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Das Buch für Alle.

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iilachen?" fragte der Major. „Wenn ich noch einen Tropfen
Wein trinke —"
„Ach," rief fie ärgerlich, „Dn mußt doch aber auch
Alles ausspioniren! — ja doch — ums ist denn dabei?
Ich stricke für ein Geschäft!"
„Du! Um Geld? Für mich!" sagte er leise, und
es zuckte und wetterte zu ihrem Schrecken heftig in
seinen Zügen.
„Nein doch! Um meine viele freie Zeit hinzubringen.
Sei doch nicht komisch, Mann! Ob ich nun dummes
Zeug sticke oder hier mein hübsches Rockmuster stricke,
das "ist doch einerlei! Es erfährt Niemand. Ich hole
die Arbeit selbst und bringe sie auch selbst zurück. So,
nun ist's heraus!"
Er war aufgesprungen. Das Bild ihrer heiteren,
sorglosen Jugend stand lebendig vor ihm. Das Alles
hatte sie ihm geopfert, gern geopfert. Und that es heute
noch, alle Tage.
„Du!" sagte er, ihr die Arbeit aus den Händen
nehmend und auf den Tisch werfend, wobei seine hagere
Gestalt in ihrer leichten Bekleidung absonderlich genug
aussah. „Was mache ich mit Dir, Weib? Mit Dir
bravem Weib? He?"
Sie lachte. „Gar nichts! Vernünftig sollst Du
fein! Wenn Du mir einen Gefallen thun nullst," fügte
sie ernst hinzu, „da weißt Du schon, was für einen!
Im Uebrigen fei unbesorgt. Wir ersparen viel, feit
die Minna am 1. Juli abgegangen ist, und nur unr-
eine Aufwärterin halten. Sie war so verklatscht, diese
Person — gottlob, das; sie fort ist!"
Er antwortete nicht. So lange hatte er seine Tochter-
nicht gesehen. Niemand ahnte, wie diese unseligen Ver-
hältnisse ihm am Herzen fraßen.
„Du bist doch nicht etwa böse, Alter?" fragte Frau
v. Rempler, durch sein Schweigen beunruhigt. „Ich
vergebe uns wirklich nichts. Wenn ich das nur entfernt
dächte -—"
„Wir haben uns nur einmal etwas vergeben," sagte
er mit seiner bedeckten Stimme, „damals, als wir unser
Kind einem Manne gaben, der —"
Es klingelte draußen, hastig, mehrere Male hinter-
einander. Frau v. Rempler fuhr zusammen. Sie ging
nach der Thür, während die Aufwartefrau bereits öffnete.
Beinahe wäre sie von Lonny umgerannt worden,
die wie eine Rasende in's Zimmer stürzte, gerade auf
den Major zu.
„Herr Major, geheu Sie schnell zu meiner gnädigen
Frau! Aber gleich! Sie hat dringend nach Ihnen ver-
langt!"
„Meine Tochter?" ries Frau v. Rempler, und das
Strickzeug rollte ihr aus deu Händen. „Was ist mit
ihr geschehen?"
Der Major hielt die Hand der Zofe wie in einen:
Schraubstock fest. „Haben Sie ein Patent darauf ge-
nommen, hier stets wie eine Unsinnige zu erscheinen?"
fragt er strenge.
„Wenn solch' ein Unglück geschieht —" rief Lonny,
heftig bemüht, ihre Hand zu befreien.
„Unglück?" Frau v. Rempler entfärbte sich vollends.
„Großer Gott, fie ist todt!"
„Todt? Sie läßt mich rufen!" Herr v. Rempler
stieß die Zofe zurück, ohne Rücksicht darauf, daß sie
den Bilderrahmen und ein halbes Dutzend Instrumente
zu Boden riß. „Wo ist meine Tochter, Sie gewissenloses,
zungenfalsches Geschöpf?"
„Im Gefängnis;!"
Frau v. Rempler stieß einen Seufzer aus und stürzte
bewußtlos zusammen.
Lonny beabsichtigte, die Ohnmächtige aufzuheben,
als der Major sie mit tiefster Verachtung aus dein
Zimmer wies. Die Geschichte mit den Briefen, die
seltsamerweise in den Besitz des Präsidenten gelangt
waren, siel ihm in ihrer richtigen Bedeutung ein. Sein
praktischer, wie man ihm so oft vorgehalten, mißtrauischer
Scharfblick las in den verschmitzten Zügen der Jungfer-
augenblicklich, was die Bewunderung seiner Gattin und
Margarethens Denktrügheit nie darin gelesen hatten.
„Fort und hinaus!" ries er entrüstet. „Mein Haus
soll mir von diesen Geschöpfen wenigstens frei bleiben!"
Dann hob er seine Gattin von: Teppich auf. Sie
war mit der Stirn gegen einen Tischfuß geschlagen und
blutete ziemlich heftig. Er legte eine Kompresse auf
die Stelle, aber seine Hände zitterten so sehr, daß er
Minuten zu der einfachen Arbeit brauchte. Seine Ge-
danke:: bewegten sich rastlos, aber verworren hinter der
mit kalten Schweißperlen bedeckten Stirn.
Frau v. Rempler lag lange Zeit regungslos da, auch
als das Bewußtsein bis zu einen: gewissen Grade zurück-
gekehrt war. Die eigenthümliche Lähmung der Glied-
maßen, die nach dem ungeheueren Schreck anhielt, legte
sich wie eine Art künstlicher Halbschlaf auch über ihren
sonst so munteren Geist.
Inzwischen durchraste Herr v. Rempler, von einer-
peinigenden Angst getrieben, die wenigen Räume. Zu-
weilen blieb er stehen und schlug sich mit der geballten
Faust gegen die Stirn, wenn die Selbstanklage ihn
übermannte, seine Einwilligung damals zu all' den ver-
kehrten Maßregeln gegeben zu haben. Sein Leben hätte

er freudig hingegeben, hätte er noch einmal jene Spanne
Zeit zurückfordern können.
Dann wieder streifte sein trübes Auge scheu und ver-
stört die ruhende Gestalt seines Weibes, und mit aller
Genullt mußte er den sich wild aufbäumenden Groll
gegen die kleberredungskünste Jener in das blutende
Vater-Herz zurückdrüngen. Seine Schwäche trug allein
die Schuld! Er hätte den Vater, den Hausherrn zeigen,
seinen: Willen, seiner besseren Einsicht Geltung ver-
schaffen müssen!
Es packte ihn gewaltsam und zog ihn nach der Thür.
Er dachte nicht an die Schande und Brandmarkung
seines Namens, er dachte an sein verlorenes Kind.
Aber eine innere Furcht, eiu Entsetzen vor diesen:
Wiedersehen schnürte ihn: die Kehle zu — dem: sie war
schuldig. Vor ihn: schon lange. Jetzt war sie es auch
vor der Welt. Sie, seine Hoffnung einst und sein
Stolz!
Er lehnte sich gegen den Thürpfosten und konnte
es nicht hindern, daß aus der Tiefe seines Herzens
lautes Weinen hervorbrach. Ueber seine hageren Wangen
rollten die Thränen in den dünnen, grauen Bart und
blieben daran tropfend hängen.
Der Abend sank herab. Eiu Souuenstreifen drang
durch die Fensterscheiben und übermalte mit seinen: ver-
gänglichen Purpurgold die Wände. Nun war der letzte
Schimmer draußen verglommen.
Da war auch die fressende Verzweiflung aus Herrn
v. Rempler's Brust gewichen. Eine tiefe, weiche Rührung,
der Bodensatz aller feiner Gefühle, kam über ihn. Er
zündete das Licht an und setzte sich seiner Gattin gegen-
über. Dann begann er in einen: Kästchen zu kramen.
Da lag auch ein abgegriffenes Buch darin mit zerrissenem
Einband.
Das schlug er auf. In langer Reihe standen ver-
schollene Namen griechischer Kaiser, die er Margarethe
damals zuletzt überhört hatte vor der Fahrt nach Rims-
berg.
Er beugte sein vergrämtes Antlitz tief über die
Seiten.
Frau v. Rempler schlug die Augen auf. Ihr Mutter-
herz mit seiuem unfehlbaren Instinkt erklärte ihr die
Situation mit einen: Schlage. Sie sprang empor.
Ein Schrei — und sie lag in den Armen ihres Gatten.
An: anderen Morgen rüstete sich der Major zu den:
Gange nachdem Untersuchungsgefängnis;. Die Begleitung
seiner Gattin wies er streng zurück.
„Sie hat nach mir verlangt, nicht nach Dir. Sie
wird wissen warum. Ich weiß es."
So ging er allein.
Margarethens gesunde Jugendkraft hatte auch in
dieser Nacht des Schlafes nicht völlig entbehrt. Aber
mit den: kommenden Morgen erwachte auch die Angst
vor dem Ungewissen in erneuter Stärke.
Sie hatte an: frühen Vormittag bereits ein erstes
Verhör zu bestehen und war entschlossen, zu leugnen.
Diese Lüge kam sie weit weniger schwer an, als die
Ableugnung der Briefe Hans gegenüber. Sie hatte ja
keinen Begriff davon gehabt, daß inan mit Opium
einen Menschen tödten könne. Es war also nicht ihr
Wille, sondern ein unglücklicher Zufall gewesen.
Doch zitterte sie an: ganzen Körper, als inan sie in
die Zelle zurücksührte.
Der Schließer öffnete die Thür. Sie blickte auf
das rasselnde Schlüsselbund in seiner Hand, und die
Schauer ihres Aberglaubens wirbelten durch ihr Gehirn.
Der Kupferkessel der Wahrsagerin hatte richtig prophezeit.
Also blieb es auch wahr, daß Hans sie über Alles
liebte.
Wie von Gespenstern gejagt trat sie hastig übcr
die Schwelle.
Mitten in dein Raun: stand ihr Vater.
Sie hatte ihn so lange nicht gesehen und schrak
zurück vor der Veränderung seiner Züge. Dann rief
sie, die Hande ringend: „Vater, hilf mir!" Und noch
einmal leidenschaftlicher: „Hilf mir!"
Er näherte sich ihr nicht. „Dir kann nur noch Einer-
helsen. Den rufe an, Margarethe!"
„Ich habe es nicht gethan!" schrie sie, ihr Gewissen
betäubend. „Wer will es nur beweisen?"
„Ich!" sagte der Major mit bitterer Strenge. „Nun
wirst Du wissen, weshalb ich Dich aus meinen Augen
verbannte!"
Das Antlitz des jungen Weibes bedeckte sich mit
brennender Röthe. Sie wankte zurück, aber sie sagte
nichts.
„Du bist die Mörderin Deines Gatten!" fuhr Herr
v. Rempler nut überwältigendem Schmerz in' seiner
halbversagenden Stimme fort. „Den: Manne, den:
Du Treue und Liebe vor dem Altar geschworen hast,
reichtest Du kaltblütig den Todestrank."
„Ich war so elend an seiner Seite," murmelte sie,
ohne die Augen aufzuschlagen.
„Schuldlos nicht!" sagte der Major, seine Hände
gegen das Herz drückend, welches ihn: weh that. „Deiner
Mutter Beispiel hätte Dich ermuthigen sollen. Aber
Dein Sinn stand nicht auf Pflichterfüllung. Die Lieb-

M I lk.
losigkeit Deines Gatten konnte Dich nicht herabsetzen,
das hast Du selbst gethan, indem Du sie nachahmtest."
„Ich bin so jung," fiel sie leise ein. „Ich habe ein
Recht auf Glück, auf Liebe!"
„Unglück reist edle Menschen," sagte der Major,
einen kummervollen Blick aus sein beklagenswerthes
Kind heftend. „Du hast es als Vorwand benutzt,
Deinen Gelüsten nachzuhängen. So jung Du bist,
so kurze Zeit erst aus dem Elternhause, hattest Du
doch schon vergessen, was unsere Liebe Dir einzuprügen
suchte: Pflichttreue und Dankbarkeit. Um des äußeren
Flitters willen schätztest Du die gering, welche Dein Fehl-
tritt um die Freude des Alters bringt. Oder war es
das Gewissen, das Dich von uns trieb?"
Sie warf sich auf einen Stuhl, stützte die Stirn in
die Hände und weinte. Eine andere Sprache hatte sie
zu hören erwartet.
Der Major trat zu ihr und legte seine Hand auf
ihre Schulter.
„Hast Du die Wahrheit bekannt? Jetzt vor Deinen:
Richter bekannt?"
Sie schwieg.
Der Major räusperte sich in nervöser Unruhe. „Hast
Du geleugnet?"
Sie schwieg abermals.
„Es gibt noch eine Würde in: Unrecht," sagte er nach
lastender Pause langsam, „einen Akt der Selbstachtung,
der den Verbrecher über seine Schuld erhebt: ein offenes
Geständnis;! Es ist die Loslösung von der begangenen
Schuld, der Aufschwung in eine reinere Luft, der An-
fang eines neu zu beginnenden Lebens."
Er hielt inne und wartete. Aber sie weinte fort,
ohne sich zu rühren.
„Margarethe," sagte er und seine heiße Hand legte
sich zuckend um ihr Handgelenk, „der Dieb leugnet und
erwartet den Beweis, die abgefaßteVerbrecherin leugnet —
willst Du auf eine Stufe mit ihnen sinken? Willst
Du es erwarten, daß Dir Deine Lüge öffentlich in's
Gesicht geschleudert wird? Was glaubst Du in den
Augen Deiner Richter zu erreichen, wenn Du zu der
Schuld noch die feige Unwahrheit fügst? Neiße Dich
los von allen unwürdigen Umstrickungen. Steh' fest
und aufrecht vor Deinem Gewifsen wie vor der Welt,
sprich die Wahrheit!"
Ihr Arm zitterte unter seiner Berührung. Sie
weinte heftiger.
Der Major trat zurück. „Weshalb hast Du mich
rufen lassen?"
„Um mich zu retten!" rief sie aufspringend.
„An Dir ist nichts zu retten!" sagte er finster.
„So schicke mir Hans v. Kaiserling!" rief sie in
wilder Verzweiflung.
Der Major zuckte vor Univillen zusammen. „Deinen
Galan? Ich — Dir? Auch er wird seiner Strafe nicht
entgehen. Dann sieh zu, ob seine Liebe Stand hält! —
Elende Lügnerin!" rief er von einen: unwiderstehlichen
Ausbruch seiner überreizten Natur hingerissen. „In
unserer Schlafstube schüttetest Du die Hälfte meiner
Opiumtropfen in das blaue Glasflaeon Deiner Mutter -
mit Vorbedacht und Uebcrlegung! Und Du wagst es,
mir in's Gesicht zu leugnen? Die Rettung, die es für Dich
gibt, suche iu Dir. Wenn es Dir aber ein Trost sein
kann, so sage ich Dir, das; ich den Tag und die Stunde
verfluche, wo ich schwach genug war, Dich in die Hände
des Präsidenten zu liefern."
Er wandte sich zum Gehen.
Da kam es über sie wie ein Taumel. Nicht einen:
sittlichen Bedürfniß folgend, nur den: erstickenden Angst-
gefühl, stürzte sie zu ihn: und ergriff seine Hände.
„Ich bin unschuldig! Ich wollte ihn nicht tödten!
Ich wollte nur meine und Kaiserling's Briefe aus seiner
Schreibtasche haben. Weil ich sie sonst nicht bekommen
konnte, gab ich ihn: einige Tropfen Opium in's Bier,
so wie Du sie in: Wasser nimmst. Das ist die Wahr-
heit. Ich wollte auch das Verhältniß zu Kaiserling auf-
lösen, aber Langermann hörte nicht darauf. Er drohte
mir nut Scheidung."
„Du wolltest ihm also nur die Beweise gegen Dich
aus der Hand winden?" fragte Herr v. Rempler nut
einen: flüchtigen Aufathmen.
„Ja, nichts Anderes! Aber als er todt war, fiel
mir eine Last vom Herzen, denn ich haßte ihn!" rief
sie leidenschaftlich. „Ich hasse ihn jetzt noch und werde
ihn ewig hassen, den Erbärmlichen!"
Herr v. Rempler hatte die Augen geschlossen. Jener
Vormittag stand lebendig vor seiner Seele, wo seine
Gattin Freudenthränen über die Werbung des Präsidenten
vergossen. Jetzt erst fühlte er, was diese unglückliche
Ehe in: Herzen seines Kindes erstickt und vernichtet
hatte.
Ein tiefes, unermessenes Erbarmen ließ ihn die
Arme öffnen und Margarethe an sein Herz ziehen. Es
mischte sich die hoffnungslose Wehmuth eines letzten Ab-
schieds darein. Von dem, was gewesen war, konnte
nichts zurückkommen. Und auf das, was die Zukunft
brachte, hatte er keinen Einfluß. Es blieb allein den:
Schicksal überlassen. Diese Voraussicht erfüllte sein
gebeugtes Daterherz nut unaussprechlicher Trauer.
 
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