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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 3.1868

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Heft 8
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https://doi.org/10.11588/diglit.44083#0221
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>N 215

Sie von mir denken, die ich willenlos zusehe,
daß man über meine Zukunft verfügt. Ich
schwöre bei Allem, was mir heilig ist: Sabine
hat eigenmächtig gehandelt, sie verfolgt die In-
teressen ihrer Feindin und betrachtet mich als
ein leichtsinniges Geschöpf, das sich endlich doch
dem Drange der Verhältnisse fügt. Mir steht
eine Partei gegenüber, die um jeden Preis
mich beseitigen will . . . ich trete allein, ganz
allein zurück... das Spiel, das man mit mir
treibt, ist überflüssig; aber es könnte mir ge-
fährlich werden, wenn es auf die Spitze getrie-
ben wird. Meine Kraft ist noch nicht ganz ge-
brochen, ich habe den Muth, zu glauben, daß
der Staub meines Kindes ein Glied in der
Jntriguen-Kette ist, mit der man mich zu um-
schlingen sucht. Nach den Versicherungen, die
Sie, Herr Förster, mir ertheilt, wage ich nicht
mehr, zu fragen, ob Sie das Schicksal meines
Kindes kennen . . .
— Und Sie haben Recht! rief Richard.
— Aber was soll ich thun? Angst und
Schmerz zerreißen mir die Brust . . .
— Was Sie thun sollen?
— Ich habe hin und her gedacht . . .
— Forschen Sie Fräulein Roland aus.
— Sie vernachlässigt mich jetzt.
— Und ich vermuthe, daß sie kommen wird.
— Wie?
— Weil ich ihr briefliche Mittheilung von
dem abscheulichen Ereignisse gemacht, das über
Ihr Haupt hereingebrochen. Der Waldhüter
war schon am frühen Morgen in meiner Woh-
nung . . ,
Else meldete, daß der Arzt angekommen sei.
Adele erschrak.
— Wer hat ihn rufen lassen?
— Ich, kein Anderer.
— Es ist überflüssig.
— Nach dem Berichte des
glaubte ich für Ihre Gesundheit
müssen.
Die bleiche Fran faltete die
wandte den Blick gen Himmel, indem sie flüsterte:
— Der feste Glaube an die Gerechtigkeit
der Vorsehung hat mich geheilt; ich werde in
Ergebung ausharren, was auch noch über mich
kommen möge!
Richard fühlte sich bis zu Thränen gerührt.
— Sw sollten doch den Rath des erfahrenen
Arztes hören! bat er.
Als er sah, daß Adele Anstand nahm, fügte
er leise hinzu: „Wäre es auch nur zu meiner
Beruhigung!"
Adele sah ihn bedeutungsvoll an.
Dann flüsterte sie:
— So niag der Arzt kommen.
Else ging.
Richard konnte sich nicht erwehren, der un-
glücklichen Fran die Hand zu küssen.
— Man handelt schlecht an Ihnen! rief er
mit Bitterkeit.
Der Arzt, ein bejahrter Manu mit grauem
Haüpthaar, trat ein. Richard erzählte ihm
kurz, was geschehen, und bat ihn, der Leidenden
beizustehen. Nach einem eingehenden Examen
that er den Ausspruch, daß Madame Kron nur
der Ruhe bedürfe, daß sie alle und jede Ge-
legenheit zur Aufregung vermeiden müsse und
es dem Himmel und der Obrigkeit überlassen
solle, das geraubte Kind aufzufinden. Dann
verschrieb er ihr eine beruhigende Medicin, die
sofort aus der Landapotheke geholt werden sollte.
Der Förster sprach mit ihm über den Raub ...
— Es ist unerklärlich! meinte der Doktor.

Da ich heute meinen ganzen Distrikt durchwan-
dere, werde ich vorsichtig forschen . . . gegen
Abend gedenke ich, Madame noch einen Besuch
abzustatten.
Der Förster befand sich mit Adelcn wieder
allein.
— Ist es Ihnen recht, wenn ich der Gcns-
darmerie Anzeige mache?
— Lassen Sie mich zuvor mit Sabinen
sprechen; ich kann mich des Verdachts nicht er-
wehren, daß diese Dame um den Ranb weiß.
Nachdem auch der Förster einen zweiten Be-
such zugesagt, entfernte er sich. Es war ihm
eine schwere Last vom Herzen genommen, da er
wußte, daß die Gesundheit seiner Schutzbefohlenen
nicht gefährdet sei. Sinnend ritt er durch den
Forst, der in der ersten Morgensrische prangte.
Ihm war seltsani um's Herz; er hätte laut auf-
jubeln mögen, und doch preßte ihm ein uner-
klärliches Gefühl die Brust zusammen. Adelens
letzte Hoffnung war zertrümmert, aber durch
welches Mittel und um welchen Preis! Sie
kannte nun den Grafen in seiner wahren Ge-
stalt, und deßhalb mußte sie ihre Liebe von ihm
abwenden; sie mußte ihn selbst verachten, und
jetzt, nachdem er sie beraubt hatte, hassen. Der
arme Richard liebte zu innig, als daß seine
Neigung durch Verhältnisse erkalten sollte, die
Adele nicht geschaffen hatte. Sie, das Opfer
eines Nous, war zu beklagen, nicht zu verachten.
Und wie treu hatte sie den perfiden Mann ge-
liebt, wie schmerzlich seinen vermeintlichen Tod
betrauert. Dafür war ihr das geworden, was
sie jetzt zu Boden schmetterte.
— Verzeihe mir, Mutter, murmelte Richard,
ich kann Deinen Rath doch nicht befolgen; reicht
mir Adele die Hand, ich weise sie nicht zurück!
Und jetzt wird sie sich mir anschließen, wäre es
auch nur aus Dankbarkeit. Ach, ich fühle nur
zu lebhaft, daß mein Leben ohne sie werth-
los ist.
7.
Die Freundinnen.
Der Förster war, ohne es zu wissen, auf
den Hauptweg gekommen, der den Wald seiner
ganzen Länge nach durchschnitt. Das muthige
Pferd hatte nach Belieben die Gangart gewählt,
bald trabend, bald im Schritte hatte es den
sinnenden Reiter fortgetragen. So war er über
die Grenze in den anstoßenden Forst gelangt;
ihm war es gleich, wo er sich befand, wenn er
nur seinen Gedanken nachhangen konnte.
Da rollte eine Equipage heran.
Jetzt wurde Richard aufmerksam; er zog die
Zügel an und ritt zur Seite.
In dem offenen, höchst eleganten Coups
saßen ein Herr und eine Dame. Richard bebte
zusammen, er erkannte den Grafen an der Seite
seiner reizenden Gemahlin. Gabriele sah heiter
aus; sie grüßte lächeld den Förster, indem sie
mit der Hand winkte.
— Halt! rief der Graf.
Der leichte Wagen hielt still.
— Herr Förster, ein Wort!
Richard ritt dem Schlage näher. Er konnte
es über sich gewinnen, zu fragen:
— Womit kann ich dienen?
— Ich übe heute Revanche! sagte freundlich
der Graf.
— Revanche, wofür?
— Sie tragen eine Schußwaffe auf dem
Rücken.
— Ganz recht.
— Und befinden sich in meinem Forste.
Richard sah verlegen um sich.

— Es ist wahr, Herr Graf.
— Ziehen Sie im Frieden, wie Sie mich
haben ziehen lassen; ich verzeihe Ihnen die
Contravention.
Der Edelmann benahm sich so herablassend,
so liebenswürdig, daß Richard unwillkürlich
den Hut zog.
— Danke, gnädiger Herr!
Gabriele schien Gefallen an dem Scherze zu
finden.
— Sind die Jagdgesetze so streng? fragte sie.
— Ich könnte den Förster auf der Stelle
arretiren oder ihm wenigstens das Gewehr ab-
nehmen, crklärle der Graf; da ich aber bald
der Beihülfe des tüchtigen Fachmannes bedarf,
um den Werth meiner Besitzungen zu erhöhen,
muß ich mit ihm in Frieden leben.
Richard fühlte, daß seine Wangen brannten.
— Dessen bedarf cs nicht, gnädiger Herr;
ich stelle Ihnen gern meine Erfahrungen zur
Verfügung, so weit es die Mannesehre zu-
läßt . . .
Er schwieg, weil die junge Dame ihn for-
schend ansah.
— Ich begreife Sie! rief der Grast Die
Forstmänner sind stolz auf ihre Wissenschaft, sie
fügen sich nicht gern den Launen der Ignoran-
ten . . . fürchten Sie nicht, daß ich Ungebühr-
liches von Ihnen fordere, ich unterstelle mich
ohne Zögern Ihrer forstwissenschaftlichen An-
ordnungen. Damit Sie es wissen ... die
Vereinigung der beiden Reviere ist nicht nur in
Aussicht genommen, sie wird auch demnächst
ausgeführt werden . . .
— Ein Akt, den ich ersprießlich nennen muß.
— Dann bedarf ich eines Oberförsters ...
— Gewiß, Herr Graf.
— Er ist bereits gefunden.
— Der Bewerber sind genug vorhanden.
— Verstehen Sie mich denn nicht, lieber
Förster?
— Ich wage Ihre Worte nicht zu deuten...
Gabriele neigte sich aus dem Wagen.
— Ich gratulire, Herr Oberförster!
— Mir? Mir?
— Der Gemahl und der Vater sind schon
einig.
— Verzeihung, gnädige Fran!
— Und Tante Sabine sagt nicht Nein.
Richard zog den Hut.
— So schmeichelhaft mir Ihr Vertrauen
auch ist, so weiß ich doch nicht, ob ich cs an-
nehmen darf.
— Warum? fragte der Graf.
— Es kommt auch auf die Bedingungen an.
— Sie haben Bedingungen zu stellen, wun-
derlicher Mann.
— Ich, gnädiger Herr?
— Sie allein.
Der Förster schüttelte das Haupt.
— Wenn Sie nicht einen Scherz mit mir
treiben . . .
— Glauben Sie an meinen völligen Ernst.
Ehe der Winter anrückt, werden wir den Kon-
trakt unterzeichnen. Auf Wiedersehen! Hüten
Sie sich vor meinem griesgrämlichcn alten För-
ster, er könnte Ihnen das schöne Jagdgewehr
konfisziren. Fort! rief er dem Kutscher zu.
Die Gräfin nickte, der Graf lächelte freund-
lich, während der Wagen sich in Bewegung setzte.
Richard folgte im Schritt der Equipage.
— Wie anders war dieser Nous heute!
dachte er. Durch die Maske der Biederkeit und
Freundlichkeit täuscht er seine Gemahlin . . .
und er sucht auch mich zu täuschen!

Waldhüters
fürchten zu
Hände und
 
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