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Das B n ch f ü r A l l e.
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gebracht hat, nur etwa 300 die Anrede „meine liebe
Mary", die übrigen 800 aber bewiesen, was die Anrede
anbelangt, einen Erfindungsgeist, der, nach den Worten
des Berichterstatters, die Schreiberin zur Königin im
Reiche der Zärtlichkeit stempelt.
Der König dieses idealen Reiches ist jedoch nicht in
Amerika, sondern in England zu suchen. Er heißt
Robertson und hat seiner Herzenskönigin in fünf Jahren
500 Liebesbriefe, darunter mehr als die Hälfte in
Versen und voll der neuartigsten zärtlichen Ausdrücke
geschrieben. Heirathen will er aber trotzdem nicht, denn
Liebesbriefe zu schreiben und zu empfangen ist ihm,
wie er sagte, das höchste irdische Vergnügen. Und in
dem festen Glauben, dasselbe nehme gemeiniglich am
Hochzeitstage ein Ende, beharrte er auch vor Gericht,
wohin man ihn wegen Nichterfüllung seines Ehever-
sprechens eitirte, bei dein Entschlüsse, ledig zu bleiben.
Die Folge davon war, daß er der Klägerin eine Ent-
schädigung von 1000 Pfund Sterling zahlen mußte
und zu seinem Aerger für einen Narren erklärt wurde.
Nun, das ist er wohl nicht, aber eine grundfalsche
Ansicht hat er. Auch Eheleute schreiben einander Liebes-
briefe, und thun sie's nicht, je nun, dann ist's ihre
Schuld und sie mögen seufzen:
„O, daß sie uns doch nicht entliefe
Die schöne Zeit der Liebesbriefe!"
Jawohl, es ist eine schöne Zeit und zumal der erste
Liebesbrief ein Ereigniß, ein Markstein im menschlichen
Leben, die Duelle reinsten Glückes. Die Empfänger-
haben es Alle gefühlt, als sie den ersten Liebesbrief
empfingen, und nicht feil um ein Königreich wäre er
ihnen gewesen.
Doch wenn die Liebe erstorben ist, oder sich wohl
gar in Abneigung verwandelt hat, wie das ja oft genug
vorkommt, so werden auch die Liebesbriefe gewöhnlich
wieder ausgewechselt und dann kommt ein böse Stunde,
die Stunde des „Autodafö".
Solche Verbrennungen haben seit Olim's Zeiten bis
zum 20. Mai 1892 keinen Unfall im Gefolge gehabt,
an diesem Tage aber sind in Wien zwei junge und
natürlich hübsche Damen von dem düsteren Vorsatze
beseelt auf den Dachboden gestiegen, die dort wohlver-
wahrten geschriebenen Zeugen ihrer Thorheit — sonst
nannten sie's Liebe — der Vernichtung zu weihen.
Und nachdem sie die Liebesbriefe, die, wie allgemein
bekannt sein dürfte,
begrabenes Glück und begrabene Lust
Und — Aerger wecken in der Menschenbrust,"
noch einmal gelesen, wurde der Scheiter- oder, richtiger-
gesagt, Brieshaufen an Ort und Stelle errichtet und
angezündet. Leidvoll und freudvoll blickten die Mädchen
in die züngelnden Flammen und merkten gar nicht,
daß das Feuer auch andere Gegenstände ergriff und
zugleich mit den heißen Liebesschwüren zu verzehren
anfing. Als sie's jedoch sahen, liefen sie erschrocken
davon, und der Brand gewann alsbald eine derartige
Ausdehnung, daß drer Löschkorps vollauf zu thun hatten,
um des entfesselten Elementes Herr, zu werden.
Nun waren die Liebesbriefe allerdings so gründlich
verbrannt, wie nie zuvor ähnliche Schriftstücke, leider
aber war auch ein Dachstuhl, sowie viel fremdes
bewegliches Gut in Asche gesunken, so daß, ganz ab-
gesehen davon, daß ein Löschmnnn schwere Verletzungen
erlitten hatte, ein Schaden von rund 20,000 Gulden
Der ZZierochse im AugustiuerkeKer zu München. Nach einer Originalskizze von M. Feldbaner. (S. 130)
entstanden war, zu dessen Gutmachung die liebesbriefüber-
drüssigen Mädchen gesetzlich gezwungen sind, falls sie außer
ihren feurigen Herzen noch so viel Vermögen besitzen.
Es gibt überhaupt allerlei Liebesbriefunglücksfälle.
Ein Wiener Arbeiter z. B. hatte sein Herz entdeckt,
allein er war kein Schriftgelehrter, und es gibt in
Wien nicht wie in den Städten Italiens öffentliche
Schreiber, welche Liebesbriefe jeder Art, vom zahmen
bis zum furiosen, für wenige Soldi schreiben. So griff
denn unser Alaun zum „Geheimschreiber des Volkes"
vrUZo Briefsteller. Es war nicht jenes nützliche Buch,
welches unter dem Titel. „Neuaufgerichtete Liebes-Kam-
mer, darin allerhand höfliche, verliebte Sendschreiben
and das löbliche und anmuthige Frauenzimmer, auch
andere Personen abgefaßt und beantwortet sind" —
schon im Jahre 1679 erschien, sondern ein modernes
Werk dieser Richtung. Darin fand unser Freund bald,
was er suchte — einen feurigen Liebesbrief, bewog
durch ein Geschenk einen Schuljungen, denselben ab-
zuschreiben, gab ihn dann auf die Post und harrte dcr
Dinge, die da kommen würden.
Und nicht lange, so kamen sie. Die schöne Marie
ließ ihm nämlich vermelden, er sei ein „Bamschabel",
ein Narr. Darob ergrimmt, verklagte er sie wegen
Beleidigung, und sie kam und legte den Liebesbrief
dem Richter mit der Bitte vor, denselben zu lesen und
dann zu urtheilen, ob der Absender bei gesunder Ver-
nunft sei oder nicht.
Der Richter las und schüttelte den Kopf. „Wie
kommen Sie dazu," fragte er dann, „dem Fräulein für
den Fall, als es Ihren Liebesbrief nicht befriedigend
beantworten sollte, mit gerichtlichen Schritten zu drohen?"
Der Gefragte prallte betroffen zurück; er bezweifelte,
solches gethan zu haben, allein der Richter hielt ihm
den Brief vor Augen und richtig, da stand's zum
Schlüsse einer feurigen Liebeserklärung schwarz auf
rosa: „Falls Sie auf dieses binnen drei Tagen nicht
zustimmend antworten sollten, werde ich diese Angelegen-
heit unnachsichtlich dem Gerichte übergeben."
„Der Briefsteller ist schuld daran," sagte der Ar-
beiter kleinlaut, indes; er hatte Unrecht. Den Brief-
steller traf keine Schuld, wohl aber den Briefschreiber,
den Schuljungen, der beim Umblättern im Briefsteller
von Seite wo der Liebesbrief zum Theile stand,
auf Seite 62 gerathen war, wo sich der obige Schluß
eines Mahnschreibens befand, und diesen in holder Ver-
ständnißlosigkeit jenem angehängt hatte.
Selbstverständlich wurde Fräulein Marie nicht nur
nicht bestraft, im Gegentheil, sie strafte den Kläger mit
der Bemerkung, es komme ihr nicht männlich vor,
eine Liebeserklärung schriftlich anzubringen. Derlei sei
doch nur ein Abklatsch der Gefühle.
Ganz anders stehen jedoch die Dinge, wenn eine
mündliche Liebeserklärung schriftlich wiederholt wird,
was ja in der Natur der Sache liegt. Solche Briefe
finden wohl alle Töchter Eva's schon deshalb in der
Ordnung, weil die Antwort darauf ihnen Gelegenheit
gibt, ihre — sehr beliebte — mündliche Zurückhaltung
wett zu machen.
Bei so bewandten Umständen wird man sich wun-
dern, daß wir nicht auch eine Blüthenlese weiblicher
Liebesbriese gebracht haben. Wir wollten wohl, indes;
solches Beginnen schien uns denn doch indiskret. Genug
daran, daß das schöne Geschlecht nicht nur Liebesbriefe
schreibt, sondern auch die Blumensprache und somit
die entzückendsten aller Liebesbriefe erfunden bat, jene,
welche aus duftigen Kindern Flora's bestehen. Wollte
man die Geheimnisse der holden Briefschreiberinnen
veröffentlichen, so zöge man sich nicht nur den Vorwurf
arger Unritterlichkeit zu, sondern schreckte vielleicht gar
das ganze weibliche Geschlecht von der ferneren Ab-
fassung solcher voir der Männerwelt so heiß begehrter
Episteln ab — ein Verbrechen am Genius der Liebe,
dessen nur uns nicht schuldig machen wollen.
Das B n ch f ü r A l l e.
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gebracht hat, nur etwa 300 die Anrede „meine liebe
Mary", die übrigen 800 aber bewiesen, was die Anrede
anbelangt, einen Erfindungsgeist, der, nach den Worten
des Berichterstatters, die Schreiberin zur Königin im
Reiche der Zärtlichkeit stempelt.
Der König dieses idealen Reiches ist jedoch nicht in
Amerika, sondern in England zu suchen. Er heißt
Robertson und hat seiner Herzenskönigin in fünf Jahren
500 Liebesbriefe, darunter mehr als die Hälfte in
Versen und voll der neuartigsten zärtlichen Ausdrücke
geschrieben. Heirathen will er aber trotzdem nicht, denn
Liebesbriefe zu schreiben und zu empfangen ist ihm,
wie er sagte, das höchste irdische Vergnügen. Und in
dem festen Glauben, dasselbe nehme gemeiniglich am
Hochzeitstage ein Ende, beharrte er auch vor Gericht,
wohin man ihn wegen Nichterfüllung seines Ehever-
sprechens eitirte, bei dein Entschlüsse, ledig zu bleiben.
Die Folge davon war, daß er der Klägerin eine Ent-
schädigung von 1000 Pfund Sterling zahlen mußte
und zu seinem Aerger für einen Narren erklärt wurde.
Nun, das ist er wohl nicht, aber eine grundfalsche
Ansicht hat er. Auch Eheleute schreiben einander Liebes-
briefe, und thun sie's nicht, je nun, dann ist's ihre
Schuld und sie mögen seufzen:
„O, daß sie uns doch nicht entliefe
Die schöne Zeit der Liebesbriefe!"
Jawohl, es ist eine schöne Zeit und zumal der erste
Liebesbrief ein Ereigniß, ein Markstein im menschlichen
Leben, die Duelle reinsten Glückes. Die Empfänger-
haben es Alle gefühlt, als sie den ersten Liebesbrief
empfingen, und nicht feil um ein Königreich wäre er
ihnen gewesen.
Doch wenn die Liebe erstorben ist, oder sich wohl
gar in Abneigung verwandelt hat, wie das ja oft genug
vorkommt, so werden auch die Liebesbriefe gewöhnlich
wieder ausgewechselt und dann kommt ein böse Stunde,
die Stunde des „Autodafö".
Solche Verbrennungen haben seit Olim's Zeiten bis
zum 20. Mai 1892 keinen Unfall im Gefolge gehabt,
an diesem Tage aber sind in Wien zwei junge und
natürlich hübsche Damen von dem düsteren Vorsatze
beseelt auf den Dachboden gestiegen, die dort wohlver-
wahrten geschriebenen Zeugen ihrer Thorheit — sonst
nannten sie's Liebe — der Vernichtung zu weihen.
Und nachdem sie die Liebesbriefe, die, wie allgemein
bekannt sein dürfte,
begrabenes Glück und begrabene Lust
Und — Aerger wecken in der Menschenbrust,"
noch einmal gelesen, wurde der Scheiter- oder, richtiger-
gesagt, Brieshaufen an Ort und Stelle errichtet und
angezündet. Leidvoll und freudvoll blickten die Mädchen
in die züngelnden Flammen und merkten gar nicht,
daß das Feuer auch andere Gegenstände ergriff und
zugleich mit den heißen Liebesschwüren zu verzehren
anfing. Als sie's jedoch sahen, liefen sie erschrocken
davon, und der Brand gewann alsbald eine derartige
Ausdehnung, daß drer Löschkorps vollauf zu thun hatten,
um des entfesselten Elementes Herr, zu werden.
Nun waren die Liebesbriefe allerdings so gründlich
verbrannt, wie nie zuvor ähnliche Schriftstücke, leider
aber war auch ein Dachstuhl, sowie viel fremdes
bewegliches Gut in Asche gesunken, so daß, ganz ab-
gesehen davon, daß ein Löschmnnn schwere Verletzungen
erlitten hatte, ein Schaden von rund 20,000 Gulden
Der ZZierochse im AugustiuerkeKer zu München. Nach einer Originalskizze von M. Feldbaner. (S. 130)
entstanden war, zu dessen Gutmachung die liebesbriefüber-
drüssigen Mädchen gesetzlich gezwungen sind, falls sie außer
ihren feurigen Herzen noch so viel Vermögen besitzen.
Es gibt überhaupt allerlei Liebesbriefunglücksfälle.
Ein Wiener Arbeiter z. B. hatte sein Herz entdeckt,
allein er war kein Schriftgelehrter, und es gibt in
Wien nicht wie in den Städten Italiens öffentliche
Schreiber, welche Liebesbriefe jeder Art, vom zahmen
bis zum furiosen, für wenige Soldi schreiben. So griff
denn unser Alaun zum „Geheimschreiber des Volkes"
vrUZo Briefsteller. Es war nicht jenes nützliche Buch,
welches unter dem Titel. „Neuaufgerichtete Liebes-Kam-
mer, darin allerhand höfliche, verliebte Sendschreiben
and das löbliche und anmuthige Frauenzimmer, auch
andere Personen abgefaßt und beantwortet sind" —
schon im Jahre 1679 erschien, sondern ein modernes
Werk dieser Richtung. Darin fand unser Freund bald,
was er suchte — einen feurigen Liebesbrief, bewog
durch ein Geschenk einen Schuljungen, denselben ab-
zuschreiben, gab ihn dann auf die Post und harrte dcr
Dinge, die da kommen würden.
Und nicht lange, so kamen sie. Die schöne Marie
ließ ihm nämlich vermelden, er sei ein „Bamschabel",
ein Narr. Darob ergrimmt, verklagte er sie wegen
Beleidigung, und sie kam und legte den Liebesbrief
dem Richter mit der Bitte vor, denselben zu lesen und
dann zu urtheilen, ob der Absender bei gesunder Ver-
nunft sei oder nicht.
Der Richter las und schüttelte den Kopf. „Wie
kommen Sie dazu," fragte er dann, „dem Fräulein für
den Fall, als es Ihren Liebesbrief nicht befriedigend
beantworten sollte, mit gerichtlichen Schritten zu drohen?"
Der Gefragte prallte betroffen zurück; er bezweifelte,
solches gethan zu haben, allein der Richter hielt ihm
den Brief vor Augen und richtig, da stand's zum
Schlüsse einer feurigen Liebeserklärung schwarz auf
rosa: „Falls Sie auf dieses binnen drei Tagen nicht
zustimmend antworten sollten, werde ich diese Angelegen-
heit unnachsichtlich dem Gerichte übergeben."
„Der Briefsteller ist schuld daran," sagte der Ar-
beiter kleinlaut, indes; er hatte Unrecht. Den Brief-
steller traf keine Schuld, wohl aber den Briefschreiber,
den Schuljungen, der beim Umblättern im Briefsteller
von Seite wo der Liebesbrief zum Theile stand,
auf Seite 62 gerathen war, wo sich der obige Schluß
eines Mahnschreibens befand, und diesen in holder Ver-
ständnißlosigkeit jenem angehängt hatte.
Selbstverständlich wurde Fräulein Marie nicht nur
nicht bestraft, im Gegentheil, sie strafte den Kläger mit
der Bemerkung, es komme ihr nicht männlich vor,
eine Liebeserklärung schriftlich anzubringen. Derlei sei
doch nur ein Abklatsch der Gefühle.
Ganz anders stehen jedoch die Dinge, wenn eine
mündliche Liebeserklärung schriftlich wiederholt wird,
was ja in der Natur der Sache liegt. Solche Briefe
finden wohl alle Töchter Eva's schon deshalb in der
Ordnung, weil die Antwort darauf ihnen Gelegenheit
gibt, ihre — sehr beliebte — mündliche Zurückhaltung
wett zu machen.
Bei so bewandten Umständen wird man sich wun-
dern, daß wir nicht auch eine Blüthenlese weiblicher
Liebesbriese gebracht haben. Wir wollten wohl, indes;
solches Beginnen schien uns denn doch indiskret. Genug
daran, daß das schöne Geschlecht nicht nur Liebesbriefe
schreibt, sondern auch die Blumensprache und somit
die entzückendsten aller Liebesbriefe erfunden bat, jene,
welche aus duftigen Kindern Flora's bestehen. Wollte
man die Geheimnisse der holden Briefschreiberinnen
veröffentlichen, so zöge man sich nicht nur den Vorwurf
arger Unritterlichkeit zu, sondern schreckte vielleicht gar
das ganze weibliche Geschlecht von der ferneren Ab-
fassung solcher voir der Männerwelt so heiß begehrter
Episteln ab — ein Verbrechen am Genius der Liebe,
dessen nur uns nicht schuldig machen wollen.