78
Das Buch für Alle.
Heft 3.
reichsten Straßen der Riesenstadt und zieht sich durch Stadttheile,
die vorwiegend von Eingewanderten der verschiedenen Nationen
bewohnt werden. So ist denn auch das Publikum im „ZeltaMm
Oarcloii" ein sehr buntgemischtes. DaS deutsche Element ist
natürlich vorwiegend vertreten, aber neben einen: „grünen"
(frisch eingewanderten) Sohne Germaniens, der entzückt den
heimathlichen Klängen lauscht, sitzt vielleicht ein Irländer,
der tagsüber auf einem der im Hafen ankernden Schiffe beim
Ein- oder Ausladen geholfen hat, oder ein englischer Matrose.
Amerikanische Soldaten, New-Uorker Geschäftsleute, Italiener,
Russen, kurz Angehörige der verschiedensten Volksstämme, unter
denen auch die Vertreterinnen des „schönen Geschlechtes" nicht
fehlen, finden sich hier zusammen. Meist lauscht das Publikum
sehr aufmerksam den Klängen der Damenkapelle, oder einer
Coupletsängerin, oder man ergötzt sich an den Spässen eines
Komikers, den Pirouetten einer Tänzerin u. s. w. Eintritts-
geld wird für gewöhnlich nicht erhöbe,:, doch achten die „Waiters"
(Kellner) sehr gewissenhaft darauf, daß Niemand trocken dafitzt,
und lassen es auch an Ermunterung nicht fehlen, wenn sie
meinen, daß Einer gar zu lange bei einen: und demselben
Glase Bier verweilt.
Eine Hoch;eitsgelelllchnst in Lagos.
(Siehe das Bild auf Seile 80.)
D^ie britische Kolonie Lagos an der mestafrikanischen Sklaven-
küste umfaßt seit dem 1885 mit Deutschland getroffenen
Abkommen das gesammte Küstengebiet zwischen den: franzö-
sischen Porto Novo und den: deutschen Kamerun, wie auch die
Uferlandschaften des Niger aufwärts und des unteren Vinuö.
Die Hauptstadt ist Lagos, an: Westrand der flachen Insel
Kuramo, zugleich die volkreichste Stadt von ganz Westafrika.
Sie zahlt gegen 37,500 Einwohner, worunter sich nur etwa
200 Weiße und 100 Mulatten befinden, während der Nest
aus Negern besteht. Diese Negerbevölkerung ist naturgemäß
eine sehr gemischte, aber die besseren und wohlhabenderen
Elemente darunter haben sich mit Eifer bemüht, sich von der
Kultur „belecken" zu lassen und europäische Sitten und Moden
nachzuahmen. Einen interessanten Beleg dafür liefert unsere
Illustration auf S. 80, die nach einer an Ort und Stelle
gemachten photographischen Aufnahme gefertigt ist und eine
dunkelfarbigeHochzeitsgesellschaft ausLagos wiedergibt. Sänunt-
liche Personen tragen ganz elegante europäische Kostüme. An:
würdigsten unter ihnen sieht der mit einer Brille bewaffnete
junge Ehemann aus, der ein Missionar oder Schullehrer zu
sein scheint. Die Neuvermählte mit Schleier und Braut-
bouquet ist gar nicht übel — wenn man von der ziemlich
platten Nase und den für europäischen Geschmack etwas zu
sehr aufgeworfenen Lippen absieht, und ebenso ihre Braut-
jungfer. Die kleinen Mädchen nut den Blumensträußen und
die' beiden Knaben find Verwandte des jungen Paares, und
die beiden schlanken Jünglinge rechts und links am Fuße der
Treppe bilden würdige Seitenstücke zu unseren heimathlichen
„Gigerln".
Oie IlurulM im Ouartier Latin )n Paris.
(Siehe das Bild auf Seite 83.)
»Daris hat wieder einmal eine „Julirevolution" gehabt,
wenn auch nur eine ganz kleine; immerhin aber haben
die Unruhen doch vier Tage und Nächte lang angedauert.
Wenn vor einen: halben Jahrhundert in den Straßen der
französischen Hauptstadt Barrikaden gebaut wurden und im
Kampfe zwischen Polizei und Militär einerseits und einer
revoltirenden Volksmenge andererseits Blut floß, dann war
ganz Europa fieberhaft erregt, wovon jedoch diesmal nichts
zu spüren war. Die Zeiten haben sich seither doch geändert,
und Paris kann sich nicht mehr als die „Hauptstadt Europa's"
betrachten, andererseits aber fehlte auch jede politische Idee
in den letzten Unruhen, die deswegen ein vorwiegend lokales
Interesse boten. Eine durchaus unpolitische Katzenmusik machte
den Anfang, das ungeschickte und brutale Vorgehen mancher
Polizisten verschlimmerte die Sache und zuletzt kamen dann
jene unheimlichen Elemente auf die Straße, die bei solchen
Gelegenheiten in Paris, wie auch in anderen Millionenstädten
niemals fehlen. — Die eigentliche Ursache der ganzen „Hetze"
war ein von den Akademieschülern veranstalteter Ball der
„vier Künste", auf den: es wahrhaft skandalös zugegangen
war, weshalb der Senator Verenger und Jules Simon sich,
nachdem jene Veranstaltung auch noch eine weitere Nachahmung
gefunden hatte, veranlaßt sahen, die Aufmerksamkeit der Ne-
gierung auf diese Vorkommnisse zu lenken. Daraufhin machte die
ganze ftudirende Jugend des sogenannten „lateinischen Viertels"
mit den Akademieschülern gemeinsame Sache, um den beide,:
genannten Staatsmännern eine solenne Katzenmusik zu bringen
und andere Unzusriedenheitskundgebungen auszusühren. Da-
bei kau: es zu einen: Zusammenstöße mit der Polizei, wobei
in einem Cafe ein ganz unbeteiligter junger Kaufmann
Namens Nuger durch einen unglücklichen Wurf so schwer ver-
wundet wurde, daß er bald nachher starb. Das geschah an:
Abend des 1. Juli, einem Sonnabend, aber schon an: Mon-
tag war der anfängliche „Ulk" in einen wirklichen Aufruhr
nusgeartet, und es spielten sich nun fortwährend Scenen ab,
wie die auf unseren: Bilde S. 83 dargestellte, welche die Ver-
brennung eines umgestürzten Omnibus vor der medicinischen
Fakultät und das Einschreiten der Polizei gegen die Mani-
festanten darstellt. Es wurden Barrikaden erbaut, aber die
Studenten, welche den Anlaß zu den Unruhen gegeben hatten,
traten fortan mehr und mehr in den Hintergrund, während
der Pöbel, der Abschaum der großstädtischen Bevölkerung, die
führende Rolle übernahm. Vergrößert wurde die allgemeine
Aufregung durch die gleichzeitige Schließung der Arbeiter-
börse; die Regierung hatte aber sich inzwischen zu energischen:
Vorgehen aufgerafft und entsprechende Militärkräfte herange-
zogen, so daß es dann endlich gelang, die Ruhe in Paris
wiederherzustellen.
Das Schicksal der Schiffe.
Glider vom istanen Wasser.
Von
Eugen Schmitt.
Inf der Werft steht einer der modernen Dampfer-
-kolosse, die bestimmt sind, den Verkehr zwi-
^Wffchen den verschiedenen Welttheilen zu unter-
halten, zum Stapellaufe bereit. Zwei Jahre
lang haben Hunderte von fleißigen Händen an
diesen: Kolosse gearbeitet, nun ist das gewaltige Schiff
so weit fertig gestellt, daß man es seinem eigentlichen
Elemente, dein Wasser, übergeben kann.
Die ganze Werft, auf welcher das Schiff erbaut
worden ist, prangt heute im Flaggenfchmucke, mit Flaggen
und Guirlanden geschmückt ist der Koloß selbst, der
noch in feiner ganzen Länge und Höhe auf dem Lande
steht. Noch eilen hundert geschäftige Personen um das
Schiff herum, um ihm das Ablaufen in das Wasser
zu erleichtern. Die Balken und Hölzer der Unterlage,
auf denen es ruht, werden mit Fett und Seife ein-
gerieben, um sie schlüpfrig zu machen. Spritzen stehen
bereit, um die Gleitbahn mit Wasser zu überschütten,
wenn durch die furchtbare Reibung beim Hinabgleiten des
Schiffes die Balken und Hölzer in Brand gerathen sollten.
Im Festgewande versammeln sich die sämmtlichen
Arbeiter und Beamten der Werft, sowie die eingeladenen
Gäste. Am Hintertheil des Schiffes, ein Stück von
diesem entfernt, ist ein Pavillon erbaut, wo die Ehren-
gäste und die Hauptpersonen des Tages Platz genommen
haben. Eine Musikkapelle läßt ihre Weisen erschallen.
Dann erhebt sich der Direktor der Werft oder der Be-
sitzer derselben und wendet sich mit einer Ansprache an
alle Anwesenden, insbesondere aber an die getreuen
Mitarbeiter, durch deren vereinte Kräfte der stolze Bau
entstanden ist. Er dankt diesen Helfern allen, er wünscht
dem Schisse Glück und Heil und leitet am Schluß seiner
Rede zu dem Taufakt herüber, der sich unmittelbar an
diese Rede anschließt.
Vom Vordersteven des Schisses hängt ein langes
seidenes Band in den Nationalfarben herunter, an
dessen unteren: Ende eine Champagnerflasche befestigt
ist. Gewöhnlich ist es ein junges Mädchen, welchem die
Aufgabe zu Theil, wird das Schiss zu taufen. Einige
Segenswünsche für glückliche Fahrt sagt das junge
Mädchen, direkt an das Schiss gewendet, dann nennt
sie den Namen des Schisses, den es fortan tragen soll,
und schleudert die an dein seidenen Bande herabhängende
Champagnerslasche gegen den Vordersteven, wo sie zer-
schellt und ihren brausenden Inhalt ergießt. Für ein
böses Vorzeichen gilt es bei allen Seeleuten, wenn die
Flasche bei diesem Taufakt nicht zersplittert, sondern
unbeschädigt bleibt. Der Seemannsaberglaube behauptet,
ein solches Schiff ginge gewöhnlich schon auf der ersten
Reise verloren.
Der Taufakt ist vollzogen, Kommandorufe ertönen,
die Keile werden hinweggeschlagen, die Taue durch-
hauen, und unter dem schmetternden: Tusch der Musik
und den Hurrahrusen aller Anwesenden setzt sich der
Koloß langsam aus der schiefen Ebene in Bew-egung.
Schon nach wenigen Sekunden wird seine Geschwindig-
keit größer und nun schießt er in das Wasser. Rauch-
wolken und Feuerflammen dringen unter den: Schlitten
empor und die Spritzen schleudern mit aller Gewalt
das Wasser auf die glühenden Balken, die durch die
Reibung in Brand gesetzt sind. Hoch auf spritzt das
Wasser, das Schiff löst sich von selbst von den: Schlitten,
aus welchem es bisher geruht hat, und schwimmt frei
in den: Elemente, für das es bestimmt ist.
Glücklich ist der Stapellaus vor sich gegangen. Ei::
großes Fest, an welchen: die gesammte Arbeiterschaft
der Werft theilnimmt, bildet den Abschluß der Feier.
Die Ehrengäste, die Besteller des Schisses, die Besitzer
und Direktoren der Werft vereinigen sich zu einen:
Mahle, und die Toaste gelten meistens den: neuen
Schiss und seiner glücklichen Zukunft.
Welches wird nun das Schicksal dieses
Schisses sein?
Heimlich mag sich selbst an der Festtafel Mancher
diese Frage vorlegen, und die Beantwortung derselben
erscheint den Seeleuten und den Kennern der Schiff-
fahrt an: allerunsichersten. Der Laie, der das gewaltige
Schiff noch auf den: Trockenen in seiner ganzen kolossalen
Ausdehnung gesehen hat, kann es sich gar nicht denke::,
daß Zustände eintreten können, in denen dieser stolze
Bau elendiglich zu Grunde geht. Aber was ist Menschen-
werk, was ist Menschenkraft und Menschengeist gegen
die Wuth der Elemente, gegen des Schicksals Beschluß,
gegen des Unglücks Gewalt"? Hunderte solcher Schiffe
lausen jährlich in den Knlturstaaten der Welt von:
Stapel, und ebenso viele gehen in demselben Jahre
zu Grunde, verschwinden nut Mann und Mans ohne
jede Spur, zerbrechen, zerschmettern, verunglücken auf
diese oder jene Weise.
Wir brauchen nur ein statistisches Werk zur Hand
zu nehmen, um die unerbittlichen Zahlen zu lesen, die
uns Auskunft geben von dem Schicksale der Schiffe.
In den Jahren 1890 und 1891 gingen verloren:
92 deutsche Seeschiffe mit 34,500 Tonnen Raumgehalt,
und zwar sind 41 gestrandet, 16 gesunken, 9 verschollen,
2 verbrannt, 1 gekentert, 16 verunglückt infolge er-
littener schwerer Beschädigung, und 7 durch Zusammen-
stoß. Dabei büßten 176 Personen ihr Leben ein.
Und dennoch ist dieser Schisfsverlust noch ein ver-
hältnißmäßig günstiger, denn er betrug im Verhältnis)
zu allen Seeschiffen nur 2sts Prozent.
Dem aufmerksamen Zeitungsleser muß es in den
letzten Monaten ausgefallen sein, immer wieder von
den Verlusten zu lesen, welche die deutsche Handels-
flotte durch den Untergang der gewaltigen Viermaster
erlitt, die inan in den letzten Jahren erbaut hat.
Diese Schiffe, die gewöhnlich, um Reis zu holen, von
Hamburg und Bremerhaven nach Indien gehen, scheinen
sich nicht bewährt zu haben.
Schon bei der Erbauung dieser Schifsskolosse haben
Fachleute dieselben für unbrauchbar erklärt, weil sie zu
groß sind und aus Sparsamkeitsrücksichten eine verhültniß-
mäßig zu geringe Besatzung erhielten. Nasch hinter-
einander sind denn auch in der That die Meldungen
gekommen, daß gerade diese gewaltigen Schisse voll-
ständig verschollen sind.
Wo sind sie geblieben? Hat ein Cpklon sie ersaßt
und sie trotz aller Anstrengungen der Besatzung, die
um ihr Leben kämpfte, zerschmettert und in den
Grund gezogen? Hat eine plötzlich auftretende Wasser-
hose das Schiss ereilt und es in die Tiefe sinken lassen?
War es ein Seebeben in der Indischen See, welches
dem Schiffe den Garaus machte? Oder ist das Schiss
mit einen: der gewaltigen Eisberge im Atlantischen
Ocean zusammengerathen, welche mehrere Kilometer lang
und breit und Hunderte von Metern hoch sind? Ist
vielleicht ein Feuer an Bord ausgebrochen, welches das
Schiss bis auf die Wasserlinie verzehrte und so furchtbar
rasch um sich griff, daß es der Mannschaft nicht möglich
war, trotz aller vorhandenen Löschmittel den Brand zu
dämpfen? Ist eine Explosion aus dem Schiffe erfolgt,
durch welche die Dampfmaschine oder das ganze Schiff
in die Luft gesprengt wurde? Ist das Schiff mit einem
anderen zusammengerannt und zwar in so furchtbarer
Weise, daß beide L-chiffe sanken, und keine Kunde von
dem Unglück irgend wohin gelangte? Ist man im
Nebel oder in: Sturm, nachdem man alle Richtung
verloren hatte, aus einen Felsen aufgelaufen, und das
Schiff geborsten und versunken? Ist es infolge eines
plötzlichen Windstoßes, gerade als es zu viel Segel
stehen hatte, aus die Seite gelegt worden, daß es
„kenterte"?
Wer weiß es? Niemand kann Antwort geben auf
diese Fragen, selbst wenn hier oder dort noch ein Brett,
ein Boot angeschwemmt wird, das den Namen des
Schiffes trägt. Niemand weiß, welches das Schicksal
des Schiffes gewesen ist. Handels- und Kriegsschiffe
gehen aus diese Weise verloren, sie sind verschollen und
Niemand weiß, ob das Ende ein rasches gewesen, oder
ob es erst nach furchtbaren: Kampfe eingetreten ist.
Ein trauriges Schicksal! Und dennoch gibt es ein noch
traurigeres, wenn nämlich ein Schiff auf einen Felsen
ausläuft und nun stückweise zerstört wird. Jede Welle,
die heranläuft, nimmt ein Stück von seinen Planken,
von seinen Nippen fort. Stück um Stück des Schiffes
bröckelt gewissermaßen ab, und doch kann der Rumpf
solchen Zerstörungen unter Umständen wochenlang
widerstehen, bis ein gewaltiger Sturm die letzten Neste
des einst so stolzen Baues hinwegfegt. Nach den:
Sturme findet man an der Küste wohl noch einzelne
Trümmer des einst so stolzen Fahrzeuges, die daran
erinnern, wie vergänglich alles Irdische ist.
Das elendeste Loos eines stolzen Schisses aber ist
ohne Zweifel, als hilfloses verlassenes Wrack auf den:
Ocean zu treiben. Scharfen Ausguck müssen auf allen
Dampfern und Segelschiffen bei Tag und Nacht die
Posten halten, damit das Schiss nicht mit einen: solchen
treibenden Wrack zusammenstößt, das steuer- und planlos,
ein Spiel des Windes und der Wellen, in: Ocean
hernmschwimmt. Es sind dies Schiffe, die von der
Mannschaft verlassen worden sind, weil sie nicht mehr
die See halten konnten. Diese Schiffe aber halten
sich oft, besonders wenn sie mit Brettern belastet sind,
doch noch viele Wochen und Monate hindurch, halb
unter Wasser schwimmend, in See. Wind und Wetter
treiben sie hin und her und machen sie zu einer großen
Gefahr für die Schifffahrt, denn ein plötzlicher Zusammen-
stoß nut einen: solchen Wrack kann auch ein noch tüchtiges
Schiss gewaltig erschüttern und beschädigen.
Es ist ein Verdienst der amerikanischen Seebehörde,
fortwährend nach der Angabe der Kapitäne, die nach
Amerika kommen, Tabellen und Mittheilnngen zu ver-
öffentlichen, in denen die ungefähre Lage der in der
See treibenden Wracks auf das Genaueste angegeben:
ist. In anderen Meeren und auf anderen Schifffahrts-
straßen hat man solche Tabellen und Mittheilungen
nicht, und für die in Fahrt begriffenen Schisse bilden
Das Buch für Alle.
Heft 3.
reichsten Straßen der Riesenstadt und zieht sich durch Stadttheile,
die vorwiegend von Eingewanderten der verschiedenen Nationen
bewohnt werden. So ist denn auch das Publikum im „ZeltaMm
Oarcloii" ein sehr buntgemischtes. DaS deutsche Element ist
natürlich vorwiegend vertreten, aber neben einen: „grünen"
(frisch eingewanderten) Sohne Germaniens, der entzückt den
heimathlichen Klängen lauscht, sitzt vielleicht ein Irländer,
der tagsüber auf einem der im Hafen ankernden Schiffe beim
Ein- oder Ausladen geholfen hat, oder ein englischer Matrose.
Amerikanische Soldaten, New-Uorker Geschäftsleute, Italiener,
Russen, kurz Angehörige der verschiedensten Volksstämme, unter
denen auch die Vertreterinnen des „schönen Geschlechtes" nicht
fehlen, finden sich hier zusammen. Meist lauscht das Publikum
sehr aufmerksam den Klängen der Damenkapelle, oder einer
Coupletsängerin, oder man ergötzt sich an den Spässen eines
Komikers, den Pirouetten einer Tänzerin u. s. w. Eintritts-
geld wird für gewöhnlich nicht erhöbe,:, doch achten die „Waiters"
(Kellner) sehr gewissenhaft darauf, daß Niemand trocken dafitzt,
und lassen es auch an Ermunterung nicht fehlen, wenn sie
meinen, daß Einer gar zu lange bei einen: und demselben
Glase Bier verweilt.
Eine Hoch;eitsgelelllchnst in Lagos.
(Siehe das Bild auf Seile 80.)
D^ie britische Kolonie Lagos an der mestafrikanischen Sklaven-
küste umfaßt seit dem 1885 mit Deutschland getroffenen
Abkommen das gesammte Küstengebiet zwischen den: franzö-
sischen Porto Novo und den: deutschen Kamerun, wie auch die
Uferlandschaften des Niger aufwärts und des unteren Vinuö.
Die Hauptstadt ist Lagos, an: Westrand der flachen Insel
Kuramo, zugleich die volkreichste Stadt von ganz Westafrika.
Sie zahlt gegen 37,500 Einwohner, worunter sich nur etwa
200 Weiße und 100 Mulatten befinden, während der Nest
aus Negern besteht. Diese Negerbevölkerung ist naturgemäß
eine sehr gemischte, aber die besseren und wohlhabenderen
Elemente darunter haben sich mit Eifer bemüht, sich von der
Kultur „belecken" zu lassen und europäische Sitten und Moden
nachzuahmen. Einen interessanten Beleg dafür liefert unsere
Illustration auf S. 80, die nach einer an Ort und Stelle
gemachten photographischen Aufnahme gefertigt ist und eine
dunkelfarbigeHochzeitsgesellschaft ausLagos wiedergibt. Sänunt-
liche Personen tragen ganz elegante europäische Kostüme. An:
würdigsten unter ihnen sieht der mit einer Brille bewaffnete
junge Ehemann aus, der ein Missionar oder Schullehrer zu
sein scheint. Die Neuvermählte mit Schleier und Braut-
bouquet ist gar nicht übel — wenn man von der ziemlich
platten Nase und den für europäischen Geschmack etwas zu
sehr aufgeworfenen Lippen absieht, und ebenso ihre Braut-
jungfer. Die kleinen Mädchen nut den Blumensträußen und
die' beiden Knaben find Verwandte des jungen Paares, und
die beiden schlanken Jünglinge rechts und links am Fuße der
Treppe bilden würdige Seitenstücke zu unseren heimathlichen
„Gigerln".
Oie IlurulM im Ouartier Latin )n Paris.
(Siehe das Bild auf Seite 83.)
»Daris hat wieder einmal eine „Julirevolution" gehabt,
wenn auch nur eine ganz kleine; immerhin aber haben
die Unruhen doch vier Tage und Nächte lang angedauert.
Wenn vor einen: halben Jahrhundert in den Straßen der
französischen Hauptstadt Barrikaden gebaut wurden und im
Kampfe zwischen Polizei und Militär einerseits und einer
revoltirenden Volksmenge andererseits Blut floß, dann war
ganz Europa fieberhaft erregt, wovon jedoch diesmal nichts
zu spüren war. Die Zeiten haben sich seither doch geändert,
und Paris kann sich nicht mehr als die „Hauptstadt Europa's"
betrachten, andererseits aber fehlte auch jede politische Idee
in den letzten Unruhen, die deswegen ein vorwiegend lokales
Interesse boten. Eine durchaus unpolitische Katzenmusik machte
den Anfang, das ungeschickte und brutale Vorgehen mancher
Polizisten verschlimmerte die Sache und zuletzt kamen dann
jene unheimlichen Elemente auf die Straße, die bei solchen
Gelegenheiten in Paris, wie auch in anderen Millionenstädten
niemals fehlen. — Die eigentliche Ursache der ganzen „Hetze"
war ein von den Akademieschülern veranstalteter Ball der
„vier Künste", auf den: es wahrhaft skandalös zugegangen
war, weshalb der Senator Verenger und Jules Simon sich,
nachdem jene Veranstaltung auch noch eine weitere Nachahmung
gefunden hatte, veranlaßt sahen, die Aufmerksamkeit der Ne-
gierung auf diese Vorkommnisse zu lenken. Daraufhin machte die
ganze ftudirende Jugend des sogenannten „lateinischen Viertels"
mit den Akademieschülern gemeinsame Sache, um den beide,:
genannten Staatsmännern eine solenne Katzenmusik zu bringen
und andere Unzusriedenheitskundgebungen auszusühren. Da-
bei kau: es zu einen: Zusammenstöße mit der Polizei, wobei
in einem Cafe ein ganz unbeteiligter junger Kaufmann
Namens Nuger durch einen unglücklichen Wurf so schwer ver-
wundet wurde, daß er bald nachher starb. Das geschah an:
Abend des 1. Juli, einem Sonnabend, aber schon an: Mon-
tag war der anfängliche „Ulk" in einen wirklichen Aufruhr
nusgeartet, und es spielten sich nun fortwährend Scenen ab,
wie die auf unseren: Bilde S. 83 dargestellte, welche die Ver-
brennung eines umgestürzten Omnibus vor der medicinischen
Fakultät und das Einschreiten der Polizei gegen die Mani-
festanten darstellt. Es wurden Barrikaden erbaut, aber die
Studenten, welche den Anlaß zu den Unruhen gegeben hatten,
traten fortan mehr und mehr in den Hintergrund, während
der Pöbel, der Abschaum der großstädtischen Bevölkerung, die
führende Rolle übernahm. Vergrößert wurde die allgemeine
Aufregung durch die gleichzeitige Schließung der Arbeiter-
börse; die Regierung hatte aber sich inzwischen zu energischen:
Vorgehen aufgerafft und entsprechende Militärkräfte herange-
zogen, so daß es dann endlich gelang, die Ruhe in Paris
wiederherzustellen.
Das Schicksal der Schiffe.
Glider vom istanen Wasser.
Von
Eugen Schmitt.
Inf der Werft steht einer der modernen Dampfer-
-kolosse, die bestimmt sind, den Verkehr zwi-
^Wffchen den verschiedenen Welttheilen zu unter-
halten, zum Stapellaufe bereit. Zwei Jahre
lang haben Hunderte von fleißigen Händen an
diesen: Kolosse gearbeitet, nun ist das gewaltige Schiff
so weit fertig gestellt, daß man es seinem eigentlichen
Elemente, dein Wasser, übergeben kann.
Die ganze Werft, auf welcher das Schiff erbaut
worden ist, prangt heute im Flaggenfchmucke, mit Flaggen
und Guirlanden geschmückt ist der Koloß selbst, der
noch in feiner ganzen Länge und Höhe auf dem Lande
steht. Noch eilen hundert geschäftige Personen um das
Schiff herum, um ihm das Ablaufen in das Wasser
zu erleichtern. Die Balken und Hölzer der Unterlage,
auf denen es ruht, werden mit Fett und Seife ein-
gerieben, um sie schlüpfrig zu machen. Spritzen stehen
bereit, um die Gleitbahn mit Wasser zu überschütten,
wenn durch die furchtbare Reibung beim Hinabgleiten des
Schiffes die Balken und Hölzer in Brand gerathen sollten.
Im Festgewande versammeln sich die sämmtlichen
Arbeiter und Beamten der Werft, sowie die eingeladenen
Gäste. Am Hintertheil des Schiffes, ein Stück von
diesem entfernt, ist ein Pavillon erbaut, wo die Ehren-
gäste und die Hauptpersonen des Tages Platz genommen
haben. Eine Musikkapelle läßt ihre Weisen erschallen.
Dann erhebt sich der Direktor der Werft oder der Be-
sitzer derselben und wendet sich mit einer Ansprache an
alle Anwesenden, insbesondere aber an die getreuen
Mitarbeiter, durch deren vereinte Kräfte der stolze Bau
entstanden ist. Er dankt diesen Helfern allen, er wünscht
dem Schisse Glück und Heil und leitet am Schluß seiner
Rede zu dem Taufakt herüber, der sich unmittelbar an
diese Rede anschließt.
Vom Vordersteven des Schisses hängt ein langes
seidenes Band in den Nationalfarben herunter, an
dessen unteren: Ende eine Champagnerflasche befestigt
ist. Gewöhnlich ist es ein junges Mädchen, welchem die
Aufgabe zu Theil, wird das Schiss zu taufen. Einige
Segenswünsche für glückliche Fahrt sagt das junge
Mädchen, direkt an das Schiss gewendet, dann nennt
sie den Namen des Schisses, den es fortan tragen soll,
und schleudert die an dein seidenen Bande herabhängende
Champagnerslasche gegen den Vordersteven, wo sie zer-
schellt und ihren brausenden Inhalt ergießt. Für ein
böses Vorzeichen gilt es bei allen Seeleuten, wenn die
Flasche bei diesem Taufakt nicht zersplittert, sondern
unbeschädigt bleibt. Der Seemannsaberglaube behauptet,
ein solches Schiff ginge gewöhnlich schon auf der ersten
Reise verloren.
Der Taufakt ist vollzogen, Kommandorufe ertönen,
die Keile werden hinweggeschlagen, die Taue durch-
hauen, und unter dem schmetternden: Tusch der Musik
und den Hurrahrusen aller Anwesenden setzt sich der
Koloß langsam aus der schiefen Ebene in Bew-egung.
Schon nach wenigen Sekunden wird seine Geschwindig-
keit größer und nun schießt er in das Wasser. Rauch-
wolken und Feuerflammen dringen unter den: Schlitten
empor und die Spritzen schleudern mit aller Gewalt
das Wasser auf die glühenden Balken, die durch die
Reibung in Brand gesetzt sind. Hoch auf spritzt das
Wasser, das Schiff löst sich von selbst von den: Schlitten,
aus welchem es bisher geruht hat, und schwimmt frei
in den: Elemente, für das es bestimmt ist.
Glücklich ist der Stapellaus vor sich gegangen. Ei::
großes Fest, an welchen: die gesammte Arbeiterschaft
der Werft theilnimmt, bildet den Abschluß der Feier.
Die Ehrengäste, die Besteller des Schisses, die Besitzer
und Direktoren der Werft vereinigen sich zu einen:
Mahle, und die Toaste gelten meistens den: neuen
Schiss und seiner glücklichen Zukunft.
Welches wird nun das Schicksal dieses
Schisses sein?
Heimlich mag sich selbst an der Festtafel Mancher
diese Frage vorlegen, und die Beantwortung derselben
erscheint den Seeleuten und den Kennern der Schiff-
fahrt an: allerunsichersten. Der Laie, der das gewaltige
Schiff noch auf den: Trockenen in seiner ganzen kolossalen
Ausdehnung gesehen hat, kann es sich gar nicht denke::,
daß Zustände eintreten können, in denen dieser stolze
Bau elendiglich zu Grunde geht. Aber was ist Menschen-
werk, was ist Menschenkraft und Menschengeist gegen
die Wuth der Elemente, gegen des Schicksals Beschluß,
gegen des Unglücks Gewalt"? Hunderte solcher Schiffe
lausen jährlich in den Knlturstaaten der Welt von:
Stapel, und ebenso viele gehen in demselben Jahre
zu Grunde, verschwinden nut Mann und Mans ohne
jede Spur, zerbrechen, zerschmettern, verunglücken auf
diese oder jene Weise.
Wir brauchen nur ein statistisches Werk zur Hand
zu nehmen, um die unerbittlichen Zahlen zu lesen, die
uns Auskunft geben von dem Schicksale der Schiffe.
In den Jahren 1890 und 1891 gingen verloren:
92 deutsche Seeschiffe mit 34,500 Tonnen Raumgehalt,
und zwar sind 41 gestrandet, 16 gesunken, 9 verschollen,
2 verbrannt, 1 gekentert, 16 verunglückt infolge er-
littener schwerer Beschädigung, und 7 durch Zusammen-
stoß. Dabei büßten 176 Personen ihr Leben ein.
Und dennoch ist dieser Schisfsverlust noch ein ver-
hältnißmäßig günstiger, denn er betrug im Verhältnis)
zu allen Seeschiffen nur 2sts Prozent.
Dem aufmerksamen Zeitungsleser muß es in den
letzten Monaten ausgefallen sein, immer wieder von
den Verlusten zu lesen, welche die deutsche Handels-
flotte durch den Untergang der gewaltigen Viermaster
erlitt, die inan in den letzten Jahren erbaut hat.
Diese Schiffe, die gewöhnlich, um Reis zu holen, von
Hamburg und Bremerhaven nach Indien gehen, scheinen
sich nicht bewährt zu haben.
Schon bei der Erbauung dieser Schifsskolosse haben
Fachleute dieselben für unbrauchbar erklärt, weil sie zu
groß sind und aus Sparsamkeitsrücksichten eine verhültniß-
mäßig zu geringe Besatzung erhielten. Nasch hinter-
einander sind denn auch in der That die Meldungen
gekommen, daß gerade diese gewaltigen Schisse voll-
ständig verschollen sind.
Wo sind sie geblieben? Hat ein Cpklon sie ersaßt
und sie trotz aller Anstrengungen der Besatzung, die
um ihr Leben kämpfte, zerschmettert und in den
Grund gezogen? Hat eine plötzlich auftretende Wasser-
hose das Schiss ereilt und es in die Tiefe sinken lassen?
War es ein Seebeben in der Indischen See, welches
dem Schiffe den Garaus machte? Oder ist das Schiss
mit einen: der gewaltigen Eisberge im Atlantischen
Ocean zusammengerathen, welche mehrere Kilometer lang
und breit und Hunderte von Metern hoch sind? Ist
vielleicht ein Feuer an Bord ausgebrochen, welches das
Schiss bis auf die Wasserlinie verzehrte und so furchtbar
rasch um sich griff, daß es der Mannschaft nicht möglich
war, trotz aller vorhandenen Löschmittel den Brand zu
dämpfen? Ist eine Explosion aus dem Schiffe erfolgt,
durch welche die Dampfmaschine oder das ganze Schiff
in die Luft gesprengt wurde? Ist das Schiff mit einem
anderen zusammengerannt und zwar in so furchtbarer
Weise, daß beide L-chiffe sanken, und keine Kunde von
dem Unglück irgend wohin gelangte? Ist man im
Nebel oder in: Sturm, nachdem man alle Richtung
verloren hatte, aus einen Felsen aufgelaufen, und das
Schiff geborsten und versunken? Ist es infolge eines
plötzlichen Windstoßes, gerade als es zu viel Segel
stehen hatte, aus die Seite gelegt worden, daß es
„kenterte"?
Wer weiß es? Niemand kann Antwort geben auf
diese Fragen, selbst wenn hier oder dort noch ein Brett,
ein Boot angeschwemmt wird, das den Namen des
Schiffes trägt. Niemand weiß, welches das Schicksal
des Schiffes gewesen ist. Handels- und Kriegsschiffe
gehen aus diese Weise verloren, sie sind verschollen und
Niemand weiß, ob das Ende ein rasches gewesen, oder
ob es erst nach furchtbaren: Kampfe eingetreten ist.
Ein trauriges Schicksal! Und dennoch gibt es ein noch
traurigeres, wenn nämlich ein Schiff auf einen Felsen
ausläuft und nun stückweise zerstört wird. Jede Welle,
die heranläuft, nimmt ein Stück von seinen Planken,
von seinen Nippen fort. Stück um Stück des Schiffes
bröckelt gewissermaßen ab, und doch kann der Rumpf
solchen Zerstörungen unter Umständen wochenlang
widerstehen, bis ein gewaltiger Sturm die letzten Neste
des einst so stolzen Baues hinwegfegt. Nach den:
Sturme findet man an der Küste wohl noch einzelne
Trümmer des einst so stolzen Fahrzeuges, die daran
erinnern, wie vergänglich alles Irdische ist.
Das elendeste Loos eines stolzen Schisses aber ist
ohne Zweifel, als hilfloses verlassenes Wrack auf den:
Ocean zu treiben. Scharfen Ausguck müssen auf allen
Dampfern und Segelschiffen bei Tag und Nacht die
Posten halten, damit das Schiss nicht mit einen: solchen
treibenden Wrack zusammenstößt, das steuer- und planlos,
ein Spiel des Windes und der Wellen, in: Ocean
hernmschwimmt. Es sind dies Schiffe, die von der
Mannschaft verlassen worden sind, weil sie nicht mehr
die See halten konnten. Diese Schiffe aber halten
sich oft, besonders wenn sie mit Brettern belastet sind,
doch noch viele Wochen und Monate hindurch, halb
unter Wasser schwimmend, in See. Wind und Wetter
treiben sie hin und her und machen sie zu einer großen
Gefahr für die Schifffahrt, denn ein plötzlicher Zusammen-
stoß nut einen: solchen Wrack kann auch ein noch tüchtiges
Schiss gewaltig erschüttern und beschädigen.
Es ist ein Verdienst der amerikanischen Seebehörde,
fortwährend nach der Angabe der Kapitäne, die nach
Amerika kommen, Tabellen und Mittheilnngen zu ver-
öffentlichen, in denen die ungefähre Lage der in der
See treibenden Wracks auf das Genaueste angegeben:
ist. In anderen Meeren und auf anderen Schifffahrts-
straßen hat man solche Tabellen und Mittheilungen
nicht, und für die in Fahrt begriffenen Schisse bilden