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Braun, Joseph
Der christliche Altar in seiner geschichtlichen Entwicklung (Band 2): Die Ausstattung des Altars, Antependien, Velen, Leuchterbank, Stufen, Ciborium und Baldachin, Retabel, Reliquien- und Sakramentsaltar, Altarschranken — München, 1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.2049#0303

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Zweites Kapitel. Die Verbindung von Retabel und Altar 287

In den Niederlanden und den nordischen Ländern verhielt sich
die Sache wohl ähnlich wie in Deutschland. In England, wo der Bruch mit
der kalholischen Vergangenheit leider allzu gründlich mit den Altären und Retaheln,
welche das Mittelalter geschaffen hatte, aufgeräumt hat, wurde die Wand, der der
Altar vorgebaut war, häufig zum Retabel ausgestaltet. Reste derartiger Retabeln
finden sich beispielsweise noch in den Kathedralen zu Durham (Hochaltar) und
Winchester (Hochaltar), in der Kapelle des Magdalcnenkollegs, des New College
and des All Souls College zu Oxford5, in Heinrichs VII. Kapelle zu London, in Sea-
brokes Chantry Chapel in der Kathedrale zu Gloucester, in Wykehams Chantry Chapel
in der Kathedrale zu Winchester, in der Prince Arthurs Chantry Chapel in der Kathe-
drale zu Worcester, in der ehemaligen Liebfrauenkapelle der Kathedrale zu Ely,
an der Ostwand der nördlichen Abseite des Chores der Kathedrale zu Bristol, in der
Kirche zu Ludlow (Salops) u. a. Daß man in England aber auch die Mensa zur Auf-
stellung des Retabels benutzte, bekunden die englischen Alabasteraltäre, die im
15. Jahrhundert in England in großer Zahl angefertigt und auch von dort nach
Frankreich, Italien, Deutschland, dem Norden ausgeführt wurden, Flu gel Schreine von
geringer Höhe, Tiefe und Breite, die ersichtlich bestimmt waren, auf der Mensa,
und nicht auf einem besonderen Hinterbau ihren Platz zu erhalten.

In der Zeit der späten Renaissance und des Barocks kam
es zwar auch noch oft genug vor, daß man das Retabel auf die Mensa des Altares
setzte, doch geschah das nur bei bescheideneren, kleineren Retabeln. Sland der
Allar vor einer Wand, so wurde diese, zumal unter der Herrschaft des späten
Barocks oder Rokokos, bisweilen dadurch in ein Retabel umgewandelt, daß man sie
durch flache Pilastervorlagen oder durch Halbsäulen, deren Kapitelle man mit einem
Giebelstück versah und durch einen Sims verband, mit einer ädikulaariigen Um-
rahmung für das Altarbild ausstattete. Indessen begnügte man sich auch wohl da-
mit, ein Bild in einem mehr oder weniger reich verzierten Rahmen oberhalb des
Altar es an ihr aufzuhängen.

In Italien schuf der Barock manche Relabelanlagen, bei denen das Retabel
vor der Wand angebracht, der zu ihm gehörende Altar aber in größerer oder
geringerer Entfernung frei vor demselben aufgestellt war, so daß er nicht mehr
räumlich, sondern nur noch ideal mit ihm in Verbindung stand. Doch kam diese
Einrichtung, die uns in Spanien schon im späten Mittelalter begegnet, nur beim Hoch-
altar zur Anwendung. Als Beispiel sei der auf Tafel 190 wiedergegebene Hochaltar
der ehemaligen Jesuitenkirche S. Marcellino zu Cremona angeführt. Das Retabel
erhebt sich bei ihm etwa 1H m hinter dem Altar vor der Abschlußwand des Chores;
vom Schiff aus betrachtet, macht es jedoch den Eindruck, als ob es mit ihm unmittel-
bar zusammenhänge. In anderen Fällen ist freilich die Entfernung von Altar und
Chor fast der ganzen Tiefe des letzteren gleich. Der Altar steht unter dem Eingangs-
wegen des Chores, das Retabel in seinem Scheitel. Zwischen Altar und Chor befindet
sich das Chorgestühl. Man hat ersichtlich den Chorherren den Blick auf den Altar
ermöglichen, anderseits aber auch nicht auf ein Retabel verzichlen wollen. Die
Lösung der Schwierigkeit suchte und fand man darin, daß man den Altaraufsatz an
das Ende der Apsis verlegte, den Altar aber am Eingang des Chores aufstellte. Auch
»n diesen Fällen erscheint das Retabel vom Schiff der Kirche aus mit dem Altar in
noch genügender Weise ideal verbunden.

Die Regel war in der Zeit der späten Renaissance und des Barocks, daß man
das Retabel auf einem hinter dem Altar aufgeführten, fest an ihn sich anlehnenden
Unterbau, der meist beiderseits mehr oder weniger über den Altar vortrat, aufbaute,
gleichviel, ob letzterer frei oder vor einer Wand stand. So verhielt es sich nun

i jüngerer Zeit wiederhergestelli nnd neu mit
 
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