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Die Ponnies jagten die ſteile Auffahrt hinauf.
Der alte weißhaarige Kaſtellan trat mit leichter
Verbeugung an den Wagen. Der Kammerdiener
in ſchwarzem Anzug, ein junger Lakai in blauer
Livree ſtanden in der Vorhalle, die mit Rüſtungen,
Waffen, Rehkronen und Hirſchgeweihen dekoriert war.

Hans-Henning hatte kaum ſeinen Staubmantel
abgelegt, als ſich auch ſchon die Tür, die nach den
Wohnräumen führte, öffnete und Hildegard v. Krö-
chert, die älteſte der drei Geſchwiſter, ſchnell auf
ihn zukam. Sie begrüßte den Bruder mit glücklich
ſtrahlendem Geſicht. Seine ſeltenen Beſuche waren
immer Feſttage für ſie Ihre gutgeſchnittenen, aus-
drucksvollen Züge und dunklen Augen glichen dem
Bruder, aber über ihrer ganzen Erſcheinung lag
etwas Mütterliches, Sorgliches. Die übernommenen
Pflichten hatten ſie früh gereift. Man merkte an
der ruhigen Sicherheit ihres Weſens, daß ſie ge-
wohnt war, die Rolle der Herrin in dieſem großen
Hauſe zu ſpielen, ihren Geſchwiſtern mehr Mutter
wie Schweſter zu ſein.

Trotz ihrer innigen Umarmung ſchien Hans-Hen-
ning etwas zu vermiſſen. Er ſah ſich wie ſuchend
um, ehe er mit Hilde in ihr Wohnzimmer ging.

Hilde erriet ſeine Gedanken. Der Vater war
ſonſt ſtets dem Sohn ſchon an der Treppe entgegen-
geeilt. „Vater ſitzt mit ſeinem Rechtsanwalt und
rechnet.“ Dann trat ſie an den großen, runden
Tiſch, auf dem der Samowar kochte, und ſchenkte den
Tee ein. „Er wollte nicht geſtört werden, Hans-
Henning. Er bittet dich, ſobald ſeine Unterredung
beendet iſt, zu ihm zu kommen. — Willſt du nicht
mit uns Tee trinken, Ilſe?“

Das junge Mädchen zögerte. Sie ſtand ſchon
an der Tür. „Sofort — ich muß nur erſt nach-
ſehen, ob der Briefträger da war.“

„Jawohl — in deiner Stube liegt ein Brief.“
Hildes Ton klang etwas vorwurfsvoll.

Ilſe tanzte aus dem Zimmer.

„Wie könnt ihr das dulden, daß ſie mit Hilmar
Bodenhauſen korreſpondiert?“ Hans-Henning ſtellte
ſeine Taſſe hin. „Weiß der Vater das?“

„Nein“ Hildes Geſicht wurde ernſt. „Ich er-
ſpare ihm jetzt gern Aufregung und Arger.“

„Ich werde die Angelegenheit ordnen. Morgen
reite ich zum alten Bodenhauſen und mache der Ge-
ſchichte ein Ende.“

„Tu das lieber nicht, Hans-Henning. Vater
iſt auf den alten Bodenhauſen nicht gut zu ſprechen.“

„Warum?“

„Vater wollte eine gekündigte Hypothek erſetzen
und bat Bodenhauſen um ſeine Vermittlung bei der
Landſchaft. Der aber ſchlug es rund ab.“

„Wie merkwürdig! Ich dachte, Hypotheken auf
ſicheren Grundbeſitz bekäme man immer.“

Hilde ſah vor ſich hin. „Mir iſt das auch nicht
klar Vater läßt ſich aber nicht gern ausfragen-
Er iſt ſehr verſchwiegen in Geſchäftsſachen. Er hat
in letzter Zeit große Verluſte gehabt — das weiß
ich.“
Ilſe kam mit ſtrahlendem Geſicht wieder zur
Tür herein. Zwei ſchwarzbraune Teckel hinter ihr
her. „So, jetzt bin ich bereit zum Teetrinken und
ſonſtigen Schandtaten!“ ſagte ſie luſtig.

Männe und Peter bellten Hans-Henning, den
ſie noch nicht kannten, mit ohrenzerreißender Aus-
dauer an.

„Gute Nachrichten gehabt?“ fragte er ironiſch.

„Danke — vorzügliche!“

Ilſe ließ unbekümmert die Dachshunde rechts
und links von ſich auf dem blauen Damaſtſofa ſitzen.
Sie verteilte Zwieback zwiſchen ihnen. Die Teckel
knurrten und bellten. Ilſe lachte und ſchalt ab-
wechſelnd, denn man koͤnnte ſich kaum mehr ver-
ſtändigen bei dem Lärm.

„Höre, Ilſe, zu einer Dichtersgattin paßt du
aber gar nicht!“ meinte Hans-Henning endlich ver-
zweifelt. „Ruhe und Stille ſcheinen dir unbekannte
Begriffe zu ſein.“

„Hilmar muß es eben lernen, auch bei Skandal
zu dichten,“ antwortete Ilſe übermütig. Sie ſprang
auf, ſtieß die Tür zur Veranda auf und lief, von
den Teckeln gefolgt, in den Garten hinunter.

Hans-Henning trat ebenfalls ins Freie. Der
Garken, der auch unter Waſſer geſtanden hatte,
war notdürftig zurecht gemacht worden. Aber troß-
dem ſchienen der Raſen, wie die ſonſt ſehr ſorgfältig
gehaltenen Beete ſchwer gelitten zu haben.

Hilde folgte dem Bruder, „Bitke, Hans-Hen-
ning, necke Ilſe nicht!“ hat me „Das beſtärkt ſie
nur in dem Gedanken, Hilmar doch noch heiraten
zu können.“

„Ich glaube, es iſt beſſer, dieſen Plan lächerlich
zu machen, ſtatt ihren Eigenſinn zu reizen! GSie
fühlt ſich ſonſt als Märtyrerin und verſteift fich immer
mehr darauf.“

„Wegſpotten läßt ſich dieſe Liebe nicht mehr,
dazu ſitzt ſie zu feſt,“ ſeufzte Hilde. „Ich kann aber

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kein Glück in dieſer Verbindung ſehen. Denke dir
Unſere friſche, übermütige Ilſe in eine enge Ber-
liner Stadtwohnung geſperrt, zuſammen mit einem
nervöſen, launenhaften Mann — denn beides iſt
Hilmar im höchſten Grade — in ganz fremden Ver-
hältniſſen in einer Umgebung lebend, von denen ſie
nicht einmal eine Ahnung hat.“

„Das ließe ſich ſchon überwinden. Aber die
ganze Geſchichte paßt mir nicht für meine Schweſter.
Ein Mann muß einen ordentlichen Beruf haben-
Vom Tichten lebt man nicht — das iſt Unſinn.“

„Ich glaube, darin irrſt du. Der alte Boden-
hauſen ſagte mir, daß ſein Sohn ganz bedeutende
Einnahmen habe.“

„Vielleicht zeitweiſe, jedenfalls ſind es unſichere.

Ich höre übrigens einen Wagen vorfahren.“

„Das wird der für den Rechtsanwalt ſein.“

„Schön — dann ſuche ich den Vater auf.“

Als nach kurzer Zeit der Wagen wieder vom
Hofe rollte, ging Hans-Henning in den anderen
Flügel des Hauſes, nach dem Arbeitszimmer ſeines
Vaters hinüber. Er ging langſam durch jedes der
wohlbekannten Zimmer. Seine Blicke fahen über
die nicht moderné, aber vornehme Einrichtung hin,
als ob er ſie zum erſten Male mit den Augen eines
Fremden prüfen müßte

„Es wird ihr gefallen!“ ſagte er halblaut vor
ſich hin. Er dachke an Sitta. Sie paßte gut in
dieſe hohen, ernſt und ſtilvoll eingerichteten Räume.
Er ſah fie im Geiſt in dem weit ausgebauten Erker
ſitzen, ein Buch in den ſchlanken Händen, oder lang-
ſam mit ihrer läſſigen Grazie durch dieſen lichtgelben
Empireſaal ſchreiten, um Gäſte zu empfangen, die
berühmte, ſchöne Perlenſchnur feiner Mutter um den
weißen Hals, die Kröchertſchen Familienbrillanten
in dem ſchwarzen Haar. ...

Ein dumpfes Sköhnen vom Nebenzimmer her riß
ihn unſanft aus ſeinen Träumen. Er machte ſchnell,
ohue vorher anzuklopfen, die Tür zum Arbeitszimmer
auf und trat ein.

Der alte Herr v. Kröchert ſaß zuſammengeſunken
an ſeinem mit Papieren bedeckten Schreibtiſch. Der
Kopf wax auf die Tiſchplatte gelehnt, ein halb
ſchluchzendes Stöhnen kam von ſeinen Lippen.

„Vater — um Gottes willen, Vater!“ Hans-
Henning verſuchte den Vater aufzurichten. Zu ſeinem
Schrecken ſah er in ein ganz verſtörtes, wachsbleiches
Geſicht.

„Sei ſtill, ſag kein Wort — ich bitte dich.“ Der
alte Mann faßte den Arm des Sohnes. „Eine
Schwächeanwandlung — ich weiß ſelbſt nicht was ...“

Hans-Henning führte den Vater zum Sofa-
Auf dem Tiſch ſtanden noch Gläſer und eine an-
gebrochene Weinflaſche. Er goß ſchnell ein Glas
ein und hielt es dem Vater an den Mund.

Der alte Kröchert trank es durſtig aus. Die
Farbe kehrte in fein Geſicht zurück. Seine Züge
glichen denen des Sohnes. Sein kurz geſchnittenes
Haar war eisgrau, ebenſo wie der zugeſpitzte Backen-
bart. Etwas Schlaffes, Müdes in der ſonſt ſo
ſtraffen Haltung, dem Blick der glanzloſen ein-
geſunkenen Augen fiel Hans-Henning ſchmerzlich
auf. Die Veränderung, die im letzten Jahr mit dem
Vater vorgegangen, war in der Tat erſchreckend.

„Du mußt nicht ſolch beſtürztes Geſicht machen!“
ſagte der alte Kröchert nach einer Weile gefaßter.
„Es hat wohl jeder mal einen Augenblick der Mut-
loſigkeit. Ich fühle mich ſeit längerer Zeit ſchon
nicht wohl — dazu die Aufregung wegen der Über-

ſchwemmung. Mehrere Hypotheken ſind mir ge-
kündigt worden. Ich ſprach deshalb mit meinem
Rechtsanwalt. Keiner hat Geld — ich kann nichts

mehr aufnehmen.“

Hans-Hennings Bruſt ſchnürte ſich zuſammen.
Das Benehmen des Vaters erſchien ihm ſeltſam.
Er war ſo in ſeine Geſchäfte und Sorgen vertieft,
daß er kein Wort der Begrüßung für ihn zu finden
ſchien.

„Nun hab' ich mir noch den alten Bodenhauſen
zum Feind gemacht,“ fuhr Herr v Kröchert fort
„Der könnte mir das Geld geben, aber er will nicht
— wegen der dummen Geſchichte mit Ilſe. Mein
Gott — ich will ja zugeben, daß ich zu ſchroff ant-
wortete — ich werde alſo einlenken Wenn Hilmar
in Staatsdienſte treten will, könnte man weiter
ſehen. Willſt du morgen mal zu Bodenhauſens hin-
überreiten, Hans-Henning, und etwas dem Ahnliches
ſagen?“

„Ich will ſehen, Vater, — peinlich iſt es zwar.


wünſchenswert.“

Der alte Kröchert zuckte die Achſeln Wenn
Hilmar eine Staatsanſtellung bekommt, läßt ſich
eigentlich nichts mehr gegen ihn ſagen. Er iſt ein
geſcheiter Kopf.“ Er trommelte nervös mit den
Fingern auf der Tiſchplatte „Ich muß Geld haben.“

Ich dachte, dır wollteſt im Forſt ſchlagen laſſen.
Das deckt gewiß den Schaden?“

„Kaum die Hhpothekenauszahlung. Wenn ich
aber den ganzen Wald —— — —“

„Es kann doch nicht ſo ſchwer fein, Geld auf-
zunehmen?” fragte Hans-Henning vermundert. „Sin
Gut wie Rotenwalde iſt doch bombenficher.“

„Notenwalde wird immer überſchäßt! Durch
die Antwort klang eine ſeltſame Gereiztheit. „Alle
paar Jahre Überfchmwemmungen, das große Haus
was das alles foftet! ... XC hab3 überhaunt
viel zu teuer gekauft. Na — aber ſchweigen wir
nun von Geſchaͤften. — Alſo du tuſt mir den Ge-
fallen und reiteſt zu Bodenhauſens?“

„Gewiß, Vater.“

„Natüpxlich darfſt du wegen dex Hypothek nicht
dringlich tun ‚.. und auch mit meinen veränderten
Anſichten Hilmar betreffend nicht mit der ür ins
Haus fallen, ſondern dich recht diplomatiſch aus-
drücken. Du bift ja Hofmann.“ Der alte Kröchert
klopfte ſeinem Sohn lachend auf die Schulter, aber
die Heiterkeit erſchien etwas gezwungen-

Hanus-Henning berührte das Lachen peinlich.
Sein Vater tat ihm grenzenlos leid. Ein unheini-
liches Gefühl, dem er nicht recht Namen zu geben
wußte, beſchlich ihn, „Vater, wäre es nicht beffer,
ich nähme den Abſchied?“ fing er an. „Du kaunſt
gewiß nicht mehr alles allein beaufſichtigen.“

„Daxum mach dir keine Sorge. An Beaufſich-
tigung fehlt es nicht, nur an Geid.“

„Du würdeſt dann meine Zulage ſparen“

„Willſt du vielleicht von deiner Rittmeiſterpenſion
leben?“

„Nun, jedes Jahr ſind doch nicht Kberſchwem-
mungen!“ begütigte Hans-Henning.

„Nein. Aber eine wie dieſe letzte ruiniert einen
auf Jahre hinaus.“

„Vater, könnteſt du dich nicht an Onkel Heinrich
wenden?“ fing Hans-Henning zögernd an.

Er erwartete einen Zornesausbruch oder doch
jedenfalls eine entrüſtete Ablehnung des Vaters.
Aber Herr v. Kröchert ſchien gar nicht erſtaunt zu
ſein. Er mochte den Vorſchlag auch ſchon oft er-
wogen haben.

Trotzdem ſchüttelte er traurig den Kopf. „Der
gibt nichts!“ ſagte er endlich lakoniſch. „Nichts wie
den guten Rat: „Verkauf die oberſchlefiſche Herr-
ſchaft und komm wieder in die Mark, wohin du
gehörſt.“ — Seit bald dreißig Jahren hab' ich ihn
nicht geſehen — und doch weiß Ich, er iſt ganz der
alte in ſeinem zähen Trotz.“

„Warum iſt er uns eigentlich ſo böſe? Kann
er das immer noch nicht verwinden, daß du Roten-
walde kaufteſt?“

Der alte Kröchert ſtand auf. Seine Geſtalt mar
noch jugendlich ſchlank und ſehnig. Mit zuſammen-
gelegten Händen ging er langſam im Zimmer auf
und ab. „Nein, das hat er nie vergeben,“ ſagte
er endlich leiſe wie zu ſich ſelbſt ſprechend. „Ich
war der Alteſte, mir gehörte Malchow, das alte
Stammgut unſerer Familie. Es liegt in einem häß-
lichen Teil der Mark — alles Sand, Heidekraut,
Kiefern, ein langes einſtöckiges Gutshaus ſehr ein-
fach und ländlich das Ganze. Deine Mutter mochte
nicht dort ſein. Sie war eine verwöhnte Schönheit,
geborene Schleſierin. Sie drängte mich zum Ver-
kauf, und ich tat ihr den Willen. Dieſe Herrſchaft
Rotenwalde ſollte Verhältniſſe halber gerade los-
geſchlagen werden — ſo kam es. Mein Bruder war
außer ſich. Von ſeinem Standpunkt kann ich's ja
verſtehen. Er riet ab, bat, ſchalt, verſchwor ſich
endlich, an dem Tage, an dem Malchow in fremde
Hände überginge, kenne er mich nicht mehr. Ich
kaufte Rotenwalde trotzdem. Ich habe verſchiedene
Male eine Annäherung anzubahnen geſucht — ver-
gebens. Er hat weiter wie ein Bauer gelebt, wie
ein Bauer gearbeitet, ſich nichts gegönnt, bis er
Malchew wiederkaufen konnte.. Daß ev vor etwa
zwölf Jahren eine alte Jugendliebe, die Witwe eines
früheren Regimentskameraden, die ihm eine kleine
Tochter mit in die Ehe brachte, heiratete, weißt du-
Armer Junge, damit iſt euch die letzte Ausſicht auf
die Erbſchaft verbaut. Er ſoll das Kind närriſch
lieben, beſonders ſeit dem Tode ſeiner Frau.“

„Es freut mich, daß er Malchow wiederkaufte,“
antwortete Hans-Henning einfach.

„Ach, waͤs helfen mir alle feine Grundſätze, Tra-
ditiönen und Ideen — das iſt alles Geſchwätz!“
meinte der alte Kröchert unwirſch. „Du wirſt ſehen,
er vermacht Malchow ſeiner Stieftochter Dadurch
kommt das Familiengut der Kröcherts doch wieder
in fremde Hände Das nennt man Theoxie und
Praxis. Nein, mein Junge, von Onkel Heinrich
iſt nichts zu hoffen.“ } ;

„Vielleicht könnte er dir aber jemand nachweiſen,
der —“

„Nein — nein! Ich will ihn um nichts bitten.
Ich“weiß die Antwort zu genau. Dem ſeh' ich mich
L ; }

Hans-Henning blieb eine Zeitlang in Nachdenken
 
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