Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Jahrg. 1904.

Die junge Witwe,
Kriminalroman von Auguſte Sroner.

(Fortfegung.)



Machdruck verboten.)
ojerth nickte höchlich zufrieden über den
Anblick, der ſich ihm bot. In der heraus-
gezogenen breiten Lade gab es nichts als
/ verſchiedene Arten von Papier, auch Brief-
yapier und Umfchläge in Menge, ſowie Federn,
Löſchblaͤtter und alles andere zum Schreiben Nötige.
Das alles war ebenſo praktiſch als nett in der
Lade verteilt — für einen Pedanten ein Anblick
zum Entzücken. Loſerth, der Mann
des Amtsſtils, mochte wohl auch ein
Pedant ſein, denn er erfreute ſich ſicht-
lich an der hier zu Tage tretenden

Ordnungsliebe des Verſtörbenen

„Sehen Sie, lieber Kneisl, ſo war
er in allem,“ Jobte er den Toten aus
aufrichtigem Herzen heraus „Alles
hat gut ausgerechnet und gut ein-
geteilt ſein müſſen. Ordnung — das
war ſein Hauptprinzip, Ordnung und
Sparſamkeit Nicht einen Knopf hätte
er weggeworfen, und nicht eine Feder
hätte man ihm anders hinlegen
dürfen, als er's gewohnt war Er
hat halt immer gewußt, was er will.
Und dann hat er's auch ausgeführt,
und wenn’S durch dick und dünn ge-
gangen wäre, ſeine eiſerne Konſequenz
hat nicht nachgelaſſen.“

Zur Außerung dieſer Gedanken
war der brave Graukopf durch die
tatſächlich auffallende Ordnung in
Lanskys Schreibtiſchſchublade be-
geiſtert woxden. Er ſah es nicht, daß
Kneisls Augen bei einer gemiffen
Stelle dieſex Lobrede aufblitzten, und
daß ſchließlich ein bitteres Lächeln
auf ſeinen Lippen blieb. ;

„Und ſolch ein Menſch muß ſo zu
Erunde gehen! Solch ein Menſch!“
ſchwärmte Loſexth weiter. „Weil zwei
Strolche ſein Geld wollen, muß er
ſterben!“

„Hat Ihnen dex Schauſpieler, den
Sie ja bei der Schlußverhandlung
geſehen haben, einen ſehr ſchlechten
Findruck gemacht?“ erkundigte ſich
Kneisl.

Loſerth lachte kurz auf „Ich bitt'
Sie! Ein verbummelter Romödiant,
der auch noch im Gerichtsſaal Komödie
ſpielt, wie ſoll denn der keinen ſchlech-
ten Eindruck machen? Freilich, wenn
ich nicht gewußt hätte, daß er einer
der Mörder iſt, ich hätt' ihn für un-



laffen.“

„Ich 0a von der Frau Keppler gehört, daß
er ein recht hübſcher Menſch ſei.“

„Stimmt. Wiewohl mir ſo lichtblonde Männer
eigentlich nicht gefallen.“
Wieder lächelte der Buckelige.

Loſexth hatte die Lade zugeſchoben und
eine andere.

Dieſe enthielt Briefe, Geſchäftsbriefe, wie die
Firmenangaben auf den Umſchlägen zeigten.

Auch in dieſer Lade herrſchle die vollendetſte
Ordnung.

Die Briefe jeder Firma wurden durch Gummi-
ſchleifen zuſammengehalten. Überdies waren die
Schreiben alphabetiſch geordnet.

öffnete

2

Eine dritte Lade enthielt nur Druckſachen ſeiner
eigenen Firma.

Nun waren nur noch zwei große Laden da und
zwei ganz kleine.

Die eine der großen Laden enthielt nichts als
zwei Notizbücher, die andere amtliche Zuſchriften.

„Das iſt, was ich brauche,“ ſagte Loferth, als
er der Schriften anſichtig wurde. „Jetzt, Kneisl,
können Sie mir helfen Da ſind die Steuerquit-
tungen, und hier die Geſchäftsurkunden. Suchen Sie
mir die Quittungen von den zwei letzten Jahren
heraus.“

Kneisl ſtreckte die Hand danach aus.

„Ah — nein, bleiben Sie. . Da ſetzen Sie ſich
her. Ich muß ja erſt die Eingabe ſchreiben, die
an das Steueramt geht.“ Der Buchhalter ſtand
auf, drückte die letztgeöffnete Lade
wieder gut zu und ging zu ſeinem
Tiſch.

Auf halbem Wege kehrte er wie-
der uun „Es wird am beſten ſein,
Sie notieren gleich die einzelnen Daten
und Poſten. Ich bringe Ihnen ſchon
Bapier und Bleiſtift. Dann vergleichen

Eine Minute ſpäter war Loſerth
in ſeine Eingabe vertieft, und Kneisl
allein. Während der nächſten Viertel-
ſtunde war in dem weiten Raum
nichts zu hören als das Kritzeln der
Feder des Buchhalters und das Um-
wenden der Papiere, welche durch
Kneisls Hand gingen. Auch huſtete
der Zeichner ein paarmal.

Es geſchah, während er die zwei
kleinen Laden aufzog, an welche
Loſerth ſchon früher die Schlüſſel ge-
ſteckt hatte.

Ein raſcher Blick ſagte ihm, daß
die eine leer ſei, und die andere
nichts als Poſtquittungen und etliche
ſcheinbar leere Umſchläge enthielt.

Abermals huſtend ſchob er die
beiden Laden wieder zu.

Sehr bald danach konnte er dem
Buchhalter melden, daß er mit der
ihm aufgetragenen Arbeit fertig ſei.

Danach arbeiteten ſie beide eine
Zeitlang miteinander, und der Zeich-
ner glaubte ſchon, daß er ganz um-
ſonſt dieſen Schreibtiſch offen vor ſich

geſehen habe, als der Zufall ihm zu
Hilfe kam.

Einer der Gehilfen meldete Herrn
Loſerth, daß die Frau Bezirksrichterin
da ſei und das Material zu dem von
ihr beſtellten Grabſtein ſehen wolle.

„Oje! Kommt mir jetzt ſehr un-
gelegen,“ brummte Loſerth, „aber da
läßt ſich nichts machen. Ich muß
hinaus Geben Sie aber achk, Kneisl,

daß mir die Papiere nicht in Unord-

ſchuldig halten können, ſo ſcheinheilig
hat ſich der Kerl geſtellt. Aber die





nung kommen. Am geſcheiteſten iſt's,
Sie rühren gar nichts an.“
 
Annotationen