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138

Mas Buch für All e.

liche Geschichte in dieser Weise aus der Welt ge-
schafft ist."
„Aber wie kann das sein? Wir haben doch Alles
durchgesucht."
„Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß der Schmuck
wieder da ist."
„Nun, wir werden es ja morgen hören."
Attilio erröthete leicht und trat von dem Stuhle seines
Vaters weg, um seinen Platz, der sich an der Seite des
Fräuleins de Vries befand, einzunehmen. Auch diese er-
kundigte sich theilnehmend und lebhaft nach der Angelegen-
heit. Ihr Helles, klares Auge lag forschend auf ihm, und
Attilio erröthete noch mehr. Er sagte ihr dasselbe, was er
seinem Vater gesagt, aber es war ihm dabei unsagbar pein-
lich zu Muthe. Trotzdem Alles, wie er glaubte, glücklich
abgelausen war, so schien doch wieder ein finsteres, dro-
hendes Gespenst vor ihm aufzutauchen, das nicht nur
seine unbefangene Fröhlichkeit, sein Glück, neben Fräulein
de Vries sitzen zu dürfen, verscheuchte, sondern ihm auch
ein demüthiges, unglückliches Gefühl einhauchte. Er
mußte alle diese Leute belügen. Er durfte denen, die
er liebte, nicht mehr die Wahrheit sagen. Was sollte
das werden? Sein Leichtsinn warf auch jetzt noch tiefe
Schatten in sein Geinüth. Und wenn Don Luigi wirklich
wußte, was er vorgegeben hatte zu wissen, wenn er feindlich
gegen ihn austrat, was nützte ihm dann schließlich Alles,
was er heute Abend erreicht? Die Unruhe, die ihn in
letzter Zeit geplagt hatte, verließ ihn auch jetzt nicht; er
wagte kaum, dem Fräulein de Vries in die Augen zu
sehen, und wenn es geschah, so that er es scheu, flüchtig.
In einer ähnlichen Lage befand sich Graf Tozzo
gegenüber der Herzogin Cesina. Er hatte Cesina ver-
sprochen, ihr über den Zustand ihres Bruders Auf-
klärung zu verschaffen, und sie zögerte nicht, ihn an sein
Versprechen zu erinnern. Aber trotzdem er wohl in der
Lage gewesen wäre, sein Versprechen einzulösen, mußte
er doch zu allerhand Lügen seine Zuflucht nehmen und
sie aus eine später gelegenere Zeit vertrösten. Nachdem
sich Attilio wieder in Besitz des Schmuckes gesetzt hatte,
glaubte er um so mehr, daß mit der Zeit eine ruhigere
Ansicht über den Zwischenfall Platz greifen würde, und
er der Herzogin die Unruhe und Aufregung, die eine
Mittheilung des wahren Sachverhalts jetzt nach sich ziehen
könnte, ersparen müsse.
Die Folgen dieser Verheimlichung machten sich so-
fort fühlbar, als er sich ausnahmsweise zeitig verab-
schieden mußte, um nach Positano zurückzukehren.
„Sie wollen fort, Herr Graf? Jetzt, wo der Tanz
beginnt?" fragte ihn Cesina mit einem lebhaften Er-
staunen.
„Gnädigste Herzogin," erwiederte er, „Sie werden
mir glauben, daß nur die dringendste Abhaltung mich
veranlassen kann, aus das Glück zu verzichten."
Sie sah ihn prüfend an, als ob sie zweifeln müsse,
als ob sie ihn im Verdacht hätte, daß er irgend welchen
leichtfertigen Grund hätte, sich gerade jetzt zurückzuziehen.
„Ah!" sagte sie etwas enttäuscht und gedehnt, „ich
versichere Sie, Herr Gras, daß ich an Ihrer Stelle keine
Abhaltungen kennen würde, die mich zu gleichem Ver-
zicht veranlassen könnten, ^.ckckio."
„Aber, meine Gnädigste —" begann Gras Tozzo
nochmals.
„ Mtäio, Mtäio!" unterbrach sie ihn stolz und war
im Begriff, sich von ihm abzuwenden.
„Lue werden mir später verzeihen, danken, Cesina!"
rief er ihr noch leise zu.
Es war, als ob sie sich noch einmal hätte umwenden
wollen, als ob es zärtlich und freundlich in ihren Augen
geglänzt habe, aber Gras Tozzo hätte nicht darauf schwören
können. Ziemlich ärgerlich und unwirsch verließ er den
Palazzo dei Tibaldi, um nach dem Bahnhof zu fahren.
Am nächsten Tag in den Abendstunden langte auch
Herzog Cesare mit Cesina und Attilio wieder in Positano
an. Seine erste Frage war nach dem Schmuck und der
Art seiner Auffindung.
„Mein Gott," antwortete ihm Herzogin Estella etwas
mühsam, „er ist in Cesina's Thurmzimmer gefunden
worden. Ich selbst, weil ich Langeweile hatte und mich
gerade etwas wohler befand, war dort und sand den
Schmuck ganz zufällig unter einigen Schleiern und
Spitzen, die sich in einer Ecke zusammengeschoben hatten."
„Wo ist er?" fragte Herzog Cesare.
„Er steht noch dort. Aber ich habe natürlich nun
den Schrank ordentlich verschlossen, wie es Cesina auch
hätte thun sollen. Man geht mit dem Schmuck nicht
um, wie mit einer gleichgiltigen beliebigen Sache. Hier
ist der Schlüssel."
Attilio stand dabei, als dies gesprochen wurde. Er
wagte nicht, seine Mutter dabei'anzusehen. Auch als
Herzog Cesare jetzt den Schlüssel nahm und sich nach
dem Thurmzimmer begab, folgte er ihm, wie auch Cesina,
die sich ihnen freilich mehr aus Neugierde anschloß. Mit
einem leichten Zittern stand er dabei, als sein Vater
den Schrank aufschloß und richtig das Kästchen heraus-
nahm.
Attilio hätte zum Fenster hinausspringen mögen!
So rüthselhaft ihm auch das Gefühl war, so glaubte er

doch, es müsse sich jetzt etwas Fürchterliches ereignen,
etwas Niederschmetterndes.
Herzog Cesare nahm den Schmuck in die Hand und
trat damit in's volle Tageslicht am Fenster, wo er ihn
aufmerksam betrachtete.
„Was ist das?" sagte er mit tiefem Erstaunen ernst
und langsam, „das ist nicht der Stern des Südens!"
„Wie?" preßte Attilio mühsam hervor.
„Das ist eine ganz werthlose Nachbildung. Der
wahre Stern des Südens ist ausgebrochen und dafür
dieser unechte Stein eingesetzt worden."
Während sich Cesina neugierig über das Diadem
beugte, um den wunderbaren Befund zu besehen, stand
Attilio bleich und wie angewurzelt still. Er war so
überrascht, so niedergedonnert von dem, was sein Vater
sagte, daß er momentan kein Wort hervorzubringen ver-
mochte.
„Wer hat das gethan?" fragte Cesina rasch.
Langsam wandte sich Herzog Cesare nach seinem
Sohn um. „Da sieh her!" sagte er.
Attilio beugte sich tief über den Schmuck. Er war
so sicher von dem überzeugt, was sein Vater sagte, daß
er nicht deshalb, sondern nur, um seine Verwirrung zu
verbergen, sich herabbeugte.
„Das ist klar," sagte er leise, „das ist kein Diamant."
„Wo also ist der echte? Und woher kommt dieser?"
Da auf diese Frage Niemand Auskunft geben konnte
oder wollte, so unterrichtete man Herzogin Estella von
dem seltsamen Befund. Aber auch diese erklärte von
nichts zu wissen. Sie wünschte dringend, in Ruhe ge-
lassen zu werden, da sie sich unwohler als je befinde.

I Q rr f z e b ir Le s Kapitel.
Signor Pietro Castaldi ging unruhig und ärgerlich
in seinem Privatkomptoir aus und ab. Er war in sehr
unangenehmer Laune. Nur mit innerem Widerstreben
und nur, weil die Sache gar so verlockend aussah, hatte
er sich aus die Angelegenheit mit dem Schmuck eingelassen
und dafür auf seinen eigenen besseren Plan verzichtet.
Nun hatte ihm sein L-ohn schon am Abend vorher mit-
getheilt, was im Palazzo dei Tibaldi vorgefallen war.
Es hatte nun den Anschein, daß er bei der Angelegen-
heit nicht nur nichts verdienen, sondern auch seine aus-
gelegten Spesen verlieren würde. Seine einzige Hoff-
nung war noch aus den alten Semmola gerichtet. Dieser
mußte dabei das Geschäft gemacht haben, und er wollte
ihn zwingen, den Gewinn mit ihm zu theilen. Sonst
würde man ihm die Hölle schon heiß machen.
Sein Sohn trat ein.
„Nun?" fragte ihn Castaldi.
Don Luigi stellte mißmuthig seinen Spazierstock in
die Ecke und hängte den Hut darauf.
„Der alte Semmola ist ein Gauner," brummte er
ärgerlich.
„Das weiß ich schon lange. Aber was sagt er denn
zu unserer Forderung."
„Nichts sagt er. Fort ist er. Fort über alle Berge.
Mag der Henker wissen, wie er Alles hat so rasch ab-
wickeln können, aber das liegt aus der Hand, daß er
der Schlaueste von Allen gewesen ist. Er hat genommen,
was er hat bekommen können und ist seiner Wege ge-
gangen."
„Aber sein Laden?"
„Bah, sein Laden! Der ganze Kram, der darin steht,
ist keine hundert Lire werth, und dann sagte mir sein
Faktotum, daß er noch an zweihundert Lire rückständiges
Gehalt zu fordern habe. Er will nun das Geschäft aus
eigene Rechnung weiter treiben, um sich schadlos zu
halten."
Castaldi stieß einen Fluch aus.
„Also fort! Der Halunke ist uns durch's Garn ge-
gangen!"
„Ich traf übrigens, als ich dort herumspionirte, den
Mann wieder, den ich schon einmal bei Dir gesehen
habe, und den Du Carlueeio nanntest. Besinnst Du Dich?"
„Ja. Was sagte er?"
„Ich habe nicht mit ihm gesprochen. Ich weiß ja
nicht, wer der Mann ist."
Castaldi war im höchsten Grade ärgerlich. Er war
nicht der Mann, der sein Geld verlieren wollte. Er
war ebenso gewitzigt, wie geizig, und gerade daß er jetzt
in beiden Eigenschaften so empfindlich verletzt war, das
machte ihn wüthend. Er hätte jetzt den alten Semmola
erdrosselt, wenn er ihn vor sich gehabt hätte.
Sein Schreiber trat ein.
„Don Gianino Ceruzzi wünscht Sie zu sprechen,
Herr Castaldi."
„Don Gianino? Was will er? Führe ihn her,"
antwortete der Advokat, und gleich daraus erschien Don
Gianino, elegant, peinlich vornehm pom Kopf bis zu den
Füßen, wie immer.
„Lieber Freund," begann er mit einer etwas auf-
dringlichen Liebenswürdigkeit, „ich bin außerordentlich
erfreut, Sie gesund und munter anzutrefsen. Es geht
Ihnen gut? Natürlich, was frage ich lange!"
„Was wollen Sie, DonGianino?" erwiederte Castaldi
etwas mißtrauisch. Er glaubte immer doppelt auf seiner

Heft 6.
Hut sein zu müssen, wenn Jemand liebenswürdig mit
ihm war, denn gewöhnlich geschah das nicht aus gutem
Herzen, sondern weil man irgend etwas von ihm er-
reichen wollte.
„Ach, mein Gott, eine Kleinigkeit, mein theuerster
Freund," fuhr Don Gianino fort und besah aufmerksam
seine Glacehandschuhe, „ich habe Pech gehabt, Sie wissen
ja, wie das so geht. Ich muß nothwendig fünftausend
Lire haben, da man mir sonst die Möbel abpfändet."
Castaldi lachte spöttisch.
„Aber, lieber Freund," fuhr Don Gianino wieder
fort, jetzt etwas dringlicher und unruhiger, „ich habe be-
stimmt auf Sie gerechnet. Sie werden mich doch einer
solchen Kleinigkeit halber nicht im Stich lassen. Ich
muß das Geld unbedingt haben."
„Don Gianino, alle Welt muß heutzutage Geld haben.
Was glauben Sie, was aus mir würde, wenn ich allen
Jenen Geld borgen wollte, die unbedingt welches haben
müssen? Was geht denn mich Ihr Spielverlust an?"
„Einem alten Freunde einmal vorübergehend aus der
Verlegenheit zu helfen —"
„Habe ich Sie geheißen, sich in Verlegenheit zu
bringen? Ich kann nicht Jedermann aus der Verlegenheit
Helsen, denn sonst würde ich bald selbst darin sitzen.
Außerdem — Don Gianino, nehmen Sie es mir nicht
übel, ist ja die Sache doch zu dumm! Ich Ihnen Geld
borgen! Das glauben Sie wohl selbst nicht."
„Aber —"
„Lassen Sie doch das. Es hat keinen Zweck. Fünf-
tausend Lire! Sie bieten nicht für den hundertsten Theil
davon Sicherheit. Also kein Wort davon! Ich habeJhnen
doch seiner Zeit, als Sie das Geld von Herzog Attilio
geschluckt haben, gesagt: wo das lag, da liegt noch mehr!
Warum hörten Sie nicht darauf?"
Don Gianino zog die Stirne kraus. „Sie ver-
weigern nur also wirklich alle und jede Hilfe, Herr
Castaldi?"
Castaldi sah ihn einen Augenblick forschend an. Er
begriff, daß sein theurer Freund Don Gianino hart in
der Klemme saß und in dieser Lage vielleicht für seine
Zwecke zu brauchen war. Er wußte auch, daß Don
Gianino nichts zu verlieren und Alles zu gewinnen hatte,
daß er Alles wagte, um sein luxuriöses, nichtsthuerisches
Schlenderleben sortführen zu können. Dann fiel der Blick
Castaldi's aus seinen Sohn.
„Luigi," sagte er, „ich habe mit Don Gianino etwas
zu sprechen. Laß uns allein."
Don Luigi nahm sofort Hut und Stock und ging
davon.
Da es noch immer ziemlich heiß war, so schlenderte er
am Meere hin, um die kühle Luft, die von dort kam, zu
genießen. Ain Molo angelangt, sah er vor sich eine
leicht bewegliche, graziöse Gestalt hergehen, die ihn in
ihrer Zierlichkeit und geschmeidigen Weichheit an Carmela
erinnerte. Er verdoppelte seine Schritte, bis er ihr so
nahe gekommen war, daß er ihr in's Gesicht sehen
konnte.
„Carmela!" rief er verwundert, „wie kommst Du
hierher?"
Etwas überrascht, aber fest und fast finster richtete
das junge Mädchen die hübschen Augen auf Don Luigi;
die seidenweichen langen Wimpern glänzten feucht, als
ob sie gemeint hätte.
„Wie soll ich hierher kommen?" entgegnete sie, „auf
den Füßen."
Sie schien auf Don Luigi noch immer einen Groll
zu haben, weil dieser den Verdacht des Diebstahls aus
dem Schloß dei Tibaldi aus Checco gerichtet hatte.
Don Luigi bemerkte das wohl. „Du mußt mit mir
ein Glas Wein trinken und nut mir essen," sagte er
lächelnd und so liebenswürdig, als es ihm möglich war,
„Du wirst müde sein. Was nullst Du in Neapel?"
„Nichts," erwiederte sie kurz.
„Du willst es mir nicht sagen? Wie unrecht, Car-
mela! Wer könnte Dir so gut behilflich sein, wie ich?
Wer würde es so gern thun? Komm, wir wollen zu-
sammen essen."
Carmela sah ihn an, nüchtern und kaltblütig, fast
etwas schlau und berechnend. Sie sah, wie die kleinen
Luchsaugen Don Luigi's ausfunkelten. Sie kannte das
sehr wohl. Sie wußte, daß je mehr die Augen der
Männer ihr gegenüber leuchteten, ihr Verstand um fo
mehr im Dunkeln lag.
„Und wenn ich Nein sage?" entgegnete sie lauernd.
„Du sagst nicht Nein, kleine Carmela. Komm."
„Wenn'<L>ie mir helfen wollen, Don Luigi, so gehe
ich mit."
„Also vorwärts. Ich helfe Dir."
„Ich will wissen, wo Checco ist. Ich war schon
draußen in Piedigrotta bei seiner Muhme, und wollte
eben wieder fort. Sie wußte es nicht."
„Checco ist fort, kein Mensch weiß wohin, Carmela."
„Aber er muß doch wicderkommcn. Es ist ja jetzt
gar keine Gefahr mehr für ihn. Der Schmuck ist ja
wieder gefunden. Ich habe es heute Morgen gehört."
„Und Du bist daraufhin sofort hierhergelaufen, um
Checco davon zu benachrichtigen?"
„Natürlich."
 
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