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Braun, Joseph
Der christliche Altar in seiner geschichtlichen Entwicklung (Band 2): Die Ausstattung des Altars, Antependien, Velen, Leuchterbank, Stufen, Ciborium und Baldachin, Retabel, Reliquien- und Sakramentsaltar, Altarschranken — München, 1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.2049#0589

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Erstes Kapitel. Der Rellquienaltar 573

gestattet hat. Nur vereinzelt kommen Reliquienret abeln von abweichender, an die
mittelalterlichen Reliquienret abeln erinnernder Bildung vor.

Zwei Reliquienretabeln in der Capilla Real, Schöpfungen des Alonso de Mena
von 1632, verbinden bemerkenswert erweise den Charakter von Flügelschreinen mit
dem eines Retabels der späten Renaissance. Bei geschlossenen Flügeln erscheinen
sie als ein gewöhnliches Renaissanceretabel: rechts und links eine korinthische
Säule, über dieser das übliche Gebälk, auf dem Gebälk als Bekrönung in der Mitte
eine Vase zwischen zwei Voluten, über den Ecken eine Pyramide, über Vase und
Voluten endlich allegorische Frauengestalten, die bei dem einen die drei göttlichen
Tugenden sinnbilden, bei dem andern die Weisheit, Gerechtigkeit und Starkmut. Als
Retabelbild dienen die Relieffiguren, mit denen die Außenseiten der Flügel geschmückt
sind. Auf den Innenseiten der Türen sind alt flämische und altspanische Ge-
mälde angebracht, wahrscheinlich die Überreste von Retabeln, welche die Stifterin
der Kapelle, Isabella, die Katholische, derselben hinterließ*. Für gewöhnlich werden
die Flügel nur an den vier höchsten Festtagen des Jahres geöffnet und die in dem
Retabel aufbewahrten Reliquienschätze sichtbar gemacht.

Ein barockes Reliquienretabel in der Kapelle der Casa del Santo Duque zu
Gandfa (Tafel 343) schließt sich, obwohl dem Charakter seines Ornaments nach dem
späten 17. Jahrhundert angehörend, in seinem Aufbau und seiner Gliederung an die
spanischen Retabeln des 16. Jahrhunderts an. Es nimmt die ganze Wand ein. Ver-
tikal siebengeteilt, hat es in der Mittelabt eilung eine große Nische mit einer Statue
des hl. Michael. Von den seitlichen Abteilungen zeigt beiderseits die der mittleren
zunächstliegende zwei rundbogige Muschelnischen übereinander, welche Reliquien-
büsten enthalten. Die andern sind mit drei solcher Nischen ausgestattet; es stehen in
ihnen arm- und zylinderförmige Reliquiare. Auf dem Retabel erhebt sich in der
Mitte in dem es bekrönenden Aufsatz eine Statue des hl. Franz Borja, zur Linken
eine Figur des hl. Paschalis Baylon, zur Rechten die der hl. Theresia.

Ebenso eigenartig wie schön und würdig ist ein in Tafel 341 wiedergegebenes
Reliquienretabel, das sich in einer Kapelle von S. Andrea zu Barletta befindet. Auch
dieses füllt die ganze Wand hinter dem Altar. Zwei korinthische Säulen, die an dem
unteren ornamentierten Teile des Schaftes die hll. fünf Wunden und das Wappen des
Franziskaner Ordens zeigen, und zwei gleichartige Halbsäulen scheiden es in drei
Abteilungen. Vor der mittleren steht zwischen den Sockeln der Säulen der Altar.
Oberhalb des Altares erblickt man in ihr zwischen je vier übereinanderstehenden
rundbogigen, mit Tonn enge wo ibchen eingedeckten Nischen, in denen Reliquienbüsten
aufgestellt sind, das Altarbild, ein Ölgemälde, welches anscheinend den hl, Paschalis
Baylon darstellt. Die Seitenabteilungen gliedern sich in acht solcher Nischen, die
auf vier Reihen verteilt sind und ebenfalls Reliquienbüsten bergen. Auffallend ist
die Bildung der Säulchen, welche die Bogen der Nischen tragen, der Bogen und der
Bogenzwickel. Sie erinnert unwillkürlich an spät romanische Arkaden. Über dem
mit einem Rankenfries verzierten Gebälk des Retabels sitzen an den Eeken Giebel-
stücke, in der Mitte ein von kleineren Giebelstücken bekrönter Aufsatz, der in drei
durch Pilaster geschiedenen konchaförmigen Nischen weitere drei Reliquienbüsten,
in der Mitte die des hl. Andreas, enthält. Das Retabel ist das interessanteste nach-
mittelalterliche Reliquienretabel, weiches ich kennengelernt habe.

Den Riten des Ostens sind Reliquienaltäre nicht bekannt, noch hat es
früher in ihnen solche gegeben. Zwar werden auch wohl in ihnen nach
altem Brauch im Altarraum Reliquien aufbewahrt, doch ohne Verbindung
mit dem Altar in einer Wandnische oder in ähnlicher Weise.

1 Zeitschrift III (1890) 210.
 
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