/
8 H
Die einzelne Figur verliert
durch das streben nach Ge-
sammtwirkung in Barock und
Rokoko ja entschieden an Be-
deutung und wird meist flüch-
tiger, mehr dekorativ behandelt.
Daß dainit der figürlichen Pla-
stik vielfache Gefahren erwuch-
sen, liegt auf der pand und in
der That gründet hierin der oft
geringere Werth der einzelnen
Figuren gegenüber älteren Wer-
ken, der flüchtige, nicht selten
manierirte Faltenwurf, der in
den besseren Werken jedoch
durchaus nicht conventioneller,
sondern sogar freier und natura-
listischer ist, als die scharf ge-
brochenen Falten vom Ende des
(5. Jahrhunderts oder gar die
gedrehten und gebauschten des
ersten Drittels und der Witte
des f6. Jahrhunderts. Aber
nicht nur Gefahr, sondern auch
ein großer Bortheil lag für die
Entwicklung der Plastik in
diesen Verhältnissen. Bor alleni
bewegt sich jetzt der Bildhauer-
freier, die Figuren lernen erst
Monstranz aus Benediktbeuren, recht Arme und Beine ge-
brauchen, während zu Ende
des f5. und inr Anfang des f6. Jahrhunderts selbst bei
sonst vortrefflichen Figuren, Haltung und Bewegung doch
meist recht befangen, sehr häufig wenig verstanden ist. Wie
frisch inan sich dagegen jetzt selbst an die schwierigsten
Probleme wagt, dafür ist der lebensgroße, um Witte des
\7. Jahrhunderts gearbeitete Ritter 5t. Georg in der Kirche
auf dem Auerberg (Abbildung 5. 6) ein beredtes Zeugniß.
Wie frei ist die ganze Figur gearbeitet, wie keck sprengt der
jugendliche Reiter in den Kampf, während besonders in den
mittelalterlichen Reliefs das Rößlein doch recht gemüthlich
seines Weges zu traben, der peld denr Drachen hübsch
langsam seine Lanze in den Rachen zu bohren pflegt. Wit
der freieren Behandlung, der entwickelteren Technik, die sich
keineswegs nur auf die Haltung der Figuren und das Ge-
wand erstreckt, hängen noch weitere bedeutende Fortschritte
der Plastik zusanrmen. Das gründlichere Naturstudium macht
sich nicht nur in den besser verstandenen Gestalten und in
den nackten Körpern geltend, wie z. B. oft recht erfreulich
bei den kleinen Putten, sondern hievon zeugen vor allem
auch die feiner durchgebildeten, freier bewegten Hände, die
selbst bei sonst vortrefflichen Figuren des Wittelalters und
der Renaissance, trotz mancher rühmlichen Ausnahmen, in
der Regel doch ein recht wunder Punkt sind. Die haare
hatte die mittelalterliche Kunst fast durchweg ängstlich und
schematisch behandelt, erst mit denr 5chluß des fö., namentlich
aber feit Beginn des 16. Jahrhunderts wagt man ein Lösen
einzelner Locken und danrit eine freiere, wirkungsvollere Be-
handlung, die im \7. Jahrhundert wesentlich gesteigert wird.
Am interessantesten aber sind diese Fortschritte da zu ver
folgen, wo sie sich uaturgenräß am feinsteir aussprechen,
nemlich irr den Gesichtszügen. Gerade hier liegt die Stärke
der so naiv schaffenderr rurd deßhalb nrächtig fesselnden älteren
Kunst und doch lassen sich selbst hier gewisse Fortschritte
des \7. Jahrhunderts nicht in Abrede stellen. Der zarten
Anmuth und Innigkeit der deutschen Plastik seit dein ffl. Jahr-
hundert, den herben inännlichen Tharakteren zumal im Schluß
des (5. und im Beginn des f6. Jahrhunderts, hat die Kunst
des siebzehnten allerdings nur selten etwas Ebenbürtiges an
die Seite zu setzen, an jugendlich frischer Kraft des Empfindens
steht sie zurück; was sie aber auszeichnet, ist die geschicktere
Wodellirung des Kopfes, das Durchstudieren und, ich möchte
sagen, das Durchmodelliren desselben. Gerade dadurch, daß
die Leute meist in großem Maßstab arbeiteten, mußten sie,
dainit ihre Köpfe liicht allzuleer erschienen, gar manche
Details beobachteii, die bei den kleineren mittelalterlichen
Figuren noch ganz gut übergangen werden konnten. Wan
kaiin nicht leugnen, daß in den besten, liamentlich männlichen
Köpfen des (7. Jahrhunderts, wie z. B. in dem HI. Niko-
laus in Berg (Pfarrei Schnaitsee) voii (66^ (Abbildung 5. 7)
„mehr drin liegt", wie wir zu sageii pflegen, das heißt,
daß sic mehr durchdacht sind, als die mittelalterlichen, oft
auch mehr als die Renaiffanceskulpturen.
Monstranz tum Anton Rypfingcr aus lveilhcim v. S. (698;
tu Meilheiin.
8 H
Die einzelne Figur verliert
durch das streben nach Ge-
sammtwirkung in Barock und
Rokoko ja entschieden an Be-
deutung und wird meist flüch-
tiger, mehr dekorativ behandelt.
Daß dainit der figürlichen Pla-
stik vielfache Gefahren erwuch-
sen, liegt auf der pand und in
der That gründet hierin der oft
geringere Werth der einzelnen
Figuren gegenüber älteren Wer-
ken, der flüchtige, nicht selten
manierirte Faltenwurf, der in
den besseren Werken jedoch
durchaus nicht conventioneller,
sondern sogar freier und natura-
listischer ist, als die scharf ge-
brochenen Falten vom Ende des
(5. Jahrhunderts oder gar die
gedrehten und gebauschten des
ersten Drittels und der Witte
des f6. Jahrhunderts. Aber
nicht nur Gefahr, sondern auch
ein großer Bortheil lag für die
Entwicklung der Plastik in
diesen Verhältnissen. Bor alleni
bewegt sich jetzt der Bildhauer-
freier, die Figuren lernen erst
Monstranz aus Benediktbeuren, recht Arme und Beine ge-
brauchen, während zu Ende
des f5. und inr Anfang des f6. Jahrhunderts selbst bei
sonst vortrefflichen Figuren, Haltung und Bewegung doch
meist recht befangen, sehr häufig wenig verstanden ist. Wie
frisch inan sich dagegen jetzt selbst an die schwierigsten
Probleme wagt, dafür ist der lebensgroße, um Witte des
\7. Jahrhunderts gearbeitete Ritter 5t. Georg in der Kirche
auf dem Auerberg (Abbildung 5. 6) ein beredtes Zeugniß.
Wie frei ist die ganze Figur gearbeitet, wie keck sprengt der
jugendliche Reiter in den Kampf, während besonders in den
mittelalterlichen Reliefs das Rößlein doch recht gemüthlich
seines Weges zu traben, der peld denr Drachen hübsch
langsam seine Lanze in den Rachen zu bohren pflegt. Wit
der freieren Behandlung, der entwickelteren Technik, die sich
keineswegs nur auf die Haltung der Figuren und das Ge-
wand erstreckt, hängen noch weitere bedeutende Fortschritte
der Plastik zusanrmen. Das gründlichere Naturstudium macht
sich nicht nur in den besser verstandenen Gestalten und in
den nackten Körpern geltend, wie z. B. oft recht erfreulich
bei den kleinen Putten, sondern hievon zeugen vor allem
auch die feiner durchgebildeten, freier bewegten Hände, die
selbst bei sonst vortrefflichen Figuren des Wittelalters und
der Renaissance, trotz mancher rühmlichen Ausnahmen, in
der Regel doch ein recht wunder Punkt sind. Die haare
hatte die mittelalterliche Kunst fast durchweg ängstlich und
schematisch behandelt, erst mit denr 5chluß des fö., namentlich
aber feit Beginn des 16. Jahrhunderts wagt man ein Lösen
einzelner Locken und danrit eine freiere, wirkungsvollere Be-
handlung, die im \7. Jahrhundert wesentlich gesteigert wird.
Am interessantesten aber sind diese Fortschritte da zu ver
folgen, wo sie sich uaturgenräß am feinsteir aussprechen,
nemlich irr den Gesichtszügen. Gerade hier liegt die Stärke
der so naiv schaffenderr rurd deßhalb nrächtig fesselnden älteren
Kunst und doch lassen sich selbst hier gewisse Fortschritte
des \7. Jahrhunderts nicht in Abrede stellen. Der zarten
Anmuth und Innigkeit der deutschen Plastik seit dein ffl. Jahr-
hundert, den herben inännlichen Tharakteren zumal im Schluß
des (5. und im Beginn des f6. Jahrhunderts, hat die Kunst
des siebzehnten allerdings nur selten etwas Ebenbürtiges an
die Seite zu setzen, an jugendlich frischer Kraft des Empfindens
steht sie zurück; was sie aber auszeichnet, ist die geschicktere
Wodellirung des Kopfes, das Durchstudieren und, ich möchte
sagen, das Durchmodelliren desselben. Gerade dadurch, daß
die Leute meist in großem Maßstab arbeiteten, mußten sie,
dainit ihre Köpfe liicht allzuleer erschienen, gar manche
Details beobachteii, die bei den kleineren mittelalterlichen
Figuren noch ganz gut übergangen werden konnten. Wan
kaiin nicht leugnen, daß in den besten, liamentlich männlichen
Köpfen des (7. Jahrhunderts, wie z. B. in dem HI. Niko-
laus in Berg (Pfarrei Schnaitsee) voii (66^ (Abbildung 5. 7)
„mehr drin liegt", wie wir zu sageii pflegen, das heißt,
daß sic mehr durchdacht sind, als die mittelalterlichen, oft
auch mehr als die Renaiffanceskulpturen.
Monstranz tum Anton Rypfingcr aus lveilhcim v. S. (698;
tu Meilheiin.