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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1893

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Heft 7/8
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Schmädel, J. R. von: Festons und dekorative Gruppen: Vortrag, gehalten im Bayer. Kunstgewerbe-Verein am 28. Februar 1893
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https://doi.org/10.11588/diglit.7908#0053

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^stons iiiiii SekgNtivc

(k)iezu gehört Tafel 26.)

Vortrag, gehalten im Bayer. Aunstgcwerbe-Verein an: 28. Februar >393 von X von Schmädel.

ürzlich ersuchte mich Martin Gerlach, der rühmlichst be>
kannte kserausgeber hervorragender Werke auf den
verschiedenen Gebieten der dekorativen Kauft, von denen
ich Ihnen nur das monumentale Werk „Die Pflanze"
in Erinnerung zu rufen brauche, ich möchte ihm gestatten, daß er mir
das Material seines neuesten Unternehmens vorlcge, da er wünsche,
daß ich in> Bayerischen Kunstgcwerbe-Vcrein einiges zur Einführung
darüber spräche. Ich xrotestirte anfangs dagegen, da ich in jüngster
Zeit derart mit Arbeit überlastet bin, daß cs mir unmöglich schien,
diesem Wunsche Folge leisten zu können.

Als ich aber dann das Material zu Gesicht bekam und dasselbe
durchgeschcn hatte, hielt ich es geradezu Für Pflicht, einem Unter-
nehmen das wort zu reden, welches so neu und eigenartig in seiner
Idee ist, das mit einem solchen Aufwand von Mühe, mit solchem
künstlerischen Geschick und soviel Vpfern aller Art dnrchgeführt wurde,
das höchsten Werth für die Entwicklung unserer dekorativen Kunst
besitzt und bis jetzt nicht seines Gleichen hat.

Ich bin allerdings in Folge der Kürze der Zeit nicht in der Lage,
Ihnen einen dnrchgeführtcn akademischen Vortrag zu halten, aber dessen
bedarf es angesichts der vorliegenden Leistungen auch.in keiner Weise.
Eie selbst werden es sofort empfunden haben, daß Sie einem Neuen,
Nichtdagcwescnen gegenüber stehen. Gcrlachs Schöpfung — man
kann in der That von einer solchen sprechen — erinnert sofort an
die Worte Goethes, die nur einer geringen Umänderung bedürfen,
um sofort auf dieselbe bezogen werden zu können:

„Greift nur hinein, in's volle Pflanzenlebenl
„Lin jeder sieht's, nicht vielen ist's bekannt
„Und wo ihr's packt, da ist's interessant".

Man staunt vor dieser Fülle des Gebotenen und wird sofort
erfaßt von der Eigenartigkeit des bisher nicht Gesehenen.

Ich brauche nicht zurückzugreifen, um einen Ueberblick über
alles zu gewähren, was bisher Wichtiges auf diesem Gebiete in der
Littcratur und im Unterricht geboten wurde. Sie finden dieses Thema
ausführlich in der Zeitschrift unseres Vereines im Jahrgänge 4892,
kjeft 3 und q, behandelt, wo Mcurer's Naturformenstudien unter
Zugrundelegung des geschichtlichen Materials in eingehender Weise
besprochen werden. Ich kann gleich in meclias res treten und brauche
nur kurz hinzuweisen auf den starken Zug unserer Zeit, sich von den
Ueberlieferungen der Vergangenheit mehr zu emanzipieren und neue
Anregungen in der unerschöpflichen (Quelle der Natur zu suchen.
Diesem gleichen Ziele streben, wenn auch aus verschiedenen wegen,
die Engländer, Franzosen und neuerdings die Deutschen zu. Sowohl
auf dem Gebiete der Littcratur, wie auf dem Gebiete der Kunst zeigte
sich der Zug nach der Natur. — „Die Moderne" — ein Ausdruck,
unter dem alle diese Bestrebungen zusammengefaßt werden, ist bereits
zum Schlagwort geworden. Ls gährt überall und es steht zu hoffen,
daß der jung«, gährende Most mit der Zeit zu herrlichem weine
werden wird.

Die Wege, die, um zu diesem Ziele zu gelangen, verfolgt werden,
sind, wie gesagt, verschiedene. Auf dem Gebiete, welches uns im
vorliegenden Falle intereffirt, haben sich in jüngster Zeit vorzüglich
zwei Richtungen in sinnfälliger Weise geltend gemacht. Sie haben sich
ziclbewußt krystallisirt in den Natnrformcnstudicn Meurers und in
der vorliegenden Schöpfung Gerlachs. Ich stelle sie zusammen —
nicht, um sie gegen einander auszuspielen, sondern um ihrer beider-
seitigen Berechtigung das Wort zu sprechen.

Professor Meurcr wendet sich direkt an die Natur, um Grund-
lagen für die Stilisirung der Pflanzenwelt zum Zwecke ihrer orna-
mentalen resp. dekorativen Verwendung dadurch zu schaffen, daß er
den Schüler, den Lernenden in die formalen Gesetze der einzelnen
pflanzenindividucn einführt. Nach seiner Anleitung muß der Schüler
die struktiven und statischen Eigenschaften aus der Naturform heraus-
finden lernen. Er muß sich deren verwerthung an der Kunftform *)

klar machen und zu erkennen suchen, daß gleichwie bei der Naturform
so auch in der ornamentalen Form eine gewisse organische Entwick-
lung zu finden sein müsse, und daß die Schönheit der Formen nicht
in einer Zusammenwürfelung „origineller" aber fremder Elemente
liege, sondern in logischer Aneinanderreihung von Einzelheiten, welche
einheitlich als Bestandtheile einer Gesammtform durchzubilden sind.
Er will so zu sagen ein Gesetzbuch schaffen, auf dessen Grundlage ein
ornamentales Staatsgebäude aufgerichtet werden kann. Darin liegt

Hon her Keltausstelluug in Chicago.

Rähmchen.

Zn kindenholz geschnitzt, von j. Radspieler & Cie., München.

die Stärke, aber auch die Schwäche der Meurer'schen Bestrebungen.
Gerlach dagegen greift, wie schon gesagt, hinein in's volle Pflanzen-
leben. Er frägt nicht darnach, wie sind diese Formen geworden?
welches sind ihre Gesetze? wie können sic wieder gesetzmäßig ver-
werthet werden? Er frägt einfach darnach: wie wirken sie? wie
kann ich sie dekorativ gruppiren? wie kann ich sie künstlerisch ver-
werthen? und er nimmt sie, wo er sie findet, stellt sie zusammen,
wie der Künstler, wenn er sie zum Schmucke verwendet, und bannt
die rasch verwelkenden Bilder in echt modernem Geiste vermittelst
ihrer eigenen Lichtwellen fest — unvergänglich für alle Zeiten. Wir
stehen hier vor dem Resultate eines zielbcwußt zur Durchführung ge-
langten genialen Gedankens, der in Zukunft sicher noch mancherlei
Ausgestaltung erfahren wird.

Appelliert Meurer in seinem grundlegenden Lehrgänge in erster
Linie an den verstand, dessen Erkenntnißvermögen er der künstlerischen
Phantasie quasi als Schienengeleise für ihre Ausflüge in die Welt
des Ideals unterbreitet, auf dem fich's ohne allzugroße Gefahr vor-
wärts kommen läßt und auf dem mit Sicherheit alle Stationen er-
reicht werden können, die an dem Geleise liegen — so appelliert Ger-
lach an die Flügel der Phantasie, die sie befähigen in ungehemmter
Bewegung die Welt der Ideale zu beherrschen. Er fordert sie auf,

*) lherausgegeben von M. Gerlach; Verlag von Gerlach 8c Schenk in Wien.

ZeilschrifI des boyer. AunstgewerbeMeeeins München.

tSgZ. Heft 7 & 8. (Bg. 2.)
 
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