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Braun, Joseph
Der christliche Altar in seiner geschichtlichen Entwicklung (Band 2): Die Ausstattung des Altars, Antependien, Velen, Leuchterbank, Stufen, Ciborium und Baldachin, Retabel, Reliquien- und Sakramentsaltar, Altarschranken — München, 1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.2049#0300

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284 Fünfter Abschnitt. Das Retabel

Ursprünglich war es nichl aligemein Brauch, daß man das Betabel ständig an
Ort und Stelle beließ, wenn dieses aus kostbarem Metall gemacht war. Abt Erembert
von Waussor bestimmte ja ausdrücklich, es sollten die beiden Tafeln, die er für den
Hochaltar der Abteikirche gemacht hatte, nur an Festtagen aufgestellt werden.
Ebenso erscheint noch in den Leges Palatinae Jakobs II. von Aragonien das retro-
tabularium als ein Schmuck, mit dem man den Altar nur an den hohen Festtagen
versah, mit dem er sonst aber nicht ausgestattet war3. Dagegen waren die Re-
tabeln von Broddetorp im Museum zu Stockholm, von Odder und Lisbjerg im
Nationalmuseum zu Kopenhagen und von Sahl, von denen in einem späteren
Kapitel ausführlich die Rede sein wird, sicher ihrer ganzen Anlage und Be-
schaffenheit nach bestimmt, ständig den Altar zu zieren. Gab es im 11. und
12. Jahrhundert auch schon bemalte Retabeln, so werden solche sicher ebenfalls
dauernd auf oder hinter dem Altar angebracht gewesen sein. Die Stein retabeln, die
sich aus dem späten 12. Jahrhundert erhalten haben, waren natürlich gerade wie
die Steinretabeln der gotischen Zeit unbeweglich auf dem Altar aufgestellt.

II. DIE VERBINDUNG VON RETABEL UND ALTAR RÄUMLICH
BETRACHTET

Räumlich war eine mannigfaltige Verbindung von Retabel und Altar
möglich. Stand dieser frei, so konnte man das Retabel erstens auf der
Mensa selbst aufstellen, man konnte es aber auch zweitens auf einen be-
sonderen, hinter dem Altar errichteten und an ihn sich anlehnenden Unter-
bau setzen; drittens endlich konnte man es an der hinter dem Altar be-
findlichen Wand anbringen bzw. diese dadurch, daß man ihr eine architek-
tonische Gliederung gab und sie mit Bildwerk versah, zu einem Retabel um-
bilden (Wan dr e t ab el), doch mußte dann Sorge getragen werden, daß
für den Blick der Zusammenhang zwischen Retabel und Altar genügend zu-
tage trat.

In den beiden ersten Fällen war die Verbindung eine wirkliche und förmliche,
im dritten immerhin wenigstens eine ideelle und scheinbare. Das Retabel war ja
in diesem letzten Fall nicht seiner selbst willen oder als bloße Dekoration an der
Wand angebracht, sondern einzig oder doch wenigstens in erster Linie des Altares
wegen als dessen Ergänzung, Ausstattung und Schmuck. Es erweckte aber auch,
wenn es die erforderliche Breite erhalten hatte, wenn es genügend hoch über dem
Fußboden lag und wenn auch sonst die Regeln der Perspektive beobachtet worden
waren, durchaus den Schein, als sei es mit dem Altar unmittelbar verbunden, und
ließ deshalb in diesem Falle klar und bestimmt erkennen, daß es mit dem Altar
ein einheitliches Ganzes bilden sollte.

Warder AltareinerWand vorgebaut, so waren vier Mög-
lichkeiten für die Verbindung von Altar und Retabel gegeben. Erstens
ließ sich auch in diesem Falle das Retabel auf die Mensa setzen. Zweitens
konnte man zwischen den Altarstipes und die Wand eine Aufmauerung ein-
fügen, die als Untersatz des Retabels diente. Drittens vermochte man
das Retabel an der hinter dem Altar befindlichen Warid zu befestigen oder
diese in der vorhin angegebenen Weise zu einem Retabel auszugestalten
(Wandretabel). Viertens endlich konnte man das Retabel in einer
oberhalb des Altares angelegten Nische aufstellen oder eine über dem Altar

2 (AA. SS. Juni. IV, p. LXVIJ.
 
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