wegs und
wartete.
— Warum, fragte Richard, starrten Sie die
Börse so an?
— Ach, ich hatte lange kein Gold gesehen,
das schreckliche Metall, das die besten Freunde
entzweit und gute Menschen zu Verbrechern
macht.
Sabine ermahnte noch einmal, das Gold-
stück anzunehmen.
— Unter einer Bedingung! rief der Seltsame. -
— Nennen Sie mir diese Bedingung.
— Nicht als ein Almosen, sondern als ein
Darlehen will ich Ihr Gold empfangen.
Die Dame mußte lächeln.
— Wie Sie wollen, armer Mann!
— Warten Sie nur, ich bin ein pünktlicher
Bezahl», wie eigentlich jeder Geschäftsmann es
sein sollte. Wollen Sie mir auf mein Ehren-
wort und auf mein ehrliches Gesicht leihen, so
schließe ich ab.
— Nehmen Sie drei Goldstücke, damit das
Geschäft an Bedeutung gewinne.
Sie legte drei blinkende Friedrichsd'or in
die Hand des Greises.
— Danke, liebe Dame! O, das demüthigt
nicht, das erhebt! Sie leihen mir auf mein
Wort eine für mich große Summe ... Wo
soll ich sie zurückzahlen?
Sabine deutete auf Richard.
— Hier steht mein Bevollmächtigter.
— Wie heißen Sie?
— Ich Lin der Förster Richard Hoche.
Der Greis, der sein Taschenbuch gezogen
hatte, horchte.
— Wie, wie? fragte er erstaunt.
Richard wiederholte die Antwort.
— O, rief Hagenwald, diesen Namen brauche
ich nicht zu uotiren, ich kenne ihn, ich kenne
ihn zu genau.
Er schob das Buch in die Tasche zurück.
— Wie lange, Madame, wollen Sie mir
leihen? fragte er, seine Erregung bekämpfend.
Richard deutete auf Sabinen.
— Ist Ihnen ein Jahr zu wenig?
— Nein, nein!
— Gut, so zahlen Sie in einem Jahre an
Herrn Hoche zurück!
— Das werde ich, so wahr mir Gott helfe!
Die Försterei kann ich schon finden und den
Namen vergesse ich nicht. . . Auf Wiedersehen,
auf Wiedersehen!
In diesem Augenblicke fuhr die Equipage
heran. Der Kutscher hatte seine Herrin bemerkt
und glaubte, daß sie einsteigcn wolle.
— Auch ich, flüsterte Sabine, sage auf
Wiedersehen!
Sie reichte dem Förster freundlich die Hand.
Als Richard sich schweigend verbeugte, fragte sie:
— Werden Sie meine Bitte erfüllen?
— Soviel an mir ist, Fräulein . . .
— Dann bin ich zufrieden.
— Für den Erfolg freilich kann ich nicht
cinstehen.
 
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