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Das Buch f ü r All e.
LM 24.
er kräftig milchen. Ihm ist so wohl, so freudig zu
Muthc, er keimt sich selbst uicht wieder; wie lauge auch
uoch, uud er kaun das so viele. Jahre hiudurch geübte
Haudiverk uuu endlich für immer aufgebeu; doch bis
es so weit ist, will er sich uoch nach besten Kräften
nützlich machen, man soll von ihm nicht sagen
können, daß er sich in seinen alten Tagen
noch gedrückt habe.
Kräftig reißt er an der Talje und gibt den
klebrigen ein gutes Beispiel.
Da plötzlich zerreißt der Ltropp im Want.
Mit Heftigkeit stürzt der Alte, aus geringer
Höhe nur, aber mit Wucht berührt sein kah-
ler Schädel das harte Deck. Besinnungslos
bleibt er liegen. Man schafft ihn behutsam
hinab in's Zwischendeck, wo sich das Schiffs-
lazareth befindet, und benachrichtigt eilends
den Arzt, welcher, sofort herbeigeeilt, nach sorg-
fältiger Untersuchung außer einer geringfügi-
gen Kontusion am Hinterkopse nichts Abson-
derliches konstatirt, die Ohnmacht schreibt
man dein harten Falle zu.
Doch Stunde um Stunde verrinnt, und
immer noch, ohne ein Zeichen zurückkehrender
Besinnung, liegt der Alte aus seinem Lager.
Die Nacht vergeht, und am nächsten Mor-
gen ivar der brave Alte nicht mehr; ohne die
Besinnung wieder erlangt zu haben, war er
still und ruhig hinübergegangen, hinüber in
jene Gefilde, aus denen es keine Rückkehr
mehr gibt. —
Am schönen Pfingstfeste, wenn daheim in
der nur noch leise schlummernden Natur sich's
zu regen beginnt, wenn daheim glückliche Men-
schen im sonntäglichen Staate sich mit Fest-
tagsgefühlen den Freuden des herrlichen Festes
rückhaltlos hingeben, an dem Tage in aller
Frühe ging das Schiff dicht unter Land bei
Kap Palmas zu Anker. Boote wurden klar
gemacht, schweigend und ein Jeder mit seinen
eigenen Gedanken beschäftigt, brachte die trau-
ernde Mannschaft die Leiche ihres aufrichtig be-
mitleideten Kameraden an Land.
Der zahlreichen, ganz in der Nähe ihre gefürchteten
„Furchen" ziehenden Haie nicht achtend, sprangen die
Braven bis an die Brust in's verrätherisch schimmernde
Wasser, um den einfachen Kasten vorsichtig aus dem
Boote zu heben und sorglich aus ihren Häuptern an
Land zu tragen; kein rauher Stoß sollte den unglück-
lichen Alten in seiner Ruhe stören.
Dort, unter einer mächtigen Palme hart am Rande
des Meeres, umweht von der kühlenden Seebrise, um-
tost von den L-türmen, bespült von den immer und
Adolph Friedrich Hraf v° Schack ff. (S. 586)
gleichmäßig zurückkehrenden Wellen des Atlantischen
Oeeans, umgeben von hochstämmigen uralten Wald-
riesen, die leise und geheimnißvoll rauschend ihre nicken-
den Kronen senkten, in Sicht aller hin und wieder
kreuzenden Schiffe wurde der Leichnam der fremden
afrikanischen Erde übergeben.
Ein schlichtes Kreuzchen aus abgeschnittenen Baum-
ästen, von treuen Matrosenhänden kunstlos znsammen-
gebunden, kennzeichnet die einsame Stätte, wo die morschen
Gebeine eines im Kampfe mit den Elementen ergrauten
Seebären nusruhen von ihrem langen Lebenswege.
Der letzte, säubernde Spatenstich ist ge-
than.
Noch ein leises kurzes Gebet, ein letzter
umflorter Blick aus im ehrlichen Schmerz
zuckenden Augen, ein letztes stummes „Oaiw-
cvell", dann liegt das Plätzchen wieder in
der früheren Stille und Einsamkeit da. Keine
Thräne wird es netzen, keine liebende Hand
wird das üppig wuchernde Unkraut entfer-
nen, niemals wieder werden sich hier Hände
zum Gebete ineinanderfalten.
Friede, Ruhe seiner Asche!-
Unter seinem geringen und beinahe werth-
losen Nachlasse, sorgfältig in einen erst kürzlich
geschriebenen Brief an sein Enkelkind gewickelt,
in dem der Alte das Ende aller Noth und
Entbehrung in wahrhaft rührend-naiver Weise
schilderte, sand sich das Loos, das laut amt-
licher Gewinnliste mit 50,000 Dollars gezogen
war.
In der „Alhambra", einem Vergnügungs-
lokale an der Marina, dem O.uai von Smyrna,
sitzt, grübelnd vor sich hinstarrend, ein gut ge-
kleideter junger Seemann, dessen ehrliches und
von Gesundheit strotzendes Gesicht ein Alter
von kaum dreißig Jahren vermuthen läßt.
Es ist der erste Steuermann eines erst vor
wenigen Stunden eingelaufenen deutschen Drei-
masters.
Wenige Tage vor dem Verlassen des hei-
mathlichen Hafens erst war ihm ein junges
Mädchen angetraut worden, von dem er sich,
seiner Pflicht und seinem Berufe folgend, los-
reißen mußte, um sie einsam zurückzulassen.
Während der langwierigen Reise war ihm
das Bild seiner jungen Frau oft im Traume erschienen
und, trotzdem er die Gewißheit mit sich genommen, daß
sie bei seinen Eltern gut aufgehoben war und keinen
Mangel litt, hatte doch die Sorge um ihr Ergehen
manche Stunde Schlaf von seinen Augen gebannt.
Kaum war in dem Binnenhafen von Smyrna der
„Geltet, Herr Dotter, des ischt der Brunne, wo mer die kleine Kinder drinn holt?"
4>er Kinderbrunnen. Nach einem Gemälde von Hofmaler W. Dürr sen. (S. -586)
Das Buch f ü r All e.
LM 24.
er kräftig milchen. Ihm ist so wohl, so freudig zu
Muthc, er keimt sich selbst uicht wieder; wie lauge auch
uoch, uud er kaun das so viele. Jahre hiudurch geübte
Haudiverk uuu endlich für immer aufgebeu; doch bis
es so weit ist, will er sich uoch nach besten Kräften
nützlich machen, man soll von ihm nicht sagen
können, daß er sich in seinen alten Tagen
noch gedrückt habe.
Kräftig reißt er an der Talje und gibt den
klebrigen ein gutes Beispiel.
Da plötzlich zerreißt der Ltropp im Want.
Mit Heftigkeit stürzt der Alte, aus geringer
Höhe nur, aber mit Wucht berührt sein kah-
ler Schädel das harte Deck. Besinnungslos
bleibt er liegen. Man schafft ihn behutsam
hinab in's Zwischendeck, wo sich das Schiffs-
lazareth befindet, und benachrichtigt eilends
den Arzt, welcher, sofort herbeigeeilt, nach sorg-
fältiger Untersuchung außer einer geringfügi-
gen Kontusion am Hinterkopse nichts Abson-
derliches konstatirt, die Ohnmacht schreibt
man dein harten Falle zu.
Doch Stunde um Stunde verrinnt, und
immer noch, ohne ein Zeichen zurückkehrender
Besinnung, liegt der Alte aus seinem Lager.
Die Nacht vergeht, und am nächsten Mor-
gen ivar der brave Alte nicht mehr; ohne die
Besinnung wieder erlangt zu haben, war er
still und ruhig hinübergegangen, hinüber in
jene Gefilde, aus denen es keine Rückkehr
mehr gibt. —
Am schönen Pfingstfeste, wenn daheim in
der nur noch leise schlummernden Natur sich's
zu regen beginnt, wenn daheim glückliche Men-
schen im sonntäglichen Staate sich mit Fest-
tagsgefühlen den Freuden des herrlichen Festes
rückhaltlos hingeben, an dem Tage in aller
Frühe ging das Schiff dicht unter Land bei
Kap Palmas zu Anker. Boote wurden klar
gemacht, schweigend und ein Jeder mit seinen
eigenen Gedanken beschäftigt, brachte die trau-
ernde Mannschaft die Leiche ihres aufrichtig be-
mitleideten Kameraden an Land.
Der zahlreichen, ganz in der Nähe ihre gefürchteten
„Furchen" ziehenden Haie nicht achtend, sprangen die
Braven bis an die Brust in's verrätherisch schimmernde
Wasser, um den einfachen Kasten vorsichtig aus dem
Boote zu heben und sorglich aus ihren Häuptern an
Land zu tragen; kein rauher Stoß sollte den unglück-
lichen Alten in seiner Ruhe stören.
Dort, unter einer mächtigen Palme hart am Rande
des Meeres, umweht von der kühlenden Seebrise, um-
tost von den L-türmen, bespült von den immer und
Adolph Friedrich Hraf v° Schack ff. (S. 586)
gleichmäßig zurückkehrenden Wellen des Atlantischen
Oeeans, umgeben von hochstämmigen uralten Wald-
riesen, die leise und geheimnißvoll rauschend ihre nicken-
den Kronen senkten, in Sicht aller hin und wieder
kreuzenden Schiffe wurde der Leichnam der fremden
afrikanischen Erde übergeben.
Ein schlichtes Kreuzchen aus abgeschnittenen Baum-
ästen, von treuen Matrosenhänden kunstlos znsammen-
gebunden, kennzeichnet die einsame Stätte, wo die morschen
Gebeine eines im Kampfe mit den Elementen ergrauten
Seebären nusruhen von ihrem langen Lebenswege.
Der letzte, säubernde Spatenstich ist ge-
than.
Noch ein leises kurzes Gebet, ein letzter
umflorter Blick aus im ehrlichen Schmerz
zuckenden Augen, ein letztes stummes „Oaiw-
cvell", dann liegt das Plätzchen wieder in
der früheren Stille und Einsamkeit da. Keine
Thräne wird es netzen, keine liebende Hand
wird das üppig wuchernde Unkraut entfer-
nen, niemals wieder werden sich hier Hände
zum Gebete ineinanderfalten.
Friede, Ruhe seiner Asche!-
Unter seinem geringen und beinahe werth-
losen Nachlasse, sorgfältig in einen erst kürzlich
geschriebenen Brief an sein Enkelkind gewickelt,
in dem der Alte das Ende aller Noth und
Entbehrung in wahrhaft rührend-naiver Weise
schilderte, sand sich das Loos, das laut amt-
licher Gewinnliste mit 50,000 Dollars gezogen
war.
In der „Alhambra", einem Vergnügungs-
lokale an der Marina, dem O.uai von Smyrna,
sitzt, grübelnd vor sich hinstarrend, ein gut ge-
kleideter junger Seemann, dessen ehrliches und
von Gesundheit strotzendes Gesicht ein Alter
von kaum dreißig Jahren vermuthen läßt.
Es ist der erste Steuermann eines erst vor
wenigen Stunden eingelaufenen deutschen Drei-
masters.
Wenige Tage vor dem Verlassen des hei-
mathlichen Hafens erst war ihm ein junges
Mädchen angetraut worden, von dem er sich,
seiner Pflicht und seinem Berufe folgend, los-
reißen mußte, um sie einsam zurückzulassen.
Während der langwierigen Reise war ihm
das Bild seiner jungen Frau oft im Traume erschienen
und, trotzdem er die Gewißheit mit sich genommen, daß
sie bei seinen Eltern gut aufgehoben war und keinen
Mangel litt, hatte doch die Sorge um ihr Ergehen
manche Stunde Schlaf von seinen Augen gebannt.
Kaum war in dem Binnenhafen von Smyrna der
„Geltet, Herr Dotter, des ischt der Brunne, wo mer die kleine Kinder drinn holt?"
4>er Kinderbrunnen. Nach einem Gemälde von Hofmaler W. Dürr sen. (S. -586)