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„Bombenfeſt in meinem Teſtament verbrieft
und verſiegelt. Malchow bleibt den Kröcherts, ver-
kaufen können ſie's nicht wieder. Da hab' ich vor-
geſorgt!“

„Wie ſoll ich dir danken, Onkel!“

„Gar nicht. Das verſteht ſich von ſelbſt. Wes-
halb hab' ich denn in meiner Jugend gearbeitet wie
ein Pferd? Doch nur um den Kröcherts Malchow
zurückzuerwerben. Da ich keinen Sohn habe, kriegſt
du's — baſta.“

Hans-Henning ſchwieg eine Weile ſtill. „Mal-
chow wird bei mir in guten Händen ſein — das
verſprech' ich dir!“ ſagte er dann ernſt.

„Weiß ich, mein Junge.“

„Alſo deine Einwilligung hab' ich zu meiner
Heirat?“

„Haſt du, Hans-Henning. Will ſie dich denn
auch? Soll ich ein bißchen zureden?“ Der Alte
machte ein ſehr ſchlaues Geſicht. „Oder biſt du
ganz unbeſorgt?“

„Keineswegs. Aber ich hoffe —“

„Und ich weiß es, mein Junge. So verrückt iſt
kein Mädel“

„Ich will in den nächſten Tagen hinreiſen.“

„Hinreiſen?“ Der Alte ſah ſich verwirrt um.
„Wohin? Was meinſt du?“

„Zu Fräulein v. Hohenthal, Onkel, oder vielmehr
zu ihrer Mutter. Sitta lebt, ſeitdem ſie nicht mehr
Hofdame in Glückſtadt iſt, bei ihrer Mutter im Stift.
— Aber was haſt du denn, Onkel?“

Der alte Kröchert ſprang ſo heftig von dem Sofa
in die Höhe, daß die etwas altersſchwachen Sprung-
federn knackten. „Was ſprichſt du da? Wen willſt
du heiraten?“

„Fräulein Sitta v. Hohenthal, mit der ich in
Glückſtadt zuſammen war,“ antwortete Hans-Hen-
ning erſtaunt.

„Die Hofdame?
ning?“

„Wieſo?“

„Eine Hofdame mit Launen, mit Prätenſionen,
der nichts gut genug iſt, die nichts verſteht — das
kennt man doch!“ Der alte Herr verwirrte ſich
etwas. Um keinen Preis wollte er den wahren
Grund ſeiner Entrüſtung und Enttäuſchung zeigen.
Das war er Karola ſchuldig.

„Nun, wenn ſie noch nichts vom Haushalt ver-
ſteht, ſo kann ſie's doch lernen,“ meinte Hans-Hen-
ning gelaſſen. „Ich hab' auch lernen müſſen.
Außerdem iſt Fräulein v. Hohenthal durchaus nicht
anſpruchsvoll.“

„Na, die Sorte kenn' ich!“ brummte der Alte.
Seine gute Laune ſchlug ins Gegenteil um. „Nichts
wollen ſie anfaſſen, ſie können kaum 'ne Kuh von
ner Ziege, geſchweige denn 'ne Pute von ’ner Gans
unterſcheiden. Kommen ſie am Viehſtall vorbei, halten
ſie ſich die Naſe zu. Spricht man von Dung, ſo
werden ſie ohnmächtig. Du läufſt in dein Unglück,
Hans-Henning, mit ſolcher Frau. Überleg dir das
in Ruhe.“

„Onkel, ich habe Sitta geliebt vom erſten Augen-
blick an; ſo lange ſie lebt, werde ich nie eine andere
lieben!“ antwortete Hans-Henning einfach.

„So — ſo. Ja dann läßt ſich wohl nichts
mehr dagegen tun“ Ter alte Herr ſah ſo traurig
aus, wie jemand, dem ſein heißeſter Wunſch unerfüllt
bleiben ſoll, dem eben eine liebe Hoffnung vernichtet
wurde.

Hans-Henning ſtand auf. „Willſt du mir nicht
Glück wünſchen, Onkel?“ bat er und hielt dem Onkel
die Hand hin.

Der Alte drückte ſie feſt zwiſchen ſeinen braun-
gebrannten, muskulöſen Fingern. „Junge, wenn
du Glück haſt, ſagt ſie nein!“ ſtieß er hervor. „Aber
das wär' gar zu ſchön — ſo was paſſiert nicht.
Und abgedankte Hofdamen wollen immer ſchrecklich
gern heiraten.“

„Onkel, wenn du ſie ſiehſt, wirſt du anders

denken. Sie iſt ſchön wie ein Engel.“
Und kann keine Suppe kochen, keinen Strumpf
ſtricken und geht immer mit langen Schleppkleidern
im Haus hexum. Ich ſeh' das alles ſchon deutlich
vor mir — das ganze Unglück. Aber was kommen
ſoll, das kommt. Und das andere — das wär' wohl
zu ſchön geweſen.“

„Was denn, Onkel?“

zNa, wenn du eine geheiratet hätteſt, die ich
wirklich leiden mochte,“ plätzte der alte Kröchert
heraus, „Nun veit aber ab, mein Sohn, halt dich
nicht länger auf. Sag Hilde, wenn ſie mit ihret
künftigen Schwägerin nicht zuſammen leben mag,
dann ſoll ſie zu uns nach Malchow kommen.“

„Ich werd's ausrichten, wenn's ſo weit iſt. —
Du biſt ſehr gut, Onkel.“

„Und du ſehr verdreht, Hans-Henning. Das
kommt davon, weil du ſo lange bei Hof gelebt haſt.
Davon kommt der Sparren. Und der Dickkopf —
der iſt wieder Kröchertſches Erbteil, dafür kannſt du

Biſt du verrückt, Hans-Hen-

— 500 —

nicht. Wir Kröcherts gehen immer einmal im Leben
mit dem Kopf durch die Wand, und nachher brummt
uns der Schädel das ganze Leben lang davon.! Du
wirſt noch dran denken, mein Junge. Gott be-
fohlen!“ ;

Hans-Henning ritt in etwas ernüchterter Stim-
mung vom Hof, der alte Kröchert aber ſetzte ſich
in recht böſer Laune an den Mittagstiſch. Das
Eſſen ſchmeckte ihm heute gar nicht; Karola ſchüt-
telte verwundert den Kopf, als er ſein Lieblings-
gericht: Schweinebraten mit Kartoffelklößen und
Kirſchſoße faſt unberührt ſtehen ließ.

„Nun ſag' mal endlich, was du eigentlich haſt,
Vati!“ fing ſie nach dem Eſſen ſchmeichelnd an.
Sie ſaß auf der Lehne ſeines Armſtuhls und ſtrei-
chelte den rauhen Jagdjoppenärmel des Alten, wie
wenn ſie ein ungebärdiges Pferd beruhigen wollte.
„Hans-Henning war bei dir. Was wollte er denn?“

„Der dumme Junge!“ fuhr der Alte zornig auf.

„Nanu — wieſo denn!“ entrüſtete ſich Karola.

„Er will heiraten, der Schafskopf!“ platzte der
alte Kröchert wütend heraus.

Karola ſpielte mit einem ſeiner Rockknöpfe. Ihr
Geſicht blieb geſenkt. Er konnte nur das lockige
Haar und einen Teil der weißen Stirn ſehen.
„Findeſt dır das ſo dumm, daß er heiraten will?“
fragte ſie errötend. „Du meinſt, er müßte an Hilde
genug haben?“

„Dummes Zeug — eine Schweſter kann nie
eine Frau erſetzen. Das weiß ich allein. Ich hätt'
mich gefreut wie ein Kind über ſeine Verlobung,
wenn er nur nicht ſo närriſch gewählt hätte!“

„Wen will er denn heiraten?“

Der alte Kröchert war ſo eingeſponnen in ſeinen
Arger, daß er die bange Erwartung, mit der die
Fräge geſtellt wurde, nicht hexaushörte. „Die Hof-
dame, mit der er in Glückſtadt zuſammen war.
Verrückte Idee! Geld natürlich kein Pfennig da,
aber Gewoͤhnheiten wie eine Fürſtin! Solche ver-
wöhnte Puppe ſoll Pächtersfräu in Hinrichshagen
werden! Na, Proſit Mahlzeit! Das wird hübſch
werden.“

Karola antwortete nicht. Ihr Geſicht lag jetzt
ganz feſt an der Schulter des Alten. Eine Weile
rauchte er ſtillſchweigend vor ſich hin. Endlich aber
fiel ihm ihr Schweigen doch auf. „Du ſagſt ja gar
nichts, Karola!“

Sie rührte ſich nicht. Er fühlte nur ihren Kör-
per zucken, wie wenn ſie ſchluchze.

Er hob ihren Kopf in die Höhe und ſah zu
ſeinem Schrecken in ein ganz von Tränen über-
ſtrömtes Geſicht. „Karola! Armes kleines Mädel!“
Er ſtrich ihr ganz ſanft über die Stirn mit ſeiner
harten Hand. „Mein Liebling, mein Kleines,


immer zuſammengeſtoßen, weil ich hoffte — ich
dachte —“

Karola ſchüttelte den Kopf.. „Du kannſt gar
nichts dafür“ Sie wiſchte ſich die Tränen aus den
Augen. „Und es fchadet auch gar nichts, daß ich
ihn lieb habe, Vati! Er weiß es ja nicht.“

„Nein, er weiß es nicht.“

Und du ſprichſt auch nie darüber, Vati — mit
keinem Menſchen?“

„Bin ich eine alte Klatſchbaſe, Karola?

Du ſollſt mir noch etwas verfprechen, Vati.“

„Was denn, mein Herzenskind?“

„Daß du Sitta recht lieb haben willſt.“

Das kann ich nicht, Karola. Ich hatte be-
ſtimmt gehofft, dich an ihrer Stelle zu ſehen.“

„Dafüt kann fie doch nichts, daß das nicht ſo
geworden iſt, wie wir uns wünſchten! Ich werde
fie auch lieb haben — ſehr, ſehr lieb, weil ſie ſeine
A U

Die großen blauen Augen ſahen trotz der Trä-
nen hell und klar in die ſeinen.

Der alte Kröchert ſuchte ſeine Rührung zu ver-
bergen. Er nahm die kleinen Hände, die fich über
feinem Arm falteten, und küßte ſie. Es lag nicht
nur Liebe, ſondern auch Hochachtung in dem Kuß.
Aber daun konnte er es doch wieder nicht laſſen-
ſeine Rührung und ſeinen Kummer etwas draſtiſch
auszudrücken. Sr ſah Karola wehmütig in ihr ver-
weintes Geſicht. „Hans-Henning iſt ein zu großer
Eſel!“ ſtöhnte er.

Das kam ſo aus tiefſtem Herzen und innerfter
Überzeugung hexvor, daß Karola troß ihres Kum-
mers lachen mußte. ;

„Er weiß gar nicht, was für ein Cjel er iſt!“
fuhr ex heftig fort. „Aber wo willſt du denn hin,
Karola?“ ; .

„Ein bißchen ſtill in meiner Stube bleiben,
Bati. Und nicht wahr, wir ſprechen nie wieder
davon?“

„Nie wieder, Herzenskind!“
mütig nach, als ſie hinausging.

Er ſah ihr weh-
„Das war auch


hofft!“

°

Mit einem ſchweren Seufzer ging er an ſeine
Arbeit.

Er ließ mehrere Tage vergehen, ehe er es über
ſich vermochte, nach Hinrichshagen zu fahren Schließ-
lich trieb ihn aber doch die Unruhe hin. Karola
erklärte ſich bereit, ihn zu begleiten. Im ſtillen
hoffte der Alte, Hans-Henning möchte ſich doch viel-
leicht inzwiſchen von der „hochnäſigen Hofdame“
einen Korb geholt haben.

Seine leiſen Hoffnungen wurden aber ſofort ver-
nichtet, denn der Stalljunge, der die Rollen des
Pferdepflegers und Dieners vereinigte, ſagte ihnen
bei ihrer Ankunft in Hinrichshagen, der gnädige
Herr wäre ſeit geſtern abend verreiſt.
Hildes Ausſagen ſtempelten die Befürchtungen
zur Gewißheit. „Hans-Henning iſt nach Gelsheim
gefahren“ Sie küßte Karola, vermied es aber, in ihrer
zärtlichen Begrüßung ſtille Teilnahme auszudrücken.
Karola ſollte nicht ahnen, daß ſie ihr Herzensgeheim-
nis erraten hatte.

„Das heißt alſo ſo viel wie verloben Der
alte Kröchert nickte vor ſich hin. „Na, Kinder,
wenn's denn doch nichts hilft, machen wir gute
Miene zum böſen Spiel.“

„Die Hauptſache iſt doch, daß Hans-Henning
glücklich iſt.“ Karola zwang ihre Stimme zu ruhiger
Feſtigkeit „Darin ſind wir alle einig“

„Gewiß; wir fürchten nur eben für dies Glück!“
ſagte Hilde ernſt.

„Eine Eſelei iſt die ganze Geſchichte!“ ſchalt der
alte Kröchert und trat ans Fenſter, um ſeine Be-
wegung zu unterdrücken.

„Da kommt die alte Botenfrau aus Trebbin,
die bringt immer Depeſchen —- koſtet jedesmal zwei
Mark!“ räſonierte er weiter. „Kann mir ſchon
denken, was das ſein wird.“

Bald darauf trat der kleine Stalljunge ins
Zimmer. Er hielt Hilde ein Telegramm hin Sie
erbrach es und las laut: „Verlobt — überglücklich
— bitte Onkel mitteilen. Hans-Henning.“

„Na, um uns das zu fagen, dafüx hätt' auch

ein Brief genügt,“ knurrte der alte Herr Die
zwei Mark konnten geſpart werden. Das ſind ſo
Hofmanieren, da telegraphiert alles.“

Hilde ſtrich mechaniſch das Papier glatt. „Sie

werden gewiß bald heiraten wollen?

„Wahrſcheinlich. Die meiſten Menſchen können
nicht ſchnell genug in ihr Unglück vennen.“

„Vater, was haſt du mir verſprochen?“ ſagte
Karbla. „Du willſt ſehr gut gegen Sitta fein.“

Ein weicher Ausdruck flog über Hildes Geſicht.
„Karola hat recht“ Sie zog das junge Mädchen
an ſich. „Sie beſchämt uns alle. Wir wollen Sitta
ſehr freundlich entgegenkommen — nicht wahr,
Onkel?“

„Na ja!“ Die Stimme des alten Kröchert klang
ſehr gepreßt. Sein Geſichtsausdruck blieb traurig,
aber er ſagte kein hartes Wort mehr.

Zwölftes Kapitel.
„Dieſe Geheimniskrämerei, die du mit deinen
Briefen treibſt, Sitta, iſt wirklich lächerlich. Ich
finde es überhaupt nicht paſſend, wenn ein junges


Mutter nicht zeigen mag.“

Frau v. Hohenthal kehrte manchmal die ſtreng
dendende Mutter hervor, wenn dieſe Rolle ihr ge-
daͤde paßte. Eine der Stiftsdamen, Jraulein v. Fär-
ber, die in dicke Schals gewickelt in der Nahe des
völlig ausgeglühten Amerikaners hockte, nickte Bei-
fall, denn fie hätte auch für ihr Leben gern erfahren,
von wem und woher Sitta ſo häufig Briefe empfing.

„über dieſen Brief werde ich mit dir ſprechen,
Mama, ſobald mir allein ſind,“ antwortete Sitta
ruhig. *—
Das iſt wohl ein Wink für mich?“ Das alte
Fräulein machte Miene aufzuſtehen.

„Bitte, laſſen Sie ſich nicht ftören,“ wehrte Sitta
ab.„Ich gehe jetzt erſt im Garten ſpazieren.“

Abde Fräulein v. Fäxber hatte keine Ruhe mehr.
Sie roͤllt? ihren Strickſtrumpf zuſammen und ging
in Türchen' weiter zu einer anderen Freundin.
Binnen einer Stunde wußte das ganze Stift, Sitta
Hohenthal habe einen wichtigen Brief bekommen,
deſfen Inhalt ſie allein mit ihrer Mutter beſprechen
wollte. Beim Abendbrot würde man ja alles er-
fahren.

Sitta ging in den Wegen des Gartens auf und
ab San allen verſteckten Winkeln roch es nach
Veilchen, Schneeglöckchen und Krokus blühten auf
Sen Beeten. Sie zoß den Brief Hans-Hennings
au8 der Taſche und las ihn noch einmal durch.
Die ſchlichten, warmen Worte, mit denen er ihr
ſeine Liebe geſtand, ſie bat, ſeine Frau zu werden,
ergriffen ſie.

„Ich habe

Sie ſeit Jahren geliebt, Sitta,” ſchrieb
er, „als ich Sie damals in Glückftadt verließ,

nahm
 
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