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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1893

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Heft 1/2
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Riehl, Berthold: Studien über Barock und Rokoko in Oberbayern, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7908#0010

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Bei so umfassenden Werken wie bei den Stukkaturen
der Thcatinerkirche mußten aber trotz einiger fremder Meister
und vielleicht auch Handwerker doch vielfach einheimische
Aräfte beigezogen werden und bald nrußten sich selbständige
größere schulen bilden, von denen die bedeutendsten in
München und Wessobrunn waren, denn bei den großen
Bauten, die jetzt auf dein Lande entstehen, haben wir es
sicher mit einheimischen Arbeiten zu thun, so in Benedikt
beuern und Tegernsee, an welch letzteres sich dann wieder
die in ihren Stukkaturen nicht uninteressante Aapclle von
St. <Huirin (um s67ö) und die Pfarrkirche zu Egern P7ll)
anschließen, während gleichzeitig mit der Theatinerkirche die
Sebastianskapclle in Ebersberg als ein vorzügliches Denkmal
dieses Stils ausgeführt wurde.

Die Ausstattung der Airche mußte mit jenem seit der
Michaelskirche herrschenden Streben nach einheitlicher Wirk

St. Georg, Holzschnitzerei in der Airche auf dem Auerberg; Mitte
des XVII. Jahrhunderts.

ung gleichfalls eine fundamentale Umgestaltung erfahren,
die sich besonders charakteristisch an Len Altären zeigt, deren
Veränderung auch für die weitere Entwicklung des Stils
im Schluffe des f7. Jahrhunderts ebenso wie für die Stil-
wandlungen des {8. Jahrhunderts höchst charakteristisch ist.

Der gothische Altar Deutschlands ist wie die Baukunst
jener Zeit geleitet von dem Gedanken, das Werk bis in's
kleinste Detail mit größter Liebe und Sorgfalt durchzuführen.
Die einzelnen Figuren sind daher oft von großer Schönheit,
auf das feinste in den Gesichtszügen und in der Gewandung
durchgebildet; bei einem guten Altar dieses Stils wird man,
selbst wenn er äußerst umfangreich, jedes einzelne Relief,
ja jede Figur in hohem Grade bewundern und es kann
nicht geleugnet werden, daß dem entgegen die meist rein
dekorativ gedachten, daher in der Regel flüchtig ausgeführtcn
Figuren bei Barock- und Rokoko Altären oft etwas ver

wildert und manierirt ausfehen, was offenbar uin so mehr
erschwerte dieser Aunstperiode gerecht zu werden, als es uns
Deutschen, zumal wenn wir unser Urtheil wesentlich an der
nordischen Ärmst des Mittelalters und der Renaissance ge
bildet haben, so schwer wird, uns vom Detail loszureißen,
den Blick auf's Ganze zu gewinnen.

Gehen wir aber von der Gesammtwirkung des Altares
oder vollends von der Wirkung desselben innerhalb der
Airche aus, dann wird man die Ueberlegenheit der Altäre
des f7. und f8. Jahrhunderts, ihre Fortschritte und eigen
artige Bedeutung gegenüber den älteren Werken rasch er-
kennen. 3m Schiff der Airche, wo der Pochaltar seine
Pauptwirkung als glänzender Mittelpunkt entfalten soll,
gehen die feinen Details des gothifchen Altars verloren,
nur die zuweilen fast lebensgroßen Figuren des Mittelschrei-
nes treten noch einigermaßen deutlich hervor, das Ganze aber
beginnt zu verschwimmen und bringt — namentlich, wenn
auch im Schrein nur kleine Figuren, — höchstens noch durch
die reiche Bemalung einen gewissen allgemeinen, glänzenden
Effekt hervor. Wer daher die Schönheit der gothifchen polz-
plastik darstellen will, wird vor allem zahlreiche Detail
ausnahmen bringen, einzelne Figuren und Reliefs, die bis
in die bescheidensten Dorskirchen oft von überraschender
Vollendung und Originalität sind; mit der Aufnahme ganzer
Altäre wird er sich auf einige Beispiele beschränken und
dabei stets die unangenehme Erfahrung machen, daß bei
denselben, zumal bei großen Altären, die Feinheiten des
Aunstwerks fast nie zur Geltung kommen. Am besten
studiert man gothische Altäre in Museen, wenn sie in gutem
Licht und ja nicht zu weit vom Auge des Beschauers ent
fernt ausgestellt sind; in der Airche, an der Stelle, für die
sie geschaffen, ist das Studium meist sehr erschwert, häufig
geradezu unmöglich.

Das Gegentheil gilt von den großen Altären des Barock
und Rokoko, sie wirken am günstigsten an dem Platze, für
den sie geschaffen, weil sie mit Rücksicht auf denselben ent-
worfen und durchgeführt sind, der Altar ist von vorneherein
gedacht als der glänzende Mittelpunkt der großartigen Airche,
als solcher soll er im Schiff ja schon bei dem ersten Blick
in die Airche wirken.

Um dies Ziel zu erreichen, war eine durchgreifende
Aenderung des Altares nöthig, für welche die italienischen
Altäre Vorbilder boten, welche ja, wie die ganze italienische
Aunst, schon seit dem Mittelalter die Gesammtwirkung ganz
anders als die nordische Aunst beachtet hatten. Die Flügel
altäre mußten aufgegeben, das Detail vereinfacht, vor allein
auch einheitlicher als in der Renaissance gebildet werden.

Für die Umgestaltung des Altars in Ober-Bayern
epochemachend war wohl der f5ß0 vollendete Pochaltar der
Michaelskirche mit dem Gemälde des Engelsturzes von
Ehristoph Schwarz, den Wendel Dietrich entworfen.*) Bei
diesem Altar war namentlich in Folge seiner außerordent
lichen pöhe die Aufgabe allerdings besonders schwer zu
lösen und dies, sowie vor allem auch der Umstand, daß er
noch ein Frühwerk des neuen Stils, bedingt, daß er trotz
all seiner Vorzüge im Vergleich mit den Altären des
\7. Jahrhunderts doch noch etwas ängstlich und befangen
erscheint. Vor allem spricht sich dies darin aus, daß nicht

*) 5. Gmelin: Die St. Alichaelskirche in München pag. 60.
 
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