Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Heft 19. AUustvwte Familren-Dertung. Iahrg. 1894.




Kannalrcnmädchcn. Nach einem Gemälde vom L. Lerch. (S. 455)

geduld verzehrte ihr Herz. Nur hatte sie gelernt, die
Maske der Unempfindlichkeit über ihr Antlitz zu legen
aus Stolz und nm der Rücksicht willen, die sie den
Gefühlen ihres Vaters schuldete.
Heute waren es sechs Jahre her, daß Gerd v. Glem-
bach zum ersten Male in ihre Nähe trat, sie beim Tanz
zuerst in seine Arme schloß.
Seltsam, daß diese Bilder nie in ihrer Seele haften
wollten. Sie schlugen wie elektrische Funken darein
und verschwanden als solche. Auch jener Abend, wo
Gerd von seiner Liebe, an die sie nicht glauben wollte,
noch konnte, und von ihrer Pflicht gesprochen.
An dem Allen waren ihre Gedanken gewöhnt schnell
vorüber zu eilen zu dem Augenblick hin, wo sie ihr
Herz zum ersten Male sür ihn erwachen sühlte. Damit

begann für ihre Erinnerungen gleichsam ein neues Leben.
Ob schmerzlich, ob traurig — Ellinor hätte sie um keinen
Preis missen wollen.
Ihre blauen, ernsten Augen richteten sich fragend
zu dem dunklen Nachthimmel auf, welcher zu den un-
verhüllten Scheiben hereinschaute.
War ihre Liebe bis zu jenem Augenblick wirklich
todt gewesen? Ueber diese Frage kam sie nie in's Klare
mit sich selbst.
Wenn sie an Gerd's verschlossenes Wesen zurück-
dachte und an Grund und Ursprung desselben, trat der
jungen Frau die Röthe der Scham in's Antlitz.
„Wenn Tu mir die unverdiente Gnade Deines Be-
sitzes nicht so unerbittlich fühlbar gemacht hättest!"
Sie drückte ihr Antlitz in die Hände. Ewig klangen
ihr diese Worte im Herzen wieder. Sie
enthielten die Summe seiner Leiden und
ihre Schuld.
Lärmend schlugen kleine Fäuste gegen
die Thür. „Mama! Aufmachen!"
Die junge Frau schreckte zusammen.
Sein Sohn rief nach ihr. Was sollte
sie sagen, wenn er eines Tages fragen
würde: „Wer ist der Mann, den ich aus
sechs Wochen besuchen soll?"
„Mama! Mama! Ausmachen! Ich
null herein!" rief Aler, mit verstärkter
Energie trommelnd.
Ellinor öffnete rasch.
Er flog wie ein Ball in's Zimmer,
wild auf sie los und umklammerte ihre
Kniee. „Mama, ich will bei Dir bleiben
— Pferd spielen! Bitte, liebe Mama!"
„Jetzt nicht, Aler!" sagte die junge
Frau, sich tief zu ihm niederbeugend und
in seine dunklen Augen sehend, die ihr
so wohl bekannt nnd doch so fremd waren.
„Komm aus meinen Schoß! Ich erzähle
Dir eine Geschichte."
„Aber hübsch muß sie sein, ganz
hübsch!" rief er, als sie ihn umfaßte und
an sich drückte.
Sie nickte. Der Kleine war das Eben-
bild seines Vaters. Eine sprechendere
Aehnlichkeit mochte nicht leicht gefunden
werden. Wie oft schon hatte sein Anblick
sie tief in's Herz getroffen, daß sie sich
abwenden mußte. Auch jetzt that sie es.
„Bist Du böse, Mama, weil ich Pferd
spielen will?" fragte er schmeichelnd.
„Nein, mein Kind! Aber Du sollst
ja zuhören!"
Er streichelte ihre Wangen. „Machst Du
Dich heute Abend wieder so schön, Mama?"
Sie nickte. „Es war einmal ein klei-
ner Junge," begann sie leise, „der hatte
seine Mama sehr lieb —"
„Ich weiß!" lachte er hell auf, wobei
seine weißen, spitzen Zähne allerliebst hin-
ter den rothen Lippen hervorschimmerten.
„Er sagte immer ,Muttcrle, liebes Mut-
terleib Aber Pferd spielen konnte er gar
nicht. Er war dumm! Ganz dumm!"

Grorg Hartwig.
(Fortsetzung u. Schluß.)
- (Nachdruck verboten.)
WerrnzeHnLes Kclpiiek.
rei Jahre waren verflossen, seit man den
Major v. Rempler zur Ruhe bestattet hatte.
Drei Jahre, seit Ellinor v. Glembach die
Scheidungsurkunde empfing.
Die Wogen des gesell-
schaftlichen Lebens hatten äu-
ßerlich alle Unebenheiten der
Vergangenheithinweggespült.
Man fragte weder den General, noch
seine Tochter, was aus dem einst so be-
liebten flotten Ulanenofsizier geworden.
Ebenso wenig gab es sür die Welt einen
Mann Namens Gerd v. Glembach.
Das war Alles todt, oder scheinbar
vergessen. Interessant allein blieb die
Person der jungen, schönen Fran, und
zwar insofern, als dieselbe mit der Wie-
derwahl eines Gatten ganz unnöthig lange
zögerte.
Einige Eingeweihte wollten sogar wis-
sen, daß Excellenz v. Kaiserling in der Neu-
vermählung seiner Tochter einen langge-
hegten Lieblingswunsch erfüllt sehen würde,
zum Wenigsten nicht gewillt sei, Ellinor
irgend welches Hemmnis; in den Weg zu
legen. —
Im Hause des Generals sand heute,
wie alljährlich zum Beginn des Winters,
eine größere Ballfestlichkeit statt.
In den Gesellschaftsrüumen brannten
bereits die Gasflammen. Der Tanzsaal
stand geöffnet. Eine Fülle frischer Blumen,
überall anmuthig vertheilt, verstreute ihre
Düfte rings umher.
Man wußte, daß heute der Geburts-
tag Ellinor's ivar, und hatte nicht verab-
säumt, ihr Aufmerksamkeiten reichster Art
zu bereiten.
Herr v. Kaiserling hatte heute zum
ersten Male wieder auf seine schöne Toch-
ter ohne schmerzliches Beigefühl geblickt.
Sie schien vergessen zu haben, was hin-
ter ihr lag.
Unter der Lampenkrone ihres Wohn-
zimmers schritt die junge Frau gedanken-
versunken auf und nieder, glücklich, mit
sich allein zu sein. Ihres Vaters Scharf-
blick irrte. Nie waren die Geister der
Vergangenheit lebendiger im Herzen Elli-
nor's erwacht, als gerade heute.
Eine immer zurückkehrende bebende Un

Die Geueralstochter
Roman
 
Annotationen