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378

Das V u ch f ü r All e.

M 1ö.

bis Kaiserling sie zum Altar führen konnte? War sie
dem: wahnsinnig gewesen?
Sie fühlte selbst, daß ihre elende Ehe alle noch in
ihr vorhandenen guten Keime erstickt hatte. Sie fühlte
es mit verzweifelter Bitterkeit. Aber sie zum Leben er-
wecken, das konnte sie nicht mehr.
So ward ihr die Vorstellung des darbenden Da-
seins im Elternhause Angesichts der sie umgebenden
Pracht zu einer Art Hölle. Das Unglück vertiefte ihre
Liebe nicht, veredelte die Schuld nicht, gab ihr keinerlei
sittlichen Halt in diesen Stunden der äußersten Be-
drängnis;. Sie dachte nur daran, die Gefahr abzu-
wenden, ihrem Gatten die Waffe zu entwinden.
Eine Geschichte kam ihr in Erinnerung. Wenn sie
in eine Scheidung willigte, so war ihr Gatte, falls er
die genügenden Schuldbeweise nicht besaß, verpflichtet,
für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Dies anzustreben,
ivar der einzige Gedanke, dessen ihr gemartertes Hirn
fähig war. Im Laus des Tages ward er zu einer Art
fixer Idee.
Sie wollte ihre Mutter aufsuchen und um Nath
angehen. Die Zeit drängte. Gegen Abend ließ sie eine
Droschke holen und fuhr nach der Hamburger Straße.
Das Mädchen öffnete ihr die Thür.
„Die Herrschaften sind soeben ausgegangen. Die
gnädige Frau hat sich den Tag über sehr leidend be-
funden und sollte nun frische Luft schöpfen."
Ein neuer Donnerschlag. Wenn hier bereits be-
kannt war —
Die junge Frau wars sich in einen der verschossenen
grünen Sessel. Ihr Kopf schmerzte zum Zerspringen.
Ein beruhigendes Pulver, das ihre Mutter brauchte,
wenn sie an Kopfschmerzen litt, sollte ihr Linderung
schaffen.
So sprang sie auf und eilte in's Schlafzimmer ihrer
Eltern. Dort stand auf dem Nachttischchen eine Flasche
und eine Schachtel.
Sie rührte hastig ein Pulver ein und verschluckte es.
Dabei stieß sie an ein Fläschchen mit braunem In-
halt, Der Major nahm davon einige Tropfen, wenn
seine Nervosität in Schlaflosigkeit ausartete. Es war
Opium. _
Einem Blitzstrahl gleich slog der unglücklichen jungen
Frau eine Vorstellung durch's Gehirn, so leichtfertig
und unüberlegt, wie ihr ganzes Thun und Denken
bisher.
Sie nahm ein leeres Fläschchen von der Kommode
ihrer Mutter, füllte es zur Hälfte mit der Opiumflüssig-
keit, indem sie sich kaum Zeit nahm, den Pfropfen wie-
der fest in die Flasche zu drücken, steckte das Fläschchen
zu sich, und eilte aus der Schlafstube und fort aus dein
Hause.
„Ich ringe um meine Epistenz," murmelte sie fort
und fort vor sich hin. „Um meine und Hans v. Kaiser-
ling's Existenz."
Daheim entwich sie vor dem forschenden Blick des
Dieners in ihr Zimmer.
„Die Briefe muß ich haben, es ist mein Recht,"
flüsterte sie.
Der Präsident war im Klub. Ohne sich über das
Raffinement ihrer Handlungsiveife Rechenschaft zu geben,
schlich Margarethe, von ihrem verderblichen Instinkte
geleitet, kurz vor zehn Uhr in das Schlafgemach ihres
Gatten. Auf dem Tisch neben dem Bett brannte die
Lampe wie immer. Sie beleuchtete ein kleines Tablett,
auf dein sich eine Flasche schweren dunklen Biers be-
fand, der gewohnte Schlaftrunk des Präsidenten, den
er nach dem Weingenuß nicht entbehren zu können
glaubte.
In dieses dunkle, an sich gewürzhast schmeckende
Vier wollte Margarethe Opium gießen, um einen festen
Schlaf ihres Gatten herbeizuführen, während dessen
sie dann unbemerkt die verhängnißvollen Briefe aus
dein Portefeuille entfernen konnte.
Mit dem Fläschchen in der Hand stand die junge
Frau sekundenlang regungslos lieben dem Nachttisch.
Im Innern kämpfte sie mit dem letzten Rest ab-
mahnender Scheu.
Wenu sie die Briefe erhielt und verbrannte, gab es
keinen Schuldbeweis. Nur nicht in die väterliche Ge-
walt zurück! Nur das nicht!
Es schüttelte sie förmlich bei dieser Vorstellung.
Nasch hob sie den Stöpsel von der Bierflasche.
^Wieviel Tropfen nahm denn ihr Vater in Zucker-
wasser? Ach, das war ja gleich! Ein paar mehr oder
weniger. War die Zahl nicht zwanzig gewesen? Aber
wirken mußte es! Und wenn zwanzig nicht wirkten,
dann thaten es eben dreißig.
Mit bebender Hand goß Margarethe eine unab-
gezühlte Quantität Opiumtropfen in das dunkle Bier.
Ihr >var, als hörte sie Jemand kommen.
Sie schrak zusammen.
Schnell schüttelte sie den Inhalt der Flasche krampf-
haft durcheinander, dann eilte sie fort — so hastig, daß
sich die Schleppe ihres Morgenkleides an einem vor-
stehenden Teppichnagel verfing.
Sie riß die kostbare Spitze mit zorniger Angst los
und huschte davon.

In ihrem Schlafzimmer setzte sie sich in einen Sessel
und lauschte. Sie kounte an nichts mehr denken, als
an die Briefe. Abwechselnd gaukelten dazwischen die
Gesichter Hans Kaiserlings und ihres Vaters wie Geister-
erscheinungen. Es ivar ein halb wahnsinniger Zustand,
in welchem die junge Frau sich vor Aufregung befand.
Die Uhr auf dem Kamin lickte fort. Mit Hellein
Klang schlug sie die elfte Stunde an.
Im Salon konnte man Schritte auf der Treppe
am besten hören. Sie eilte dorthin, warf sich auf einen
der granatfarbenen Divans und wartete.
Zwölf Uhr!
Die Augen, brennend von Schlaf und unterdrückten
Thrünen, sanken ihr zu.
Da sah sie sich wieder im dunklen Zimmer der
Wahrsagerin. Es war so schaurig darin. In dem
brausenden Wasser des kupfernen Kessels erblickte sie —
Horch! Sie fuhr auf. Fast hatte sie die Heimkehr
ihres Gatten verschlafen.
Die junge Frau schlich leise durch den Salon und
blickte durch das Schlüsselloch des Arbeitszimmers. Es
war finster. Der Präsident befand sich also schon in
seinem Schlafgemach.
Zehn Minuten später schloß sich vorsichtig eine Thür
nach dem Korridor. Friedrich hatte seinen Herrn ent-
kleidet und entfernte sich.
So, jetzt noch eine Geduldprobe, die letzte!
Ihr leicht bekleideter Körper zitterte vor Kälte in
den nach dein gestrigen Fest lange gelüfteten Räumen.
Wenn sie zu früh eintrat, eine Sekunde nur zu
früh, ivar Alles verloren!
Sie lehnte sich blaß und übernächtig gegen den
Thürpfosten. Allein das Herz in ihr schlug dem ver-
hängnißvollen Moment wie mit Hammerschlägen ent-
gegen.
Ein Uhr!
Als ob Erzbecken zusammengestoßen würden, dröhnte
dieser eine Schlag vom nahen Kirchthurm durch die
Winternacht.
Sie fuhr entsetzt auf. Wenn ihr Gatte davon ge-
weckt ward! Ihr selbst ging der Schlag durch alle
Glieder.
Ein vorsichtiger Griff. Lautlos bewegte sich die Thür
in den Angeln.
Sie raffte ihr Kleid auf, als sie über den dicken
Smyrnateppich des Arbeitszimmers nach der Schlafstube
schritt. Mit athemloser Spannung legte sie ihr Ohr
an die Thür. Ihr ganzes Bewußtsein drängte sich in
die Gehörnerven zusammen.
Alles still!
Unhörbar drückte ihre Hand den Ebenholzgrisf nie-
der. Sie trat ein. Finsternis; herrschte, bis aus das
kaum wahrnehmbare Flimmern einer Nachtkerze hinter
dem grünen Schirm.
Wie eine Diebin schlich Major Rempler's Tochter
vorwärts.
Vom Bett her ertönte ein leises, schnarchendes Ge-
räusch, als ob Jemand, von bösen Träumen bedrückt,
schwer nthme.
Gottlob! Da lag die Brieftasche.
Margarethe ergriff sie behutsam. Als das Oesfnen
ein leises Geräusch verursachte, schrak sie zusammen, daß
ihr der Schweis; auf die Stirn trat.
Mit zitternden Händen ruitersuchte sie den Inhalt.
Visitenkarten — Banknoten! Endlich -— gefunden!
Ein eigenartiges Gemisch von Entzücken und Scha-
denfreude entstellte die schönen Züge der jungen Frau,
als sie die kostbaren Papiere hastig an sich nahm.
Vorsichtig legte sie das Portefeuille auf den Tisch
zurück, und wie ein Schemen schwebte ihre weiße Ge-
stalt davon.
Hinter ihr tönte das röchelnde Geräusch fort.
Die Thür schloß sich.
Sie eilte in ihr Schlafzimmer zurück und warf
triumphirend die Briefe auf die noch glimmenden Reste
des Kaminseuers. Sie wölbten und blähten sich in der
züngelnden Flamme. Dann barsten sic auseinander.
Ein graues Häuflein Asche war der Rest.
Margarethe starrte mit glänzenden Augen darauf
nieder. Gerettet!
Sie kleidete sich hastig aus. Ihr Körper sehnte sich
nach Ruhe und Schlaf..— -—
Mitten im tiefsten Traum hörte sie Bewegung um
sich her. Schritte, Flüstern. Noch halb im Taumel
glaubte sie Lonny, die sich ihr gestern nicht mehr ge-
zeigt hatte, vor ihrem Lager stehen zu sehen. Endlich
ermunterte sie sich völlig.
Es ivar Heller Tag draußen. Die Sonne schien mit
blendenden Streiflichtern durch die gelblichen Vorhänge
über den bunten Teppichgrund. Sie schien auch über
Lonny's spitze Züge, als dieselbe eine Art Fußfall in
Scene setzte.
„Was wollen Sie hier?" herrschte die junge Frau
sie verächtlich an.
„Ich konnte doch nichts Anderes thun, als gehor-
chen," sagte das schlaue Geschöpf' ein paar Thränen
heuchelnd. „Der Herr Präsident — Gott hab' ihn jetzt
selig!"

„Was — ist?" Ihre dunklen Augen erloschen in
dem Angstschrei, der sich dem schuldigen Herzen entrang.
„Der Herr Präsident lag heute früh todt im Bett,
als Friedrich ihn wecken wollte," flüsterte die Jungfer
erschauernd. „Es ist schrecklich! O, so schrecklich! Ein
Herzschlag," sagt der Arzt.
Margarethe hörte nichts mehr. Ihre Sinne wir-
belten ineinander. Sie sank auf einen Sessel und
stöhnte laut.
Wie hieß das Wort, das ihr wie ein Messer mitten
durch's Gehirn schnitt?
Mörderin! Ja, das war sie geworden.
„Rust meine Mutter!" brachte sie mühsam hervor,
ehe sie das Bewußtsein verlor.

Frau v. Rempler hatte nach einer erquickenden Nacht-
ruhe ihre körperliche und geistige 'Niederlage, welche sie
infolge der Enthüllungen ihres Gatten erlitten, so weit
ausgeglichen, das; sie am Kasseetisch ihre Eigenart völlig
wiederfand, sich nämlich vermittelnd, beschönigend zwi-
schen Vater und Tochter zu stellen.
„Tu sollst mir nicht weißmachen, Arthur," sagte
sie, ihr freundliches, blühendes Gesicht verweisend aus
den Major richtend, dessen faltige Züge in dieser Nacht
noch gealtert schienen, „daß unser Kind keinen Ent-
schuldigungsgrund haben wird. O, dieser Langermann
wird sie zur Verzweiflung getrieben haben! Du solltest
wirklich eine Unbedachtsamkeit nicht so schwer nehmen!"
„Laß das —" Er wollte sagen „Geschwätz". Aber
er kränkte seine Frau nie durch beleidigende Ausdrücke.
„Ich fordere mein schuldiges Kind zurück. Sie soll
nicht völlig sittlich zu Grunde gehen."
„Du forderst?" rief Frau v. Rempler entsetzt. „Du
wärst nicht froh, diese schreckliche Sache still beigelegt
zu sehen?"
„Und dann, dann spreche ich mit dem Herrn Hans
v. Kaiserling!" sagte der Major, seinen Backenbart in-
grimmig streichend.
„Das ist Sache des Präsidenten!" ries Frau v. Remp-
ler angstvoll und unwillig. „Weißt Du, was das von
Deiner Seite für einen Beigeschmack hätte, Mann? Als
ob Du die erste Gelegenheit ergriffest, Dich an Deinen;
früheren Regimentskommandeur zu rächen, weil er Dich
nicht zum Stabsoffizier eingab."
Das ivar eine ganz vortreffliche spekulative Wen-
dung der Frau v. Rempler. Ihr Gatte stutzte wirklich.
Aber sein biederer Sinn, sein gutes Bewußtsein
siegte. „Das mögen die glauben, die Hintertreppen zu
steigen gelernt haben, Malwine," sagte er. „Möchtest
Du nach dein, was Langermann mir vorgestern Abend
sagte, Deine Tochter länger in seinen; Hause, ii; seinen
Händen wissen? Ich allein kam; sie vielleicht noch retten.
Darum soll sie zu uns. Für Grethe wird meine Pension
mit hinreichen. Hier ist sie sicher vor allen Nachstel-
lungen. Aber nur hier. L>ie scheint das richtige Gefühl
auch gehabt zu haben, als sie uns gestern Abend auf-
suchte."
Er stand auf und ging nach seiner Gewohnheit durch
alle Zimmer hin und wieder.
So kau; er auch an seinem Nachttisch vorüber, wo
das Mädchen nut Staubwischei; beschäftigt ivar. Er
hatte ihr gleich zu Anfang eine längere und eindring-
liche Rede gehalten, das Fläschchen mit den Opium-
tropfen nie anzurühren. Jetzt bemerkte er plötzlich, daß
dessen; Inhalt sich merklich vermindert hatte.
Das Mädchen versicherte, es nicht umgeschüttet zu
haben, was Frau Malwine achselzuckend bezweifelte.
„So schließe das fatale Ding doch fort!" rief sie
ärgerlich.
Der Major nahm die Flasche an sich.
Draußen klingelte es heftig.
„Grethe!" rief Frau v. Rempler mit tiefer Bewegung.
Statt dessen erschien; Jungfer Lonny in; Zimmer,
verstört, mit Schweißtropfen in; Gesicht.
„Gnädige Frau möchten doch sogleich zur Frau
Präsident kommen! Der Herr Präsident ist — wir
fanden ihr; heute Morgen todt in; Bett."
Nun geschah etwas Merkwürdiges.
Der Major ging rückwärts mit ausgestreckten Hän-
den;, als wehre'er etwas Unsichtbares von sich ab, in
das nächste Zimmer, dessen; Thür er hinter sich verschloß.
Inzwischen hatte Margarethe, als das erste Grauen
abgeschüttelt ivar, der freudigen; Gewißheit Raun; ge-
geben, das; Hans v. Kaiserling's Leben nun keine Gefahr
mehr drohe. Hieran schlossen sich ganz natürlich andere
beruhigende Vorstellungen, nämlich, das; ihr Ruf und
ihre Stellung gerettet seien und daneben auch ein Theil
des Vermögens.
Wunderbar, wie schnell und unaufhaltsam dieses
junge Weib die Bahn des Verderbens, des moralischen
UnwertheS hinabglitt nach dem ersten leisen Anstoß.
Als ob ein Wirbelwind sie hinuntcrjagte.
Obwohl ein eisiges Furchtgefühl sie noch immer von
der Leiche fernhielt, vermochte, sie sich doch schon zum
Trost zu sagen, das; dem Erfolg keine Absicht unter
gelegen habe, daß derselbe ein Zufall gewesen sei. Wie
Jemand sich ja auch an schlechten Pilzei; vergiften kann,
 
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