Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Das Vu ch f ii r All e.

Heft Z.

Urlaub geht, das erfuhr mau schou aus deu Zeitungs-
berichteu. Ueberall, wo das Schiff auf der Nordland-
reise anlegte, harrten Feldjäger, welche große Depeschen-
mappen überbrachten, und oft mußte aus dieser Reise
mit Zuhilfenahme der Nacht die Expedition der ein-
gelaufenen Sachen erledigt werden.
Bei den Reisen, welche den Pflichten der Repräsen-
tation und des kaiserlichen Amtes gewidmet sind, müssen
nur diejenigen unterscheiden, die im Inland, also
innerhalb der Grenzen des deutschen Reiches, und die
nach den: Ausland unternommen werden. Auch eine
Reise im Inland ist keineswegs einfach, sondern erfor-
dert große Vorbe-
reitungen. Selbst
wenn der Kaiser
innerhalbderpreu-
ßischen Staats-
grenzen, also im
eigenenLande,eine
Reise macht, bei
der es sich vielleicht
nur um wenige
Tagehandelt,muß
das Hofmarschall-
amt Vorbereitun-
gen treffen und sich
mit den Behörden
der betreffenden
Provinzen und
Kreise, die der
Kaiser besucht, in
genaues Einver-
nehmen setzen.
Schon lange bevor
die Reise unter-
nommen werden
soll, wird durch
eine Verhandlung
zwischen dein Hof-
marschallamt und
den lokalen Be-
hörden genau das
Programm der
Reise festgesetzt.
Auch der Kaiser
istdemeinmalsest-
gesetzten Pro-
grammdanndurch-
aus unterworfen
und kann von ihm
nicht abgehen, soll
nicht eine vollstän-
dige Verwirrung
in denNeisedispo-
sitionen entstehen.
Nehmen nur an,
es handle sich um
eine Reise des Kai-
sers nach Ostpreu-
ßen zu den Ma-
növern. Die Zeit
für die Manöver
wird bekanntlich
schon wochenlang,
ja monatelang
vorher festgesetzt.
Auch der Ort, wo
die Manöverstatt-
finden, steht vorher
fest. Sobald diese
Bestimmungen
veröffentlicht wor-
den sind, haben
sich schon die Be-
hörden der be-
treffendenostpreu-
ßischen Gebiets-
theile an das Hof-
marschallamt mit
verschiedenen Bit-
ten gewendet: der
Kaiser möchte diese oder jene Stadt besuchen, möchte
dieses oder jenes in Augenschein nehmen. Es werden
Feste angeboten, es werden von Seiten der Vereine,
der verschiedenen Jnteressentengruppen und Genossen-
schaften und von Privatleuten allerlei Anerbietungen ge-
macht, Audienzen erbeten, Huldigungen angeboten
u. s. w. u. s. w.
Lange bevor der Kaiser selbst seine Neiseentschließungen
trifft, hat sich für diese Reise bereits ein dickleibiges
Aktenstück im Hofmarschallamt angesammelt und alle
die Bitten, die dort ausgesprochen worden sind, müssen
möglichst berücksichtigt werden, da sie ja zumeist aus
bester Absicht gestellt sind und eine patriotische Ge-
sinnung bekunden.
In einer ganzen Reihe von Vorträgen haben nun
die Beamten des Hofmarschallamts mit dem Kaiser
selbst zu berathen, welche Personen das Gefolge des

Kaisers bilden sollen; auch diesen Persönlichkeiten muß
ja schon wochenlang vorher mitgetheilt werden, ob sie
die Reise mitmachen oder nicht, damit sie ihre erforder-
lichen Vorbereitungen treffen können. Bei dieser Fest-
stellung der Personen ist darauf Rücksicht zu nehmen,
ob sich auch für Alle das genügende Unterkommen
finden wird. Die Schlösser und Negierungsgebäude,
die man vielleicht in Ostpreußen findet, sind nicht immer
auskömmlich, die Gefolgschaft muß daher iu Privat-
quartiere gelegt werden, und wenn die Bürgerschaft
der betreffenden Städte auch gern eine Einquartierung
nimmt, soll sie doch möglichst wenig belästigt werden.

Ist der Kaiser gezwungen, selbst ein Privatquartier
zu beziehen und bei irgend einem Industriellen, Kauf-
mann oder Beamten zu wohnen, so werden über diese
Quartiernahme allein wieder Aktenstücke angefertigt,
denn eS ist ja nicht aus die Person des Monarchen
allein, sondern auch auf sein gesummtes Gefolge Rück-
sicht zu nehmen, soweit es mit ihm zusammen einquartiert
werden muß, damit die laufenden Arbeiten keine Unter-
brechung erleiden.
Es werden nun mit den Provinzialbehörden die
Festlichkeiten verabredet, die der Kaiser annimmt und
denen er beiwohnen will. Der Kaiser selbst bestimmt
die Feste, die Diners und Bälle, die wiederum er gibt,
und zu denen die Provinzialbehörden und die Spitzen
der betreffenden Gesellschaft ringelnden werden. Auch
bei diesen Einladungen muß das Hofmnrschallamt mit
den Lokalbehörden viele Berathungen schriftlich führen,

denn es soll Niemand verletzt und bei einer Einladung
übergangen werden. Leider ist jedoch gewöhnlich schon
aus räumlichen Rücksichten eine Einladung aller Per-
sönlichkeiten, die man gern bei dem Fest haben möchte,
notorisch unmöglich. Es folgen die Verhandlungen
des Hofmarschallnmts mit Unternehmern in den be-
treffenden ostpreußischen Gebieten, welche für den Stall
das Futter, für die Küche Vorräthe und für die großen
Diners Delikatessen und Weine liefern, soweit solche
von Berlin nicht mitgebracht werden.
Hieranf beginnen nun die Verhandlungen mit den
Eisenbahndirektionen über die Fahrt des Kaisers, über
die Zeit, in wel-
cher die Extrazüge
gehen sollen, über
die Kosten dieser
Extrazüge, denn
alle Eisenbahnbe-
nutzung des Kai-
sers wird an die
Eisenbahn-
direktion bar be-
zahlt; es ist eine
zwar weit verbrei-
tete, aber gänzlich
unbegründete An-
nahme, daß der
Kaiser auf allen
Eisenbahnen im
Reich oder wenig-
stens in Preußen
freie Fahrt habe.
Es ist dies keines-
wegs der Fall,
sondern es muß
für jeden Eisen-
bahnzug nach der
Anzahl seiner
Achsen bezahlt
werden, und da es
sich bei solchen Rei-
sen wie zum Ma-
növer um minde-
stens zwei Extra-
züge bei jeder ein-
zelnen Fortbewe-
gung des Haupt-
quartiers handelt,
kann man sich wohl
denken, welche
Reisekosten schon
dadurch entstehen.
Der Etat des deut-
schen Kaisers für
Eisenbahnfahrten
erreicht daher im
Inland jährlich
eine Summe von
mehreren hundert-
tausend Mark. Ist
nun auch nut die-
sen Behörden ge-
nau die Zeit des
Abgangs und der
Ankunft der Ex-
trazüge, des
Aufenthalts auf
den Stationen, wo
Empfang und Be-
grüßung stattsin-
det, verabredet,
sind alle An-
schlüsse, die etwai-
gen provisorischen
Einrichtungen-auf
Bahnhöfen oder
kleinen Stationen
für das Ein- und
Aussteigen vcrab-
redetworden,dann
hat sich für diese
Reise ein solcher Stoß Aktenstücke angesammelt, daß
dieselben das Entsetzen eines Laien Hervorrufen würden,
der sich die Reisen des Kaisers als eine Vergnügungs-
sache und höchst einfach vorstellt.
Zwei bis drei Tage vor der wirklichen Abreise des
Kaisers in das hier beispielsweise gewühlte ostprenßische
Manöverfeld geht bereits von Berlin ci^ Extrazug ab,
welcher die Pferde, Equipagen und das Sattelzeug aus
dem Marstall befördert. Die Pferde müssen noch in
den letzten vierundzwanzig Stunden in dem ihnen frem-
den Gelände und in der neuen Umgebung eingcfahren
und eingeritten werden, damit sie nicht bei überraschend
ihnen anfstoßenden unbekannten Dingen scheu werden
und Unglück anrichten. Es ist in der Provinz sehr
selten möglich, für das große Gefolge des Kaisers, in
dem sich bei Manövern unter Anderen die Militär-
attaches aller Nationen der Welt, die in Berlin Ge-

Westalin im Hempel das heilige Neuer hütend. Nach einem Gemälde von A. Scifoni. (S. 51)
 
Annotationen