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ich ſofort mit meinem Vater Rückſprache Ich wollte
Ihnen von Rotenwalde aus ſchreiben, aher dex
Zuſammenbruch unſeres Vermögens hinderte mich


zu reißen, da ich Ihnen nur noch ein beſcheidenes
Leben an meiner Seite bieten konnte. Ich war
Ihrer Gefühle für mich auch ſehr wenig ſicher. Ein
kürzlich erhaltener Brief der Erbprinzeſſin machte
mir Hoffnung, daß meine Liebe von Ihnen er-
widerk würde Kann ich das glauben, und mit
dieſem Glauben, dieſer Hoffnung es wagen, um Sie
zu werben? Für die nächſten Jahre noch müßten
wir in Hinrichshagen freilich beſcheiden leben. Ich
bin aber der Erbe meines Onkels und dadurch ſpäter
in ſorgenfreier, auskömmlicher Lage. Darf ich mir
eine mündliche Antwort holen? Wenn Sie wüßten,
wie ich mich ſehne, wieder in Ihr ſchönes, geliebtes
Geſicht zu ſehen.“

Mit einem Seufzex ließ Sitta die Hand mit dem
Brief ſinken. Ihr Entſchluß mar freilich gefaßt.
Sie wollte Kröchert heiraten. Denn nur durch ihre
Heirat konnte ſie der Leidenſchaft des Erbprinzen ein
Ziel ſetzen. „Aber Lüge — Lüge wird alles ſein!“
fagte ſie halblaut mit unterdrückter Verzweiflung
vor ſich hin.

Auch hier im Garten blieb ſie nicht lange allein.
Einige der Damen wollten die milde Luft genießen
oder ihre Beete beſehen. Keine brachte es fertig,
das Einſamkeitsbedürfnis einer anderen Seele zu
achten. Es gelang Sitta nie, mit kurzem Gruß an
ihnen vorbeizukommen, ſie mußte immer erſt einige
geiſtvolle Betrachtungen anhören.

„Mag es werden, wie es will — wenigſtens
Einfamkeit werde ich in Hinrichshagen wohl haben.
Ein Mann kann einen nie ſo plagen, wie zwanzig
unbeſchäftigte Damen es tun, die beſtändig an mir
herumzerren, alle Langeweile ihrer ungenützten Stun-
den auf mich ablagern möchten,“ dachte Sitta un-
geduldig.

Endlich gelang es ihr, die Quälgeiſter abzuſchüt-
teln. Sie ging ins Haus zurück. Ihre Mutter er-
wartete ſie bereits. Statt jeder Auseinanderſetzung
gab Sitta ihrer Mutter Kröcherts Brief. Frau
v. Hohenthal las ihn aufmerkſam durch.

„Wärſt du noch Hofdame,“ ſagte ſie dann kühl,
„würde ich dir entſchieden raten, ſeinen Antrag ab-
zulehnen. Du hätteſt in Glückſtadt eine ganz andere
Heirat machen können! Da du aber ſo wahnſinnig
warſt, dir durch deinen übereilten Abſchied ſolche
Möglichkeiten zu verſchließen, weiß ich wirklich nicht,
ob du jemals Gelegenheit haben wirſt, eine beſſere
Partie zu machen. Natürlich iſt es eine elende Aus-
ſicht, auf einer Klitſche in der Mark zu ſitzen!
Hoffentlich ſtirbt der Onkel bald, dann ſcheint ja
die Geſchichte einigermaßen ſtandesgemäß zu werden.
Auf keinen Fall darfſt du hier ſagen, daß Kröchert
nur der Pächter ſeines Onkels iſt.“

„Das iſt mir ganz gleichgültig.“

Aber mir nicht. Glaubft du, ich möchte es im
Stift herumtratſchen laſſen, Fräulein v. Hohenthal
heiratet einen Pächter, weil ſie keinen anderen Mann
bekommt? Sein Onkel hat ihm das Gut bereits
übergeben, hörſt du? Später erbt er den Haupt-
beſitz — Malchow heißt es ja wohl? So' klingt
die Sache doch etwas annehmbarer.“

„Wie du willſt, Mama.“

„Ihr werdet bald heiraten wollen. Im Sommer
kann ich euch dann auf eurem Gut befuchen. Es
iſt ſchrecklich, immer hier zu ſitzen! Gar zu dürftig
wird die Geſchichte hoffentlich nicht ſein.“

„Ich fürchte faſt, Mama, es wird dir ſo er-
ſcheinen.“

„Zum Glück ſieht's niemand. Wenn man davon
erzählt, kann man ſchon ein bißchen verſchönern.
Ich werde an Herrn v. Kröchert ſchreiben. Er kann
herkommen,, Hoffentlich ſieht er präſentabel aus
und iſt nicht ſchon ganz verbauert.“

„Dazu iſt er wohl noch nicht lange genug von
Glückſtadt fort. Er ſieht ſehr gut aus, vornehm
und elegant.“

„Nun, das iſt ja wenigſtens etwas!“

„Wünſchſt du mir nicht Glück, Mama?“
kniete neben der Mutter nieder.

Hran v, Hohenthal legte eine Sekunde ihre Hand
auf Sittas Hadr. „Natuͤrlich tue ich das Wär's
nur eine etwas beſſere Heirat, die du machteſt! Aber
als armes Mädchen hHat man keine Auswaͤhl, und
wenn man noch ſo ſchön iſt. Das weiß ich aus
Erfahrung. Anträge genug, aber ſie ſind auch da-
nach. Nun ſitz' ich da und nicht einmal eine Aus-
ſteuex kann ich dir geben.“

Mach dir daxum keine Sorge, Mama. Wäſche,
Kleider, Schmuck habe ich. Möbel und alles übrige
wird wohl in Hinxichshagen vorhanden ſein. In
England und in fürſtlichen Häufern bekommt die
Frau auch nicht mehr mit. Die Einrichtung des
Hauſes iſt Sache des Mannes.“

„Wirklich? Das laß doch, wenn die Rede drauf

Sitta

— —

kommt, mal ſo einfließen, Sitta. Hier werden die
alten Klatſchſchweſtern gewiß alles wiſſen wollen.
— Du meinſt alſo, Kröchert wird bald kommen?“

„Das denke ich. Aber bitte, Mama, ſprich vor-
läufig mit niemand über die Sache.“ —

Allein ſchon während des Abendeſſens merkte
Sitta an den neugierigen Blicken, den vielen An-
ſpielungen und dem beſtändigen Tuſcheln, daß alle
Bewohnerinnen des Stifts eingeweiht waren und
ſich je nach Laune oder Charakteranlage darüber
freuten oder ärgerten. Gleichgültig ließ es keine.
Eine Verlobung! Das war in dieſem ſtagnierenden
Leben ein hochwillkommenes Ereignis, eine angenehme
Unterbrechung der monotonen Tage.

Das Intereſſe ſteigerte ſich, als wirklich nach
einigen Tagen Herr v. Kröchert in Gelsheim ein-
traf. Verborgen konnte ſeine Ankunft nicht bleiben,
denn die Stiftskutſche mußte zur Bahn fahren, und
deren Rückkehr wurde mit großer Ungeduld erwartet.
Es bogen ſich denn auch wieder viele weibliche
Köpfe aus den Fenſtern, oder verbargen ſich halb
hinter den Tüllgardinen. Die meiſten Fenſter be-
ſaßen überdies noch einen ſogenannten Spion, ob-
gleich ſich meiſt herzlich wenig herausſpionieren ließ,
denn Beſuche kamen nur ſelten ins Stift.

Kröchert war zu ſehr von dem Glück und der
Wichtigkeit dieſer Stunde erfüllt, ſo daß ihn die klein-
liche Neugier der Damen nicht ſtörte.

Er bemerkte, daß zwiſchen vorſichtig etwas ge-
öffneten Türen hinter ihm hergeſpäht wurde, als er,
von dem aufwartenden Mädchen begleitet, den langen
Korridor hinunter nach Frau v. Hohenthals Zimmern
ging Aber es verdroß ihn gar nicht. Dagegen
enttäuſchte es ihn ſehr, Sitta nicht allein zu finden.

Er hatte ſehnlich gehofft, ſie erſt ohne Zeugen
ſprechen zu können. Ein heißer Strom von Liebe
und Glück ging durch ſein Herz, als er in ihr lang
entbehrtes Geſicht ſah. Aber in Gegenwart der
Mutter mußte er ſich damit begnügen, ihr die Hand
zu küſſen und ſich dann ſofort mit ſeiner etwas be-
fangen vorgetragenen Werbung an Frau v. Hohen-
thal zu wenden.

Ein gräßlich peinlicher Moment! Ihre gemachte
Mutterwürde und Liebe berührte ihn höchſt unſym-
pathiſch.

Im übrigen verlief das Geſpräch, dem Sitta
ſchweigend zuhörte, befriedigend Die Zukunftsaus-
ſichten, Malchow betreffend, beruhigten Frau v. Hohen-
thals mütterliche Sorge. Seufzend bewilligte fie eine
baldige Hochzeit. „Eine Mutter bringt ja gern
Opfer, und das romantiſche Köpfchen Sittas will-
nun einmal aus Liebe, nicht um äußerer Vorteile
willen heiraten,“ meinte ſie. °

Hans-Henning wußte nicht, ob er dieſe ziemlich
alberne Bemerkung wie eine Schmeichelei oder als
Grobheit auffaſſen ſollte. Er ſchwieg darum lieber
ſtill und beugte ſich vor, um in Sittas Geſicht zu
leſen. Aber die ſaß, mit im Schoß gefalteten Hän-
den, ſtumm da.

Die peinlich werdende Stille unterbrach Frau
v. Hohenthals Entſchluß, das liebe junge Paar jetzt
allein zu laſſen, äußerſt angenehm. Wenigſtens
Hans-Henning atmete auf, als ſich die Tür hinter
ihr ſchloß und er nun endlich mit Sitta allein war.
Er trat zu ihr.

Sie ſtand auf und gab ihm beide Hände. „Ich
will dir eine gute Frau werden!“ ſagte ſie zu ſeinem
Erſtaunen mit einem halb ſchluchzenden Seufzer.
„Du ſollſt nie über mich zu klagen haben.“

Er legte die Arme um ſie und zog den ſchönen
* an ſeine Bruſt. „Sitta — Liebſte, das weiß
i *

Sie hielt ganz ſtill unter ſeinen heißen Küſſen.
Ein Gefühl des Geborgenſeins kam jetzt doch über ſie.

„Warſt du mir böſe, daß ich nichts von mir
hören ließ, Sitta, oder beurteilteſt du mich richtig?
Es war nur die Scheu, Opfer von dir zu fordern.
Das hinderte mich, dir meine Liebe zu geſtehen.“

„Ich dachte mir das. Aber ich konnte doch un-
möglich ſchreiben.“

„Nein, gewiß nicht, meine Süße! Wie gut, daß
die Erbprinzeß mich aufklärte! Willſt du mir nicht
auch ſagen, was du ihr geſtehen konnteſt?“

„Was?“ Sitta zuckte zuſammen.

„Daß du mich liebſt! Ich möchte es von dir
ſelbſt, nicht nur durch Mittelsperſonen wiſſen.“

Sie lehnte den Kopf gegen ſeine Schulter. Er
konnte das undeutliche Flüſtern nicht verſtehen. Erſt
als ſie lauter fortfuhr: „Ich möchte dir's beweiſen
mit meinem ganzen Leben —“ da mußte er ſich
wohl zufrieden geben. -

Daß Sitta merkwürdig einſilbig blieb, oder auch
ganz verſtummte, ſobald die Rede auf Glückſtadt
kam, wunderte ihn nicht weiter. Ihrem Zartgefühl
wurde es gewiß ſchwer, ſelbſt ihm gegenüber, vom
Erbprinzen zu ſprechen. Er fand das bei ihrem
Charakter begreiflich, hörte deshalb bald davon auf
und erzählte ihr lieber von Hinrichshagen. Die


durchaus nicht ſchmeichelhaften Schilderungen des
überaus einfachen Hauſes würden Frau v. Hohen-
thal entſetzt haben. Sitta ließen ſie ſehr kühl.

„Wenn es für dich gut genug iſt, Hans-Henning,
wird es mir auch genügen,“ ſagte ſie einfach. „Bitte,
glaube nicht, daß du eine verwöhnte Hofdame zur
Frau bekommſt. Du heirateſt ein ganz armes Mäd-
wie käme es mir zu, hohe Anſprüche zu
machen!“

„Du könnteſt die höchſten ſtellen,“ entgegnete er
gerührt. „Nur um meinetwillen gibſt du ſo viel

Sie ſchüttelte den Kopf.„Du irrſt, denn ich


würde ich nie wieder zurückgehen.“

Er wußte, wie peinlich ihr dies Thema war, und
brach darum ſofort ab.

„Will deine Schweſter Hilde nicht bei uns blei-
ben? Ich werde ſie darum bitten,“ ſagte Sitta.
„Es märe mir peinlich, ſie zu verdrängen.“

„Sie will bleiben, um dich einzuführen, und dann
zum Onkel nach Malchow gehen,“ meinte Hans-
Henning ziemlich gleichgültig. Nach Art vieler Brü-
der fand er es vollkommen ſelbſtverſtändlich, daß
die Schweſter ſich ihm ganz widmete, wenn er ſie
gebrauchte, und ſofort klaglos verſchwand, wenn
eine andere ihre Stelle einnehmen ſollte.

Frau v. Hohenthal unterbrach bald wieder das
Alleinſein des jungen Brautpaares. Sie verlangte,
daß Hans-Henning ſich der Oberin vorſtellen laſſe,
auch müſſe er an dem gemeinſamen Eſſen teil-
nehmen.

Sitta bedauerte ihn, dem Kreuzfeuer ſo vieler
Fragen und indiskreter Blicke ausgeſetzt zu ſein.
Sie wußte, wie ſchrecklich das war Aber Hans-
Henning beſtand die Probe gut. Die Oberin, die
alte Gräfin Recke, war ein lebendig gewordener
Gothaer Almanach. Sie nagelte ihn ſofort auf
Familienbeziehungen feſt, und hatte er glücklich das
Verhör nach irgend einer alten Urahne, deren Exi-
ſtenz ihm bisher völlig ſchleierhaft geblieben, be-
ſtanden, ſo bemächtigte ſich eine andere Dame ſo-
fort ſeiner und quälte mit anderen Fragen an ihm
herum. Er blieb aber unverändert liebenswürdig und
höflich, und Frau v. Hohenthal erntete viel Lob
über ihren hübſchen, eleganten Schwiegerſohn. Die
würdigen Damen ahnten ja nicht, wie er ſie alle
innerlich verwünſchte, hinderte ihre Schwatzhaftigkeit
doch jedes intimere Geſpräch mit Sitta.

Er konnte ſie wirklich nicht mehr allein ſprechen,
nur noch im dunklen Korridor einen heißen Kuß auf
ihren Mund drücken, da fuhr die Stiftskutſche ſchon
wieder vor, die ihn zur Bahn zurückbringen mußte.
Sittas ſofortiges Einverſtändnis mit einer baldigen
Hochzeit ſöhnte ihn etwas mit der Trennung aus.

Sitta nickte ſtumm, als er ihr ſagte, daß er vom
Bahnhof aus nach Glückſtadt telegraphieren werde.
„Sie können es dann von dort aus dem Erbprinzen
melden, denn ich kenne ſeinen Aufenthalt nicht,“ fügte
er hinzu.

„Ich auch nicht. Irgendwo in Norwegen ſoll er
ſein. Vorläufig wird er wohl überhaupt für Briefe
unerreichbar bleiben. Du mußt dich deshalb nicht
wundern, wenn er nicht gratuliert.“

Sitta wußte genau, daß die Erbprinzeß die Nach-
richt der Verlobung verſchweigen und erſt die Kunde
ihrer Heirat dem Erbprinzen mitteilen würde Hoffent-
lich erfuhr er es nicht doch zufällig früher. Sie
fühlte ihre Hände eiskalt werden bei dem Gedanken.

Sie ging trotz des tadelnden Kopfſchüttelns ihrer
Mutter mit bis an den Wagen. „Ich wünſchte, die
Wochen bis zu unſerer Hochzeit wären ſchon vor-
über!“ ſeufzte ſie.

Er ſah tief in ihre Augen, dann küßte er ſtür-
miſch ihre Hand. „Das iſt das ſchönſte Abſchieds-
wort, das du mir ſagen konnteſt, Sitta.“

Wie glücklich er dusſah! Sitta fröſtelte in der
weichen Frühlingsluft.

Mit weit offenen Augen ſah ſie lange dem Wagen
nach, deſſen Rollen in der Ferne verklang Sie
merkte nicht, wie der aufraufchende Wind ihr das
Haar ins Geſicht puſtete, ihre Röcke eng um ihre
ſchlanke Geſtalt legte. Sie hörte nur wie im Traum
jeine leiſen Seufzer, wenn er durch die noch kahlen
Lindenäſte ſtrich! Wie in einer Viſion ſah ſie vor
ihrem inneren Auge eine hohe, ſchlanke Männer-
geſtalt in einem Segelboot ſtehen. Dex Wind bauſchte
das weiße Segel. Das Meer raufchte. Auf den
ſchaumigen Wogenkämmen ſchaukelten Möwen. Die
Blicke des einſainen Mannes gingen ins Weite Er
wickelte ſeinen Wettermantel feſt um ſich. Seine
leuchtenden Augen hingen an der vexſchwimmenden
Küſte. Aus waͤter Ferne klangen ſeine Worte, die
er in das Brauſen des Windes, das Rauſchen der
Wellen hinein ſprach, an ihr Ohr: „Es gibt noch neue
Welten zu entdecken, neue Morgenröten, denen wir
entgegenfahren mit den geſchwellten Segeln unſerer
kühnſten Hoffnungen! ...“ Sitta ſtöhnte. Nicht
 
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