Das Buch für Alle.
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das Terrain kennen gelernt, auf welchem eine Studie
über die Hotelküche gemacht werden kann. Wir haben
das Schlachtfeld gesehen, auf dem täglich die Köche mit
ihren Gehilfen die Schlacht gegen den Hunger der Gaste
in Restaurant und Hotel schlagen. Wir haben auch
die riesigen Lagerräume, d. h. die Reserven, gesehen und
wollen jetzt einmal die Tagesarbeit der Hotelküche
schildern, weil erst dadurch die Leserinnen ein volles
Bild von dem kolossalen Organismus einer solchen Küche
erhalten.
Wir müssen bei dieser Betrachtung nicht mit dem
Morgen, sondern mit dein Nachmittag beginnen, weil
in der Hotelküche schon nm Nachmittag sämmtliche Vor-
bereitungen sür den nächsten Tag getroffen werden.
Die Table d'hote, die um fünf Uhr begann, hat nach
sechs Uhr ihr Ende genommen. Schon von fünf ein
halb Uhr ab war der Küchenchef frei und waren die
Ressortchefs wenigstens erleichtert: wenn auch noch, wie
wir später sehen werden, bis sieben Uhr ckin6i-8 ä park
ftattfinden, so ist doch die Hauptarbeit gethan. Der
Küchenchef zieht sich in seine „oktwo« zurück und „kom-
ponirt" hier die Speisekarte für den nächsten Tag.
Es ist das keine Kleinigkeit. Der Küchenchef muß
wissen, was sich aus dein Markte befindet, und darüber
hat er sich, wie wir später sehen werden, Vormittags
bereits unterrichtet. Er muß mit den Produkten und
Materialien rechnen, er muß wissen, in welcher Weise
noch vorhandene Reste zu verwenden sind, er muß sich
vergewissern, was in den Vorratskammern liegt, was
geliefert werden kann, was geliefert werden muß; er
hat darauf zu sehen, daß das Hotel auf seine Kosten
kommt, er muß dafür sorgen, daß die Speisekarte ab-
wechslungsreich ist, daß schmackhafte und pikante Sachen
darauf sind, er muß nut den Fähigkeiten seiner Unter-
gebenen rechnen, muß überlegen, ob ihm einzelne Ge-
richte nicht wegen der vielen Zeit, die sie in Anspruch
nehmen, oder wegen der späten Stunde, in der sie erst
in Angriff genommen werden können, den ganzen Be-
trieb stören. Der Küchenchef entwirft vier Karten: eine
allgemeine Tageskarte für die Speisesäle des Hotels,
Heft 1.
eine Karte für das Dejeuner, eine Karte für das Diner
und die Table d'hote und endlich eine Karte für die
L-eparatdiners.
Wir werden uns an: besten klarmachen können,
wie die Speisekarten gewissermaßen ineinander hinüber-
greifen, wenn wir uns an ein praktisches Beispiel halten.
Nehmen wir z. B. den Entwurf für den 23. November,
der in einem der ersten Hamburger Hotels der Direktion
eingereicht wurde. Wir müssen einen ganz bestimmten
Tag wühlen, da ja monatlich und wöchentlich sich die
Vorräthe auf dem Markte ändern. Wenn es Austern
gibt, gibt es gewöhnlich kein junges Geflügel, wenn
der Kaviar an der Tagesordnung ist, gibt es kein
junges Gemüse, oder wenigstens nicht in frischer Waare
u. s. w. u. s. w.
Die Tageskarte lautet also, soweit es sich uni frisch
zuzubereitende Speisen handelt: Schildkrötensuppe, Nu-
delsuppe, Seezunge, Karpfen, Lachs, Steinbutte, Entre-
cote von Rindfleisch, Beefsteak, Hammelkotelette, Kalbs-
kotelette, gedämpftes Huhn ü la olm886wr, gedämpftes
Schloß Uourscheid in den Luremvurger Ardennen- Nach einer Photographie gezeichnet von H. Nisle. (S. 22)
Huhn mit Reis, Backhuhn, dann einige Eierspeisen.
Von diesen Gerichten kann man sich zu jeder Stunde
des Tages in den Speisesälen des Hotels, welche von
dem großen Restaurant zu unterscheiden sind, bestellen.
In diesen Speisesälen erhält inan zwischen elf und
zwei Uhr zu dem Preis von zwei Mark ein Frühstück,
dessen Karte lautet: Gebackene Seezunge, Hammelkote-
lette ä la kranpai86, Butter und Käse.
Um fünf Uhr beginnt die Table d'hote. Für diese
ist folgendes Menü festgesetzt: Nudelsuppe, Steinbutte,
Roastbeef, Cichorienpüröe, Rinderfilet, gebratenes Huhn,
Salat, Chokoladencrome, Butter und Käse.
In einem solch' großen Hotel finden sich aber täg-
lich Leute zusammen, die nicht an der Table d'hote
theilnehmen wollen, sondern die in kleinen Gruppen in
besonderen Zimmern speisen. Für solche Separatdiners
entwirft der Küchenchef ein „Generalmenü", aus dem
sich die Leute, die ein solches Separatdiner bestellen, je
nach dem Preis, den sie anlegen wollen, bestimmte
Gänge aussuchen können. Dieses Menü lautet: Nudel-
suppe, Schildkrötensuppe, Steinbutte, Seezunge, Karpfen,
Roastbeef, Hammelbraten, grüne Bohnen, Karotten und
Schoten, Cichoriengemüse, ' gebratenes Huhn, Salat,
Citronenpudding, Chokolndencröme, Kasserollepudding,
Butter und Käse.
Vergleicht man diese Menüs miteinander, so findet
man natürlich eine große Aehnlichkeit; doch ist zu be-
denken, daß jedes einzelne Gericht, wie z. B. Hammel-
fleisch, Karpfen, Seezunge, Steinbutte in verschiedener
Art und Weise zubereitet werden kann, z. B. mit hol-
ländischer Sauce, mit schlesischer Sauce, mit Butter, mit
sogenannter grüner Sauce, gebacken, mit Gemüse garnirt
u. s. w. u. s. w.
Auf die Karte des Restaurants, in dem den ganzen
Tag gegessen wird, setzt man auch alle möglichen Zu-
bereitungsarten der sür das Hotel vorhandenen Fische,
Fleischstücke, Geflügel- und Wildarten. Außerdem
kommen daraus natürlich die Eierspeisen, die landes-
üblichen Schnitzel, Koteletts, Beefsteaks, dann die kalten
Speisen. Diese nimmt man aus den Vorräthen des
verflossenen Tages; das Ausschneiden und Vorarbeiten
derselben ist gewöhnlich einer besonderen Haushälterin
übertragen, die in Norddeutschland den komischen Namen
„kalte Mamsell" führt.
Mit diesen: Speisezettel begibt sich der Küchenchef
nach den: Direktionsbureau und legt ihn dem Direktor
zur Genehmigung vor. Dieser prüft ihn auf feine
Reichhaltigkeit, auf den Kostenpunkt und daraufhin, ob
auch die Lieferanten in der Lage sein werden, die Vor-
räthe zu liefern; es wird geändert und gestrichen. Nehmen
nur aber an, es sei, was ja sehr häufig vorkommt, das
Menü des Küchenchefs ohne Weiteres von: Direktor ge-
nehmigt worden. Der Küchenchef läßt sich noch sagen,
auf wieviel Personen man ungefähr sür den nächste::
Tag zur Table d'hote rechnet, dein: es ist ja auch dies
nach der Jahreszeit durchaus verschieden und richtet sich
meist nach der Anzahl von Logiergästen. Er geht dann
wieder nach seiner Office zurück, trägt das genehmigte
und unterschriebene Menü in ein besonderes Menübuch
ein, um darin immer wieder nachschlagen zu können,
und nun schreibt er für das Bureau die Bestellzettel
aus. Er bestellt von jeder Fischart so und soviel Pfund
und bestimmt gleichzeitig auf das Genaueste den Zeit-
punkt der Lieferung für den nächsten Tag. Auch müssen
die Fische ja noch geschabt, ausgenommen und zurecht-
gemacht we:den, bevor man sie in die Fischkessel oder
Bratpfanne thut. Da der Fisch in die Küche nie frisch
genug kommen kann, hält man sich in der Hotelküche
niemals Vorräthe von Fischen. Diese Bestellzettel gehen
an das Bureau und werden von dort aus telephonisch
oder durch Boten an die Lieferanten übermittelt. Außer-
dem macht der Küchenchef eine Aufstellung für die
Küchenhaushälterin zurecht, worin er vorschreibt, wie
viel Mehl, Eier, Wein, Milch, Gewürz für den nächste::
Tag zu liefern ist; er schreibt an die Fleischkammer das
am nächsten Morgen abzugebende Quantum an und
unterrichtet davon den Lieferanten, damit dieser die
Vorräthe der Fleischkammer an demselben Tage sofort
ergänzt; er macht Dispositionen für jeden einzelnen
Koch, vertheilt auf jeden Einzelnen bestimmte Gerichte,
die dieser allein während des ganzen nächsten Tages
zu bereiten hat. Erft wenn er diese Vorbereitungen
getroffen hat, kann sich der Küchenchef ein bis zwei
Stunden Erholung gönnen und einen Spaziergang
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das Terrain kennen gelernt, auf welchem eine Studie
über die Hotelküche gemacht werden kann. Wir haben
das Schlachtfeld gesehen, auf dem täglich die Köche mit
ihren Gehilfen die Schlacht gegen den Hunger der Gaste
in Restaurant und Hotel schlagen. Wir haben auch
die riesigen Lagerräume, d. h. die Reserven, gesehen und
wollen jetzt einmal die Tagesarbeit der Hotelküche
schildern, weil erst dadurch die Leserinnen ein volles
Bild von dem kolossalen Organismus einer solchen Küche
erhalten.
Wir müssen bei dieser Betrachtung nicht mit dem
Morgen, sondern mit dein Nachmittag beginnen, weil
in der Hotelküche schon nm Nachmittag sämmtliche Vor-
bereitungen sür den nächsten Tag getroffen werden.
Die Table d'hote, die um fünf Uhr begann, hat nach
sechs Uhr ihr Ende genommen. Schon von fünf ein
halb Uhr ab war der Küchenchef frei und waren die
Ressortchefs wenigstens erleichtert: wenn auch noch, wie
wir später sehen werden, bis sieben Uhr ckin6i-8 ä park
ftattfinden, so ist doch die Hauptarbeit gethan. Der
Küchenchef zieht sich in seine „oktwo« zurück und „kom-
ponirt" hier die Speisekarte für den nächsten Tag.
Es ist das keine Kleinigkeit. Der Küchenchef muß
wissen, was sich aus dein Markte befindet, und darüber
hat er sich, wie wir später sehen werden, Vormittags
bereits unterrichtet. Er muß mit den Produkten und
Materialien rechnen, er muß wissen, in welcher Weise
noch vorhandene Reste zu verwenden sind, er muß sich
vergewissern, was in den Vorratskammern liegt, was
geliefert werden kann, was geliefert werden muß; er
hat darauf zu sehen, daß das Hotel auf seine Kosten
kommt, er muß dafür sorgen, daß die Speisekarte ab-
wechslungsreich ist, daß schmackhafte und pikante Sachen
darauf sind, er muß nut den Fähigkeiten seiner Unter-
gebenen rechnen, muß überlegen, ob ihm einzelne Ge-
richte nicht wegen der vielen Zeit, die sie in Anspruch
nehmen, oder wegen der späten Stunde, in der sie erst
in Angriff genommen werden können, den ganzen Be-
trieb stören. Der Küchenchef entwirft vier Karten: eine
allgemeine Tageskarte für die Speisesäle des Hotels,
Heft 1.
eine Karte für das Dejeuner, eine Karte für das Diner
und die Table d'hote und endlich eine Karte für die
L-eparatdiners.
Wir werden uns an: besten klarmachen können,
wie die Speisekarten gewissermaßen ineinander hinüber-
greifen, wenn wir uns an ein praktisches Beispiel halten.
Nehmen wir z. B. den Entwurf für den 23. November,
der in einem der ersten Hamburger Hotels der Direktion
eingereicht wurde. Wir müssen einen ganz bestimmten
Tag wühlen, da ja monatlich und wöchentlich sich die
Vorräthe auf dem Markte ändern. Wenn es Austern
gibt, gibt es gewöhnlich kein junges Geflügel, wenn
der Kaviar an der Tagesordnung ist, gibt es kein
junges Gemüse, oder wenigstens nicht in frischer Waare
u. s. w. u. s. w.
Die Tageskarte lautet also, soweit es sich uni frisch
zuzubereitende Speisen handelt: Schildkrötensuppe, Nu-
delsuppe, Seezunge, Karpfen, Lachs, Steinbutte, Entre-
cote von Rindfleisch, Beefsteak, Hammelkotelette, Kalbs-
kotelette, gedämpftes Huhn ü la olm886wr, gedämpftes
Schloß Uourscheid in den Luremvurger Ardennen- Nach einer Photographie gezeichnet von H. Nisle. (S. 22)
Huhn mit Reis, Backhuhn, dann einige Eierspeisen.
Von diesen Gerichten kann man sich zu jeder Stunde
des Tages in den Speisesälen des Hotels, welche von
dem großen Restaurant zu unterscheiden sind, bestellen.
In diesen Speisesälen erhält inan zwischen elf und
zwei Uhr zu dem Preis von zwei Mark ein Frühstück,
dessen Karte lautet: Gebackene Seezunge, Hammelkote-
lette ä la kranpai86, Butter und Käse.
Um fünf Uhr beginnt die Table d'hote. Für diese
ist folgendes Menü festgesetzt: Nudelsuppe, Steinbutte,
Roastbeef, Cichorienpüröe, Rinderfilet, gebratenes Huhn,
Salat, Chokoladencrome, Butter und Käse.
In einem solch' großen Hotel finden sich aber täg-
lich Leute zusammen, die nicht an der Table d'hote
theilnehmen wollen, sondern die in kleinen Gruppen in
besonderen Zimmern speisen. Für solche Separatdiners
entwirft der Küchenchef ein „Generalmenü", aus dem
sich die Leute, die ein solches Separatdiner bestellen, je
nach dem Preis, den sie anlegen wollen, bestimmte
Gänge aussuchen können. Dieses Menü lautet: Nudel-
suppe, Schildkrötensuppe, Steinbutte, Seezunge, Karpfen,
Roastbeef, Hammelbraten, grüne Bohnen, Karotten und
Schoten, Cichoriengemüse, ' gebratenes Huhn, Salat,
Citronenpudding, Chokolndencröme, Kasserollepudding,
Butter und Käse.
Vergleicht man diese Menüs miteinander, so findet
man natürlich eine große Aehnlichkeit; doch ist zu be-
denken, daß jedes einzelne Gericht, wie z. B. Hammel-
fleisch, Karpfen, Seezunge, Steinbutte in verschiedener
Art und Weise zubereitet werden kann, z. B. mit hol-
ländischer Sauce, mit schlesischer Sauce, mit Butter, mit
sogenannter grüner Sauce, gebacken, mit Gemüse garnirt
u. s. w. u. s. w.
Auf die Karte des Restaurants, in dem den ganzen
Tag gegessen wird, setzt man auch alle möglichen Zu-
bereitungsarten der sür das Hotel vorhandenen Fische,
Fleischstücke, Geflügel- und Wildarten. Außerdem
kommen daraus natürlich die Eierspeisen, die landes-
üblichen Schnitzel, Koteletts, Beefsteaks, dann die kalten
Speisen. Diese nimmt man aus den Vorräthen des
verflossenen Tages; das Ausschneiden und Vorarbeiten
derselben ist gewöhnlich einer besonderen Haushälterin
übertragen, die in Norddeutschland den komischen Namen
„kalte Mamsell" führt.
Mit diesen: Speisezettel begibt sich der Küchenchef
nach den: Direktionsbureau und legt ihn dem Direktor
zur Genehmigung vor. Dieser prüft ihn auf feine
Reichhaltigkeit, auf den Kostenpunkt und daraufhin, ob
auch die Lieferanten in der Lage sein werden, die Vor-
räthe zu liefern; es wird geändert und gestrichen. Nehmen
nur aber an, es sei, was ja sehr häufig vorkommt, das
Menü des Küchenchefs ohne Weiteres von: Direktor ge-
nehmigt worden. Der Küchenchef läßt sich noch sagen,
auf wieviel Personen man ungefähr sür den nächste::
Tag zur Table d'hote rechnet, dein: es ist ja auch dies
nach der Jahreszeit durchaus verschieden und richtet sich
meist nach der Anzahl von Logiergästen. Er geht dann
wieder nach seiner Office zurück, trägt das genehmigte
und unterschriebene Menü in ein besonderes Menübuch
ein, um darin immer wieder nachschlagen zu können,
und nun schreibt er für das Bureau die Bestellzettel
aus. Er bestellt von jeder Fischart so und soviel Pfund
und bestimmt gleichzeitig auf das Genaueste den Zeit-
punkt der Lieferung für den nächsten Tag. Auch müssen
die Fische ja noch geschabt, ausgenommen und zurecht-
gemacht we:den, bevor man sie in die Fischkessel oder
Bratpfanne thut. Da der Fisch in die Küche nie frisch
genug kommen kann, hält man sich in der Hotelküche
niemals Vorräthe von Fischen. Diese Bestellzettel gehen
an das Bureau und werden von dort aus telephonisch
oder durch Boten an die Lieferanten übermittelt. Außer-
dem macht der Küchenchef eine Aufstellung für die
Küchenhaushälterin zurecht, worin er vorschreibt, wie
viel Mehl, Eier, Wein, Milch, Gewürz für den nächste::
Tag zu liefern ist; er schreibt an die Fleischkammer das
am nächsten Morgen abzugebende Quantum an und
unterrichtet davon den Lieferanten, damit dieser die
Vorräthe der Fleischkammer an demselben Tage sofort
ergänzt; er macht Dispositionen für jeden einzelnen
Koch, vertheilt auf jeden Einzelnen bestimmte Gerichte,
die dieser allein während des ganzen nächsten Tages
zu bereiten hat. Erft wenn er diese Vorbereitungen
getroffen hat, kann sich der Küchenchef ein bis zwei
Stunden Erholung gönnen und einen Spaziergang