420 Fünfter Abschnitt. Das Retabel
seinen geschnitzten und bemalten Passionsszenen*, daß sie sich bei den flan-
drischen Retabeln selbst im letzten Viertel des Jahrhunderts noch keines-
wegs ganz verloren hatte.
Die Ädikula-Barockretabeln, die im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts sich in
Belgien einbürgerten, im dortigen Retabelbau rasch einen gründlichen Wandel herbei-
lührten und bis in das späte 18. tonangebend blieben, wurden namenüich im 17. sehr
häufig aus weißem und schwarzem, sowie aus grauem oder aus farbigem Marmor
hergestellt, im 18. aber oft aus farbigem Stuckmarmor gemacht. Bestanden sie aus
Holz, so erhielten sie, auch in Belgien, bald einen weißen oder bunten, marmor-
artigen, bald einen stein farbigen, bald einen helleren oder dunkleren braunen An-
strich. Eine reichere Vergoldung wurde diesen Holzretabeln, abgesehen von den
durch ihr willkürliches bizarres Ornament charakteristischen Spätrenaissanceretabein
ans der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts6, in der Begel nicht zuteil. Die ge-
schnitzten Figuren, die sie bisweilen statt des gewöhnlicheren Gemäldes als Ilaupt-
darstellung aufweisen, erscheinen gleich dem übrigen geschnitzten Figurenwerk, mit
dem sie sonst noch ausgestattet sind, vornehmlich weiß, seltener farbig bemalt
In Deutschland erhielt sich mit der hergebrachten Bildung des
Retabels auch die mittelalterliche Art der Bemalung desselben bis in den
Beginn des 17. Jahrhunderts. Selbst die Retabeln, welche sich bereits von
dem Typus des Flügelschreines abgewandt und die aus Italien eingeführte
neue Form übernommen haben, beharren, was ihre Polychromie anlangt,
noch in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts gern bei Brauch und Her-
kommen.
Als Beispiele nenne ich das Retabel des Hochaltares und der beiden Seitenaltäre
in St. "Ulrich zu Augsburg, das Hochaltarretabel in der Stiftskirche zu Überiingen,
das Marien-, das Ursula- und das Magdalenenretabel im Dom zu Pelplin u. a. Sogar
Steinretabeln dieser Art wurden bisweilen noch mehr oder weniger in der alten
Weise bemalt, wie z. B. das ehemalige Hochaltarretabel in der Pfarrkirche zu Wipper-
fürth (ca. 1620), das heute leider mit einer grauen Ölfarbe überzogen ist. Freilich
sieht die Polychromie, wie sie im 16. und frühen 17. Jahrhundert in Deutschland bei
den Retabeln gepflegt wurde, merklich hinter der mittelalterlichen zurück. Sie
umfaßt vielfach nicht mehr das ganze Retabel in allen seinen Teilen, sondern oft
nur noch das Bildwerk und das Ornament. Es fehlt ihrer Farbengebung an der
Frische, dem Leben, der Kraft und der Harmonie, die der Polychromie der mittel-
alterlichen Retabeln in so hohem Maße eigen waren. Es mangelt ihnen die reiche
Vergoldung, durch die diese sich auszeichneten. In ihrer Bemalung herrschen nun
die Farben vor, das Gold nimmt in ihr nur eine dienende Stellung ein. Kurz, die Poly-
chromie der Retabeln ist dürftiger, nüchterner, derber geworden.
Aber auch in den deutschen Barockretabeln aus der zweiten Hälfte des
17. und dem 18. Jahrhundert — abgesehen allerdings von den Steinretabeln,
die nun regelmäßig ganz unbemalt blieben und auch stets wenig Vergoldung
erhielten -— hallt, ähnlich wie in den spanischen, die Farbenfreudigkeit der
früheren Zeit vielfach noch lange nach.
Insbesondere zeigt das geschnitzte Figurenwerk derselben, Statuen und Reliefs,
sehr oft nach wie vor eine bunte Bemalung, namentlich bei den Retabelbauten in den
ländlichen Kirchen des südlichen Deutschlands, der Schweiz und Oesterreichs. Den
Sockeln, Säulen, dem Gebälk und den sonstigen architektonischen Bestandteilen der
* Revue XXXII (1S89) 115. menls classte de l'art dans les Pays-Bas II,
s Vgl. z. B. die beiden bei J. J. Ysendyk, Docu- Retabks Tfl. 2 8 abgebildeten Rclabeln.
seinen geschnitzten und bemalten Passionsszenen*, daß sie sich bei den flan-
drischen Retabeln selbst im letzten Viertel des Jahrhunderts noch keines-
wegs ganz verloren hatte.
Die Ädikula-Barockretabeln, die im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts sich in
Belgien einbürgerten, im dortigen Retabelbau rasch einen gründlichen Wandel herbei-
lührten und bis in das späte 18. tonangebend blieben, wurden namenüich im 17. sehr
häufig aus weißem und schwarzem, sowie aus grauem oder aus farbigem Marmor
hergestellt, im 18. aber oft aus farbigem Stuckmarmor gemacht. Bestanden sie aus
Holz, so erhielten sie, auch in Belgien, bald einen weißen oder bunten, marmor-
artigen, bald einen stein farbigen, bald einen helleren oder dunkleren braunen An-
strich. Eine reichere Vergoldung wurde diesen Holzretabeln, abgesehen von den
durch ihr willkürliches bizarres Ornament charakteristischen Spätrenaissanceretabein
ans der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts6, in der Begel nicht zuteil. Die ge-
schnitzten Figuren, die sie bisweilen statt des gewöhnlicheren Gemäldes als Ilaupt-
darstellung aufweisen, erscheinen gleich dem übrigen geschnitzten Figurenwerk, mit
dem sie sonst noch ausgestattet sind, vornehmlich weiß, seltener farbig bemalt
In Deutschland erhielt sich mit der hergebrachten Bildung des
Retabels auch die mittelalterliche Art der Bemalung desselben bis in den
Beginn des 17. Jahrhunderts. Selbst die Retabeln, welche sich bereits von
dem Typus des Flügelschreines abgewandt und die aus Italien eingeführte
neue Form übernommen haben, beharren, was ihre Polychromie anlangt,
noch in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts gern bei Brauch und Her-
kommen.
Als Beispiele nenne ich das Retabel des Hochaltares und der beiden Seitenaltäre
in St. "Ulrich zu Augsburg, das Hochaltarretabel in der Stiftskirche zu Überiingen,
das Marien-, das Ursula- und das Magdalenenretabel im Dom zu Pelplin u. a. Sogar
Steinretabeln dieser Art wurden bisweilen noch mehr oder weniger in der alten
Weise bemalt, wie z. B. das ehemalige Hochaltarretabel in der Pfarrkirche zu Wipper-
fürth (ca. 1620), das heute leider mit einer grauen Ölfarbe überzogen ist. Freilich
sieht die Polychromie, wie sie im 16. und frühen 17. Jahrhundert in Deutschland bei
den Retabeln gepflegt wurde, merklich hinter der mittelalterlichen zurück. Sie
umfaßt vielfach nicht mehr das ganze Retabel in allen seinen Teilen, sondern oft
nur noch das Bildwerk und das Ornament. Es fehlt ihrer Farbengebung an der
Frische, dem Leben, der Kraft und der Harmonie, die der Polychromie der mittel-
alterlichen Retabeln in so hohem Maße eigen waren. Es mangelt ihnen die reiche
Vergoldung, durch die diese sich auszeichneten. In ihrer Bemalung herrschen nun
die Farben vor, das Gold nimmt in ihr nur eine dienende Stellung ein. Kurz, die Poly-
chromie der Retabeln ist dürftiger, nüchterner, derber geworden.
Aber auch in den deutschen Barockretabeln aus der zweiten Hälfte des
17. und dem 18. Jahrhundert — abgesehen allerdings von den Steinretabeln,
die nun regelmäßig ganz unbemalt blieben und auch stets wenig Vergoldung
erhielten -— hallt, ähnlich wie in den spanischen, die Farbenfreudigkeit der
früheren Zeit vielfach noch lange nach.
Insbesondere zeigt das geschnitzte Figurenwerk derselben, Statuen und Reliefs,
sehr oft nach wie vor eine bunte Bemalung, namentlich bei den Retabelbauten in den
ländlichen Kirchen des südlichen Deutschlands, der Schweiz und Oesterreichs. Den
Sockeln, Säulen, dem Gebälk und den sonstigen architektonischen Bestandteilen der
* Revue XXXII (1S89) 115. menls classte de l'art dans les Pays-Bas II,
s Vgl. z. B. die beiden bei J. J. Ysendyk, Docu- Retabks Tfl. 2 8 abgebildeten Rclabeln.