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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 3.1868

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Heft 9
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https://doi.org/10.11588/diglit.44083#0249
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-s§> 243

Adele suchte nach ihrem Taschenbuch, um
eine Karte herauszuholcn; sie hatte es vergessen.
— Melden Sie Adele Kron an.
— Fräulein Adele Kron?
— Dies wird genügen, gewiß, dies wird
genügen!
Henriette ließ ihre forschenden Blicke über
die Danie streifen.
— Der gnädige Herr, flüsterte sie, promenirt
im Garten . . .
— So zeigen Sie mir den Weg zum Garten.
— Bitte, treten Sie hier ein.
Die schwarze. Dame befand sich in dem
prachtvollen Salon des Erdgeschosses, demselben,
in welchem die Hochzeit gefeiert war. Die hohe
Glasthür, die nach der Veranda führte, stand
offen. Man sah die schimmernden und duften-
den Blumen, die der Gärtner aufgestellt hatte.
Die schattige und kühle Veranda glich einem
großen Blumenkorb mit den seltensten Gewächsen.
Die reizendsten Farben schimmerten aus dem
mannichsaltigsten Grün. Der Strahl einer Fon-
täne schoß fast bis zur Decke empor, dann fiel
er in ein mit Schlingpflanzen bedecktes Marmor-
bassin zurück, das in der Mitte der Veranda
sich erhob.
— Bitte, nehmen Sie Platz! sagte die Zofe.
Daun verschwand sie.
Adele sank erschöpft auf einem der kostbaren
Fauteuil's nieder, die im Kreise um einen gro-
ßen Tisch standen. Hatte sie auch keinen Sinn
für diese Umgebung, die Pracht derselben drängte
sich ihr doch ans. Unwillkürlich fiel ihr Blick
auf zwei große Oclgemälde, die ihr gegenüber
an der mit rothem Sammt tapezirten Wand
hingen. Es waren Meisterstücke, die der Ban-
kier seinen Kindern geschenkt hatte. Das eine
war das Porträt des Grafen, das andere das
einer wunderbar schönen jungen Dame.
— Die beiden Gatten! dachte Adele. Ein
aristokratisches Paar! Wie mild und ehrbar seine
Züge sind; man möchte glauben, dieser Mann
könne kein Wasser trüben . . . Und doch betrügt
er mich und seine Gattin, die ihm vertrauens-
voll entgegenlächelt. Otto lebt wie ein Fürst,
er ist glücklich in deni Besitz dieser reizenden
und reichen Frau . . . mich verzehren Gram
und Sorgen . . . Und was habe ich ihm ge-
opfert? Mein Alles, mein Höchstes auf dieser
Erde! Um mich ganz elend zu machen, läßt er
mir das Kind rauben. . . O, wie gering denkt
er von mir; ich würde mich meiner Tochter nicht
entäußert haben, um es in das Boudoir der
Gräfin zu tragen . . . Das hat er gefürchtet,
und Sabine, von derselben Furcht beseelt, hilft
ihm; sie muß ja die Ehre der Familie retten,
muß das gräfliche Paar, das nicht mehr zu
trennen ist, vor schmählichem Eclat bewahren!
Um mich für immer abzuschrccken, wälzt sie
auch noch den Verdacht eines Kindsmords ans
mich . . .
Sie schauderte zusammen; Groll und Schmerz
erpreßten ihr Thränen.
In diesem Augenblick trat eilig der Graf ein.
— Wer will mich sprechen? fragte er hastig.
Adele hatte sich erhoben.
— Ich! rief sie fest und stolz.
Der Graf wich einen Schritt zurück.
— Unglückliche, was führt Sie in mein
Haus?
— Sie haben recht, ich bin eine Unglückliche!
— Mein Gott, was wollen Sie denn?
— Fragen Sie Ihr Gewissen, edler Herr,
und Sie werden Antwort erhalten!
Die Gleichgültigkeit des Grafen brachte die

arme Adele völlig außer Fassung; sie mußte
laut weinen. Otto von Ravenstein schloß die
Thür, die zur Veranda führte.
— Madame, rief er, ich habe Ihren Besuch eben
so wenig erwartet, als ich fürchte, daß Sie in
meinem Haus eine Skandal-Scene auszuführen
gedenken. Ich bitte, sprechen Sie sich ruhig aus,
ich werde ebenso ruhig Sie anhöreu.
Der Graf deutete ans den Stuhl, den Adele
verlassen hatte.
— Mein Herr, stammelte sie, ich erinnere
Sie nicht an die Schwüre, die Sie mir einst
geleistet, ich bitte auch nicht um einen Theil
des Reichthums, der Sie umgibt . . . aber ich
flehe Sie an bei dem großen Gott: geben Sie
mir zurück, was Sie mir geraubt haben!
— Was ich Ihnen geraubt habe?
— Mein Kind, mein Kind!
Adele streckte die bebenden Hände aus.
Eine leichte Blässe überzog das Gesicht des
Grafen.
— Bin ich ein Räuber? fragte er halblaut.
— Während Siemir in meiner Wohnung erklär-
ten, daß ich eine Verstoßene sei, hat man mir meine
Tochter geraubt ... Sie haben mich absichtlich
gefesselt, um den Raub leicht ausführen zu lassen
. . . O, ich durchschaue jetzt ganz Ihren nichts-
würdigen Plau, ich begreife den ganzen Umfang
Ihrer Perfidie.
— Madame! Madame! rief drohend der
Edelmann.
— Nein, ich will anders zn Ihnen sprechen,
will Sie ans den Knieen bitten, damit Sie die
verzweifelnde Mutter nicht verstoßen. . .
Der Graf trat nahe, ganz nahe an sie heran.
— Sie bedürfen meiner Hülfe, ich gewähre
sie Ihnen, Madame; jedoch, nur unter der Be-
dingung, daß Sie das Aufsehen vermeiden und
meine Reputation als Ehemann schonen.
Adele hoffte schon ihr Ziel erreicht zu haben;
sie kämpfte den aufsteigeuden Schmerz nieder
und erzählte unter Thränen, was in Ihrem
Hause geschehen. Der Graf war sichtlich bestürzt
geworden.
— Madame, es waltet ein gräßliches Miß-
verständniß ob ... ich bin nicht der, den Sie
suchen . . .
— Großer Gott!
— Ich muß es Ihnen jetzt sagen . . .
— Mir ist Alles klar, leugnen Sie nicht!
— Ich bin nicht der, für den Sie mich
halten.
Adele zitterte wie ein Blatt im Winde.
— Sie wären nicht Graf Otto von Ra-
venstein ?
— Der bin ich allerdings; aber es gibt . . .
— Demnach kennen Sie mich auch wohl
nicht?
— Ich habe nur einmal die Ehre gehabt,
Sie zu sehen und zu sprechen.
— Sie halten mich für ein wahnsinniges
Geschöpf, Herr Graf . . . O, ich bin bei Ver-
stand, denn ich begreife, daß Sie den Dingen
eine nene Wendung geben wollen ... Sie mühen
sich umsonst ab ... ich meide Sie für immer,
sobald ich im Besitze meines lieben Kindes bin
. . . Wozu dient dies Alles? Soll ich eine
Wahnsinnige sein? Soll eine Wahnsinnige An-
sprüche an Sie erheben? Herr Graf, das Weib
müssen Sie iu mir verachten; ehren Sie weniq-
stens die Mutter in mir, treiben Sie eine un-
glückliche Mutter nicht zur Verzweiflung!
Sie mußte sich an der vergoldeten Lehne des
Fauteuil's halten.
— Nein, Madame, nein! rief leise der Graf,

der mit übermenschlicher Kraft nach Fassung
rang. Ich ehre und bedaure in Ihnen das
Weib und achte und bemitleide die Mutter. . .
Wahrlich, ich bin unfähig, die heiligsten Gefühle,
welche die Menschenbrust umschließt, mit Füßen
zn treten ... Ich will auch, um Ihnen volle
Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, offen und
ehrlich mit Ihnen reden ... der, den sie als
den Urheber Ihres Jammers bezeichnen, bin ich
nicht . . .
— Wollen Sie mich, die ich gesunde Sinne
habe, so arg täuschen? Ich erkenne Sie jetzt,
schrie Adele auf, und werde Sie nach vielen
Jahren wieder erkennen! Sie sind und bleiben
Graf Otto von Ravenstein!
Der Edelmann wollte sie beschwichtigen.
— Ich bitte Sie, hören Sie mich an! Ein
Anderer hat meinen Namen gemißbraucht . . .
— O, wie unbeschreiblich elend ist diese
Ausflucht!
— Mein Bruder . . .
— Herr Graf, ich bin noch nicht wahn-
sinnig! Sie und Sabine haben mich des Ver-
stands berauben wollen . . .
— Mein Zwillingsbruder . . .
— Auch das noch! Herr Graf, ich kann
Sie nicht länger anhören; ich bin auch nicht
gekommen, mit Ihnen zu verhandeln ... Im
Namen Gottes, geben Sie zurück, was Sie mir
geraubt haben, und Sic sehen mich nie, nie wieder!
Sie sank auf die Kniee und streckte flehend
die Häude empor.
Der Graf sah keinen Ausweg, sich zu retten.
— Stehen Sie auf, Madame, bat er drin-
gend. Sie haben weder die passende Zeit noch
den rechten Ort gewählt, eine so ernste Sache
zu ordnen. Von Ihrem Kind weiß ich nichts ...
Die arme Mutter verhüllte mit beiden Hän-
den das Gesicht.
— Dann sei mir Gott gnädig! schluchzte
sie. Ich resignire ans Alles, um mein Kind zu
retten... Ich will mich in Armuth und Elend
stürzen, ich will das Schrecklichste ertragen . . .
Aber man zerfleische die Mutterbrust nicht ganz,
die schon unter den heftigsten Schmerzen blutet!
Noch einmal: Wollen Sie meine Bitte erfüllen
... Die Verzweifelnde fleht Sie zum letztenmal
an... Der Schmerz beginnt zu weichen, Groll
und Bitterkeit ziehen ein in meine Brust . . .
Fürchten Sie die Rache der Mutter, der Sie
das Kind gestohlen haben . . .
Otto von Ravenstein zitterte vor Erregung.
— In diesem Augenblick, Madame, kann ich
nicht rathen; aber ich verspreche Ihnen, For-
schungen anzustellen, die, so hoffe ich, ein Resul-
tat erzielen werden.
Adele war ihrer Sinne kaum noch mächtig;
wie eine Wahnwitzige blickte sie durch den Saal.
Plötzlich sprang sie auf . . . sie hatte durch die
Glasthür eine Dame in der Veranda gesehen,
die täuschende Aehnlichkeit mit dem Oelgemälde
au der Wand hatte, und diese mußte die junge
Gräfin sein.
— Ich muß, ich muß! rief sie. Mau zwingt
mich dazu! Ich wage das letzte Mittel!
Sie eilte nach der Thür, ehe der Graf es
verhindern konnte, riß sie diese auf und warf
sich vor Gabrielen nieder, die mit großem Er-
staunen die letzten Worte der schwarzen Dame
gehört hatte.
— Erbarmen, Erbarmen! Gnädige Frau,
stehen Sie mir bei!
Die Gräfin stieß einen leisen Schrei aus.
— Was kann ich thun? stammelte sie, un-
fähig, ihre Hand der Knieenden zu entwinden.
 
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