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„Uovoi'g, Italia!" raisonnirte Don Luigi wieder, als
er im Boot Platz genommen hatte, „wir haben keine
Mütze voll Wind."
„Wir werden mehr haben, als uns lieb ist, sobald
nur aus dem Schutz der Felsen von Capri heraus sind.
Sehen Sie die langen weißen Wellenkämme dort draußen
auf dem Meere, Don Luigi? Das ist Sturm!"
„Unsinn, Checco, fahr' nur zu."
Der junge Fischer erwiederte nichts, legte sich aber
mit nerviger Kraft in die Ruder, so daß das Boot bald
mit einer ziemlichen Geschwindigkeit über die jetzt noch
glatte Fluth dahin flog. Aber wenn auch Checco vorzog,
statt unnützer Rederei feiner Arbeit, für die er bestellt
und bezahlt war, obzuliegen, so konnte ein aufmerksamer
Beobachter an seinen leicht bewegten Zügen doch wahr-
nehmen, daß die eigenthümliche, rasch erfassende In-
telligenz der Süditaliener in ihm nicht schlief. Er suchte
sich klar zu machen, was Don Luigi wohl so eilig in
Positano zu thun haben mochte. Er kannte den jungen
Herrn schon längere Jahre. Sein Vater, der ein an-
geblich sehr wohlhabender Advokat in Neapel war,
hatte sich in Positano vor einigen Jahren angekaust
und seitdem immer einen Weinberg nach dem andern
hinzu erworben, so daß er jetzt schon einen ziemlich be-
deutenden Grundbesitz in der Gegend hatte. Dazu kam,
daß Checco vor Kurzem gewahrt hatte, wie Don Luigi
Castaldi sich in auffälliger Weise mit einem jungen
Mädchen, der armen, aber schönen Carmela Cioffi, zu
schaffen machte.
Carmela galt für die Perle des ganzen Golfes
von Salerno. Mit der mißtrauischen, eifersüchtigen
Schärfe des Geistes, die nur die Liebe gibt, sah Checco
in dem jungen, vornehmen und reichen Herrn seinen
Nebenbuhler. Er hatte keinerlei Beweis dafür. Es
war nur die leise Stimme des Herzens, die Ahnung,
die sich warnend erhob. Aber auch diese genügte. Die
Gefahr, die Checco bedrohte, war zu groß, als daß er
nicht argwöhnisch hätte sein sollen. Ein junger, reicher
Herr, der dem armen Fischernrädchen ein glänzendes,
angenehmes Leben, eine sichere, vornehme Stellring
bieten konnte — und er, ein armer Teufel, der von
seiner Hände Arbeit kärglich und ärmlich genug lebte:
das war ein Unterschied, der wohl geeignet war, manchem
Mädchen den Kopf zu verdrehen. Selbst wenn Carmela
ihn liebte, worüber er bei ihrer schnippischen, lustig-über-
müthigen Art sich noch nicht einmal klar war, konnte
sie doch bei einer Bewerbung des Don Luigi leicht irr
Versuchung kommen, ihn fallen zu lassen. Und dann?
Checco durfte nicht daran denken, was dann werden
würde.
„Sechs Lire!" rief Don Luigi wieder mit einer ge-
wissen höhnischen Ironie, „ich möchte nur wissen, was
Du mit dem vielen Gelds machen willst?"
„O Naäouna mia," versetzte Checco, „sechs Lire
ist nicht viel Geld."
„Nicht viel Geld? Von sechs Lire kannst Du doch
mit Deiner Mutter eine ganze Woche leben, und die
Woche hat doch sieben Tage und nicht blos einen. Was
thust Du also mit dem Verdienst der anderen sechs
Tage? Ich glaube gar, Du kaufst Dir Staatspapiere,
Checco."
Checco zuckte verächtlich mit den Schultern. Er
wußte sehr wohl, ein wie armer Teufel er dem Don
Luigi gegenüber war, und fühlte den Spott, der in
dessen Rede lag, sehr wohl heraus. Ja, er hatte sich
in den letzten zwei Jahren fast vierhundert Lire erspart.
Er wollte noch mehr sparen, um sich einen Hausstand
gründen, ein Geschäftchen anfangen und Carmela
heirathen zu können, er sparte sich jeden Bissen am
Munde ab, weil er wohl wußte, daß er der schönen,
aber etwas eitlen, sehr am Aeußerlichen hängenden
Carmela nicht mit leeren Händen kommen durfte. Aber
was war das für eine Bagatelle gegenüber dem Neichthum,
über den Don Luigi verfügen konnte.
„Nun, Checco," neckte Don Luigi weiter, „Du sagst
gar nichts? Was thust Du mit dem vielen Geld? Ich
glaube gar, Du trägst es aus die Bank."
„Warum nicht? Man will doch auch einen Noth-
pfennig haben."
„Bah, Nothpsennig! Wo soll denn in Deinen Jahren
die Noth Herkommen. Für die paar Kastanien und
das bischen Polenta, das Du und Deine Mutter brauchen,
wird es wohl immer reichen. Ich wette, Du nullst
heirathen."
„Nun, und wenn das wäre, Don Luigi — wäre
das zu verwundern? Das thun doch alle Männer."
„Was für leichtsinnige Burschen ihr seid. Wen
willst Du denn heirathen? Ich glaube gar, Du hast
ein Auge auf die kleine Carmela geworfen. He?"
. Checco sagte nichts, aber er wurde dunkelroth im
Gesicht, was für Don Luigi klarer sprach, als alle
Worte. Die Zukunft an der Seite Carmela's war
für Checco immer wie ein goldener Zauber, wie ein
irdisches Paradies, ein märchenhafter Traum von Glück
und Liebe gewesen, der sein ganzes Innere belebte,
ihn mit immer neuem Wagemuth, neuer Hoffnung er-
füllte. Er hatte nie in seinen: Leben gewagt, zu irgend
Jemand von diesem Glück zu sprechen, und als er nun

Das Buch für All e.
sein tiefstes Geheimniß in halb neckischer, halb höhnischer
Weise an's Tageslicht gezogen sah, war er darüber so
empört, so betroffen und betreten, daß er erröthete.
Don Luigi lächelte überlegen, setzte das Monocle
aus und näselte für sich in seiner spöttischen Weise:
„Du armer Kerl!"
Checco war einer von jenen Naturmenschen, deren
Gefühle sich in Extremen bewegen und die keine all-
maligen, sanft abgestusten Vermittelungen kennen, sondern
aus der innigsten, zärtlichsten Zuneigung mit Blitzes-
schnelle in den wildesten Haß, in die tobendste Leiden-
schaftlichkeit verfallen. Obwohl Don Luigi seine letzte
Aeußerung nur halblaut gemacht, so hatte Checco sie
doch vernommen, und ein wilder, finsterer Zug glitt
über sein Gesicht hin. Mit einem raschen funkelnden
Blick maß er den jungen, ihm gegenübersitzenden Herrn
vom Kopf bis zu den Füßen. Wenn man dem Men-
schen, so mochte er sich denken, die eleganten, vornehmen
Kleider auszog, was für ein dünnes, armseliges, dürftiges
Geschöpfchen würde da zum Vorschein kommen! Er
Hütte ihn mit einer Hand packen und in's Meer werfen
können. Und diese Kreatur sagte von ihm, er sei ein
armer Kerl!
Don Luigi mochte auch ähnliche Gedanken haben
und erwog, wie mißlich es sei, seine Selbstherrlichkeit
allzusehr hernuszukehrcn. Wenn sie erst wieder auf
dem Trockenen waren, konnte er sich ja Einiges erlauben.
Bis dahin hielt er es aber für besser, sich mit dem
kräftigen und leicht erregten Burschen, der vermutlich,
einmal im Zorn, nicht viel Federlesens mit ihm ge-
macht haben würde, nicht zu Überwerfen, und schwieg.
Da sie nun schon ein ziemliches Stück von der
Insel entfernt waren, und so aus dem Schutz der hohen
Felsen von Capri herauskamen, fühlten sie auch schon
den Wind stärker. Es war ein steifer Westwind, der
sich mit einer stoßweisen Wucht in das Segel warf,
so daß sich das kleine Boot sekundenlang ganz auf die
Seite legte, und der Wellenschaum herein schlug.
Don Luigi rückte vorsichtig aus einer Ecke in die
andere, damit seine Kleider nicht von dem salzigen
Naß erreicht werden könnten, aber auch diese Vorsicht
hals bald nichts mehr. Die Wellen, die vom User
aus klein und ungefährlich ausgesehen hatten, zeigten
sich nun in ihrer ganzen Größe und Wucht. Sie warfen
das kleine Fahrzeug, das wie eine Nußschale auf und
nieder tanzte, wie im übermüthigen Spiel hin und her,
so daß den Insassen bald der ganze Ernst der Lage klar-
wurde.
„Zieh das Segel ein, Checco, sonst werfen wir um!"
schrie Don Luigi dem Schiffer zu.
Checco hatte die Ruder schon längst weggelegt und
hielt jetzt das Steuer in der Hand. Mit finsteren Mienen
ließ er den Blick wieder über den Himmel gleiten, wo
sich die erst kaum wahrnehmbaren Schleier immer-
dichter und massiger zusammenballten, so daß jetzt auch
der Laie sah, wie sich nach dem schwülen drückenden
Tag ein Gewitter bildete. Es war noch möglich, daß
der Sturm das Gewitter da oder dorthin zerstreute,
es konnte sich aber auch gerade über ihnen entladen.
Jedenfalls hatten sie mit einem noch größeren Anwachsen
des Sturmes zu rechnen.
„Von einem Umschlagen ist jetzt noch keine Rede,"
erwiederte Checco, „wohl aber davon, daß uns der
Sturm das Steuer abbricht, und dann —"
„Und dann?" fragte Don Luigi und sah besorgt
und ängstlich auf das alte, wie ihm schien etwas morsche
Steuer.
„Dann wirft uns der Sturm aus die Felsen und
die Wellen zerreiben uns in Fetzen."
Don Luigi war innerlich empört über die liederliche
Verfassung des Bootes, sah aber wohl ein, daß es zu
spät sei, sich jetzt darüber aufzuhalten.
Der Sturm wuchs noch immerfort, die Wellen
schlugen in's Boot.
„Wir sollten doch lieber umkehren," meinte Don
Luigi, dem es immer unheimlicher wurde.
„Nach Capri?"
„Natürlich."
„Wie wollen Sie denn gegen den Sturm ankämpfen?
Es ist nicht daran zu denken, wieder nach Capri zu ge-
langen. Wir müssen sehen, daß nur das Positaner
Ufer erreichen. So oder so."
Das war das Letzte, was die Beiden miteinander
sprachen. Der Sturm wurde so stark, daß sie sich
trotz alles Schreiens nicht mehr verständigen konnten,
wiewohl sie kaum vier Schritte von einander entfernt
saßen. Checco zog nach einer Weile mit Aufbietung
seiner ganzen Kraft das Segel ein, so daß das Boot,
nur noch ein Spiel der Wellen, stoßweise nach Süd-
osten geworfen wurde. Während etwa einer Stunde
trieben sie so mit großer Schnelligkeit dahin und näherten
sich dem felsigen User sehr rasch. Wenn es ihnen nun
gelang, an den äußersten zackigen Vorsprüngen der
Landzunge, welche vor Positano ins Meer hervorragte,
vorbeizusteuern, so konnten sie hoffen, in der Nähe des
Landes, wo sie der Wucht des Sturmes weniger aus-
gesetzt waren, als auf hohen: Meer, einen sichere:: Anker-
platz zu erreichen.

Heft k.
Aber leider sollte sich diese Hoffnung nicht verwirk-
lichen. Nach einer weiteren HUben Stunde der Angst
und Besorgniß prasselte das Gewitter, das sich über
ihnen gebildet, mit großer Gewalt und Regenmenge
hernieder, zugleich aber schlug der Wind nach Nord-
westen um und trieb sie direkt in den Golf von Salerno
hinein. Kein Ruder und kein Steuer half mehr. Die
Wellen gingen viel zu hoch, und in der Noth seines
Herzens griff Don Luigi selbst mit behandschuhter Hand
zum Schöpfer, um das Wasser, das sich in immer be-
denklicherer Menge im Boote ansammelte, auszuschöpfen.
Waren sie auch den gefährlichen Felsen glücklich aus-
gewichen, so drohte ihnen jetzt die nicht geringere Ge-
fahr, an dem kleinen Hafen von Positano voröeigetrie-
ben und weiter südlich an die Küste geschleudert zu
werden.
Don Luigi verwünschte innerlich seine verderbliche
Eilfertigkeit, die ihn in solche Gefahr gebracht, Checco
hingegen saß starr am Steuer, das er wie mit einer
Faust von Eisen sesthielt.
Da stürzte plötzlich mit einem gewaltigen Donnern
eine berghohe Woge heran und riß mit 'einer solchen
Schnelligkeit und Leichtigkeit das Steuer weg, als ob
es ein Papierfetzen gewesen wäre. Nun war der ge-
fürchtete Zeitpunkt da, und die Gefahr, an das Ufer-
geschleudert zu werden und zu zerfchellen, stand un-
mittelbar bevor.
„Naäouna santwmwa!" murmelte Checco und schaute
sich finster um.
Sie waren säst auf der Höhe von Amalfi, wenigstens
eine Stunde südlich von Positano, dem Ziel ihrer Fahrt.
Das ganze Ufer, so weit er blicken konnte, bot keinen
Unterschlupf; überall Riffe und Felsen. Und der Sturm
wüthete noch mit ungeschwächter Kraft, der Donner des
Gewitters vermischte sich mit dem Donnern der Bran-
dung, das sie jetzt schon ganz deutlich vom Ufer her
vernahmen.
Checco sah sogar, wie einige Leute am Ufer zu-
sammenliefen und ihrer Noth zusahen. Aber von Hilfe
war keine Rede.
Don Luigi lag auf dem Boden und kugelte hilflos
hin und her. Er war erdfahl im Gesicht und hin und
wieder richtete er verzweiflungsvolle Blicke auf seinen
Geführten, als wenn er ihn anslehen wolle, zu helfen,
wo doch nicht mehr zu helfen war. Der „arme Kerl",
für den er Checco noch kurz zuvor angesehen hatte,
war jetzt seine einzige Zuversicht, sein einziger Trost.
Da rollte wieder eine gewaltige Welle heran. Checco
sah sie kommen, haushoch, sich überstürzend, ganze Wolken
schäumenden Gischtes vor sich her schleudernd.
„Achtung, Achtung!" fchrie Checco in das Gebrüll
der See hinein, um seinen Gefährten auf die Gefahr-
aufmerksam zu machen. Dann fühlte er noch, wie das
Boot in die Höhe gehoben und mit gräßlichen: Krachen
auf den Felsen geschleudert wurde.
Mit der Verzweiflung der Todesnoth sprang Checco
aus dem Boot heraus und klammerte sich mit seinen kräf-
tigen Armen an einen Felsvorsprung fest. Zum Glück
konnte er hier festen Fuß fassen, aber der wirbelnde
Schaum schlug für einen Augenblick über ihm zusammen,
so daß er weder sah noch hörte. Erst als die Welle
wieder zurücksluthete, konnte er Umschau halten.
Da sah er denn nut einem Schauder, der ihn: durch
Mark und Bein ging, wie das Boot, zwischen zwei ge-
waltige:: Felsblöcken festgeklemmt, hoch über dein Wasser
hing, wohin es die Gewalt der Brandung geschleudert
hatte. Don Luigi lag bleich und regungslos in dem-
selben.
„Vielleicht ist er schon todt," dachte Checco. Vom
User her hörte er auch auf Sekunden das Schreien der
Menschen.
„Ein Unglück, es ist ein Unglück geschehen. Heilige
Mutter Maria steh' ihnen bei!" klang es herunter. Ihm
war, als wäre es die Stimme Carmela's gewesen.
Checco's Lage war entsetzlich. Jede Sekunde konnte
die Brandung wiederkehren und Boot und Menschen
von Neuem losreißen, von Neuem dem fürchterlichen
Wüthen der Wellen überliefern. Er selbst hätte sich
wohl mit einigen gelenken Sprüngen retten können,
aber in seiner fürchterlichen Lage sprach gleichwohl die
Stimme der Menschlichkeit in ihn:, und er bedachte
nieder die eigene Gefahr, noch die höhnischen Worte,
die Don Luigi ihn: gesagt, noch auch sein eigenes Liebes-
glück, das Jener so bedrohlich in Frage stellte.
In zwei gewaltigen Sätzen war er wieder an dein
Boote, riß den Körper Don Luigi's heraus und klomm
mit seiner Last die Felsen hinan. Es war die höchste
Zeit. Denn eben kehrten die bergeshohen Wogen zurück,
prasselnd und donnernd wütheten sie in die Felsspalten
hinein, als ob sie mit teuflischer Lust ihre Opfer suchten.
Aber Checco war schon so hoch, daß nur ohnmächtige
Schaumwellen ihn erreichten.
„Checco, Checco!" rief es jetzt von oben her, wo
die Straße hinlief.
Als Checco diese erreichte, sah er, daß außer Car-
mela, die fchon vor Stunden das Boot auf dem Meere
am Segel als das Checco's erkannt hatte, noch einige
Fischer da waren, die Carmela von Positano aus zur
 
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