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Almanach 1920

junge Lehrer auf, der, nachdem er einmal den Mut
zum Sprechen gefunden hatte, gar nicht mehr an sich
halten konnte.
„Messieurs, das letzte Wort in dieser Sache ist —
die allseitige Vergebung. Ich alter Maun, dessen Zeit
vorüber ist, erkläre hiermit feierlich, daß der Hauch
des Lebens noch immer wie einstmals weht, daß die
lebendige Kraft in der jungen Generation nicht ver-
siegt ist. Die Begeisterung der heutigen Jugend ist noch
ebenso rein und hell wie die unserer jungen Jahre.
Nur eins ist anders geworden: die Ziele haben ge-
wechselt, eine Schönheit ist durch die andere ersetzt
worden. Die Frage lautet heute nur so, was schöner
ist: Shakespeare oder ein Paar Stiefel, Raffael oder das
Petroleum?“
„Das ist eine Denunziation!“ schrien die einen.
„Das sind kompromittierende Fragen!“
„Agent-pro vocateur!“
„Ich meinerseits erkläre hiermit,“ kreischte Stepan
Trofimowitsch in höchster Aufregung, „daß Shakespeare
und Raffael höher stehen als die Bauernbefreiung, höher
als das Volk, höher als der Sozialismus, als das junge
Geschlecht, als die Chemie, ja beinahe höher als die
ganze Menschheit, denn sie sind bereits eine Frucht,
eine wirkliche Frucht der ganzen Menschheit und
vielleicht die edelste Frucht, die es nur irgend geben
kann. Die höchste Form der Schönheit, ohne deren
Erreichung ich vielleicht gar nicht würde leben wollen,
ist vielleicht erreicht . . . O Gott!“ schrie er auf und
schlug die Hände zusammen, „vor zehn Jahren habe
ich dieselben Worte einer Versammlung in Petersburg
 
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