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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 3.1868

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Heft 10
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https://doi.org/10.11588/diglit.44083#0280
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274 <Z°-

— Wie schändlich! flüsterte Aurelie.
— Es ist unerhört.
— Otto ist durch seine Frau schon ein stein-
reicher Mann .... Jetzt fällt ihm noch das
väterliche Erbe ungeschmälert zu . . . Der auf-
geblasene Mensch ist ein wahrer Glückspilz.
Julian hatte lange zur Decke cmporgeblickt.
— Er soll sich seines Glücks nicht sonder-
lich erfreuen, murmelte er leise vor sich hin; ich
besitze furchtbare Mittel, cs ihm zu zertrümmern.
Die Wittwe hatte sich zu ihm gesetzt.
— Vetter, Otto's Glück ist ja schon halb
zertrüinmert.
Und der Vetter lächelte wie ein Wahnwitziger.
— Ja, ja! Es war doch gut, daß ich Ihrem
Rathe folgte.
— Nun bleibt Ihnen noch das Duell . . .
dringen Sie auf die Erfüllung desselben und
Sie werden das Ziel erreichen.
— Wäre das Duefl nicht, ich würde wahn-
sinnig werden! Otto hat mich um die Braut
und um das Vermögen betrogen ... ich muß
ihn vernichten, ein Ausgleich ist nicht möglich!
— Und wenn er sich Ihnen nun als Wohl-
thäter naht?
— Ich verschmähe seine Wohlthaten!
— Sprechen Sie nicht mehr davon, es regt
Sie auf, Vetter.
— O, ich bin ruhig, da mir eine letzte Hoff-
nung bleibt; und dafür, daß mich Gabriele nicht
verschmäht, ist gesorgt ... sie muß meine Frau
werden . . .
Aurelie lächelte boshaft.
— Ah, Vetter, hätten Sie meinen Rath
nicht befolgt, Sie würden die schöne Gabriele
heute nicht in Ihrer Gewalt haben. Denken
Sie nur meiner, wenn Fortuna das Füllhorn
über Sie ausschüttet; ich habe für Sie gedacht
und theilweise auch für Sie gehandelt.
Der Vetter reichte der Tante die Hand.
— Das soll geschehen. Nun gute Nacht;
ich bedarf der Ruhe.
Aurelie küßte ihm die bleiche Stirn.
— Gute Nacht, glücklicher Vetter! Sie haben
Glück im Unglück . . . gute Nacht!
Sie zog sich zurück.
— Glück im Unglück! wiederholte der Graf.
Es ist wahr, mir bleibt noch gegründete Hoff-
nung, den tückischen Bruder aus dem Felde zu
schlagen. Bah, das Leben wäre ein Elend, wenn
Rcichthum und Liebe es nicht verschönten. Ich
habe viel, ich habe gerade genug gelitten, um
endlich Ruhe zu finden. Wie schmählich bin ich
von dem Vater und dem Bruder behandelt . . .
sie wollen mich hinausstoßen in die Welt wie
einen Hund, der kaum der Beachtung Werth ist
. . . Aber dieser Hund widersetzt sich, er fletscht
die Zähne und beißt um sich!
Nachdem er noch eine Viertelstunde gegrübelt
hatte, suchte er das Bett auf. Am nächsten Mor-
gen war seine erste Beschäftigung, daß er einen
Brief schrieb. Aurelie selbst brachte ihm den Kaffee.
— Lesen Sie, Tante! sagte Julian, kalt auf
den Schreibtisch deutend.
Die Wittwe nahm das Papier und las:
„Der alte Graf von Ravenstein ist todt; Sie
werden als Mann von Ehre handeln und die
Bedingungen des eingegangenen Duell's erfüllen.
Es bleiben Ihnen drei Tage Frist . . . erhalte
ich nach Ablauf derselben nicht die Gewißheit,
die zu fordern ich berechtigt bin, so treffen Sie
die Folgen der Wortbrüchigkeit. Julian, Graf
von Ravenstein."
Aurelie lächelte Beifall.
— Recht so! rief sie aus. Männliche Ener-


die

zum Pistol oder zum Giftfläschchen greift, um
seinen Bruder in den Besitz von Gütern zu setzen,
die ihn selbst so glücklich machen.
Christian von Löwenhorst blies gemächlich
den Rauch aus, den er in seinem großen Munde
angesammelt hatte. Dann entgegnete er im Tone
der Ueberzeugung:
— Otto muß das Duell ausfechten, wenn
er nicht der Lächerlichkeit anheimfallen will, die
ebenso vernichtend ist als die Ehrlosigkeit und
Feigheit.
— Aber nehmen wir den Fall an, daß er
sich weigert . . .
— Gut, nehmen wir ihn an.
— Was beginnen wir?
Der Hofrath lächelte so schlau als es ihm
möglich war. Indem er die Hand an die Wange
der Wittwe legte, flüsterte er:
— Zunächst lassen wir Beide uns trauen.
Di« schöne Wittwe Lobau wird Hofräthin von
Löwenhorst.
Und die schöne Wittwe lächelte so verschämt
als es ihr möglich war.
— Die Trauung kann ohne Hindernisse voll-
zogen werden, meinte sie. Wir sind ja Beide
selbstständig . . .

ter liege in den letzten Zügen. Erzählen Sie
weiter, mein Bester!
— Der alte Graf wollte auf seinem Stamm-
schlosse sterben; ich begleitete ihn aus dem Bade
dorthin. Wir machten die Reise in einem mit Bet-
ten bepackten Wagen. Mehr als einmal glaubte ich,
der Kranke würde unterwegs sterben; wir erreich-
ten jedoch glücklich das Ziel. Mitten in der Nacht
ließ mich der Kranke rufen. „Freund, sagte er,
Du bist ein kluger und aufrichtiger Mann, ich
segne, daß Du gekommen bist . . . hilf mir
meine letzten Angelegenheiten ordnen. Wären
meine Söhne wohlgerathen, so würde ich ohne
Schmerz aus der Welt scheiden; nach Lage der
Dinge sterbe ich elend und jammervoll. Auch
Julian hat seinen Adel vergessen, er liebt ein
bürgerliches Mädchen, die Adele Kron heißen
soll . . . hier ist ein Brief von ihr, in dem
sie ihn beschwört, er möge ihr die Ehre retten.
— Mein Gott! rief erstaunt die Wittwe.
Wie war der Graf zu dem Briefe gekommen?
— Ich weiß es nicht. Ein zweiter Brief,
den ich vorfand, war von Julians Hand ge-
schrieben; er beschwor die Geliebte, zu warten
bis der Vater gestorben sei . . . Wie gesagt,
der Alte war außer sich, vernichtete ein schon

gie führt stets zum Ziele. Nun frühstücken Sie > — Und fest in unfern Vorsätzen und Ent¬
rind warten Sie ruhig den Verlauf der Dinge' schlössen, fügte der Diplomat hinzu.
ab. Ich übernehme die Besorgung des Briefs.
— Sie haben doch einen zuverlässigen Boten?
— Kümmern Sie sich nicht um den Boten,
ich weiß, was ich thue.
Aurelie verließ das Haus; sie ging durch
den Garten nach der Hecke und suchte die kleine
Lichtung auf, die ihr die Korrespondenz mit dem
Nachbar vermittelte. Der Nachbar war schon
am Platze, er ging, völlig angekleidet, in dem
schmalen Wege auf und ab. Seiner kurzen
Meerschaumpfeife, die er pathetisch in der linken
Hand trug, entströmten blaue Wolken, die lang¬
sam in der stillen Morgenluft verschwammen.
— Guten Morgen, Herr Nachbar!
Der Hofrath von Löwenhorst hörte nicht
gleich diesen zärtlich geflüsterten Gruß, denn er
dachte über große Pläne nach, die er, als ein
feiner Diplomat, der Verwirklichung nahe wähnte.
Aurelie wiederholte lauter ihren Gruß.
Löwenhorst trat rasch an die Ecke.
— Ah, meine verehrte Nachbarin, wie sehn¬
süchtig habe ich Sie erwartet.
Er küßte die fleischige Hand, die sich durch
Blätter streckte.
— Armer Freund!
Wohl bin ich arm, wenn ich Sie nicht sehe!
— Ich wäre gern ans den Flügeln des
Windes zu Ihnen geeilt . . .
— Was hinderte Sie, liebe Freundin?
— Die Sorge um den trauernden Vetter.
— Ja, ja, der alte Graf ist todt.
— Sie wissen es schon?
— Seit gestern Mittag; ich kam zu spät
aus der Stadt zurück und konnte mich mit Ihnen
nicht in Korrespondenz setzen.
— Hier ist ein Brief an Otto von Raven¬
stein.
Die Wittwe verständigte den Hofrath über
den Zweck desselben.
Der Alte murmelte mit großer Genugthnung:
— Elias soll das wichtige Schreiben auf
der Stelle befördern. Ehe der Gemahl der
schönen Gabriele zur Mittagstafel geht, wird
er die Anweisung auf den Tod in Händen haben.
— Freund, die Katastrophe steht vor der
Thür, es ist bis jetzt Alles nach Wunsch gegan-

-— Was geschieht nach der Trauung?
— Dann bleibt uns nichts als Julian gegen
eine entsprechende Summe das Testament des
alten Grafen zu übergeben . . .
— Ah, Freund, was sagen Sie da!
— Die Wahrheit.
— Aber das Testament?
— Ich habe es von der Reise mitgebracht...
— Und das erfahre ich erst heute? rief die
Wittwe erstaunt.
Löwenhorst machte einige starke Züge aus
seiner Pfeife.
— Wir Diplomaten wählen stets die geeig-
netste Zeit zu unseren Eröffnungen; heute be-
wirke ich Freude, indem ich Zweifel verscheuche
. . . Außerdem war mir zur Pflicht gemacht,
nur dann erst zu reden, wenn der kranke Graf
gestorben sei. Er ist gestorben, und ich rede,
natürlich nur zu Ihnen. Mann und Weib ver-
folgen stets dasselbe Interesse . . . wir können
uns als Eheleute betrachten, da wir uns ver-
lobt haben. . . Also hören Sie: Als ich am
Krankenbette erschien, war der Graf sehr erfreut
. . . unsere intimen Beziehungen hatte eine di-
plomatische Affäre unterbrochen, deren Erörterung
nichls zur Sache beiträgt . . . Ich reichte dem
Kranken die Hand und versicherte ihm auf's
Neue, daß ich stets sein Freund gewesen sei...
Mein Besuch solle dies bestätigen. Indem er
von seinen Söhnen sprach, beklagte er sich über
Undankbarkeit und Pflichtvergessenheit . . . Otto
habe ein bürgerliches Mädchen geheirathet und
Julian habe ihn, den Kranken, verlassen, um
sich in den Strudel der Vergnügungen zu stür-
zen . . . Der alte Sonderling war empört über
die Rücksichtslosigkeit seiner Kinder.
— Mit Recht! rief die Wittwe.
— Dem Otto hatte er den Zutritt verwei-
gert, seine Entrüstung über die Mesalliance des-
selben war zu groß . . . Julian konnte nicht
reisen, Sie, meine Liebe, oder vielmehr „Wir"
hielten ihn zurück. Es war dies ein diplomati-
scher Coup, den wir nicht unterlassen durften.
Aurelie nickte beifällig mit dem Kopfe.
— Julian, flüsterte sie, wäre auch nicht ge-
gangen; hatte ich doch Mühe, ihn zur Reise
gen; ich zweifle indeß, daß Otto ohne weiteres zu bewegen, als die Nachricht eintraf, der Va-
 
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