Helt 27.
Das B u ch f ii r A l l e.
659
Drei Wochen vergingen. Die zierliche Emailmalerei,
mit Sorgfalt ausgesührt, war fast fertig geworden.
Einmal hatte der Marquis sich brieflich nach dem Fort-
gänge der Arbeit erkundigt und darauf befriedigende
Antwort erhalten.
Eines Abends, als es schon dunkel geworden, war
Jules uuten bei Gabriele, um mit ihr zu plaudern.
Jerome Eazin war abwesend in Geschäften. Auch dessen
Frau war nicht zu Hause, sondern bei einer kranken
Nachbarin zum Besuch. Da wurde plötzlich die Thüre
aufgestoßen, und zwei Polizeibeamte traten herein.
Gabriele erblasste vor Angst.
„Sind Sie der Maler Eazin?" fragte barsch der
eine Polizist, ein Kommissar.
„Der bin ich," antwortete Jules.
„Sie haben ein Bild gemalt, welches die Frau
Marquise von Pompadour vorstellt?"
„Jawohl."
„Ah, Sie leugnen gar nicht — das ist ja schön und
erleichtert die Sache. Im Namen des Königs und auf
Befehl des Herrn Polizeiministers v. Sartines verhafte
ich Sie!"
Und er zeigte den Haftbefehl vor.
Jules begriff den Zusammenhang sofort und faßte
einen heroischen Entschluß.
„Erlauben Sie nur, daß ich Abschied nehme von
meiner Braut," bat er.
„Thun Sie das," sagte der Kommissar. „Ich bin kein
Unmensch. Vermuthe, Sie werden sobald nicht wieder
Gelegenheit finden, Ihre Liebste zu küssen."
Der junge Mann küßte zärtlich seine
schluchzende Braut und flüsterte ihr ganz
leise zu: „Fassung, liebes Herz! Dies Miß-
verständnis;, diese Verwechslung rettet Dei-
nen Vater, der sonst in der Bastille verfaulen
müßte. Schleunigst muß er in's Ausland
flüchten. Meinetwegen brauchst Du keine
Sorgen zu hegen, denn ich kann mich ja auf
den Auftrag des Marquis v. Marignp be-
rufen. Also nur Muth!"
Unterdessen fragte flüsternd der eine Be-
amte den Kommissar: „Sollen wir auch
eine Haussuchung vornehmen?"
„Das ist unnöthig," versetzte dieser.
„Wir haben ja schon Alles, die ganze Auf-
lage und auch die Kupferplatte."
„Ich bin bereit!" sagte Jules.
In unbeschreiblicher Sorge blieb Gabriele
zurück. Ihre Mutter gerieth bei ihrer Heim-
kunft in noch größere Angst. Dann kam
Jerome Eazin, bleich und verstört, nach
Hause.
Nachdem er erfahren, was geschehen,
sprach er: „Die verwünschte Polizei ist also
doch auf die richtige Spur gekommen. Mein
Freund, der Drucker Letellier, ist von einem
seiner Leute verrathen worden, hat sich aber,
rechtzeitig gewarnt, flüchten können. Die
ganze Auflage des Buches ist konsiszirt. Auch
ich muß flüchten, nach Amsterdam, wo ich
befreundete Kunstgenossen habe und wahr-
scheinlich auch Letellier antresfen werde.
Jules ist ein braver Mensch; seinem muthigen Entschlüsse
verdanke ich meine Rettung; zum Glück kann inan ihm
nichts anhaben. Du wirst bald wieder vereint und
glücklich mit ihm sein, Gabriele!"
Es war keine Zeit zu verlieren. Eine kleine Reise-
tasche wurde schnell gepackt. Die Hälfte seines Geldes
gab Jerome Eazin seiner Frau. Nach thränenvollem
Abschied verließ er das Haus und verschwand draußen
im nächtlichen Dunkel.
Jules war nicht sogleich in die Bastille, sondern in
ein Untersuchungsgefängniß gebracht worden. Er sollte
zuerst verhört werden, und zwar vom Polizeiminister
selbst, eben weil es sich in dieser Sache um eine gegen
die Pompadour gerichtete Schmähung handelte. Sar-
tines war nämlich eine der ergebensten Kreaturen der
Marquise und durch ihre Verwendung zu seiner wich-
tigen Stellung erhoben.
Doch schien er vorläufig keine besondere Eile damit
zu haben oder durch andere Geschäfte verhindert zu
sein. Erst am dritten Tage der Haft wurde Jules vor
den Polizeigewaltigen geführt.
„Sie sind der Maler Eazin, Sie haben ein Bild,
die Marquise von Pompadour darstellend, verfertigt und
dies bei Ihrer Verhaftung auch sogleich eingcstanden,
wie sich aus dem Bericht des Kommissars ergibt," sagte
Dartines. „Wie konnten Sie es wagen, ein solches
Verbrechen zu verüben?"
„Meine Verhaftung ist mir ganz räthselhaft," versetzte
der junge Mann, „denn ich vermag absolut kein Ver-
brechen darin zu erblicken."
„Ist dies Dummheit oder Frechheit?" schrie der
Beamte. „Die Bastille wird Ihr Loos sein; aber dies
Loos kann gemildert werden durch ein offenes Be-
kenntnis;."
„Was soll ich bekennen?"
„Ich weiß wohl, daß Sie nur ein untergeordnetes
Werkzeug gewesen sind. Darum frage ich Sie: wer ist
Ihr Auftraggeber?"
„Aber, gnädiger Herr, deshalb wär's doch nicht
nöthig gewesen, mich zu verhaften! Es ist dies gar kein
Geheimnis;. Warum befragte der Herr Kommissar mich
nicht sogleich? Mit den: größten Vergnügen Hütte ich
ihm ja die gewünschte Auskunft gegeben."
„Wer ist es denn also?" fragte Sartines, einiger-
maßen verwundert.
„Mein Auftraggeber ist der Herr Marquis v. Ma-
rignp."
Der Polizeiminister schlug mit der Faust auf den
Tisch und schrie ergrimmt: „Mensch, wagen Sie es
noch, mich zu verhöhnen? Das ist ja eine unverschämte
Lüge!"
„Es ist aber doch die reinste Wahrheit, gnädiger
Herr!"
Sartines warf eines von den konfiszirten Exemplaren
der Schmähschrift auf den Tifch, schlug es auf und
zeigte das Titelbild.
„Sic besitzen die ungeheuerliche Dreistigkeit zu be-
haupten, der Bruder der Frau Marquise habe bei Ihnen
dies Schandbild bestellt?"
Jules heuchelte geschickt das größte Erstaunen.. „Dies
ist ja ein Kupferstich!" sagte er endlich.
„Jawohl."
„Damit habe ich doch nichts zu schaffen! Ich bin
kein Kupferstecher, habe in meinem Leben nicht mit
Grabstichel und Nadirnadel gearbeitet."
„Sie bekannten doch sogleich dem Kommissar, das;
Sie das Bild verfertigt hätten."
„Aber dies nicht! Es handelt sich um ein ganz
anderes Bild auf Email, welches die Frau Marquise
v. Pompadour idealisirt darstellt, umringt von den ihr
huldigenden Genien der Künste. Bitte, lassen Sie es
doch holen aus meiner Wohnung! Doch möge man
recht sorgsam damit umgehen, denn es ist für die Frau
Marquise zum Geburtstag bestimmt. Auf meinem Ar-
beitstische liegt auch ein darauf bezüglicher Brief des
Herrn v. Marignp."
„Das ist seltsam! In der Wohnung Letellier's
wurde ein Zettel, Eazin unterzeichnet, gefunden —"
„Nun geht mir ein Licht auf!" rief Jules. „Ach,
der Unglückliche! Ja, er arbeitete seit einiger Zeit so
geheimnißvoll hinter verschlossener Thür; weder ich noch
seine Frau und Tochter durften ihn dabei stören. Nicht
Haß, nur Geldbedürfniß kann ihn zur Uebernahme
einer solchen Arbeit bewogen haben."
„Wen meinen Sie?"
„Meinen Onkel Jerome Eazin, der Maler und
Kupferstecher ist und bei dem ich wohne."
„Es gibt also zwei Künstler Namens Eazin? Und
unter demselben Dache wurden zwei so verschiedene
Bildnisse der Frau Marquise v. Pompadour verfertigt?
Dann ist allerdings der Jrrthum erklärlich. Mein Herr,
ich glaube Ihnen, will mich aber doch noch persönlich
davon überzeugen. Ich fahre sogleich mit Ihnen nach
Ihrer Wohnung."
Das geschah.
Frau Eazin erklärte auf Befragen furchtsam: ihr
Mann sei in Geschäften verreist; sie wüßte nicht genau,
wann er wiederkäme.
Sartines sagte: „Der Schuldige ist also entwischt.
Er wird sich wohl hüten, wieder zu kommen. Sie, mein
Herr, sind frei! An Ihrer Unschuld ist nach diesen: kein
Zweifel. Ihre Malerei auf Email ist ganz entzückend.
Habe ich je Bedarf für dergleichen, so werde auch ich Ihr
Kunde. Ich kann auch nicht annehmen unter den ob-
waltenden Umstünden, daß Frau und Tochter des flüch-
tigen Thäters der Mitwissenschast verdächtig sind. Es
ist wohl zu vermuthen, daß Jerome Eazin sein Ge-
heimnis; mit sich genommen hat."
Mit dem schönen Emailbilde legte Jules sehr viel
Ehre ein. Der Marquis v. Marigny und dessen Schwester,
die Marquise v. Pompadour, waren außerordentlich
damit zufrieden. Es fehlte ihn: fortan niemals an
vortheilhaften Aufträgen. Vater Eazin in Angers bil-
ligte nunmehr mit Freuden den Künstlerberuf des Sohnes.
Bald vermählte Jules sich mit der schönen Gabriele,
deren Mutter sich dann nach Amsterdam begab, um
dort wieder vereint mit ihrem Manne zu leben.
Jerome Eazin fand in Hollands Hauptstadt, wo so
viele mit Kupferstichen gezierte Bücher damals erschiene::,
vollauf Beschäftigung. Erst viele Jahre später, nachdem
die Macht der Pompadour längst zu Ende war und
Ludwig XVI. den französischen Thron bestiegen hatte,
kehrte er mit seiner Frau nach Paris zurück.
Ein aufmerksamer Schüler.
(tziehe das Bild auf Seite 657.)
n dem prunkvoll ausgestatteten Zimmer eines
Schlosses sehen wir einen vornehmen Jüng-
ling damit beschäftigt, einen Staar eine Melodie
pfeifen zu lehren. Es ist der Anfang der neuen
Zeit, in den uns die Einrichtung des Zimmers
wie die Kleidung des jungen Mannes versetzt, der
wohl mit gelehrten Studien beschäftigt ist uns
von diesen sich auf die angenehmste Weise durch
die Abrichtung seines Gefährten aus dem Reiche
der gefiederten Welt erholt. Der Staar ist
zahm und ein aufmerksamer, gelehriger Schüler;
ihn: ist es wohl auf der Hand des blondlockigen
Jünglings, er hört ihn gern sprechen und lauscht
seinen: Pfeifen. Der Vogel wird sicherlich bald
das Stückchen lernen, und der Eigenthümer die
Freuds Habei:, seine Mühe von Erfolg gekrönt
zu sehen. Ihm ist dies Lehren ein Spiel, eine
Lust, und dem Schüler geht es ebenso. Eine
solche Lektion, gegeben ii: solcher Behaglichkeit
und empfangen mit einen: derartige:: Vergnügen,
ein solcher Einklang zwischen Lehrer und Schüler,
das ist selten, und diese fröhliche Ruhe, diese
freundliche, friedliche, ganz dem Werk hingegebene
Stimmung, die aus dem Gemälde spricht, macht
die Schöpfung des Malers H. Vogler, welche
wir auf S. 657 in Holzschnittwiedergabe unseren
Lesern vorführen, überaus anheimelnd und an-
ziehend.
Der Mllgsschllh von Dahlchur.
(Siehe die 2 Bilder auf S. 859 u. 660.)
"7>ie egyptischen Pyramiden, diese ältesten Zeu-
gen einer dahingeschmundenen Cioilisation,
welche in der Anzahl von etwa 80 an: Abhang der liby-
schen Wüste auf der Westseite des Niles sich erheben, haben
von jeher nicht nur den Reisenden, sondern auch den Alter-
thumsforscher in höchsten: Grade interessirt, denn in den in
ihren: Innern befindlichen, schwer auffindbaren Grabkam-
mern der egyptischen Könige waren nicht nur die Mumien
jener alten Herrscher, sondern auch meist kostbare Schätze
und Inschriften zu finden, die uns die werthvollsten kul-
turhistorischen und geschichtlichen Aufschlüsse gaben. Die
meisten dieser Grabkammern sind bereits früher von den
Arabern geplündert, eine Anzahl von europäischen Forschern
aufgedeckt worden. Den großartigsten Fund aber, der auf
diesen: Gebiete je gelungen ist, hat in jüngster Zeit der
Direktor des Museums von Gizeh, Herr de Morgan, gemacht.
Es gelang ihn: an: 7. und 8. März dieses Jahres in einer
der ältesten Pyramiden, der nördlichen Ziegelpyramide von
Dahschur, die Grabkammer zweier Prinzessinnen zu öffnen
rind er fand darin einen Königsschatz aus der 12. egypti-
schen Dynastie (3064 bis 2851 vor unserer Zeitrechnung),
der an Schönheit und Werth alle früheren derartigen Funde
weit übertrifft. Die aus Gold gearbeiteten und mit edlen
Steinen eingelegten und verzierten Schmucksachen zeigen eine hohe
Kunstvollendung; sie haben einen bloßen Materialwerth von un-
gefähr 800,000 Mark. Der Königsschatz, der alsbald in: Musen»:
von Gizeh ausgestellt wurde, erregte die höchste Bewunderung
aller Derer, die Gelegenheit hatten, ihn zu sehen. Die Haupt-
stücke, drei Brustschilder aus Gold mit äußerst feiner Email-
arbeit in sogenannten: Zellenschmelz oder Email eloisonnü und
eingelegten Figuren von Türkis, Lasurstein, blauer und grüner
Pasta, gehörten nach der Inschrift den Königen Amenemha 111.,
Usertessen II. und Usertessen III. an. Die beiden vorzüglichsten
dieser Stücke finden unsere Leser auf S- 659 u. 660 abgebildet. Die
Figuren sind durchbrochen gearbeitet und stellen Sperber mit
Königskronen, Gottheiten, Sperber mit ausgebreiteten Flügeln,
Uräusfchlangen, Skarabäen u. s. w. dar. Außer den Brust-
schildern ist noch eine Anzahl kleinerer Stücke vorhanden, als
Broschen, Skarabäen, kleine Löwen, Löwenklauen, Muscheln,
Schlüsselketten, Ringe, Schälchen - Alles aus Gold in feinster
Der Königsschah non Dahschur: Arnstschitd König Zlserkesseills
Das B u ch f ii r A l l e.
659
Drei Wochen vergingen. Die zierliche Emailmalerei,
mit Sorgfalt ausgesührt, war fast fertig geworden.
Einmal hatte der Marquis sich brieflich nach dem Fort-
gänge der Arbeit erkundigt und darauf befriedigende
Antwort erhalten.
Eines Abends, als es schon dunkel geworden, war
Jules uuten bei Gabriele, um mit ihr zu plaudern.
Jerome Eazin war abwesend in Geschäften. Auch dessen
Frau war nicht zu Hause, sondern bei einer kranken
Nachbarin zum Besuch. Da wurde plötzlich die Thüre
aufgestoßen, und zwei Polizeibeamte traten herein.
Gabriele erblasste vor Angst.
„Sind Sie der Maler Eazin?" fragte barsch der
eine Polizist, ein Kommissar.
„Der bin ich," antwortete Jules.
„Sie haben ein Bild gemalt, welches die Frau
Marquise von Pompadour vorstellt?"
„Jawohl."
„Ah, Sie leugnen gar nicht — das ist ja schön und
erleichtert die Sache. Im Namen des Königs und auf
Befehl des Herrn Polizeiministers v. Sartines verhafte
ich Sie!"
Und er zeigte den Haftbefehl vor.
Jules begriff den Zusammenhang sofort und faßte
einen heroischen Entschluß.
„Erlauben Sie nur, daß ich Abschied nehme von
meiner Braut," bat er.
„Thun Sie das," sagte der Kommissar. „Ich bin kein
Unmensch. Vermuthe, Sie werden sobald nicht wieder
Gelegenheit finden, Ihre Liebste zu küssen."
Der junge Mann küßte zärtlich seine
schluchzende Braut und flüsterte ihr ganz
leise zu: „Fassung, liebes Herz! Dies Miß-
verständnis;, diese Verwechslung rettet Dei-
nen Vater, der sonst in der Bastille verfaulen
müßte. Schleunigst muß er in's Ausland
flüchten. Meinetwegen brauchst Du keine
Sorgen zu hegen, denn ich kann mich ja auf
den Auftrag des Marquis v. Marignp be-
rufen. Also nur Muth!"
Unterdessen fragte flüsternd der eine Be-
amte den Kommissar: „Sollen wir auch
eine Haussuchung vornehmen?"
„Das ist unnöthig," versetzte dieser.
„Wir haben ja schon Alles, die ganze Auf-
lage und auch die Kupferplatte."
„Ich bin bereit!" sagte Jules.
In unbeschreiblicher Sorge blieb Gabriele
zurück. Ihre Mutter gerieth bei ihrer Heim-
kunft in noch größere Angst. Dann kam
Jerome Eazin, bleich und verstört, nach
Hause.
Nachdem er erfahren, was geschehen,
sprach er: „Die verwünschte Polizei ist also
doch auf die richtige Spur gekommen. Mein
Freund, der Drucker Letellier, ist von einem
seiner Leute verrathen worden, hat sich aber,
rechtzeitig gewarnt, flüchten können. Die
ganze Auflage des Buches ist konsiszirt. Auch
ich muß flüchten, nach Amsterdam, wo ich
befreundete Kunstgenossen habe und wahr-
scheinlich auch Letellier antresfen werde.
Jules ist ein braver Mensch; seinem muthigen Entschlüsse
verdanke ich meine Rettung; zum Glück kann inan ihm
nichts anhaben. Du wirst bald wieder vereint und
glücklich mit ihm sein, Gabriele!"
Es war keine Zeit zu verlieren. Eine kleine Reise-
tasche wurde schnell gepackt. Die Hälfte seines Geldes
gab Jerome Eazin seiner Frau. Nach thränenvollem
Abschied verließ er das Haus und verschwand draußen
im nächtlichen Dunkel.
Jules war nicht sogleich in die Bastille, sondern in
ein Untersuchungsgefängniß gebracht worden. Er sollte
zuerst verhört werden, und zwar vom Polizeiminister
selbst, eben weil es sich in dieser Sache um eine gegen
die Pompadour gerichtete Schmähung handelte. Sar-
tines war nämlich eine der ergebensten Kreaturen der
Marquise und durch ihre Verwendung zu seiner wich-
tigen Stellung erhoben.
Doch schien er vorläufig keine besondere Eile damit
zu haben oder durch andere Geschäfte verhindert zu
sein. Erst am dritten Tage der Haft wurde Jules vor
den Polizeigewaltigen geführt.
„Sie sind der Maler Eazin, Sie haben ein Bild,
die Marquise von Pompadour darstellend, verfertigt und
dies bei Ihrer Verhaftung auch sogleich eingcstanden,
wie sich aus dem Bericht des Kommissars ergibt," sagte
Dartines. „Wie konnten Sie es wagen, ein solches
Verbrechen zu verüben?"
„Meine Verhaftung ist mir ganz räthselhaft," versetzte
der junge Mann, „denn ich vermag absolut kein Ver-
brechen darin zu erblicken."
„Ist dies Dummheit oder Frechheit?" schrie der
Beamte. „Die Bastille wird Ihr Loos sein; aber dies
Loos kann gemildert werden durch ein offenes Be-
kenntnis;."
„Was soll ich bekennen?"
„Ich weiß wohl, daß Sie nur ein untergeordnetes
Werkzeug gewesen sind. Darum frage ich Sie: wer ist
Ihr Auftraggeber?"
„Aber, gnädiger Herr, deshalb wär's doch nicht
nöthig gewesen, mich zu verhaften! Es ist dies gar kein
Geheimnis;. Warum befragte der Herr Kommissar mich
nicht sogleich? Mit den: größten Vergnügen Hütte ich
ihm ja die gewünschte Auskunft gegeben."
„Wer ist es denn also?" fragte Sartines, einiger-
maßen verwundert.
„Mein Auftraggeber ist der Herr Marquis v. Ma-
rignp."
Der Polizeiminister schlug mit der Faust auf den
Tisch und schrie ergrimmt: „Mensch, wagen Sie es
noch, mich zu verhöhnen? Das ist ja eine unverschämte
Lüge!"
„Es ist aber doch die reinste Wahrheit, gnädiger
Herr!"
Sartines warf eines von den konfiszirten Exemplaren
der Schmähschrift auf den Tifch, schlug es auf und
zeigte das Titelbild.
„Sic besitzen die ungeheuerliche Dreistigkeit zu be-
haupten, der Bruder der Frau Marquise habe bei Ihnen
dies Schandbild bestellt?"
Jules heuchelte geschickt das größte Erstaunen.. „Dies
ist ja ein Kupferstich!" sagte er endlich.
„Jawohl."
„Damit habe ich doch nichts zu schaffen! Ich bin
kein Kupferstecher, habe in meinem Leben nicht mit
Grabstichel und Nadirnadel gearbeitet."
„Sie bekannten doch sogleich dem Kommissar, das;
Sie das Bild verfertigt hätten."
„Aber dies nicht! Es handelt sich um ein ganz
anderes Bild auf Email, welches die Frau Marquise
v. Pompadour idealisirt darstellt, umringt von den ihr
huldigenden Genien der Künste. Bitte, lassen Sie es
doch holen aus meiner Wohnung! Doch möge man
recht sorgsam damit umgehen, denn es ist für die Frau
Marquise zum Geburtstag bestimmt. Auf meinem Ar-
beitstische liegt auch ein darauf bezüglicher Brief des
Herrn v. Marignp."
„Das ist seltsam! In der Wohnung Letellier's
wurde ein Zettel, Eazin unterzeichnet, gefunden —"
„Nun geht mir ein Licht auf!" rief Jules. „Ach,
der Unglückliche! Ja, er arbeitete seit einiger Zeit so
geheimnißvoll hinter verschlossener Thür; weder ich noch
seine Frau und Tochter durften ihn dabei stören. Nicht
Haß, nur Geldbedürfniß kann ihn zur Uebernahme
einer solchen Arbeit bewogen haben."
„Wen meinen Sie?"
„Meinen Onkel Jerome Eazin, der Maler und
Kupferstecher ist und bei dem ich wohne."
„Es gibt also zwei Künstler Namens Eazin? Und
unter demselben Dache wurden zwei so verschiedene
Bildnisse der Frau Marquise v. Pompadour verfertigt?
Dann ist allerdings der Jrrthum erklärlich. Mein Herr,
ich glaube Ihnen, will mich aber doch noch persönlich
davon überzeugen. Ich fahre sogleich mit Ihnen nach
Ihrer Wohnung."
Das geschah.
Frau Eazin erklärte auf Befragen furchtsam: ihr
Mann sei in Geschäften verreist; sie wüßte nicht genau,
wann er wiederkäme.
Sartines sagte: „Der Schuldige ist also entwischt.
Er wird sich wohl hüten, wieder zu kommen. Sie, mein
Herr, sind frei! An Ihrer Unschuld ist nach diesen: kein
Zweifel. Ihre Malerei auf Email ist ganz entzückend.
Habe ich je Bedarf für dergleichen, so werde auch ich Ihr
Kunde. Ich kann auch nicht annehmen unter den ob-
waltenden Umstünden, daß Frau und Tochter des flüch-
tigen Thäters der Mitwissenschast verdächtig sind. Es
ist wohl zu vermuthen, daß Jerome Eazin sein Ge-
heimnis; mit sich genommen hat."
Mit dem schönen Emailbilde legte Jules sehr viel
Ehre ein. Der Marquis v. Marigny und dessen Schwester,
die Marquise v. Pompadour, waren außerordentlich
damit zufrieden. Es fehlte ihn: fortan niemals an
vortheilhaften Aufträgen. Vater Eazin in Angers bil-
ligte nunmehr mit Freuden den Künstlerberuf des Sohnes.
Bald vermählte Jules sich mit der schönen Gabriele,
deren Mutter sich dann nach Amsterdam begab, um
dort wieder vereint mit ihrem Manne zu leben.
Jerome Eazin fand in Hollands Hauptstadt, wo so
viele mit Kupferstichen gezierte Bücher damals erschiene::,
vollauf Beschäftigung. Erst viele Jahre später, nachdem
die Macht der Pompadour längst zu Ende war und
Ludwig XVI. den französischen Thron bestiegen hatte,
kehrte er mit seiner Frau nach Paris zurück.
Ein aufmerksamer Schüler.
(tziehe das Bild auf Seite 657.)
n dem prunkvoll ausgestatteten Zimmer eines
Schlosses sehen wir einen vornehmen Jüng-
ling damit beschäftigt, einen Staar eine Melodie
pfeifen zu lehren. Es ist der Anfang der neuen
Zeit, in den uns die Einrichtung des Zimmers
wie die Kleidung des jungen Mannes versetzt, der
wohl mit gelehrten Studien beschäftigt ist uns
von diesen sich auf die angenehmste Weise durch
die Abrichtung seines Gefährten aus dem Reiche
der gefiederten Welt erholt. Der Staar ist
zahm und ein aufmerksamer, gelehriger Schüler;
ihn: ist es wohl auf der Hand des blondlockigen
Jünglings, er hört ihn gern sprechen und lauscht
seinen: Pfeifen. Der Vogel wird sicherlich bald
das Stückchen lernen, und der Eigenthümer die
Freuds Habei:, seine Mühe von Erfolg gekrönt
zu sehen. Ihm ist dies Lehren ein Spiel, eine
Lust, und dem Schüler geht es ebenso. Eine
solche Lektion, gegeben ii: solcher Behaglichkeit
und empfangen mit einen: derartige:: Vergnügen,
ein solcher Einklang zwischen Lehrer und Schüler,
das ist selten, und diese fröhliche Ruhe, diese
freundliche, friedliche, ganz dem Werk hingegebene
Stimmung, die aus dem Gemälde spricht, macht
die Schöpfung des Malers H. Vogler, welche
wir auf S. 657 in Holzschnittwiedergabe unseren
Lesern vorführen, überaus anheimelnd und an-
ziehend.
Der Mllgsschllh von Dahlchur.
(Siehe die 2 Bilder auf S. 859 u. 660.)
"7>ie egyptischen Pyramiden, diese ältesten Zeu-
gen einer dahingeschmundenen Cioilisation,
welche in der Anzahl von etwa 80 an: Abhang der liby-
schen Wüste auf der Westseite des Niles sich erheben, haben
von jeher nicht nur den Reisenden, sondern auch den Alter-
thumsforscher in höchsten: Grade interessirt, denn in den in
ihren: Innern befindlichen, schwer auffindbaren Grabkam-
mern der egyptischen Könige waren nicht nur die Mumien
jener alten Herrscher, sondern auch meist kostbare Schätze
und Inschriften zu finden, die uns die werthvollsten kul-
turhistorischen und geschichtlichen Aufschlüsse gaben. Die
meisten dieser Grabkammern sind bereits früher von den
Arabern geplündert, eine Anzahl von europäischen Forschern
aufgedeckt worden. Den großartigsten Fund aber, der auf
diesen: Gebiete je gelungen ist, hat in jüngster Zeit der
Direktor des Museums von Gizeh, Herr de Morgan, gemacht.
Es gelang ihn: an: 7. und 8. März dieses Jahres in einer
der ältesten Pyramiden, der nördlichen Ziegelpyramide von
Dahschur, die Grabkammer zweier Prinzessinnen zu öffnen
rind er fand darin einen Königsschatz aus der 12. egypti-
schen Dynastie (3064 bis 2851 vor unserer Zeitrechnung),
der an Schönheit und Werth alle früheren derartigen Funde
weit übertrifft. Die aus Gold gearbeiteten und mit edlen
Steinen eingelegten und verzierten Schmucksachen zeigen eine hohe
Kunstvollendung; sie haben einen bloßen Materialwerth von un-
gefähr 800,000 Mark. Der Königsschatz, der alsbald in: Musen»:
von Gizeh ausgestellt wurde, erregte die höchste Bewunderung
aller Derer, die Gelegenheit hatten, ihn zu sehen. Die Haupt-
stücke, drei Brustschilder aus Gold mit äußerst feiner Email-
arbeit in sogenannten: Zellenschmelz oder Email eloisonnü und
eingelegten Figuren von Türkis, Lasurstein, blauer und grüner
Pasta, gehörten nach der Inschrift den Königen Amenemha 111.,
Usertessen II. und Usertessen III. an. Die beiden vorzüglichsten
dieser Stücke finden unsere Leser auf S- 659 u. 660 abgebildet. Die
Figuren sind durchbrochen gearbeitet und stellen Sperber mit
Königskronen, Gottheiten, Sperber mit ausgebreiteten Flügeln,
Uräusfchlangen, Skarabäen u. s. w. dar. Außer den Brust-
schildern ist noch eine Anzahl kleinerer Stücke vorhanden, als
Broschen, Skarabäen, kleine Löwen, Löwenklauen, Muscheln,
Schlüsselketten, Ringe, Schälchen - Alles aus Gold in feinster
Der Königsschah non Dahschur: Arnstschitd König Zlserkesseills