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— Sabine fühlt sich beleidigt. . .
— Gut, daß sie meine Antipathie wahrge-
nommen . . . mag sic uns fern bleiben, ich werde
sie nicht aufsuchen. Wir sind uns selbst genug
und bedürfen der weisen Lehren Deiner Tante
nicht, die einer unser unwürdigen Sphäre an-
gehört.
Die arme Gabriele stand wie vom Blitze
getroffen.
— Was ist das? flüsterte sie. Die Schwe-
ster meines Vaters gehört einer Sphäre an...
— Ich spreche nur von Sabinen; mit Dei-
nem Vater, der der hohen Geschäftswelt ange-
hört, ist es anders. Sabine ist von spießbürger-
lichen Grundsätzen beseelt, denen ich zu uns den
Eingang nicht gestatten darf. Ist schon ihre Er-
scheinung lächerlich . . .
— Otto, um des Himmels willen...
— So muß ich ihren Umgang für Dich als
gefährlich bezeichnen. Eine Gräfin von Raven-
stein steht auf der Höhe der Gesellschaft . . .
sich will in demselben Grade stolz auf Dich sein,
Gabriele, wie ich Dich liebe. Nimm ineine
Worte nicht für den Ausfluß eingerosteter Vor-
urtheile . . . Ich fordere nur, daß Du mir die
Kluft ausfüllen hilfst, die mich von meiner Fa-
milie trennt. Mein Vater liegt schwer krank,
aber er wird, so hoffe ich, genesen. Dn bist von
Natur mit allen Anlagen ausgestattet, die zu
der Hoffnung berechtigen, daß Du ein schönes
Glied in der Kette unserer Familie werdest.
Gewiß, Gabriele, ich zähle fest auf Dich . . .
Du sollst die Brücke bilden, auf der ich zu dem
versöhnten Vater zurückkehre. Noch mehr: Du
sollst der Arzt des kranken Grafen sein, der
sicher dem Tode verfallen, wenn Du ihm Deine
Vermittlung entziehst. Indem ich Dich in die
Welt einführe, die an Dich, als meine Gattin,
ein unbestrittenes Recht hat, bereite rch den Aus-
gleich vor, der zwischen meiner Familie und mir
stattfinden muß, wenn unser Glück gedeihen und
befestigt werden soll. Ich zittere bei dem Ge-
danken, daß es anders kommen könne ... Nenne
mich nicht stolz, streng oder wohl gar herzlos;
ich muß höheren Anforderungen Rechnung tra-
gen und manches wieder gut machen, was ich
im jugendlichen Uebcrmuthe versehen habe.
Dre junge Frau konnte kaum Worte finden,
um den Gedanken und Gefühlen, die auf sie
einstürmten, Ausdruck zu verleihen.
— Otto, entgegnete sie würdevoll nach einer
Pause, Du wirst es erklärlich finden, daß ich
für meine Familie spreche, wie Du für die
Deinige. Sabine ist ein von der Natur in kör-
perlicher Beziehung vernachlässigtes Wesen . . .
— Es wäre lhöricht, wollte ich ihr dies
zum Vorwurfe machen.
— Sie ist zu beklagen!
— O gewiß, gewiß!" rief der Gras.
— Setzen wir sie deßhalb nicht zurück.
— Hast Du gehört, wie herzlos sie über
meinen kranken Vater sprach? Und sie ist ein
Weib, ein Wesen, das zart fühlen soll . . . .
Sabinens Grundsätze sind verwerflich; sie mögen
in gewissen Kreisen imponiren ... ich würde
sie verlachen, wenn sie Dir nicht gefährlich wer-
den könnten. Es bedarf eines jähen Bruches
nicht; aber ich bitte Dich, gib den intimeren
Verkehr mit der boshaften Tante auf.
Der Graf bemühte sich nun, zärtlich zn sein;
es stand ihm dies übel an, da die Affektation
zu deutlich sich bemerkbar machte. Sein Lächeln
war bitter und der Kuß, den er auf die Wange
der jungen Frau drückte, war kalt wie der eines
lange verbeiratheten Ehemanns
Die arme Gabriele mußte weinen. Wie!
hatte der Gemahl in der kurzen Zeit sich ver-
ändert! Vor der Hochzeit verlachte er die aristo-
kratischen Vorurtheile, er hatte sie nicht selten
hämisch verspottet; jetzt war er der Aristokrat
vom reinsten Wasser, und indem er der jungen
Gattin den Umgang vorschrieb, den sie zu wäh-
len hatte, zeigte er sich auch als Tyrann, der
die Sympathieen dem Adelstolze unterordnet.
— Es gibt doch Vorbedeutungen! flüsterte
sie. Der Verlust meines Brautkranzes ...
— Gabriele! rief auffahrend der Gemahl.
Verbittere mir durch lächerliche Annahmen das
Leben nicht!
— Wie verändert Dn bist, Otto!
— Ich bin noch derselbe, der ich war, und
werde es stets bleiben. Tu aber hast Dich ver-
ändert, fügte er gereizt hinzu . . .
— Wie, ich?
— Sonst warst Du fügsam ...
— O, ich bin es noch!
— Du widersetzest Dich meinen Wünschen...
— Otto, bat sie traurig, rechten wir nicht!
— Was will ich denn? rief er auffahrend.
Ich will ja nur unser Glück! Statt Dich von
dem Manne leiten zu lassen," der die Wege durch
das Leben genau kennt, stehst Du auf der Seite
Jener, die unser eheliches Glück zu untergraben
suchen. Versuche es nur, mir Schritt vor Schritt
zu folgen, und Du wirst bald sehen, daß ich
Recht habe. Brechen wir ab ... Es. ist schon
zu viel, allzuviel!
Er fuhr mit der Hand über die Stirn und
sah in den Hof hinaus.
Gabriele trocknete die feuchten Augen und
trat an die Seite des Gemahls.
— Otto! flüsterte sie nach langer Pause.
— Was willst Tu, mein Kind? fragte er,
i ohne sich zu wenden.
— Entziehe mir Dein Vertrauen nicht. Es
geht etwas vor in Deinem Innern... Tu bist
seit einiger Zeit so erregt, hältst Dich von mir
fern, deutest meine Worte falsch... Und nun
die Zerstreuung, die ich vorzüglich diesen Mor-
gen an Dir bemerke. . . Schließe mich nicht aus
von Deinem Vertrauen ... Dein Kummer ist
! der meinige, Deine Freuden sind die meinigen
... Die treue Lebensgefährtin sollte doch Alles
wissen, um mit Dir berathen und handeln zu
können.
Ich habe nichts, nichts! rief der Graf.
Dann sah er die Gattin forschend an.
— Es ist die höchste Zeit, fügte er hinzu,!
daß Du mit Sabinen völlig brichst, denn die
- Grundsätze dieser schlauen Dame haben schon
Eingang bei Dir gefunden. Vertraue Dich mir
! rückhaltslos an und es wird Alles gut werden.
! Machen wir eine Spazierfahrt.
Er befahl dem Kutscher, der in diesem Au-
genblick über den Hof ging, rasch den Wagen
anzuspannen. Als er sah, daß Gabriele traurig
das Köpfchen schüttelte, ries er:
— Willst Du lieber zn Hanse bleiben, so
werde ich reiten.
— O nein!
— Ich denke nicht daran, Dir irgend einen
Zwang aufzuerlegcn.
— Gönne mir zehn Dünnten, und ich werde
meine Toilette vollendet haben.
Sie ging in ihr Boudoir, aus dem sie zehn
Minuten später in Hut und Shawl zurückkam.
Der Graf stand schon ungeduldig harrend auf
dem Perron; er trug einen bcllgranen Sommer-
rock nnd einen braunen niederen Filzhut, der!
seinem schönen Gesiebte vortrefflich stand. Der!
Wagen war noch nicht vorgefahren. Da sprengte
ein Reiter in den Hof, ein Offizier.
— Bertram! rief der Graf überrascht.
Ter Freund sprang vom Pferde.
— Ich suche Dich, Otto!
— Da bin ich!
Beide schüttelten sich herzlich die Hände.
Dann grüßte der Offizier militärisch die junge
Frau.
— Wir wollten eine Spazierfahrt durch den
Wald machen, erklärte der Graf, auf den vor-
fahrenden Wagen deutend . . . Das Wetter ist
schön, der Vormittag ist lang .. .
— So begleite ich Dich zu Pferde, Freund!
Ich setze voraus, daß die gnädige Frau Gräfin
mir gestattet. . .
Gabriele willigte ein; sie wußte ja, daß
Bertrani der beste Freund ihres Mannes war.
Das gräfliche Paar saß im Wagen"; der Offizier
ritt neben dem Schlage und unterhielt sich mit
Otto, der ernst und wortkarg auf den Freund
hörte.
Die Umgebung der Villa war reizend. Zu-
nächst führte der Weg kurze Zeit über Felder
und Wiesen, dann zog er sich durch einen Forst,
dessen majestätische Eichen Schatten und Kühlung
verbreiteten. Hier und dort schmetterten Vögel,
daß es weithin erschallte. Nicht selten zeigte
sich ein Waldbach, dessen silberklares Wasser zwi-
schen blumigen Ufern fortrieselte. Kein Mensch
zeigte sich, es war still und einsam im Walde,
wie in einem verlassenen Gotteshause. Gabriele
hätte weinen mögen vor Wehmuth. Wie schön
war die Erde und Alles, was sie bot, konnte
die reiche Dame sich verschaffen... sie fuhr in
einem kostbaren bequemen Wagen, die Uneben-
heiten des Wegs berührten ihren Fuß nicht...
sie konnte ruhend die erquickende Waldluft eiu-
athmen und sich ohne Anstrengung an den rei-
zenden Parlhieen erfreuen, die rechts und links
abwechselnd sich zeigten. Und dieser Wald, diese
ganze Gegend gehörte zu der Villa, war also
das Eigenthum Gabrielen's.
— Mein Gott, dachte sie seufzend, wie glück-
lich könnte ich sein!
Sie warf einen Blick aus den Gemahl; da
lag er nachlässig in dem Seidenpolster und starrte
wie träumend zu den Wipfeln der Bäume empor.
Weder die Schönheit des Tages noch die Pracht
des Waldes schien ihn zu berühren; er nickte
nur mit dem Kopfe, wenn der Offizier einen
Punkt bezeichnete, der einer besonderen Aufmerk-
samkeit werth war.
— Halt! rief plötzlich der Graf.
— Was willst Du, Otto?
Der Kutscher hielt au.
— Ich muß mir Bewegung schaffen, meinte
der Gras; gehen wir zu Fuß, dort zeigt sich ein
schattiger bequemer Weg ... der Wagen- mag
uns hier erwarten.
Man war einverstanden mit diesem Vorschläge.
Bertram übergab sein Pferd dem Kutscher, Otto
bot seiner Gattin den Arm und der kleine Zug
setzte sich in Bewegung. Der Fuß wandelte auf
weichem Rasen; links von dem Wege rieselte
einer jener kleinen Bäche, die theils künstlich
angelegt, theils von Natur geschaffen waren.
Die Zweige der Bäume bildeten eine Decke, die
nur selten eine Lichtung zeigte, durch die der
blaue Himmel zu erkennen war. Und wie köst-
lich dufteten die Waldblumen, die in voller
Blüthe standen, wie frisch schimmerte der Rasen,
und das weiche Moos! Ein munteres Reh trat
ans dem Busche, sah mit glänzenden Augen die
Spaziergänger an. die die feierliche Stille des
— Sabine fühlt sich beleidigt. . .
— Gut, daß sie meine Antipathie wahrge-
nommen . . . mag sic uns fern bleiben, ich werde
sie nicht aufsuchen. Wir sind uns selbst genug
und bedürfen der weisen Lehren Deiner Tante
nicht, die einer unser unwürdigen Sphäre an-
gehört.
Die arme Gabriele stand wie vom Blitze
getroffen.
— Was ist das? flüsterte sie. Die Schwe-
ster meines Vaters gehört einer Sphäre an...
— Ich spreche nur von Sabinen; mit Dei-
nem Vater, der der hohen Geschäftswelt ange-
hört, ist es anders. Sabine ist von spießbürger-
lichen Grundsätzen beseelt, denen ich zu uns den
Eingang nicht gestatten darf. Ist schon ihre Er-
scheinung lächerlich . . .
— Otto, um des Himmels willen...
— So muß ich ihren Umgang für Dich als
gefährlich bezeichnen. Eine Gräfin von Raven-
stein steht auf der Höhe der Gesellschaft . . .
sich will in demselben Grade stolz auf Dich sein,
Gabriele, wie ich Dich liebe. Nimm ineine
Worte nicht für den Ausfluß eingerosteter Vor-
urtheile . . . Ich fordere nur, daß Du mir die
Kluft ausfüllen hilfst, die mich von meiner Fa-
milie trennt. Mein Vater liegt schwer krank,
aber er wird, so hoffe ich, genesen. Dn bist von
Natur mit allen Anlagen ausgestattet, die zu
der Hoffnung berechtigen, daß Du ein schönes
Glied in der Kette unserer Familie werdest.
Gewiß, Gabriele, ich zähle fest auf Dich . . .
Du sollst die Brücke bilden, auf der ich zu dem
versöhnten Vater zurückkehre. Noch mehr: Du
sollst der Arzt des kranken Grafen sein, der
sicher dem Tode verfallen, wenn Du ihm Deine
Vermittlung entziehst. Indem ich Dich in die
Welt einführe, die an Dich, als meine Gattin,
ein unbestrittenes Recht hat, bereite rch den Aus-
gleich vor, der zwischen meiner Familie und mir
stattfinden muß, wenn unser Glück gedeihen und
befestigt werden soll. Ich zittere bei dem Ge-
danken, daß es anders kommen könne ... Nenne
mich nicht stolz, streng oder wohl gar herzlos;
ich muß höheren Anforderungen Rechnung tra-
gen und manches wieder gut machen, was ich
im jugendlichen Uebcrmuthe versehen habe.
Dre junge Frau konnte kaum Worte finden,
um den Gedanken und Gefühlen, die auf sie
einstürmten, Ausdruck zu verleihen.
— Otto, entgegnete sie würdevoll nach einer
Pause, Du wirst es erklärlich finden, daß ich
für meine Familie spreche, wie Du für die
Deinige. Sabine ist ein von der Natur in kör-
perlicher Beziehung vernachlässigtes Wesen . . .
— Es wäre lhöricht, wollte ich ihr dies
zum Vorwurfe machen.
— Sie ist zu beklagen!
— O gewiß, gewiß!" rief der Gras.
— Setzen wir sie deßhalb nicht zurück.
— Hast Du gehört, wie herzlos sie über
meinen kranken Vater sprach? Und sie ist ein
Weib, ein Wesen, das zart fühlen soll . . . .
Sabinens Grundsätze sind verwerflich; sie mögen
in gewissen Kreisen imponiren ... ich würde
sie verlachen, wenn sie Dir nicht gefährlich wer-
den könnten. Es bedarf eines jähen Bruches
nicht; aber ich bitte Dich, gib den intimeren
Verkehr mit der boshaften Tante auf.
Der Graf bemühte sich nun, zärtlich zn sein;
es stand ihm dies übel an, da die Affektation
zu deutlich sich bemerkbar machte. Sein Lächeln
war bitter und der Kuß, den er auf die Wange
der jungen Frau drückte, war kalt wie der eines
lange verbeiratheten Ehemanns
Die arme Gabriele mußte weinen. Wie!
hatte der Gemahl in der kurzen Zeit sich ver-
ändert! Vor der Hochzeit verlachte er die aristo-
kratischen Vorurtheile, er hatte sie nicht selten
hämisch verspottet; jetzt war er der Aristokrat
vom reinsten Wasser, und indem er der jungen
Gattin den Umgang vorschrieb, den sie zu wäh-
len hatte, zeigte er sich auch als Tyrann, der
die Sympathieen dem Adelstolze unterordnet.
— Es gibt doch Vorbedeutungen! flüsterte
sie. Der Verlust meines Brautkranzes ...
— Gabriele! rief auffahrend der Gemahl.
Verbittere mir durch lächerliche Annahmen das
Leben nicht!
— Wie verändert Dn bist, Otto!
— Ich bin noch derselbe, der ich war, und
werde es stets bleiben. Tu aber hast Dich ver-
ändert, fügte er gereizt hinzu . . .
— Wie, ich?
— Sonst warst Du fügsam ...
— O, ich bin es noch!
— Du widersetzest Dich meinen Wünschen...
— Otto, bat sie traurig, rechten wir nicht!
— Was will ich denn? rief er auffahrend.
Ich will ja nur unser Glück! Statt Dich von
dem Manne leiten zu lassen," der die Wege durch
das Leben genau kennt, stehst Du auf der Seite
Jener, die unser eheliches Glück zu untergraben
suchen. Versuche es nur, mir Schritt vor Schritt
zu folgen, und Du wirst bald sehen, daß ich
Recht habe. Brechen wir ab ... Es. ist schon
zu viel, allzuviel!
Er fuhr mit der Hand über die Stirn und
sah in den Hof hinaus.
Gabriele trocknete die feuchten Augen und
trat an die Seite des Gemahls.
— Otto! flüsterte sie nach langer Pause.
— Was willst Tu, mein Kind? fragte er,
i ohne sich zu wenden.
— Entziehe mir Dein Vertrauen nicht. Es
geht etwas vor in Deinem Innern... Tu bist
seit einiger Zeit so erregt, hältst Dich von mir
fern, deutest meine Worte falsch... Und nun
die Zerstreuung, die ich vorzüglich diesen Mor-
gen an Dir bemerke. . . Schließe mich nicht aus
von Deinem Vertrauen ... Dein Kummer ist
! der meinige, Deine Freuden sind die meinigen
... Die treue Lebensgefährtin sollte doch Alles
wissen, um mit Dir berathen und handeln zu
können.
Ich habe nichts, nichts! rief der Graf.
Dann sah er die Gattin forschend an.
— Es ist die höchste Zeit, fügte er hinzu,!
daß Du mit Sabinen völlig brichst, denn die
- Grundsätze dieser schlauen Dame haben schon
Eingang bei Dir gefunden. Vertraue Dich mir
! rückhaltslos an und es wird Alles gut werden.
! Machen wir eine Spazierfahrt.
Er befahl dem Kutscher, der in diesem Au-
genblick über den Hof ging, rasch den Wagen
anzuspannen. Als er sah, daß Gabriele traurig
das Köpfchen schüttelte, ries er:
— Willst Du lieber zn Hanse bleiben, so
werde ich reiten.
— O nein!
— Ich denke nicht daran, Dir irgend einen
Zwang aufzuerlegcn.
— Gönne mir zehn Dünnten, und ich werde
meine Toilette vollendet haben.
Sie ging in ihr Boudoir, aus dem sie zehn
Minuten später in Hut und Shawl zurückkam.
Der Graf stand schon ungeduldig harrend auf
dem Perron; er trug einen bcllgranen Sommer-
rock nnd einen braunen niederen Filzhut, der!
seinem schönen Gesiebte vortrefflich stand. Der!
Wagen war noch nicht vorgefahren. Da sprengte
ein Reiter in den Hof, ein Offizier.
— Bertram! rief der Graf überrascht.
Ter Freund sprang vom Pferde.
— Ich suche Dich, Otto!
— Da bin ich!
Beide schüttelten sich herzlich die Hände.
Dann grüßte der Offizier militärisch die junge
Frau.
— Wir wollten eine Spazierfahrt durch den
Wald machen, erklärte der Graf, auf den vor-
fahrenden Wagen deutend . . . Das Wetter ist
schön, der Vormittag ist lang .. .
— So begleite ich Dich zu Pferde, Freund!
Ich setze voraus, daß die gnädige Frau Gräfin
mir gestattet. . .
Gabriele willigte ein; sie wußte ja, daß
Bertrani der beste Freund ihres Mannes war.
Das gräfliche Paar saß im Wagen"; der Offizier
ritt neben dem Schlage und unterhielt sich mit
Otto, der ernst und wortkarg auf den Freund
hörte.
Die Umgebung der Villa war reizend. Zu-
nächst führte der Weg kurze Zeit über Felder
und Wiesen, dann zog er sich durch einen Forst,
dessen majestätische Eichen Schatten und Kühlung
verbreiteten. Hier und dort schmetterten Vögel,
daß es weithin erschallte. Nicht selten zeigte
sich ein Waldbach, dessen silberklares Wasser zwi-
schen blumigen Ufern fortrieselte. Kein Mensch
zeigte sich, es war still und einsam im Walde,
wie in einem verlassenen Gotteshause. Gabriele
hätte weinen mögen vor Wehmuth. Wie schön
war die Erde und Alles, was sie bot, konnte
die reiche Dame sich verschaffen... sie fuhr in
einem kostbaren bequemen Wagen, die Uneben-
heiten des Wegs berührten ihren Fuß nicht...
sie konnte ruhend die erquickende Waldluft eiu-
athmen und sich ohne Anstrengung an den rei-
zenden Parlhieen erfreuen, die rechts und links
abwechselnd sich zeigten. Und dieser Wald, diese
ganze Gegend gehörte zu der Villa, war also
das Eigenthum Gabrielen's.
— Mein Gott, dachte sie seufzend, wie glück-
lich könnte ich sein!
Sie warf einen Blick aus den Gemahl; da
lag er nachlässig in dem Seidenpolster und starrte
wie träumend zu den Wipfeln der Bäume empor.
Weder die Schönheit des Tages noch die Pracht
des Waldes schien ihn zu berühren; er nickte
nur mit dem Kopfe, wenn der Offizier einen
Punkt bezeichnete, der einer besonderen Aufmerk-
samkeit werth war.
— Halt! rief plötzlich der Graf.
— Was willst Du, Otto?
Der Kutscher hielt au.
— Ich muß mir Bewegung schaffen, meinte
der Gras; gehen wir zu Fuß, dort zeigt sich ein
schattiger bequemer Weg ... der Wagen- mag
uns hier erwarten.
Man war einverstanden mit diesem Vorschläge.
Bertram übergab sein Pferd dem Kutscher, Otto
bot seiner Gattin den Arm und der kleine Zug
setzte sich in Bewegung. Der Fuß wandelte auf
weichem Rasen; links von dem Wege rieselte
einer jener kleinen Bäche, die theils künstlich
angelegt, theils von Natur geschaffen waren.
Die Zweige der Bäume bildeten eine Decke, die
nur selten eine Lichtung zeigte, durch die der
blaue Himmel zu erkennen war. Und wie köst-
lich dufteten die Waldblumen, die in voller
Blüthe standen, wie frisch schimmerte der Rasen,
und das weiche Moos! Ein munteres Reh trat
ans dem Busche, sah mit glänzenden Augen die
Spaziergänger an. die die feierliche Stille des