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Braun, Joseph
Der christliche Altar in seiner geschichtlichen Entwicklung (Band 2): Die Ausstattung des Altars, Antependien, Velen, Leuchterbank, Stufen, Ciborium und Baldachin, Retabel, Reliquien- und Sakramentsaltar, Altarschranken — München, 1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.2049#0427

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Fünftes Kapitel. Die polychrome Behandlung des Retabels 411

Frauen sowie das des Heilandes. Die Fleischpartien blieben meist unbemalt; dem
Bart gab man gern einen ins Violette gehenden Farbenton. Die unbemalten Ober-
seiten der Gewänder verzierte und belebte man bisweilen mit einem leichten goldenen
Streumüsterchen, mit dem man namentlich gern die Kleidung der Gottesmutter aus-
zeichnete, die Säume der Kleider versah man häuüg mit einem schmalen Goldbörtchen.
Ohne Bemalung ließ man stets die über den Reliefs angebrachten Alabaster-
baldachinchen sowie den die Retabeln oben abschließenden Alabasterkamm.

In Spanien hahen auch die Marmorretabeln bisweilen Bemalung erhalten,
wie das kleine Retabel zeigt, das in der Sakristei von S. Lorenzo zu Lerida jetzt in
die Wand eingemauert ist. Teilweise bemalt ist ein nicht mehr vollständiges Retabel
aus Alabaster im Museum zu Vieh. Anderswo, wie beim Retabel des Hochaltars der
Kathedrale zu Tarragona, bei dem Retabel in S. Nicolas zu Burgos und dem Retabel
des Hochaltars in S. Lorenzo zu Lerida ist der Marmor mehr oder weniger reich
mit einem Auftrag von Gold belebt. Besonders ausgiebig ist das bei dem Retabel in
S. Nicolas zu Burgos geschehen, bei dem Gold nicht nur zur Einfassung der Säume
und zur Musterung der Gewänder, sondern auch zu einer wirkungsvolleren Höhung
und Betonung der vortretenden Teile der Architektur angewendet worden ist

Das Elfenbeinretäbel in der Certosa zu Pavia1 zeigt auf den Gewändern
seines Bildwerkes gleichfalls reichlich goldene Streumuster und Goldsäume; bei
seinem Gegenstück in der Sammlung des Louvre* sind einzelne Teile der Reliefs
leicht grün gefärbt.

2. Holzretabeln. Die aus Holz angefertigten mittelalterlichen Re-
tabeln wurden bei der außerordentlichen Farbenfreudigkeit des Mittelalters
regelmäßig völlig polychromiert. Bestand ihr Bildwerk aus Gemälden, so
brauchte man natürlich nur noch dem Rahmenwerk eine farbige Ausstattung
zu geben; enthielten sie geschnitzte Darstellungen, so wurde nicht nur das
Gehäuse, sondern auch das Schnitzwerk bemalt.

Mit gemalten Bildern versehene Retabeln, deren Rahmenwerk unbemalt
geblieben wäre, dürfte es im Mittelalter schwerlich jemals gegeben hahen. Nie
erscheint bei den Retabeln dieser Art, die sich bis jetzt erhalten hahen, der Rahmen
ohne Bemalung, so anspruchslos und schlicht dieselbe auch oft genug ist.

Unbemalte geschnitzte Retabeln kommen erst im ausgehenden
15. und im beginnenden 16. Jahrhundert vor. Was an älteren Retabeln dieser
Art vorhanden ist, wie z. B. das interessante Passionsretabel im Cluny-
Museum, von dem andernorts die Rede war3, hat im Laufe der Zeit
seinen Gold- und Farben seh muck verloren. Ursprünglich waren auch
diese bemalt. Das verraten mit aller Bestimmtheit die, weim auch meist
minimalen Reste ihrer ehemaligen Polychroraie, die sich in den Ritzen, in
den Ecken und an sonstigen tiefen Stellen der Figuren, des Ornaments, der
Architekturen und des Rahmenwerkes gerettet zu haben pflegen. Das erhellt
auch aus der unfertigen Beschaffenheit und den überall sich zeigenden Un-
ebenheiten des Schnitzwerkes, dem die Meister erst bei der Bemalung des-
selben und durch diese seine Vollendung zu geben gewohnt waren.

Zu den frühesten Beispielen unbemalter geschnitzter Retabeln gehören Tilmann
Biemenschneiders Aufsatz des Altares der Herrgollskirche zu Kreglingen von 1487.
sein Aufsatz des Heiligblutaltares in der Jakobskirche zu Rothenburg ob der Tauber
(1500—1504) und das aus Löwen stammende herrliche Gcorgsretabel des Jan Douver-

1 Vgl. oben S. 300. ' Vgl. oben S. 301. * Vgl, oben S. 325 und Tfl. 257.
 
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