Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
158

Das Buch für Alle.

TrlukwOr md PmW.
Hygienisch-naturwissenschaftliche Skr^e.
Von
L. Haschrrt.
(Nachdruck verboten.)
in französischer Physiologe sagte einst zu
einem General: „Mit einen: Tropfen Wasser
und einem Mikroben vermag ich weit
schlimmere Verwüstungen aus der Erde an-
zurichten, als ihr mit all' euren Soldaten
und Kanonen!"
Und der Gelehrte hatte Recht. Das
e nützlichste und zugleich auch die gefähr-
lichste Flüssigkeit, die wir zu uns nehmen. Daher wird
schlechtes Wasser, besonders solches aus Flüssen und
Teichen, als die Hauptursache verschiedener der ärgsten
Infektionskrankheiten angesehen, und die im Herbst 1892
in Hamburg herrschende Choleraepidemie, wo schlecht-
filtrirtes Elbwasser die Verbreitung beförderte, und die
im Januar 1893 in Nietleben bei Halle vorgekom-
menen Cholerafälle, deren Ursache das Snalewasser war,
liefern einen schlagenden Beweis dafür. Schlechtes
Wasser ist jedoch nicht blos ein Beförderungsurittel von
Epidemien, sondern es führt auch die hauptsächlichsten
Parasiten in den Darmkanal des Menschen ein.
Wer wüßte heute nicht, welche schweren Störungen
diese Wesen im menschlichen Körper anzurichten ver-
mögen! Leider ist die Lebensweise dieser Thiere, und
namentlich ihre Beziehung zu unserem Trinkwasser, in
weiten Kreisen noch ziemlich unbekannt, weshalb es
nicht überflüssig scheint, das Wichtigste aus ihrer Natur-
geschichte hier folgen zu lassen.
Einer der verbreitetsten Parasiten des Menschen,
der bereits im grauen Alterthum bekannt war und eine
Länge von 15 bis 20 Centimeter erreicht, ist der Spul-
wurm (^scmi'w InindriooiäsL), der sich im Dünn-
darm des Menschen ansiedelt und daselbst seine Eier
ablegt. Diese Eier sind von einer sehr widerstands-
fähigen Hülle umgeben, so daß sie ihre Lebensfähigkeit
lange Monate hindurch bewahren. Nach fünf bis acht
Monaten erst beginnt sich der Keim zu entwickeln, was
jedoch nur geschehen kann, wenn sich das Ei im Wasser
befindet. Bei der langen Zeit aber, deren der Embryo
zu seiner Entwickelung bedarf, mag es nur selten vor-
kommen, daß derselbe den zum Ausschlüpfen nöthigen
Bedingungen nicht begegnete. Vom Winde in Wasser-
lachen und Bäche getrieben, fällt der Embryo in einen
völlig indifferenten Zustand, in dem er bis zu fünf
Jahren hindurch verharren kann, bevor er stirbt. Wenn
er aber während dieser Zeit eines schönen Tages mit
dein Trinkwasser in den Darmkanal des Menschen ge-
langt, so entwickelt er sich rasch und kommt bald in
den erwachsenen Zustand.
Obgleich der Spulwurm nicht eben gefährlich ist,
vermag er doch recht lästige Zufälle herbeizuführen.
Im Darin selbst macht er allerhand Beschwerden, die
auf Verdauungsstörungen beruhen; steigt er durch den
Gallengang hinauf, so ruft er die Erscheinung einer
Gelbsucht oder einer Leberentzündung hervor; dringt
er aber durch die Darmwand hindurch bis zum Bauch-
fell, fo erzeugt er nervöse Erscheinungen, die mit dem
Veitstanz, der Epilepsie und dergleichen große Aehn-
lichkeit haben.
Der gemeime Spulwurm ist besonders in den tro-
pischen Gegenden sehr verbreitet, doch finden wir ihn
auch in ganz Europa und hier namentlich auf dem
Lande. Zu Anfang dieses Jahrhunderts beobachtete
man ihn auch noch häufig in den großen Städten;
seitdem dieselben jedoch besseres Trinkwasser besitzen,
das durch besondere Leitungen bisweilen aus weiter
Ferne zugeführt wird, ist er hier selten geworden.
Um so häufiger gewahrt inan eine Varietät desselben,
die zwar den Menschen in Ruhe läßt, desto mehr aber
den Hund belästigt. Man hört manchmal, wenn die
Unschädlichkeit des im Freien fließenden Wassers zum
Trinken angezweifelt wird, ausrufen: „Schadet es denn
meinem Hunde, wenn er davon trinkt?" Und dennoch
sehen wir diesen häufig krank werden, da er auf diese
Weise sehr ost Parasiten in sich aufnimmt, die seine
Gesundheit nach und nach zerstören und ihn wohl gar
umbringen.
Der gemeine Peitsch en wurm (Mioüoooplralns
clisxai-) ist ein anderer kleiner Parasit, der nur einige
Centimeter lang wird und sich im vorderen Theile des
menschlichen Dickdarmes ansiedelt. Dort legt er auch
seine zahlreichen Eier ab, die sich ebenfalls nur im
Wasser zum Embryo entwickeln können. Und mit dein
Wasser gelangt letzterer in den Darmkanal des Menschen,
wo er sich zum vollständigen Wurm ausbildet, ohne
gerade besonders lästig zu werden, indem seine Anwesen-
heit oft gar nicht einmal bemerkt wird.
Ein anderer kleiner Wurm aus derselben Familie,
der in den letzten Jahren viel von sich reden gemacht

hat, ist derZwölfsingerdarmwurm (^.noli/1o8tonru:n
änoäonUo), der eine durchschnittliche Länge von nur
15 Millimeter erreicht und erst im Jahre 1838 in Mai-
land entdeckt wurde. Anfangs als ein durchaus un-
schuldiges Geschöpf betrachtet, erkannte ihn Ur. Griesinger
bereits im Jahre 1851 als die Ursache der egyptischen
Blutarmuth, von der fast die Hälfte der armen Be-
völkerung jenes Landes befallen ist.
Dieser kleine Wurm ist beinahe über unsere ganze
Erde verbreitet; denn man findet ihn nicht blos in
Afrika und Europa, sondern auch in Brasilien und Ko-
lumbien, auf den Antillen, in Japan und Indien bei
geschwächten und an Blutmangel leidenden Personen.
Bei der Durchbohrung des Gotthardtunnels stellte sich
auf einmal unter den Arbeitern eine entsetzliche Krank-
heit ein, so daß die Hospitäler der Schweiz und Ober-
italiens in kurzer Zeit von Kranken überfüllt waren.
Der Tod riß furchtbare Lücken in die Reihen dieser
Unglücklichen, und die mit dem Leben davonkamen,
waren monatelang noch schwach und entkräftet.
Die Ursache dieser schrecklichen Krankheit blieb lange
Zeit völlig unbekannt, bis im Jahre 1879 Ur. Graziadei
in den Eingeweiden eines verstorbenen Arbeiters des
Gotthardtunnels eine Unmasse jener Würmer entdeckte.
Die Krankheit schien demnach durch diese winzigen
Würmer hcrvorgerufen zu sein. Um sich davon zu
überzeugen, begab sich Professor Perroncito von Turin,
der in den Krankheitserscheinungen der Tunnelarbeiter des
St. Gotthard und in der Blutarmuth der Bergarbeiter
von Anzin eine große Aehnlichkeit fand, nach Frank-
reich, besuchte die Minen von St. Etienne und gewann
hier bald die Ueberzeugung, daß jener Parasit auch bei
den blutarmen Bergleuten vorhanden war. Später
hat man ihn noch bei blutarme:: Arbeitern in Ziegel-
brennereien, auf Reiskulturen und dergleichen angetrossen.
Das Anchylostomum ist einer der gefährlichsten Pa-
rasiten des Menschen. Sein Mund ist mit vier kräftigen
Zähnchen bewehrt, mittelst deren er sich an der Darm-
schleimhaut festhält. Nach und nach durchbohrt er die
Schleimhaut, durchwühlt dann die dünne Wand der
Haargefäße und bewirkt dadurch eine Blutung, die ohne
alle Bedeutung wäre, wenn es sich nur um einen ein-
zigen Wurm handelte. So aber gibt es deren Hunderte,
bisweilen selbst Tausende, die ihr Zerstörungswerk un-
ermüdlich fortsetzen, und der Menfch, dem von diesen
Parasiten Monate hindurch unaufhörlich zur Ader ge-
lassen wird, verliert natürlich alle seine Kräfte. Er
wird von diesen winzigen Blutsaugern förmlich aufgezehrt
und füllt einer Blutarmuth anheim, die sein Leben in
Gefahr bringt. Der Parasit wird zwar unschwer durch
die bekannten Wurmmittel beseitigt; aber der Kranke
erholt sich nur langsam von seiner Erschöpfung.
Auch hier ist es das Wasser, durch welches dieser
unheimliche Gast in das Innere des Menschen gelangt.
Dies geht daraus sicher hervor, daß in denjenigen
Minen, worin das Wasser infolge seiner mineralischen
Beschaffenheit sauer ist und den Wurm tödtet, kein
solcher Kranker gefunden wird, während in anderen
Minen, in denen die Wasser süß sind, die Krankheit
vorhanden ist.
Zu den Parasiten, die dein Menschen durch das
Trinkwasser zugeführt werden, gehört noch ein anderer
Wurm, ein Fad en wurm (INlai-ia), der erst vor dreißig
Jahren entdeckt, und dessen eigenthümliche Lebens-
geschichte in der jüngsten Zeit von dem chinesischen Arzt
Manson in Amoy sorgfältig studirt worden ist. Bei
den Personen, die von -diesem Parasiten heimgesucht
werden, enthält das ganze Blutsystem erwachsene Wür-
mer, und in Rio de Janeiro fand inan sogar welche
im menschlichen Herzen.
Diese Würmer erreichen eine ansehnliche Größe,
und können 8 bis 10 Cemtimeter lang werden. Die
Weibchen legen äußerst kleine Eier ab, welche das Blut
in seiner Bewegung mit fortreißt und schnell über den
ganzen Organismus verbreitet. Bisweilen braucht inan
nur die Haut eines Kranken zu durchstechen, um eine
Menge kleiner Würmchen hervorkommen zu sehen, die
in der blutigen Flüssigkeit sich hin und her bewegen.
Aus dem Bliite gelangen die Keime bisweilen durch
die Nieren in die Blase und nicht selten sogar auch in
die Thrünensäckchen. Braucht man sich da zu wundern,
wenn ein Patient einmal Würmer weint?
Alan glaubte anfangs, daß dieser Wurm mit den
verschiedenen Ausscheidungen des menschlichen Körpers
bis zum Wasser gelange, wo er die zu seiner Entwicke-
lung nöthige Wanderung vollende. Die Beobachtung
bietet uns jedoch noch weit Merkwürdigeres. Manson
hat nachgewiesen, daß der Embryo dieses Wurmes direkt
aus dem Blut ausgenommen wird von einem Thier,
bei dem er seine Larvenperiode zubringt, und dieses
Thier ist der Moskito. Niemand wollte dieser Be-
hauptung Glauben schenken; doch der unermüdliche
chinesische Forscher sammelte so viele Beweise, daß alle
Zweifel beseitigt wurden.
Die Länder, in denen der Blutwurm seine Herrschaft
aufgeschlagen hat, werden auch von jenen Stechmücken
heimgesucht, welche die Haut des Menschen durchstechen
und sich voll Blut saugen, mit dieser Flüssigkeit aber !


Heft 6.
zugleich die Wurmkeime in sich aufnehmen. Das mit
Blut getränkte Moskitoweibchen, dessen Magen wohl
weit über hundert Embryonen des Wurmes enthält, zieht
sich dann nach einem abgelegenen Ort zurück, um da
in Ruhe zu verdauen; doch schon nach Verlauf von
einigen Tagen begibt es sich in die Nähe eines Wassers
und übergibt demselben seine Brut. Darauf fällt es
selbst hinein und stirbt. Die Embryonen des schreck-
lichen Wurmes haben sich indeß im Leibe der Stech-
mücke weiter entwickelt, mehrere Häutungen vollzogen
und bereits den Larvenzustand erreicht. In dem Au-
genblick aber, wo der Moskito ertrinkt, gehen die Larven
aus dem Leichnam heraus und schwimmen, von allen
Banden befreit, frei im Wasser herum. Dieses freie
Leben vermögen sie lange zu führen, bis sie eines Tages
mit dem Trinkwasser in die Speiseröhre des Menschen
oder eines Thieres gelangen und sodann in den Ein-
geweiden desselben die letzte Umwandlung durchmachen
und in den erwachsenen Zustand übergehen.
Sie sammeln sich im Körper des Menschen an ge-
wissen Punkten der engen Lymphgefäße, veranlassen
eine Gefäßzerreißung und eine Ergießung der Lymphe.
Dadurch entstehen Beulen und Geschwüre am Körper,
die ungenrein lästig sind. In der Akademie de Mödecine
in Paris zeigte man neulich einen jungen Mulatten
von Guadeloupe, der seit Jahren schon an dieser Wurm-
krankheit litt. Stach man ihm nur wenig durch die
Haut des Fingers, so kamen augenblicklich mit dem
Blute auch eine Menge Embryonen des abscheulichen
Wurmes zum Vorschein. Außerdem ist der Körper
des Unglücklichen nie frei von Geschwüren.
Die Elephantiasis der Araber hat denselben Ur-
sprung. Die von den Embryonen des Wurmes heim-
gesuchten Lymphgefäße erweitern sich über alle Maßen,
die äußere Haut verhärtet sich krankhaft und gewinnt
dadurch einen abstoßenden, unförmlichen Anblick. Ain
meisten aber fallen die Beine auf, die überaus dick
und plump werden und mit denen des Elephanten
große Aehnlichkeit besitzen. Leider hat man bis jetzt
kein Mittel entdeckt, diesen Parasiten zu vernichten.
In Serbien, am Senegal, in Arabien und Persien,
in Indien und Turkestan werden die Bewohner von
einem Wurm befallen, der über 1 Meter lang wird.
Er siedelt sich im Zellgewebe unter der Haut an und
erzeugt hier Geschwüre, aus denen er langsam hervor-
gezogen und mit größter Vorsicht um ein Stäbchen
aufgerollt wird, damit er nicht zerreißt und dadurch
eine schmerzhafte Entzündung hervorruft. Dieser ab-
scheuliche Parasit, der schon im Alterthum bekannt war,
ist der sogenannte Medinawurm (lMnrin nwckinoiww),
der in neuerer Zeit durch Neger der westafrikanischen
Küste sogar nach Brasilien verschleppt wurde.
Obgleich dieser Wurm in: Allgemeinen nicht gerade
häufig beobachtet wird, gedenken seiner doch viele Reisende
als einer schrecklichen Plage. Er hält sich besonders in
den Füßen und Unterschenkeln aus und verursacht da-
selbst die empfindlichsten Schmerzen. Daher leiden die
barfüßigen Neger durch ihn viel häufiger, als die gut-
bestiefelten Europäer. Ein englischer Seemann, der
nur wenige Stunden barfuß an der Seeküste von Cape
Coast Castle (Oberguinea) gegangen war, brachte doch
bei seiner Rückkehr nach England den Medinawurm
mit. Er bekam eine offene Wunde an der Ferse, aus
der man einen weißen 2'st Fuß langen Faden von der
Dicke einer Violinsaite herauszog. Bald darauf öffnete
sich auch am Vorderarm eine Wunde, aus der ein
32 Zoll langer Wurm vorsichtig entfernt wurde. Auch
ein am Senegal dienender Soldat zeigte sich vier Monate
nach seiner Rückkehr nach Frankreich mit einem solchen
Parasiten am Fuß und mit einem zweiten in der Wade
behaftet. Bei Negern hat man denselben ausnahms-
weise sogar im Augapfel und unter der Zunge beobachtet.
Der Körper dieses Schmarotzers ist in: Innern mit
einer ungeheueren Menge sehr kleiner Eier ungefüllt,
und wenn er zerreißt, werden dieselben durch das Wasser
weiter befördert, bis sie in einen Fluß oder ein still-
stehendes Wasser gelangen. Nach dein Ausschlüpfen
aus den Eiern schwimmen die winzigen Embryonen im
Wasser herum, und sobald sie einem kleinen Krebs
(OMoyH begegnen, heften sie sich an dessen Beine,
steigen an denselben nach dem Hinterleib empor und
dringen an einer weichen Stelle zwischen den Hinter-
leibsringen in die Bauchhöhle ein. In dieser neuen
Wohnung erreichen sie allmälig die vollständige Ver-
wandlung bis zu ihrem Larvenzustand.
In den warmen Ländern, wo das Wasser selten
ist, sind die Eingeborenen oft genöthigt, stagnirendes
Wasser zu trinken, worin sich die Cyelopen oft schaaren-
weise Herumtreiben. Da jedoch diese Krebsthierchen
ungemein klein sind und deshalb leicht übersehen werden,
gelangen sie zugleich mit der Flüssigkeit in den Magen,
m dessen Verdauungssaste sie zu Grunde gehen. Da-
gegen werden die Larven des Parasiten von der Säure
ganz unbehelligt gelassen und entwickeln sich ruhig weiter;
nur weiß man heute noch nicht, an welchem Punkte des
Organismus sie in den erwachsenen Zustand gelangen,
obgleich ihre Entwickelung mehr als ein Jahr in An-
spruch nimmt. Erst gegen fünfzehn Monate nach dem
 
Annotationen