Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
354

nichts weiter hoffen und begehren. Aber glauben
Sie, daß ich mein Leben darum geben möchte, Sie
nie diesem Manne in die Arme gedrängt zu haben.
Ich glaubte Ihrem zornigen Vorwurf gestern erliegen
zu müssen. Ihre Ruhe ist mir das Theuerste in der
Welt, sie zu schonen mein einziges Ziel. Das Ge-
ständniß, welches ich Ihnen ablegen wollte, darf nicht
das meiner Liebe sein, sondern das meiner freiwilligen
Entsagung. Auf Ihren theueren Namen keinen Schatten
zu werfen, unsere Ehre frei lind rein zu erhalten, er-
greife ich dieses letzte Mittel, mich zu verloben und
alsbald versetzen zu lassen. Margarethe, vergeben Sie
mir den unglückseligen, verbrecherischen Rath in Rons-
berg. Fliehen Sie Frau v. Rönne! Denken Sie an
mich als an einen Unwürdigen, der das Kleinod, die
Seligkeit seines Lebens, wie ein Narr fahren ließ und
Sie der llnbesriedigung überlieferte. Wenn wir uns
heute Abend sehen — zum letzten Male in vertraulicher
Nähe — haben Sie Mitleid mit mir. Margarethe -
o Margarethe! Ihr unsäglich trauriger
Hails v. Kaiserling."
Der Präsident faltete das Schreiben zusammen.
Ein harter, grausamer Zug um seine Mundwinkel
trat hervor, während er spöttisch vor sich hinmurmelte:
„Pah! Sie mag den Brief erhalten. Frauen ver-
brennen keine Liebesbriefe. Da bin ich sicher für die
Folge!"
Dann sprang er auf. Die Selbstsucht hatte das
erste Wort, ganz natürlich und seinem Charakter an-
gemessen. Daß seine Frau es wagte, ihn in diese un-
absehbare Kette voll Skandal, Widerwärtigkeiten, knallen-
den Effekten zu versetzen! Ob eine schonend durchgesetzte
Scheidung seiner Karriere schaden konnte? Ah bah!
Im Gegentheil, wenn er das unzuverlässige Weib im
Hause behielt, konnte er schlechter fahren.
Diese kühlen Erwägungen, von einem leidenschafts-
losen Haß geleitet, schrieben dem beleidigten Gatten
sein weiteres Verhalten vor. Beweise von Margarethens
Hand, ihren Schuldbeweis mußte er besitzen. Dann
ließ sich die Angelegenheit mit Nachdruck und Anstand
verfolgen.
Als Jungfer Lanny eintrat, hatte der Präsident
das Couvert wieder geschlossen. Er gab ihr den Brief.
„Sollte eine Antwort erfolgen — ich will sie
sehen." . . .
Und jetzt empfing Margarethe Hails v. Kaiserling's
Vries. Er versetzte sie in eine unbeschreibliche Erregung.
Wenn sie Hans sprechen könnte — nur ungestört wenige
Minuten! Am Abend war dazu keine Hoffnung. Aber
auf dem Ausgange, den sie ja doch machen wollte — das
ging! Das vermuthete Niemand.
Mit zitternder Hand ergriff sie die Feder und
schrieb :
„Erwarten Sie mich um fünf Uhr heute Nachmittag
an der Ecke der Eisenacherstraße. Ich muß Sie sprechen.
Mein ferneres Leben hängt davon ab. Ihre Verlobung
wäre mein Todesurtheil. Womit habe ich das verdient?
Bin ich nicht schon elend genug an der Seite eines
Mannes, den ich hasse? Mein Bankier ist er, nichts
weiter. Mit seinem Gold deckt er die Wunden zu,
die er mir täglich in seiner brutalen Weise schlägt.
Was haben wir damals gethnn! Ich erwarte Sie be-
stimmt.
Margarethe."
Als der Präsident gegen Mittag zurückkehrte, erhielt
er das kleine Couvert von der Jungfer Lonny prompt
zugestellt. Er öffnete es. Bei dem Worte „Bankier"
grub sich der harte Zug um seine Mundwinkel doppelt
scharf ein. Er äußerte kein Wort, öffnete das Geheim-
fach seines Schreibtisches, warf den Brief hinein lind
verschloß ihn sorgfältig.
Alsdann kehrte seine gewohnheitsgemäße gleichgiltige
Miene zurück. Er kleidete sich um. Die Angelegenheit
ivar für ihn in der Hauptsache bereits erledigt.
Zn Tische speiste er im Klub. So behielt die junge,
von lhrer Leidenschaft völlig hingerissene und bethörte
Frau Muße genug, sich in die schmerzliche Wonne der
bevorstehenden Unterredung zu versenken. Lonny's Kün-
digung beachtete sie kaum.
Kurz vor fünf Uhr kleidete sie sich in ein dunkles
Hausgewand, verhüllte ihr Antlitz mit Hut lind Schleier,
warf einen runden Mantel über und ging unter einem
leeren Vorwand gegenüber der spähenden Jungfer aus
dem Hause.
Der Schnee flog in leichten Wirbeln durch die Luft.
Ein stechender Wind blies ihn von Nordost herüber.
Auf den Straßen war reger Menschenverkehr. Fuhr-
werke aller Art rasselten über den Fahrdamm. Mit
klopfendem Herzen eilte die junge Frau zu der bezeichneten
Straßenecke. Sie war leer. Ein Dienftmann lehnte an
der Mauer und steckte seine Pfeife mühsam in Brand.
Sonst ivar Altes Leben und Bewegung, Niemand
wartete müßig.
Wenn er nicht käme! Die Uhr schlug vernehmlich
ein Viertel auf Sechs. Um sieben Uhr mußte sie
zurück sein. Ob er vielleicht schon dagewesen und fort-
gegangen war? Oder ob er als Lilli Frohberg's zu- j
künftiger Bräutigam — !

Das Buch für All e.

M 15.

„Besorgen Sie mir eine Droschke," sagte sie zu
dem Dienstmann. Eine erstickende Angst überkam sie
in der Dunkelheit und im Straßengewirr.
Flüchtig trat ihr das Bewußtsein ihres schuldlosen
Daseins im elterlichen Hause vor die Seele. Wenn
ihr Vater sie hier sähe aus dem Wege zur Kartenlegerin —
nach einem mißlungenen Stelldichein!
Ein klapperiges Gefährt kam heran. Sie nannte
Straße und Hausnummer, hörte noch das verständniß-
volle Räuspern des Dienstmanns, als er den Schlag
zuwarf, und fuhr davon.
Der Weg schien kein Ende zu nehmen. Abwechselnd
schwankten Gasflaminen und Glühlichter an den be-
thauten Fensterscheiben vorüber. Mit schrillem Pfiff
umtoste der Wind die schlecht schließende Thür. Es
klirrte und rasselte, als sollte der abgenutzte Kasten aus
den Fugen gehen.
Endlich war sie am Ziel. Margarethe drückte
zitternd vor Hast das Thürschloß nieder und stieg aus.
„Warten Sie hier auf mich!" rief sie dem Kutscher zu.
Dann verschwand sie in dem erleuchteten Hausflur.
Die Wahrsagerin war bereit, in Margarethens
Zukunft zu schauen. Nur mußte Letztere im Vorzimmer
warten. Es war just eine andere vornehme Kundin
anwesend.
Margarethe zählte die Minuten. Warum war
Hans v. Kaiserling nicht gekommen? Nun, sie würde es
ja jetzt erfahren.
' Nebenan schlug eine Thür gedämpft zu. In dem-
selben Moment rollte neben ihr der Vorhang aus-
einander.
Eine Dienerin stand auf der Schwelle und lud
sie ein, ihr zu folgen. Dabei flog ihr Blick kurz
und geübt über die Gestalt der Fremden. Dann sagte
sie, auf eine kleine Kassette deutend: „Zehn Mark sind
zu entrichten!"
Die junge Frau warf das Goldstück hin.
Schweigend durchschritt ihre Führerin das vordere
Zimmer bis an's entgegengesetzte Ende, wo eine dicht
verhangene Thür von ihr geöffnet ward.
„Bitte! Hier!"
Der Vorhang schlug hinter Margarethe zusammen.
Leise erschauernd sand sie sich in einem halb dunklen
Gemach, welches seine Beleuchtung von einer mit Spiritus
gefüllten Lampe erhielt, die ein geisterhaftes bläuliches
Zwielicht erzeugte. Allmälig unterschied sie in dem
kleinen Raum die Gestalt einer Frau mit phantastischem
schwarzen Kopfputz hinter einem dunkel verhangenen
Tisch. Diese winkte ihr, nüherzutreten.
Alsbald ergriff die Prophetin ein kupfernes Gefäß,
welches zur Hälfte mit einer Hellen Füssigkeit gefüllt
war, warf eine steinartige Masse hinein, welche die
Flüssigkeit sogleich in einen eigenthümlichen brausenden
Zustand versetzte, betrachtete die aufsteigenden Perlen
und Blasen genau und sagte dann langsam und feierlich.
„Sie werden das erreichen, was Sie wollen. Und
mehr! Viel mehr!"
Die junge Frau zuckte freudig zusammen. „Bald?"
fragte sie leise.
Das Wasser brauste wieder kochend auf. Die Luft
im Zimmer schien davon durchduftet und verdichtet zu
werden. Oder war es das fieberhaft pochende Herz,
welches die Sprache so seltsam erschwerte?
„Bald!" sagte die Wahrsagerin, ein schwarzes Tuch
über den kupfernen Kessel werfend.
Eine Weile blieb es still in dem Gemach. Das
flackernde Licht der Spiritusflamme schien verlöschen zu
wollen.
„Ziehen Sie das Tuch weg!" gebot die Prophetin.
„Ohne Handschuh!"
Die junge Frau zog hastig den Handschuh von ihrer
Rechten und griff nach der Decke. Es schien ihr, als
fliege diese wie von fremder Kraft fortgerissen bei Seite,
und Margarethe sah in eine dunkle, regungslose Flüssig-
keit, die einen betäubenden Geruch aushauchte.
„Was sehen Sie auf der Oberfläche?" fragte die
Wahrsagerin.
„Ich erkenne nichts," flüsterte die junge Frau athem-
los vor Spannung.
„Sehen Sie fest darauf! Was jetzt?"
„Einen Schlüsselbund!" flüsterte Margarethe sich
abwendend. Der narkotische Duft benahm ihr fast den
Athem.
„Davor müssen Sie sich hüten!" sagte die Wahr-
sagerin langsam.
„Weshalb? Warum?" fragte Margarethe, während
das Bild auf dem dunklen Grunde zerfloß.
Diese Frage blieb unbeantwortet. Die Prophetin
hatte die Hand der jungen Frau erfaßt und studirte
in deren Linien.
„Sagen Sie mir - werde ich geliebt?" stieß
Margarethe leidenschaftlich hervor. „Oder trägt er eine
Andere im Herzen?"
Die Alte schüttelte das Haupt. „Keine Sorge —
er kommt wieder! Bald! Er liebt Sie und keine
Andere!"
Margarethe athmete hoch auf.
Die Thür ward von außen geöffnet. Das junge

Mädchen schlug den Vorhang zurück. Die Zusammen-
kunft war beendet. Ein blendender Lichtstrahl aus
dem erleuchteten Vorzimmer drang in das verfinsterte
Kabinett
Rasch eilte Margarethe von dannen — befriedigt,
hochbeglückt. Sie bestieg die harrende Droschke, über
welche sich inzwischen eine weiße glitzernde Schneedecke
gelegt hatte, und drückte sich fröstelnd in die harten
Polster.
Als der Wagen hielt, warf sie dein Kutscher schnell
ein Goldstück zu. Der Portier öffnete die Hausthür.
Leichtfüßig eilte sie die Stufen hinauf. Droben klingelte
sie vorsichtig. Der Diener sah ihrer verhüllten Gestalt
sch lau lächelnd nach.
In ihrem Schlasgemach angelangt, warf die junge
Frau hastig Hut und Mantel bei Seite, sich selbst auf
den Divan. Sie wollte das Abenteuer vergessen. Aber
der häßliche, süßliche Duft aus dem Kupferbehälter
hatte sich in ihren Haaren festgesetzt, sie konnte ihn nicht
los werden.
Zu derselben Zeit stand Frau Malwine vor ihrem
Gatten, der im kurzen Hausrock bei seiner Schnitz-
arbeit saß und nervös die Feile handhabte.
„Du wirst mit mir gehen, Arthur! Was sollen
denn die Leute denken, wenn der Vater —"
„Die Leute dort wissen viel vom Vater!" unterbrach
er sie auflachend. „Bilde Dir auch nicht ein, daß sie
nach der Mutter fragen!"
„O doch!" sagte Frau v. Rempler mit Selbst-
bewußtsein. „Und das Kind! Was würde die Grethe
sagen?"
Er lachte wieder. Dann ergriff er den Bohrer und
stach das Holz durch und durch.
„Kannst Du darüber klagen, daß sie Beide an irgend
einer Artigkeit es haben fehlen lassen, als wir dort zu Tisch
waren? Das sage Ünal!" rief Frau Malwine, die Hand
festhaltend. „Nächstens wird dieser Bohrer mich nervös
gemacht haben. Ich fühle feine Spitze schon in meiner
Haut."
Er warf ihn hin.
„Kosten haben wir nicht davon. Zurück gehen wir
und die Droschke zur Hinfahrt ersparen wir am Abend-
essen," fuhr Frau v. Rempler fort.
„Du weißt, daß ich keinen Frack habe. Soll ich
zum Verleiher gehen?"
„Aber Uniform hast Du. Sie kleidet Dich auch
viel besser," überredete ihn seine Gattin, ihm die ge-
furchte Stirn streichelnd.
„Und meine Abneigung," rief der Major, das ge-
jammte Handwerkszeug auf den Tisch werfend, „mich
dort fetiren zu lassen? Dort, wo mich ein Gefühl an-
wandelt, als laure irgend ein Unglück auf uns? Dieser
Langermann! O, Malwine, gestern begegnete ich Otto
Merling wieder! Er fühlt sich ganz wohl hier als
Staatsanwalt. Mit Langermann kommt er nie zu-
sammen. Ist das ein prächtiger Mensch! Ich mag
gar nicht darüber reden."
Frau v. Rempler schwankte zwischen Neugier und
Unruhe. „Nun ja! Nun ja doch!"
„Eine so nette Frau!" sagte der Major warm.
„Und —"
„Er ist verheirathet?" rief seine Gattin beinahe
entrüstet. „Warst Du etwa in seiner Wohnung?"
„Er nahm mich mit. Durchaus mußte ich mit-
kommen, und - Gott verzeih' mir's! — er hat jetzt
besser gewählt als damals. Er sah's mir wohl an,
was für Gedanken in mir aufstiegen, schüttelte von
Zeit zu Zeit meine Hand und küßte seine Frau. Wollte
mir zeigen, daß er keinen Groll habe und glücklich sei.
Natürlich, natürlich! Das untre so mein Fall ge-
wesen!"
„Jedes Ding hat zwei L-eiten," warf Frau v. Rempler
ein. Ihr kam auch etwas in Erinnerung und machte
sie besorgt. Das Bild der Kleopatra, wovon ihr Gatte
keine Ahnung hatte. Aber das Verlangen siegte doch,
an seiner Seite diesen glänzenden Gesellschaftskreis zu
betreten.
„Du wirst es mir zu Gefallen thun," sagte sie rasch,
„und Merling Merling sein lassen. Komm, ich lege
Deinen Waffenrock heraus und putze schnell die Knöpfe."
Wann hätte Herr v. Rempler nicht nachgegeben?
„Laß nur! Ich besorge das selbst!" sagte er seufzend.
Und er zog die Knöpfe peinlich sorgfältig auf die Knopf-
gabel und rieb sie mit einem alten Handschuh spiegel-
blank.

Dreizehntes Dter p ite k.
Ellinor v. Glembach hatte ihren Kleinen zur Ruhe
gebracht, bevor auch sie daran ging, für das Abendfest
bei Langermanns Toilette zctt machen.
Seit Wochen zum ersten Male wollte sie sür längere
Zeit das Haus verlassen. Alex bekam Zahn auf Zahn,
ivar fieberig und unruhig. Kaum daß er tagsüber von
ihrem Arm heruntergekommen war.
Seine Nähe that ihr so wohl. Wenn sie das lockige
Kinderhaupt an ihre Brust drückte, erstarb darin die
 
Annotationen