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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1893

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Heft 9/10
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Schlottke, C.: Aus dem "Alten Lande"
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Gmelin, L.: Kunstgewerbliches von der Weltausstellung in Chicago, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7908#0065

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Silberpcrlctt, bald ebenso viele von kleinen, hirsekorngroßen,
massiven Serien, oder von durchbrochenen Drahtperlen bis
zur Größe einer kleinen Kirsche, oder die Bäuerin trägt —
wie es heißt, vorzugsweise in der Trauer — eine S>ch::::r
kirsch- bis nußgroßer, nur aus dein Rohen rundlich zu-
geschliffener wachsgelber Bernsteinperlen. Stets werden diese
Schnüre durch ein kleines im Nacken getragenes silbernes
oder goldenes Drahtwerkschloß zusammengehalten und fallen
im Bogen weit über die Brust herab. An jedem der
offenen Aermel der Gberjacken baumeln sechs Drahtwerk-
knöpfe, nicht zun: Schließen der Aermel, nur als Schmuck.
Die Mannigfaltigkeit ihrer Muster ist eine erstaunliche; ihre
Schönheit und Größe stehen in: Verhältniß zum Reichthum
ihrer Besitzerin. Des Weiteren gehört zun: Schmuck der

Altenländerin ein in: selben Geschmack wie die herzförmigen
Spangen mit Granaten und türkisblauen Perlen geziertes
Mantelschloß, welches mit einer Zunge schließt und ein paar
oft kolossale Schuhschnallen, entweder ganz von Silber oder
mit silbernem Drahtwerk auf vergoldeter Platte. Zun:
Schluß sei noch das bei hochfeierlichen Anlässen, insbesondere
der Pochzeit, erscheinende kostbarste Prunkstück erwähnt, der
silberne „Bossen" (Busen), welcher aus einer Doppelreihe
nrassiver silberner pake:: besteht, welche ihrer 2% an jeder
Seite des Mieders aufgenäht sind und zur Verschnürung
einer langen silbernen Kette dienen, durch deren Zwischen-
räuine die silberne oder goldene, mit bunten Flittern be-
setzte Stickerei des Brusttuches prächtig hervorglitzert.

Schlottke.

M von der MeltaiisstÄimg in

von L. Gmelrn.

Vine Weltausstellung gilt in: Allgemeinen nicht
'J für den Vrt, wo den: Kunstgewerbe jene Be-

achtung zutheil wird, die dasselbe beanspruchen
kann und die zu seiner Würdigung nothwendig
ist. Gewiß n:it Recht: in den: Getriebe und Getöse eines
solchen Weltjahrmarktes wird die zarte Pstanze künstlerischer
Phantasie nur zu leicht erstickt von der Wucht und der
Menge anderer Ausstellungsgegenstände, die Nichts mit
künstlerischem Schaffen gemein haben können und wollen.
An: wenigsten sollte man meinen, daß eine moderne, ameri-
kanische Stadt, deren Existenzdauer sich kaun: nach zwei
Menschenaltern berechnet, der Boden sein könnte, aus welchem
das Kunstgewerbe mit einiger Aussicht auf Beachtung und
Werthschätzung auftreten könnte. Sind wir ja doch gewohnt,
Amerika in kunstgewerblicher Beziehung fast als ein bar-
barisches Land zu betrachten, als ein Land, in welchem
die Maschinenthätigkeit fast jede pandarbeit, also auch jede
künstlerische Bethätigung der letzteren verdrängt hat; in
etwaigen künstlerischen Regungen des Amerikaners wittern
wir nur die Sucht nach Neuem, nach Absonderlichem.

Es ist wahr, daß diese Sucht den künstlerischen Lieb-
habereien des Amerikaners den Stempel aufdrückt; aber
man thäte dem gebildeten Durchschnitts-Amerikaner doch
unrecht, wenn man dies nur als den Ausfluß einer laun-
ischen Sports-Gesinnung oder eines oberflächlichen Sinnen-
kitzels auffaffen wollte. Es ist vielmehr wirklich der innere
Drang nach einer Verschönerung und eigenartigen Gestalt-
ung seiner Umgebung, der ihn den: Kunstgewerbe — oder
den: was er darunter verstehen n:ag — nahe bringt. Bei
den: Mangel jeglicher Tradition, welcher die Unmöglichkeit
in sich schließt, den Kunstsinn genügend zu bilden, :::::
urtheilssähig zu sein, — andererseits bei dem in Amerika

stärker als anderswo entwickelten Erwerbstrieb n:effen viele
den Werth der Kunstgegenstände eben n:it den: einzigen
Maaßstabe, den sie auf Schritt und Tritt, von Morgen bis
zum Abend an Alles anlegen, was ihnen in: Erwerbs-
leben begegnet: sie nehmen den verlangten Geldpreis oder
den sichtbaren Materialwerth als Grundlage ihres Urtheils.

— Wie lange es dauern wird, bis dieser Maaßstab durch
einen anderen ersetzt wird, kann Niemand Voraussagen;
die Entwickelung der ganzen Tultur Nordamerika's ist eine
viel zu hastige, als daß überhaupt ein tieferes verständniß
für das Kunstgewerbe sich hätte bilden können. Diese Ent-
wickelung gleicht den: brausenden Wildbach, der n:it reißen-
der Schnelligkeit über alle pindernisse hinweg zu Thal stürzt,
u:n sich vielleicht später zu einen: See zu sammeln, wo
seine Wasser zur Ruhe kommen und sich klären können;
ehe in der kulturellen Entwickelung Amerikas ein Zeitpunkt
ruhiger Sammlung eintritt, wird auch künstlerisch keine rechte
Klärung eintreten. Denn sie ist das Ergebniß innerer
geistiger Sammlung, zu welcher die jetzt lebende Generation

— keine Zeit hat.

Um so mehr erstaunt man, an den fernen Ufern des
Michigansees, bei dessen Nennung die in den Knabenjahren
durchschwärmten Zndianergeschichten wieder auftauchen, nun
eine Reihe von Prachtbauten anzutreffen, die als vorüber-
gehende Schaustücke ihresgleichen suchen — in einem Lande,
in welchem keine vielhundertjährige Ueberlieferung den
Boden für das Verständniß antiker Architektur geebnet hat.
Es gereicht der jüngsten der Millionenstädte ewig zun:
Ruhm, daß sie nicht nur danach gestrebt, die größte Welt-
ausstellung zu schaffen, sondern auch den künstlerischen Ehr-
geiz besessen hat, diese Ausstellung zur schön st e n zu
inachen und derselben Millionen zu opfern. Einer solchen

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Zeitschrift des Bayer. Aunstgewerbe-vereins München.

*893. Heft 9 & *0. (Bg. 2.)

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