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Braun, Joseph
Der christliche Altar in seiner geschichtlichen Entwicklung (Band 2): Die Ausstattung des Altars, Antependien, Velen, Leuchterbank, Stufen, Ciborium und Baldachin, Retabel, Reliquien- und Sakramentsaltar, Altarschranken — München, 1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.2049#0183

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Sechstes Kapitel. Charakter und Zweck der Altarvelen 167

Die früher aus des hl. Cyrillus Schrift De adoratione in spiritu, dem Schreiten
des Pseudo-Areopagiten an den Mönch Demophiius, den Kanones des Hippolytus und
dem Testamentum D. N. Jesu Christi angeführten Stellen3 bekunden das mit aller
Klarheit. So eigentümlich war den Velen dieser Zweck, daß man in den syrischen
Riten schon im frühen, im griechischen aber um das Ende des Mittelalters sogar
dazu überging, sie bis auf den Vorhang an der Mitteltür der Bemaschranken durch
eine förmliche Wand zu ersetzen, um eine noch vollkommenere Scheidung von
Klerus und Laien, von Schiff und Altar räum herbeizuführen*.

Aber auch auf den Mysteriumcharakter der liturgischen Feier sollten die
Altarvelen zweifellos hinweisen. Indem man den Altar, auf dem sich dieselbe
vollzog, mit einem Vorhang verhüllte, wollte man sinnfällig zum Ausdruck
bringen, daß es sich bei ihr um ein mysterium fidei handele, um ein Geheim-
nis, das für unsere leiblichen Augen und für unsere natürliche Erkenntnis in
ein undurchdringliches Dunkel gehüllt ist und nur durch das Licht der Offen-
barung erkannt und erfaßt werden kann, ein Geheimnis, das zu schauen wir
Menschen durchaus unwürdig sind, und dem wir nur in heiliger Scheu und
tiefster Ehrfurcht beiwohnen dürfen.

Natürlich konnte der Vorhang auch einen Schmuck des Altares und Altar-
raumes darstellen; er mag das sogar nicht selten gewesen sein, zumal wenn er aus
kostbaren Zeugen gemacht war. Allein das war im Osten nicht seine Hauptbestim-
mung, sondern allenfalls ein Nebenzweck, der sich zudem später ganz verlor. Denn
heute, und so steht es wohl schon lange, ist das Velum dort allgemein nur noch
liturgischer Vorhang, kein Dekorationsstück mehr.

Anders als im Osten verhielt es sich im Westen. Hier erhalten und
erhielten die Altarvelen nie den liturgischen Charakter, den sie dort von An-
fang an besaßen. Man hat allerdings das Gegenteil oft genug gesagt; es ist
sogar zur landläufigen Behauptung geworden, daß es auch im Abendland
Brauch gewesen sei, aus liturgischen Rücksichten um den Altar herum Velen
anzubringen und dieselben zu gewissen Zeiten bei der Feier der Messe,
namentlich aber während des Kanons, zu schließen. Jedoch ist das keines-
wegs zutreffend. Weder die Ciborienvelen, wie sie uns bis zum 13. Jahr-
hundert begegnen, noch die Altarvelen des späteren Mittelalters hatten die
liturgische Bedeutung, die man ihnen zuschreibt.

Nicht die Ciborienvelen, die ja auch gleich dem Altarciborium im Westen
weder allgemein in Gebrauch noch selbst weit verbreitet waren. Von einem litur-
gischen Charakter derselben zeigt sich ebensowenig in vorkarolingischer wie in
nachkarolingi scher Zeit im abendländischen Ritus jemals die geringste Spur. Ins-
besondere hören wir nie etwas davon, daS es Brauch war, beim Kanon die Ciborien-
velen zu schließen. Bei keinem der altchristlichen Schriftsteller des
Westens ist auch nur mit einem Wort von einer derartigen Sitte die Rede5. Kein
liturgisches Buch spricht dort von ihr, und zwar weder zu früher noch zu
später Zeit, während doch schon karolingische Pontifikalien ausdrücklich der Ge-
pflogenheit gedenken, bei Hinterlegung der Reliquien vor dem Altar ein Velum aus-
zuspannen. Namentlich aber beobachten die römischen Ordines des 8. und 9. Jahr-
hunderts bezüglich der Altarvelen und eines Schließens desselben während des

3 Vgl. oben S. 160. ' Über eine mißverstandene und mißdeutete

* Man könnte daher auch das y.ataxhaoua Stelle beim lü. Ambrosius De offieiis 1. 1, c. 50

mit last ebensoviel Recht Bemavelum, Altar- vgl. oben S. 133.

räum velum, wie Altarveluin nennen.
 
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