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verſunken ſitzen. Dann hob er den Kopf und ſah
dem Vater gerade ins Geſicht. Er wußte ſehr wohl,
daß der jehige Moment der denkbar ungünſtigſte
war, aber feiner offenen Natur widerſtrebte alles
Verſteckſpielen. „Vater, du wieſeſt meinen Vorſchlag
vorhin zurück —“

Welchen Vorſchlag, mein Junge?“ Der alte
Kröchert blätterte in den Papieren auf ſeinem Schreib-
tiſch und ſchien ſehr zerſtreut zu ſein.

„Ich ſagte, ich woͤllte den Abſchied nehmen und
dir hier in Rotenwalde helfen.“

„Hm — du möchteſt wohl heiraten?“

— en

Der Alte hob aufmerkſam den Kopf. „Eine
reiche Erbin was? Das könnte uns helfen!“

Hans-Henning warf ſeinem Vater einen traurigen
Blick zu. Es mußte ſchlimm ſtehen, wenn ſein vor-
nehm geſinnter Vater zuerſt an Geld bei ſeiner
Schwiegertochter dachte.

„Nein, Vater, ſie iſt arm, nur reich an Schön-
heit, Geiſt und Herzensgüte.“

Der alte Kröchert ſeufzte. „Du ſprichſt gewiß
von eurer Hofdame in Glückſtadt?“

Ja, Vaͤter es iſt Sitta v. Hohenthal?

„Die hat keinen Pfennig. Ich kenne die Ver-
hältniſſe genau. Als ihr Vaͤter ſtarb, war von dem
ganzen Vermögen nichts mehr da. Die alte Hohen-
thal hatte mit ihren Anſprüchen und Launen ihren
Mann ruiniert.“

„Ich weiß es.“

Und die Tochter ſoll es wohl mit dir ebenſo
machen?“

„Sitta iſt ganz anders wie ihre Mutter. Wenn
ich dir die hervorſtechendſte Eigenſchaft ihres Cha-
rakters nennen ſoll, ſo iſt es Pflichttreue.“

„Sehr ſchön. Aber mit Pflichttreue bezahlen wir
nicht unſere Hypothekenſchulden!“ lachte der alte
Kröchert ſcharf auf. „Schlag dir die Geſchichte aus
den C wein Zunge MS der Hewmar kann
nichts werden Du haſt doch der jungen Dame
hoffentlich noch nichts geſagt?“

Ich glaube, ſie weiß daß ich ſie liebe.“

„Und ſie liebt dich wieder?“

„Darauf kann ich nichts ſagen.

leicht zu durchſchauen.“
„Jedenfalls biſt du alſo nicht gebunden — das
iſt die Hauptſache.“

Hans-Henning bemerkte des Vaters nervöſe
Abſpannung. „Wir ſind eigentlich zu gar keiner
Entſcheidung gekommen!“ ſagte er mit leiſem Seuf-
zer und wandte ſich zur Tür.

Der alte Kröchert nahm wieder an ſeinem Schreib-
tiſch Platz. „Es hängt alles davon ab, ob ich neue
Hypotheken aufnehmen kann und wie viel ich aus
dem Forſt ſchlagen laſſen muß. Ich habe einige
günſtige Angebote von Holzhändlern Sprich nicht
mit deinen Schweſtern von dieſen Geſchichten, Haus-
Henning — ſie brauchen es nicht zu wiſſen. Wahr-
ſcheinlich ſehe ich alles zu ſchwarz. Auf Wieder-
ſehen beim Eſſen!“

Hans-Henning ging mit einem ſeltſam ſchweren
Gefühl im Herzen durch dieſelbe Reihe von Zimmern
wieder zurück zur Halle, von der aus die Treppe
in den oberen Stock zu ſeinem alten Knabenzimmer,
das er immer noch bewohnte, führte. Der Diener
hatte ſchon ſeinen Koffer ausgepackt und alles weg-
gehangen und eingeräumt.

Der junge Offizier ſetzte ſich auf den Stuhl, der
auf dem erhöhten Fenſtertritt ſtand. Der Blick in
den Garten, der noch ſo deutliche Spuren der Über-
ſchwemmung trug, tat ihm weh. Er mar froh, als
die anbrechende Dämmerung alles in ihre weich ver-
ſchwimmenden Schatten einſpann. Die Fontäne auf
dem großen Raſenrondell vor dem Haufe plätſcherte
— e5 klang wie leiſe fallender Regen. Der Duft
der Roſen, die in zweitex Blüte ſtanden, der ſtarke
Geruch der Reſedaeinfaſſung der Beete zog zu ihm
herein. Er lehnte den Kopf an das Fenſtͤrkreuz.

Qunkelgrüner Efeu, der die ganze Gartenfeite
des Hauſes umzog, zwängte ſich hier bis in die
Stube und umhing mit den Blüten der gelbroten
Kapuzinerkreſſe zufammen ſein Fenſter wie mit Gir-
landen Kindheſtserinnerungen Tauchten in ihm auf.

Sr konnte die Bilder an den Wänden nicht mehr
deutlich erkennen, aber er wußte ja fo gut, was fie
darſtellten. Yagd-, Hunde- und Pferdebilder, Kohle-
zeichuungen von ſeiner eigenen Hand, die viel Liebe
zur Sache, wenn auch kein großes Talent verrieten.
Der Büchexſchrank mit all den alten Indianergeſchich-
ten, Zeeabenteuern und Reiſebeſchreibungen, ſeine
erſte Büchſe, zu dex Schweſter Hilde damals den Ge-

Sitta iſt nicht


der Wand lein ſchmales eiſexnes Bett, eine glatte,
weiße Wolldecke darüber geſchlagen. Er bildele ſich
nun einmal ein, hier nur in dieſem Bett, in feiner
alten Stube ſchlafen zu können. Morgens beim Er-
wachen mußte er den großen Riedingeeſchen Kupfer-
ſtich, eine Parforcejagd darſtellend, vor fich fehen,

— 413 —

Abends das leiſe Plätſchern des Springbrunnens
oder das eintönige Tropfen der Dachrinne hören.
Dabei ſchlief ſich's ſo gut ein. Wie viele hochfliegende
Jugendträume wurden hier geträumt! ...

Er ſtützte den Kopf in die Hand. Ein würgen-
des Gefühl ſchnürte ihm den Hals zu. Rotenwalde
verſchuldet, mit Hypotheken über den Wert belaſtet
— konnte das währ ſein? „Ich will mich einſchrän-
ken bis an die Grenze der Möglichkeit, werde ar-
beiten wie ein Taglöhner, aber die Heimat muß uns
erhalten bleiben!“ fagte er ganz laut vor ſich hin.

Erſt der hallende Ton des Gong weckte ihn gus
ſeinen Gedanken. Haſtig zog er ſich um. Man
pflegte in Rotenwalde im Frack bei Tiſch zu erſcheinen.
Er fand feinen Vater und die Schweſtern ſchon in
Hildes blauem Salon verſammelt. Unmittelbax nach
feinem Eintritt meldete der Kammerdiener durch eine
Verbeugung, daß angerichtet ſei.

Mit ſeinem durch die ſorgenvollen Gedanken ge-
ſchärften Blick muſterte Hans-Henning das Speiſe-
zimnier, den mit blendendem Damaſt und blitzendem
Silber gedeckten Tiſch, den eine Fülle von Blumen
ſchmückte. Gelbe und rote Roſen wuchſen aus
flachen ſilbernen Schalen heraus, lagen loſe zu-
ſammengebunden in jeder der kunſtvoll gefalteten
Servietten. Der Kammerdiener bediente nicht mit,
er überwachte nur das Servieren der zwei jungen
Diener. Das Eſſen war tadellos gekocht und an-
gerichtet.

Auch die Toiletten der Schweſtern fielen Hans-
Henning heute auf.

Hildes dunklem Seidenkleid ſah man die teure
Schneiderarbeit, trotz der einfachen Garnierung, deut-
lich an. Ilſes ſchlanker Geſtalt ſaß die lockere weiße
Muſſelinbluſe mit den vielen echten Spitzen, der
kniſternde hellblaue Taffetrock reizend.

Der ganze Haushalt, die Toilette der Damen,
Bedienung — alles wurde hier in Rotenwalde mit
einer ſo ſelbſtverſtändlichen Großartigkeit geführt
und hergerichtet, daß es Hans-Henning wie ein
greller Widerſpruch zu den verwickelten Geldperhält-
niſſen erſchien. Er konnte nichts mehr eſſen und
ließ den ihm präſentierten Rehrücken vorühergehen.

„Biſt es wohl beſſer gewöhnt, mein Junge?“
neckte der alte Kröchert. „Fürſtliche Diners können
wir freilich nicht bieten — was, Hilde?“

„Es iſt hier kein bißchen weniger gut gekocht
und elegant ſerviert wie in Glückſtadt,“ entgegnete
Hans-Heuning kurz-

Der Hausherr faßte das als Kompliment auf
und trank ſeiner älteſten Tochter zu. „Das iſt Hil-
des Verdienſt — die verſteht ihr Reſſort muſterhaft.“

Der alte Herr war wieder ganz heiter geworden.
Hanus-Henning bemerkte, daß er dem ſchweren Rot-
wein, der zum Geflügel gereicht wurde, fleißig zu-
ſprach, er bemerkte aber auch Hildes ſorgenvollen
Blick, mit dem ſie des Vaters Geſicht ſtreifte, wenn
er wieder ein Glas austrank. Der Vater war ſonſt
ſtets ſehr mäßig im Eſſen und Trinken geweſen.

„Es iſt wohl warm genug, um den Kaffee im
Gartenſaal zu trinken?“ bat Ilſe.

Der alte Kröchert nickte: „Spielſt du uns dazu
etwas vor, Maus?“ ;

Er ſah mit zärtlichem Blick in das Geſicht ſeiner
jüngſten Tochter, die ſein beſonderer Liebling war.
Sie hing ſich an ſeinen Arm, und er drückte den
hübſchen rotlockigen Kopf an ſeine Schulter.

Die Verſtimmung, die wegen Hilmars abgewieſe-
nen Antrag zwiſchen ihnen beiden geherrſcht hatte,
war ihm unſäglich peinlich geweſen. Ilſe ſchien aber
jetzt ihre Taktik ändern zu wollen und Schmollen
und Tränen in Küſſe und Schmeicheln umzuändern.
Eine Gefechtsweiſe, die dem alten Kröchert unbedingt
ſympathiſcher zu ſein ſchien.

Im Gartenſaal nahm der in die Mitte des
Zimmers geſchobene Flügel viel Platz fort. Immer-
hin blieb der Raum nöch groß genug. Bequeme
Eckſofas, ein runder Tiſch mit Zeitungen und Jour-
nalen belegt, Korbſtühle in allen Farben und For-
men machten den Saal höchſt gemütlich. Vor den
bis zur Erde reichenden Fenſtern ftanden große Blatt-
pflanzen, Palmen, Muſas und blühende Topf-
gewächſe terraſſenförmig aufgebaut. Ihr üppiger
Flor lobte die ſorgſame Pflege des Gärtners. Der
Diener ſtellte Lampen
Mitteltiſch. Die Türen zum Garten blieben offen.
Die laue Abendluft ließ die zartroſa Schirme flattern.

Ilſe ſchlug den Deckel des Flügels zurück. Sie
wählte heute lauter Lieblingsſtücke des Vaters, der
ein begeiſterter Verehrer italieniſcher Muſik war,
alte Opernmelodien, venezianiſche Barkarolen, ein
ſüßes Liebeslied von Toſti.

„Das nenn' ich doch noch Muſik!“ lobte der alte
Herr. „Und wie ſie ſpielt — ausgezeichnet, nicht
wahr?“

Hans-Henning bejahte ohne rechte Begeiſterung.
Hilde beugte ihren glatten braunen Scheitel über
eine mühſame Stickerei. Sie nickte der Schweſter


freundlich zu, als die ſich nach beendetem Spiel, dicht
neben dem Vater, in ihrem bevorzugten Schaukel-
ſtuhl wiegte.
„Vati!“ fing Ilſe nach einer kleinen Pauſe an.
Der alte Herr fah von ſeiner Zeitung auf. Er

ließ den Kneifer fallen Den Ton kannte er. „Was
möchteſt du denn haben? fragte er nur „Ein

neues Kleid oder ein anderes Reitpferd?“

„Viel billiger tu' ich's Diesmal. Ich will nur
hinterher deine Erlaubnis zu etwas haben.“

„So — hinterher? Eigentlich fragt man vor-
er

„Ja — eigentlich, aber uneigentlich eben nicht.“

„Alſo?“

Ilſe zögerte etwas. Hilde ſah ſie warnend an.
Aber ſie ließ ſich nicht einſchüchtern. „Ich kor-
reſpondiere nämlich mit Hilmar,“ ſtieß ſie ſchnell her-
aus, „und es iſt mir nicht angenehm, es hinter
deinem Rücken zu tun. Darum wollte ich dich lieber
bitten, ob du es nicht erlauben willſt, Vati?“

Hanus-Henning machte ſich auf einen heftigen
Ausbruch ſeines leicht erregten Vaters gefaßt, aber
5 alte Kröchert blieb wider Erwarten ganz ge-
aſſen.

„Du hätteſt das nicht tun ſollen, Ilſe!“ ſagte
er ruhig „Ich kann es dir vorläufig weder erlau-
ben noch verbieten, mit Hilmar zu korreſpondieren.
Hans-Henning reitet in den nächſten Tagen zu
Bodenhauſens hinüber. Von dem Reſultat ſeines
Beſuchs wollen wir alles abhängen laſſen.“

„Da möcht' ich aber mit! bat Ilſe lebhaft.

„Nein, Kind, dabei kann ich dich nicht brauchen,“
wies Hans-Henning kurz ab. Das Benehmen ſeines
ſtolzen Vaters erſchien ihm unbegreiflich. Eigentlich
boten ſie Ilſe den Bodenhauſens jetzt beinahe an.

Er zürnte Ilſe ernſtlich, die ihre Arme um den
Hals des Vaters legte und ihn mit Küſſen und
Schmeichelnamen faſt erſtickte.

Der alte Herr machte ſich endlich faſt gewaltſam
frei und ſchob ſie ſanft von ſich. „Ich muß noch
arbeiten — laßt euch nicht ſtören, Kinder.“

„Fühlſt du dich nicht wohl, Vater?“ fragte Hilde
beſorgt.

„Doch doch Sorg dich nur nicht!“ wehrte
er die Frage der Tochter ungeduldig ab, während
er Ilſe die ſchon wieder wie eine Klette an ihm
hin, zärtlich küßte.

In Hildes Geſicht ließ ſich keine Spur von Ver-
ſtimmunß bemerken. Sie war es von jeher gewöhnt,
gegen ihre Geſchwiſter zurückzuſtehen. Der Brudex
blieb der Stolz des Vaters, Ilſe fein Spielzeug und
Liebling. Hilde fand das gerecht; ſie liebte ihre
Geſchwiſter mit Hingabe, ohne jeden Egoismus.

Hans-Henning ſtrich über ihre Hand, die noch
immer fleißig die Nadel führte. „Alte gute Hilde!“

Sie ſah mit zärtlichem Blick zu ihm auf.
IZIlſe, die den Vater bis zur Tür begleitet hatte,
füßte Hilde jetzt auf die Stirn. „Gute Nacht, Hilde.“

„Willſt du denn ſchon zu Bett gehen?“ fragte
dieſe erſtaunt.

Bald — CL aber will ich noch ein wenig
Mond- und Sternenſchein in meiner Hängematte
genießen.“

„Bleib nicht zu lange im Freien, es iſt kühl


„Nein — nein, keine Angſt, — Hans-Henning,
nimmſt du mich mit nach Halbendorf zu Boden-
hauſens?“

„Nein, Kind, ich ſagte dir doch ſchon, daß ich
das nicht kann.“ —

„Du kannſt wohl, du willſt nur nicht.“

„Gut — dann will ich alſo nicht.“

Ilſe ſtreckte ihre Zungenſpitze heraus. „Denn
nicht, alter Brummbär! Du wirſt eine ſchöne Über-
raſchung erleben!“ Sie lachte hell auf und lief, die
Tür weit hinter ſich offen laſſend, in den Garten.

Hilde ſchloß die Tüx wieder.

„Und ſo etwas will heiraten!“ Hans-Henning
ſtreifte ſeine Zigarettenaſche an Peters Schwanz-
ſpitze ab, der wie gewöhnlich auf einem der ſeidenen
Stühle lag und über den Mißbrauch ſeines Schwänz-
chens empört knurrte. „Vater verzieht ſie zu ſehr.
Biſt du nie eiferſüchtig auf Ilſe geweſen, Hilde?“

Hilde ließ die Arbeit in den Schoß ſinken und
ſah den Bruder groß an mit ihren ernſten dunklen
Augen „Eiferſüchtig auf Ilſe? Nein — nie, Hans-
Henning Dazu hab ich ſie viel zu lieb.“

Hans-Henning nickte. Eine Weile ſaßen ſie ſtill
zuſammen! Nur das feine Geräuſch von Hildes
Faden, der leiſe knirſchend durch die ſtraffgeſpannte
Seide fuhr, und des Hundes leiſes Schnarchen war
hörbar.

„Sprach Vater mit dir über ſeine Geldſorgen?“
fragte Hilde endlich halblaut.

„Jal. ©3 ſteht ſchlecht, Hilde.“

„Wieſo?“

„Ich weiß natürlich nicht den ganzen Umfang
ſeiner Schwierigkeiten, aber ſo viel iſt mir klar ge-
 
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