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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 3.1868

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Heft 8
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https://doi.org/10.11588/diglit.44083#0246
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—240 --Z--

unsere Sitte nicht; wissen Sie, was cs in Süd-
deutschland bedeutet, wenn ein junger Mann
einem Mädchen einen Maibanm unter die Fen-


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August hatte dem Knaben aufmerksam zuge-
gehört. „Dieser Sache kann abgeholfen werden/'
dachte er.
Die Bescheerung ging vortrefflich
von statten; der Gast erhielt von
der Hausfrau ein großes Christbrod
nebst Lebkuchen, Aepfeln, Nüssen und
einer schönen Damastscrviette, Fabri-
kat von Herrn Krause. Angust's Ge-
schenk, Kalender und Bilderbücher,
wurden dankbar angenommen; die
Kinder jubelten laut vor Wonne.
Als die Glocken zur Kirche rie¬
fen, die Hausfrau in Pelz und Hut
eintrat, glitt Therese leise aus dem
Zimmer und eilte, mit einem bren-
nenden Licht in der Hand, die Treppe
hinauf. Oben begegnete ihr Herr
Wendemann, der ebenfalls, zum
Fortgehen bereit, aus seiner Stube
kam. In der rechten Hand hielt
er den schönen Wachsstock mit blaß-
rother Schleife, und mit etwas un-
sicherer Stimme fragte er: „Darf
ich Sie wohl bitten, diesen Wachs-
stock als kleines Christgeschenk von
mir anzunehmen und in meiner Be-
gleitung zur Kirche zu gehen?"
Therese erröthete bis unter die
braunen Locken; Thränen füllten
ihre Augen. „Wenn es denn Ihr
Wille ist, Herr Wendemann," er-
wiederte sie, nahm die Gabe aus
seiner Hand und fügte zwischen La-
chen und Weinen hinzu: „Ich bin
in zwei Minuten fertig, wenn Sie
auf mich warten wollen!"
Sie gingen mit einander in die
Kirche, Herr August Wendemann
und Jungfer Therese Gärtner. Die letztere zün-
dete mit großem Vergnügen ihren Wachsstock
an, als sie sich gesetzt hatte. August stand
neben ihr; er sang mit ihr ans ihrem Ge-
sangbuch, und freute sich über ihre wohllau-
tende Altstimme. Auf dem Rückweg gingen
sie wieder zusammen, und da cs sehr glatt
war, nahm Therese August's Arm, den er ihr
mit freundlichem Blick anbot.
Als das Paar in die Wohnstube trat, em-
pfing Herr Krause seinen Gast mit scherzhaft
erhobenem Finger und rief: „Ei, ei, Herr Wende-
mann, Sie haben die Festung im Sturm ge-
nommen!"
„Meine herzlichsten, wärmsten Glückwünsche!"
sagte die Hausfrau, eine Hand Theresen, die
andere Wendemann reichend.
Der gute August Wendemann! Er riß die
Augen auf und sagte beklommen: „Wie soll ich
das verstehen?"
Herr Krause wurde roth; er fürchtete einen
Mißgriff gemacht zu haben, und fand keine
Worte; jedoch seine Frau ließ sich nicht irre
machen, sondern sagte lachend: „Nun, meinen
Sie, daß wir keine Augen haben, Herr Wende-
mann? Haben Sie nicht unserer Muhme den
Wachsstock geschenkt, sie in die Christnacht ge-
führt und gar auf dem Rückweg ihr den Arm
geboten?"
„Aber, weßhalb sollte ich der Mamsell The-
rese keinen Wachstock verehren; ich habe ihn zu-
fällig gekauft, brauchte ihn nicht für mich, sie
hatte keinen für die Kirche, — da ist doch weiter
kein Nebengedanke dabei," entgegnete August ganz
ruhig.
„Jetzt begreife ich! Sie kennen offenbar

ster setzt?"
„Jawohl, Herr Krause, ich habe es gelesen,"
erwiederte August.
„Nun, sehen Sie, lieber Herr, bei uns gilt
es für einen Heirathsantrag, wenn ein lediger
Mann einem unverheiratheten Frauenzimmer
einen Wachsstock mit einer rothen Schleife am
Christabend schenkt; nimmt sie die Gabe an, so
bedeutet es ein: Ja! Sie haben das nicht ge-
Lil-er-Räthfel.

Auflösung -es Lil-er-kälhscls im ficbeulen Heft.
Augsburg.


wußt, Therese hat also Ihre Gabe als Präsent
eines Freundes zu betrachten und damit basta!"
Das arme Mädchen war halb ohnmächtig
in einen Stuhl gesunken. August
gefiel ihr wirklich sehr gut, sie hatte
sich geliebt geglaubt, schon als glück-
liche Hausfrau gesehen, und jetzt
fühlte sie sich tief beschämt. Sie
hielt die Hände vor die Augen und
brach in hysterisches Schluchzen aus.
August konnte kein Weib weinen
sehen. Er hatte gehört, daß sein
Antrag angenommen worden war;
Therese war offenbar ein verständi-
ges, braves Mädchen, dabei hübsch;
er zählte auch seine fünfunddreißig
Jahre, wehhalb sollte er den Wachs-
stockkauf nicht als einen Fingerzeig
vom Schicksal erkennen? Ohne sich
lange zu besinnen, sagte er: „Ich
habe allerdings diese Sitte nicht ge-
kannt; auf Ihre Glückwünsche will
ich aber doch nicht verzichten!"
Herr Krause und seine Frau
sahen einander lächelnd an und zo-
gen sich dann etwas hinter den gro-
ßen Ofen zurück; August ging auf
Therese zu, faßte ihre Hand, die
sie, noch immer schluchzend, ihm
ließ, mid mit einem Fuß auf den
andern tretend — denn August fand
wieder einmal jetzt, wo der große
Moment da war, keinen Ausdruck
— stieß er die Worte heraus: „Lie-
bes Thereschen, möchten Sie mich,
wenn ich Sie möchte?"
Herr Krause biß in das Ta-
schentuch, um sein Lachen zu ver-
bergen, seine Frau lief zur Thür
hinaus, nm in der Küche in ein schallendes Ge-
lächter auszubrechen, ihr Mann ging ihr nach.
Eine halbe Stunde später weinte Therese,
lachte Frau Krause nicht mehr. Bei Punsch
und Christbrod saßen vier.fröhliche Personen
am Tisch, und drei davon hörten zu, wie August
sein Haus nebst Garten beschrieb. Er erklärte,
bis zum Dreikönigstag dableiben zu wollen, zu
Ostern wollte er wiedcrkommen, um seine liebe
Braut zu holen, zu Pfingsten sollte die Familie
Krause das junge Ehepaar besuchen. — So ge-
schah es. Therese und August wurden ein Paar,
und zwar ein sehr glückliches. Der Wachsstock,
als Ehestifter, prangte im Glasschrank neben dem
Silbergeschirr.
Noch nach Jahren neckte Therese ihren^Mann
mit seiner früheren Schüchternheit gegen Frauen,
worauf er scherzend zur Antwort gab: „Lobe
mich deßhalb lieber; wäre ich minder schüchtern
gewesen, so hättest Du mich gar nicht bekommen!"
Als psychologische Merkwürdigkeit haben wir
nur noch Eins zu erzählen. Am Trauungstag
hatte August große Angst, ob er sich bei der
Feierlichkeit auch richtig benehmen, seine Braut
mit Anstand aus dem Wagen heben und führen
würde. Alles gelang vortrefflich; während der
Rede des Geistlichen wuchs ihm sogar der Muth
dermaßen, daß er auf die Frage, ob Herr August
Wendemann Jungfrau Therese Gärtner zur ehe-
lichen Gemahlin nehmen wolle, sich nicht mit dem
einfachen „Ja" begnügte, sondern mit vernehm-
licher Stimme sagte: „Freilich will ich das,
Herr Pastor, weßhalb wäre ich denn sonst hier?"
 
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