670
Das Buch für Alla.
M 28.
Böhmen, der sich von ihr trennte, weil ihre Ehe kinderlos
blieb; schließlich siel es nn den „obersten Marschall von
Oesterreich", den Herrn v. Maissau. Von dein Kirchlein des
kleinen, unansehnlichen, unmittelbar am Fuße des Felsens
gelegenen Dörfchens Kruinau aus steigt man auf steilem
Pfade zu den imposanten Mauerresten des ehemaligen Schlosses
empor. Ein schöner Blick von oben belohnt für die Anstrengung.
Man schaut hinab aus Berge, Wiesen und Wälder, durch die
sich in Windungen der Kamp dahinschlängelt. .In den Gängen
und Gewölben der Burg selbst wird Einem ganz mittelalterlich
zu Muthe; aber der Spuk währt nicht lange. Sobald man
nur den Kopf erhebt aus dem feuchten Gemäuer, grüßt rings
die lachende Landschaft und über unserem Haupte wiegen sich
grüne Wipfeln von Bäumen, die ihre Wurzeln in die ver-
fallenden Mauern getrieben haben — ein sprechendes Symbol
des siegenden Lebens über die dahingeschwundene Herrlichkeit
einer vergangenen Zeit.
derhaftmlg eines Grignnten.
(Siehe daZ Bild auf Seite 669.)
"7>ie große Plage des Brigantenthums wird Italien nicht
los; wenn man glaubt, dies Räuberunwesen sei ver-
schwunden, so taucht es plötzlich bald im Norden, bald im
Süden des schönen Landes jenseits der Alpen wieder auf.
Es ist in Italien etwas Volksthüiirlich-Traditionelles. Der
Italiener nennt die Briganten „Arme oder Unglückliche",
rind bezeichnet damit, wie milde er über dieses scheuß-
liche Gewerbe denkt. Freilich die italienische Regierung ist
weniger nachsichtig gegen das Brigantenthum und sucht dem
verbrecherischen Treiben zu steuern, so viel in ihrer Macht
steht. Das italienische niedere Volk selbst dagegen ver-
hindert die vollständige Ausrottung des Brigantaggio, theils
aus Furcht vor der Rache der Räuber, theils um des Ver-
dienstes willen, den ihnen die Briganten bringen. Denn wenn
diese einen guten Fang gemacht haben, so haben die umliegen-
den Dörfer und Gehöfte, welche die Misfethäter bergen, auch gute
Zeiten. Zudem haben die betreffenden Landleute meist Freunde
und Verwandte unter den Briganten, und in manchen Land-
strichen Italiens verschmäht es der solide Bauer nicht, in schlech-
ten Zeiten — und diese gibt es in Italien oft — sich an einem
Brigantenzug zu betheiligen. So kämpft denn die italienische
Regierung einen harten, wenig erfolgreichen Kampf mit den
Briganten. Auf unserem Bilde S. 669 — nach einem Ge-
mälde von G. Sandrucci — blicken wir in eine Bauernstube
an der Grenze der römischen Campagna. Die Carabinieri
haben diesmal Glück gehabt, sie haben einen Briganten, den
die Liebe dazu brachte, die Schlauheit hintanzusetzen, in
diesem einsamen Hause überrascht, eingeschlosfen unff halten
den gefährlichen Burschen jetzt gefangen. Da der Wein auf
dem Tische und die am Boden verstreuten Spielkarten darauf
hindeuten, daß der Gefangene Genossen im Hause gehabt hat,
die Lei der Ueberrumpelung desselben durch die Gendarmen
geflüchtet find, so wird eine genaue Durchsuchung aller Räume,
sowie der Ställe und Schuppen vorgenommen, eine Arbeit,
die für die wackeren Carabinieri keineswegs ohne Gefahr ist,
denn die Briganten sind meist gut bewaffnet und zum Theil
verzweitelte Bursche. Traurig ist die Lage des schönen Mäd-
chens, der Braut des Räubers; sie kommt gleichfalls vor die
Geschworenen, und wenn sie auch vielleicht freigesprochen wird,
so ist doch ihr Geliebter, ein sonst so tüchtiger Mensch, für
immer verloren. Eine leichtsinnige, unbedachte Stunde hat
ihn zu den Briganten geführt, und jetzt muß er dafür so
schwer büßen. Ein derartiges Drama aus dem italienischen
Baueruleben führt uns das lebenswahre Bild ergreifend vor
Augen.
Die Hebung des Denkmals des Großen Knr-
fnrsten in Deriin.
(Stehe das Bild auf Seite 673 .)
^Gewissermaßen ein Wahrzeichen Berlins ist seit bald zivei-
hundert Jahren das berühmte Reiterstandbild des Großen
Kurfürsten auf der 1692 erbauten Langen oder Kurfürsten-
brücke. Andreas Schlüter, der geniale Bildhauer und Architekt,
durch den das Berliner Schloß zu der glänzendsten Schöpfung
des Barockstyles wurde, modellirte das Denkmal, das dann
im Jahre 1700 von Jakobi in Erz gegossen und am 12. Juli
1703 feierlich enthüllt wurde. Es stellt den Kurfürsten Friedrich
Wilhelm von Brandenburg (geboren 16. Februar 1620, ge-
storben 9. Mai 1688), den Begründer der Größe Preußens,
nach der Sitte der Zeit in römischer Feldherrntracht dar, mit
lang herabwallendem Haupthaar, in Haltung und Geberden
ein inachtvoller Herrscher. Auch das kräftige Roß ist bis in
die Einzelheiten der Muskel- und Aderbildung vortrefflich aus-
geführt. Um den Sockel sind vier Sklaucnfiguren angebracht
als Symbole der von dem Kurfürsten überwundenen Feinde,
und eine Hauptwirkung des Denkmals, in dem man die be-
deutendste Schöpfung der ganzen Spätrenaisfance erblickt, be-
ruht nicht zum Wenigsten auf der ruhigen Majestät desFürsten-
bckdes gegenüber den bewegten, lebensvollen Gestalten dieser
Sklaven am Sockel. Gegenwärtig ist nun ein Umbau, be-
ziehungsweise Neubau der den Schlossplatz mit der Alexander-
straße und der ganzen Altstadt Berlin verbindenden Langen
Brücke im Gange, und dieser machte es nöthig, das Denkmal
für die Zeit der Bauausführung von seinem Sockel zu heben.
Zunächst wurde die Brücke für den Verkehr gesperrt, und eine
vom Schloßplatze nach der Burgstraße hcrgestellte Nothbrücke
eröffnet. Dann hob man die vier gefesselten Sklaven von
den Plätzen, auf denen sie so lange zu den Füßen des großen
Brandenburgers gesessen, und lud sie auf Rollwagen, um sie
dem Orte zuzuführen, wo sie des Tages harren sollen, an
dein sie auf der neuerbauten Steinbrücke wieder ihre Plätze
einnehmen werden. Das steinerne Postament des Denkmals
wurde hierauf theils abgetragen, theils mußte es, um die
eisernen Klammern der Pferdefüße loszubekommen, vollständig
zerstört werden. Nachdem schließlich Pferd und Reiter, wie
auf unserem Bilde S. 673 dargestellt, genau in der bisher
eingenommenen Höhe durch untergelegte Balken in die Schwebe
gebracht und doch sicher und fest gestellt worden waren, hat
man die Statue dann mittelst einer Rollbuhne auf eine von
Pfahlrosten getragene Unterlage gebracht, welche den Begründer
des brandenburgisch-preußischen Staatsgedankens noch Jahr
und Tag bis zur Vollendung der neuen Langen Brücke tragen
wird.
Auf der „Kolumbia".
Eine Seegeschichte
H. Rosenthal-Bunin.
(Fortsetzung u. Schlug )
n welchem Verhältnis; mochte der Kapitän
zu der Kranken stehen? War sie seine
Frau, seine Tochter? ... Weshalb drohte
er mir, weshalb nannte er mich Mörder?
Das that er im Wahn — aber aus
welchem Grunde erweckte ich ihm solche
Vorstellungen?
Diese Fragen stiegen, mein Herz
schwer bedrückend, in mir auf. Wäre es nicht vielleicht
klug und ein Akt der Selbsterhaltung, wenn ich
diesen Mann nähme und in das Wasser würfe? Viel-
leicht die größte Wohlthat für ihn und ein Glück
für mich.
Ich erschrak heftig, die Katze sprang mit einem selt-
sam gurrenden Ton Uf meinen Schoß und kugelte sich
dort schnurrend zusammen. Das weckte mich aus
meinem finsteren, bedenklichen Brüten. Ich warf dem
noch immer regungslos unter der Decke Daliegenden
einen ängstlichen Blick zu und begab mich in meine Koje.
Ich wälzte mich vergeblich auf meinem Lager, der Schlaf
wollte nicht kommen. Meine rege Phantasie gebar
Tausende von drohenden Gedanken und Bildern. Auf
welche Weise kam das Schiff in diese Lage? Warum
ließen den Kapitän seine Schiffsleute allein? Wer war
die Frauensperson? Das mußte doch Alles im Schiffs-
buche stehen! Wo mochte das Loggbuch sein, kln-
zweifelhast doch in der Kapitänskajüte. Ich sollte die
gute Gelegenheit jetzt benützen, über all' diese Dinge
mir Aufklärung zu verschaffen, wer wußte, ob sich das
mir wieder böte!
Kaum, daß ich in meinem fieberhaften Sinnen zu
diesem Gedanken gekommen, so sprang ich auch schon
aus dem Bette und eilte mit lautlosen Schritten aus
das Deck.
Ein Blick überzeugte mich, daß die Hülle noch genau
so wie vorher den Kapitän bedeckte. Ich schlich an ihm
vorbei nnd war nach wenigen Augenblicken in der
Kapitänskajüte. Ich nahm die Laterne aus dem Kranken-
zimmer und untersuchte hastig jeden Winkel, öffnete jedes
Gelaß, aber von dem Loggbuch war nichts.zu entdecken.
Nun ging ich in den Raum der Kranken. Als ich mit
der Laterne eintrat, fiel der Strahl des Lichtes auf das
Gesicht der Frau, sie hatte den Kopf der Thür zu-
gewendet, und die offenen Augen starrten unheimlich,
ausdruckslos auf mich und hatten wieder jenen drohenden
Ausdruck, der mich stets so räthselhaft-unheimlich be-
rührte. Ich bezwang mein Grauen und leuchtete im
Zimmer umher, die Kranke stöhnte plötzlich laut hinter
mir, ich zitterte, wandte mich aber nicht nm. Die
Laterne an den Boden stellend, machte ich, ohne aufzu-
blicken, ihr einen frischen Umschlag. Damr ging ich
wieder an das Suchen.
Ein kleines elegantes Schränkchen siel mir auf, der
Schlüssel steckte, ich drehte ihn nm, rind die Eisenthüre
sprang auf. Der Schrank enthielt nur einen Blech-
kasten. Ich nahm ihn heraus, eilte mit ihm nach der
Kapitänskoje, setzte ihn dort auf den Tisch und öffnete,
den Blick ans die Thür zum Deck gewendet, das schwere
Behältniß.
Das Erste, was mir in die Hände kam, war das
Loggbuch. Es war beinahe vollgeschrieben, der Kapitän
mußte viele Jahre gefahren sein. Ich blätterte hinten
und fand nun bald die Eintragungen aus der lebten
Zeit.
Das Loggbuch war sorgfältig geführt. Der jüngste
Bericht lantete: ,„Kolumbia': Fahrt angetreten an:
15. September ab New-Pork; Bestimmung Ham-
burg. Neue Mannschaft vom abgemusterten .Neptun'
übernommen, zwölf Hände und Stenermann. Ladung
Thce, Tabak — Connossement spezifizirt. Passagiere
fünf: Ur. mscl. -Otto Normack, Hamburg; Karl Rüster,
Reisender, Lübeck; Martin Schivegel, Maler, Berlin;
Friedrich Tölke, Seemann, Stettin; fämmtlich halbe
Passagierpreise; Fräulein Linda Bartholdi, Boston."
Der Kapitän der „Kolumbia" hieß gemäß der
Ausschrift Stenton, demnach war die Kranke weder
seine Tochter noch seine Frau. Die Eintragungen
besagten weiter: „Am 16. schönes Wetter, gute
Fahrt."
Draußen aus dem Verdeck vernahm ich plötzlich ein
Geräusch. Ich klappte das Buch zu und machte mich
kampsbereit. Es blieb Alleschtill, nur ein eigenthümliches
Flattern ließ sich hören, wahrscheinlich hatte ein See-
vogel, durch das Licht der Laterne angelockt, sich auf
das Deck gewagt und war, erschreckt durch das Zuschlägen
der Kassette, wieder aufgeslogen.
Ich las weiter.
„Am 16. September guter Wind," nun folgte die
Breitenbestimmung, Aufzeichnung der Fahrgeschwindig-
keit und der zurückgelegten Strecke, bis zum 27. Septem-
ber ohne Zwischenfälle dasselbe.
Am 27. September die Bemerkung: „Ein Matrose
am Typhus gestorben, von Doktor Normack behandelt,
Abends bestattet.
28. September: Linda erkrankt unter bedenklichen
Erscheinungen. Doktor Normack Behandlung.
29. September: Drei Matrosen am Typhus ge-
storben. Nachts Sturm vom Westen kommend — Be-
mannung zu schwach. Zwei Matrosen krank; Leck;
Pumpe gebrochen. Die zu schwach verstaute Ladung
ist übergeschossen, Doktor Normack und zwei Matrosen
über Bord gespült, schiefe Lage des Schiffes, drei Fuß
Wasser im Kielraum, Masten gekappt.
30. September: Die beiden kranken Männer ge-
storben, Abends bestattet. Linda Bartholdi sehr krank,
keine Behandlung. Ich selbst krank.
31. September: .Kolumbia' vollkommen wrack, sinkt.
Die letzten drei Mann nebst Steuermann und Passagiere
den ,Kolumbia' mit Boot II. verlassen. Ich sehr krank,
ich, Kapitän Stenton, sehr krank, sehr krank, sehr krank,
dideldideldei -—"
Damit schloß der Bericht — es war die letzte
Eintragung. Mir grauste es. Also dies Schiff war
ein Typhusherd. Würde auch ich das Schicksal der
Beiden, die ich hier aufgefunden, noch theilen?
War ich deshalb hierher gerettet worden, hatte der
Himmel dazu mich ausersehen, mein Leben dazu auf-
gespart? Das wäre gräßlich . . . Nun, noch war
ich gesund und spürte nichts als Ermüdung. So
lange ich lebe, werde ich kämpfen und hier helfen, so
viel ich kann.
Ich schloß das Schifssbuch, legte es in den Kasten
und brachte diesen wieder in den Schrank. Dann machte
ich der Kranken einen frischen Umschlag, flößte ihr
Arznei nebst Kraftbrühe ein und begab mich in meine
Kabine.
Ich mußte hierzu an dem Kapitän vorbei. Er lag
noch regungslos unter der Decke. Morgen wird es sich
zeigen, wie es mit ihm steht, heute mag ich ihn nicht
wecken, wenn er überhaupt noch zu wecken ist.
Ich fühlte mich zu erschöpft, etwa einen neuen
Ningkampf mit ihm zu bestehen. Ich erschrak fast,
so laut murmelte ich diese Worte. Unfähig, weiter
etwas zu denken, warf ich mich ganz zerschlagen auf
mein Lager.
Als ich erwachte, stand die Sonne schon hoch am
Himmel, meine Kabine war lichterfüllt, und die See
glänzte im fröhlichsten Vormittaglicht — es mochte
wohl gegen neun Uhr Morgens sein. Ich ging in die
Küche, die neben meiner Kabine war, und kochte eine
tüchtige Portion Thee und aß dazu beinahe eine halbe
Blechkapsel englischer Biscuits, von denen ich einige
Dutzend Kistchen unversehrt entdeckt hatte. Meine Sorgen
und Aengsten waren ausgeschlafen. Ich fühlte mich stark
und kräftig, und hoffte den Kapitän, wenn er nicht gar
zu wüthend ivar, falls er überhaupt noch lebte, bändigen
zu tonnen. Um nach ihm zu sehen, stieg ich auf das
Deck.
Decke und Kapitän waren verschwunden! Ich sühlte
doch einige Besorgniß und nicht geringes Bangen,
das Kapitänslogis zu betreten. Wenn er bei meinem
Eintritt mich niederschoß, eine verborgene Waffe be-
nutzend, oder mir den schweren Zündstein, der ans
dem Tische stand, an den Kopf warf? Geheuer
ivar die Sache keineswegs, und Vorsicht vor allen
Dingen gut.
Ich bewaffnete mich daher mit einer eisernen Stange,
die ich gefunden hatte, und kletterte die Treppe zur
Kapitänskajüte hinab. Trotzdem ich absichtlich nicht
leise auftrat, regte sich in der Kabine nichts. Lautlos
schlich ich nun in den Raum.
Dort lag der Kapitän auf dem Sopha mit dem
Tuche bedeckt und schlief sichtlich tief und ruhig. Die
Augen hatten blaue schatten, das Gesicht war bleich
und abgezehrt, die Haare erschienen mir grauer als
vorher, aber der starre, verzerrte Gesichtsausdruck war
aus den Zügen verschwunden. Die Nacht in der kalten,
frischen Luft mußte eine KrisiS herbeigeführt haben,
denn der Mann sah wohl schwer erschöpft und sehr
heruntergekommen, jedoch absolut nicht mehr so krank
nnd entstellt wie gestern aus.
Ich ging an ihm vorbei in die Kabine der Kranken:
diese lag unverändert — doch etwas war anders, sie hatte
Das Buch für Alla.
M 28.
Böhmen, der sich von ihr trennte, weil ihre Ehe kinderlos
blieb; schließlich siel es nn den „obersten Marschall von
Oesterreich", den Herrn v. Maissau. Von dein Kirchlein des
kleinen, unansehnlichen, unmittelbar am Fuße des Felsens
gelegenen Dörfchens Kruinau aus steigt man auf steilem
Pfade zu den imposanten Mauerresten des ehemaligen Schlosses
empor. Ein schöner Blick von oben belohnt für die Anstrengung.
Man schaut hinab aus Berge, Wiesen und Wälder, durch die
sich in Windungen der Kamp dahinschlängelt. .In den Gängen
und Gewölben der Burg selbst wird Einem ganz mittelalterlich
zu Muthe; aber der Spuk währt nicht lange. Sobald man
nur den Kopf erhebt aus dem feuchten Gemäuer, grüßt rings
die lachende Landschaft und über unserem Haupte wiegen sich
grüne Wipfeln von Bäumen, die ihre Wurzeln in die ver-
fallenden Mauern getrieben haben — ein sprechendes Symbol
des siegenden Lebens über die dahingeschwundene Herrlichkeit
einer vergangenen Zeit.
derhaftmlg eines Grignnten.
(Siehe daZ Bild auf Seite 669.)
"7>ie große Plage des Brigantenthums wird Italien nicht
los; wenn man glaubt, dies Räuberunwesen sei ver-
schwunden, so taucht es plötzlich bald im Norden, bald im
Süden des schönen Landes jenseits der Alpen wieder auf.
Es ist in Italien etwas Volksthüiirlich-Traditionelles. Der
Italiener nennt die Briganten „Arme oder Unglückliche",
rind bezeichnet damit, wie milde er über dieses scheuß-
liche Gewerbe denkt. Freilich die italienische Regierung ist
weniger nachsichtig gegen das Brigantenthum und sucht dem
verbrecherischen Treiben zu steuern, so viel in ihrer Macht
steht. Das italienische niedere Volk selbst dagegen ver-
hindert die vollständige Ausrottung des Brigantaggio, theils
aus Furcht vor der Rache der Räuber, theils um des Ver-
dienstes willen, den ihnen die Briganten bringen. Denn wenn
diese einen guten Fang gemacht haben, so haben die umliegen-
den Dörfer und Gehöfte, welche die Misfethäter bergen, auch gute
Zeiten. Zudem haben die betreffenden Landleute meist Freunde
und Verwandte unter den Briganten, und in manchen Land-
strichen Italiens verschmäht es der solide Bauer nicht, in schlech-
ten Zeiten — und diese gibt es in Italien oft — sich an einem
Brigantenzug zu betheiligen. So kämpft denn die italienische
Regierung einen harten, wenig erfolgreichen Kampf mit den
Briganten. Auf unserem Bilde S. 669 — nach einem Ge-
mälde von G. Sandrucci — blicken wir in eine Bauernstube
an der Grenze der römischen Campagna. Die Carabinieri
haben diesmal Glück gehabt, sie haben einen Briganten, den
die Liebe dazu brachte, die Schlauheit hintanzusetzen, in
diesem einsamen Hause überrascht, eingeschlosfen unff halten
den gefährlichen Burschen jetzt gefangen. Da der Wein auf
dem Tische und die am Boden verstreuten Spielkarten darauf
hindeuten, daß der Gefangene Genossen im Hause gehabt hat,
die Lei der Ueberrumpelung desselben durch die Gendarmen
geflüchtet find, so wird eine genaue Durchsuchung aller Räume,
sowie der Ställe und Schuppen vorgenommen, eine Arbeit,
die für die wackeren Carabinieri keineswegs ohne Gefahr ist,
denn die Briganten sind meist gut bewaffnet und zum Theil
verzweitelte Bursche. Traurig ist die Lage des schönen Mäd-
chens, der Braut des Räubers; sie kommt gleichfalls vor die
Geschworenen, und wenn sie auch vielleicht freigesprochen wird,
so ist doch ihr Geliebter, ein sonst so tüchtiger Mensch, für
immer verloren. Eine leichtsinnige, unbedachte Stunde hat
ihn zu den Briganten geführt, und jetzt muß er dafür so
schwer büßen. Ein derartiges Drama aus dem italienischen
Baueruleben führt uns das lebenswahre Bild ergreifend vor
Augen.
Die Hebung des Denkmals des Großen Knr-
fnrsten in Deriin.
(Stehe das Bild auf Seite 673 .)
^Gewissermaßen ein Wahrzeichen Berlins ist seit bald zivei-
hundert Jahren das berühmte Reiterstandbild des Großen
Kurfürsten auf der 1692 erbauten Langen oder Kurfürsten-
brücke. Andreas Schlüter, der geniale Bildhauer und Architekt,
durch den das Berliner Schloß zu der glänzendsten Schöpfung
des Barockstyles wurde, modellirte das Denkmal, das dann
im Jahre 1700 von Jakobi in Erz gegossen und am 12. Juli
1703 feierlich enthüllt wurde. Es stellt den Kurfürsten Friedrich
Wilhelm von Brandenburg (geboren 16. Februar 1620, ge-
storben 9. Mai 1688), den Begründer der Größe Preußens,
nach der Sitte der Zeit in römischer Feldherrntracht dar, mit
lang herabwallendem Haupthaar, in Haltung und Geberden
ein inachtvoller Herrscher. Auch das kräftige Roß ist bis in
die Einzelheiten der Muskel- und Aderbildung vortrefflich aus-
geführt. Um den Sockel sind vier Sklaucnfiguren angebracht
als Symbole der von dem Kurfürsten überwundenen Feinde,
und eine Hauptwirkung des Denkmals, in dem man die be-
deutendste Schöpfung der ganzen Spätrenaisfance erblickt, be-
ruht nicht zum Wenigsten auf der ruhigen Majestät desFürsten-
bckdes gegenüber den bewegten, lebensvollen Gestalten dieser
Sklaven am Sockel. Gegenwärtig ist nun ein Umbau, be-
ziehungsweise Neubau der den Schlossplatz mit der Alexander-
straße und der ganzen Altstadt Berlin verbindenden Langen
Brücke im Gange, und dieser machte es nöthig, das Denkmal
für die Zeit der Bauausführung von seinem Sockel zu heben.
Zunächst wurde die Brücke für den Verkehr gesperrt, und eine
vom Schloßplatze nach der Burgstraße hcrgestellte Nothbrücke
eröffnet. Dann hob man die vier gefesselten Sklaven von
den Plätzen, auf denen sie so lange zu den Füßen des großen
Brandenburgers gesessen, und lud sie auf Rollwagen, um sie
dem Orte zuzuführen, wo sie des Tages harren sollen, an
dein sie auf der neuerbauten Steinbrücke wieder ihre Plätze
einnehmen werden. Das steinerne Postament des Denkmals
wurde hierauf theils abgetragen, theils mußte es, um die
eisernen Klammern der Pferdefüße loszubekommen, vollständig
zerstört werden. Nachdem schließlich Pferd und Reiter, wie
auf unserem Bilde S. 673 dargestellt, genau in der bisher
eingenommenen Höhe durch untergelegte Balken in die Schwebe
gebracht und doch sicher und fest gestellt worden waren, hat
man die Statue dann mittelst einer Rollbuhne auf eine von
Pfahlrosten getragene Unterlage gebracht, welche den Begründer
des brandenburgisch-preußischen Staatsgedankens noch Jahr
und Tag bis zur Vollendung der neuen Langen Brücke tragen
wird.
Auf der „Kolumbia".
Eine Seegeschichte
H. Rosenthal-Bunin.
(Fortsetzung u. Schlug )
n welchem Verhältnis; mochte der Kapitän
zu der Kranken stehen? War sie seine
Frau, seine Tochter? ... Weshalb drohte
er mir, weshalb nannte er mich Mörder?
Das that er im Wahn — aber aus
welchem Grunde erweckte ich ihm solche
Vorstellungen?
Diese Fragen stiegen, mein Herz
schwer bedrückend, in mir auf. Wäre es nicht vielleicht
klug und ein Akt der Selbsterhaltung, wenn ich
diesen Mann nähme und in das Wasser würfe? Viel-
leicht die größte Wohlthat für ihn und ein Glück
für mich.
Ich erschrak heftig, die Katze sprang mit einem selt-
sam gurrenden Ton Uf meinen Schoß und kugelte sich
dort schnurrend zusammen. Das weckte mich aus
meinem finsteren, bedenklichen Brüten. Ich warf dem
noch immer regungslos unter der Decke Daliegenden
einen ängstlichen Blick zu und begab mich in meine Koje.
Ich wälzte mich vergeblich auf meinem Lager, der Schlaf
wollte nicht kommen. Meine rege Phantasie gebar
Tausende von drohenden Gedanken und Bildern. Auf
welche Weise kam das Schiff in diese Lage? Warum
ließen den Kapitän seine Schiffsleute allein? Wer war
die Frauensperson? Das mußte doch Alles im Schiffs-
buche stehen! Wo mochte das Loggbuch sein, kln-
zweifelhast doch in der Kapitänskajüte. Ich sollte die
gute Gelegenheit jetzt benützen, über all' diese Dinge
mir Aufklärung zu verschaffen, wer wußte, ob sich das
mir wieder böte!
Kaum, daß ich in meinem fieberhaften Sinnen zu
diesem Gedanken gekommen, so sprang ich auch schon
aus dem Bette und eilte mit lautlosen Schritten aus
das Deck.
Ein Blick überzeugte mich, daß die Hülle noch genau
so wie vorher den Kapitän bedeckte. Ich schlich an ihm
vorbei nnd war nach wenigen Augenblicken in der
Kapitänskajüte. Ich nahm die Laterne aus dem Kranken-
zimmer und untersuchte hastig jeden Winkel, öffnete jedes
Gelaß, aber von dem Loggbuch war nichts.zu entdecken.
Nun ging ich in den Raum der Kranken. Als ich mit
der Laterne eintrat, fiel der Strahl des Lichtes auf das
Gesicht der Frau, sie hatte den Kopf der Thür zu-
gewendet, und die offenen Augen starrten unheimlich,
ausdruckslos auf mich und hatten wieder jenen drohenden
Ausdruck, der mich stets so räthselhaft-unheimlich be-
rührte. Ich bezwang mein Grauen und leuchtete im
Zimmer umher, die Kranke stöhnte plötzlich laut hinter
mir, ich zitterte, wandte mich aber nicht nm. Die
Laterne an den Boden stellend, machte ich, ohne aufzu-
blicken, ihr einen frischen Umschlag. Damr ging ich
wieder an das Suchen.
Ein kleines elegantes Schränkchen siel mir auf, der
Schlüssel steckte, ich drehte ihn nm, rind die Eisenthüre
sprang auf. Der Schrank enthielt nur einen Blech-
kasten. Ich nahm ihn heraus, eilte mit ihm nach der
Kapitänskoje, setzte ihn dort auf den Tisch und öffnete,
den Blick ans die Thür zum Deck gewendet, das schwere
Behältniß.
Das Erste, was mir in die Hände kam, war das
Loggbuch. Es war beinahe vollgeschrieben, der Kapitän
mußte viele Jahre gefahren sein. Ich blätterte hinten
und fand nun bald die Eintragungen aus der lebten
Zeit.
Das Loggbuch war sorgfältig geführt. Der jüngste
Bericht lantete: ,„Kolumbia': Fahrt angetreten an:
15. September ab New-Pork; Bestimmung Ham-
burg. Neue Mannschaft vom abgemusterten .Neptun'
übernommen, zwölf Hände und Stenermann. Ladung
Thce, Tabak — Connossement spezifizirt. Passagiere
fünf: Ur. mscl. -Otto Normack, Hamburg; Karl Rüster,
Reisender, Lübeck; Martin Schivegel, Maler, Berlin;
Friedrich Tölke, Seemann, Stettin; fämmtlich halbe
Passagierpreise; Fräulein Linda Bartholdi, Boston."
Der Kapitän der „Kolumbia" hieß gemäß der
Ausschrift Stenton, demnach war die Kranke weder
seine Tochter noch seine Frau. Die Eintragungen
besagten weiter: „Am 16. schönes Wetter, gute
Fahrt."
Draußen aus dem Verdeck vernahm ich plötzlich ein
Geräusch. Ich klappte das Buch zu und machte mich
kampsbereit. Es blieb Alleschtill, nur ein eigenthümliches
Flattern ließ sich hören, wahrscheinlich hatte ein See-
vogel, durch das Licht der Laterne angelockt, sich auf
das Deck gewagt und war, erschreckt durch das Zuschlägen
der Kassette, wieder aufgeslogen.
Ich las weiter.
„Am 16. September guter Wind," nun folgte die
Breitenbestimmung, Aufzeichnung der Fahrgeschwindig-
keit und der zurückgelegten Strecke, bis zum 27. Septem-
ber ohne Zwischenfälle dasselbe.
Am 27. September die Bemerkung: „Ein Matrose
am Typhus gestorben, von Doktor Normack behandelt,
Abends bestattet.
28. September: Linda erkrankt unter bedenklichen
Erscheinungen. Doktor Normack Behandlung.
29. September: Drei Matrosen am Typhus ge-
storben. Nachts Sturm vom Westen kommend — Be-
mannung zu schwach. Zwei Matrosen krank; Leck;
Pumpe gebrochen. Die zu schwach verstaute Ladung
ist übergeschossen, Doktor Normack und zwei Matrosen
über Bord gespült, schiefe Lage des Schiffes, drei Fuß
Wasser im Kielraum, Masten gekappt.
30. September: Die beiden kranken Männer ge-
storben, Abends bestattet. Linda Bartholdi sehr krank,
keine Behandlung. Ich selbst krank.
31. September: .Kolumbia' vollkommen wrack, sinkt.
Die letzten drei Mann nebst Steuermann und Passagiere
den ,Kolumbia' mit Boot II. verlassen. Ich sehr krank,
ich, Kapitän Stenton, sehr krank, sehr krank, sehr krank,
dideldideldei -—"
Damit schloß der Bericht — es war die letzte
Eintragung. Mir grauste es. Also dies Schiff war
ein Typhusherd. Würde auch ich das Schicksal der
Beiden, die ich hier aufgefunden, noch theilen?
War ich deshalb hierher gerettet worden, hatte der
Himmel dazu mich ausersehen, mein Leben dazu auf-
gespart? Das wäre gräßlich . . . Nun, noch war
ich gesund und spürte nichts als Ermüdung. So
lange ich lebe, werde ich kämpfen und hier helfen, so
viel ich kann.
Ich schloß das Schifssbuch, legte es in den Kasten
und brachte diesen wieder in den Schrank. Dann machte
ich der Kranken einen frischen Umschlag, flößte ihr
Arznei nebst Kraftbrühe ein und begab mich in meine
Kabine.
Ich mußte hierzu an dem Kapitän vorbei. Er lag
noch regungslos unter der Decke. Morgen wird es sich
zeigen, wie es mit ihm steht, heute mag ich ihn nicht
wecken, wenn er überhaupt noch zu wecken ist.
Ich fühlte mich zu erschöpft, etwa einen neuen
Ningkampf mit ihm zu bestehen. Ich erschrak fast,
so laut murmelte ich diese Worte. Unfähig, weiter
etwas zu denken, warf ich mich ganz zerschlagen auf
mein Lager.
Als ich erwachte, stand die Sonne schon hoch am
Himmel, meine Kabine war lichterfüllt, und die See
glänzte im fröhlichsten Vormittaglicht — es mochte
wohl gegen neun Uhr Morgens sein. Ich ging in die
Küche, die neben meiner Kabine war, und kochte eine
tüchtige Portion Thee und aß dazu beinahe eine halbe
Blechkapsel englischer Biscuits, von denen ich einige
Dutzend Kistchen unversehrt entdeckt hatte. Meine Sorgen
und Aengsten waren ausgeschlafen. Ich fühlte mich stark
und kräftig, und hoffte den Kapitän, wenn er nicht gar
zu wüthend ivar, falls er überhaupt noch lebte, bändigen
zu tonnen. Um nach ihm zu sehen, stieg ich auf das
Deck.
Decke und Kapitän waren verschwunden! Ich sühlte
doch einige Besorgniß und nicht geringes Bangen,
das Kapitänslogis zu betreten. Wenn er bei meinem
Eintritt mich niederschoß, eine verborgene Waffe be-
nutzend, oder mir den schweren Zündstein, der ans
dem Tische stand, an den Kopf warf? Geheuer
ivar die Sache keineswegs, und Vorsicht vor allen
Dingen gut.
Ich bewaffnete mich daher mit einer eisernen Stange,
die ich gefunden hatte, und kletterte die Treppe zur
Kapitänskajüte hinab. Trotzdem ich absichtlich nicht
leise auftrat, regte sich in der Kabine nichts. Lautlos
schlich ich nun in den Raum.
Dort lag der Kapitän auf dem Sopha mit dem
Tuche bedeckt und schlief sichtlich tief und ruhig. Die
Augen hatten blaue schatten, das Gesicht war bleich
und abgezehrt, die Haare erschienen mir grauer als
vorher, aber der starre, verzerrte Gesichtsausdruck war
aus den Zügen verschwunden. Die Nacht in der kalten,
frischen Luft mußte eine KrisiS herbeigeführt haben,
denn der Mann sah wohl schwer erschöpft und sehr
heruntergekommen, jedoch absolut nicht mehr so krank
nnd entstellt wie gestern aus.
Ich ging an ihm vorbei in die Kabine der Kranken:
diese lag unverändert — doch etwas war anders, sie hatte