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Christlicher Kunstverein der Erzdiözese Freiburg [Hrsg.]
Christliche Kunstblätter: Organ des Christlichen Kunstvereins der Erzdiözese Freiburg — 6.1867

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https://doi.org/10.11588/diglit.7149#0006
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50 —

geiſtet, die Bewegung wird eine entſchieden aufſteigende. Der
ganze Bau mit der erhabenen Façade, deren Prachtfenſter, die
,myſtiſche Roſe'', die ſich in das Mittelſchiff hin öffnet und in
der Gluth der Abendröthe flammt, mit den hochgeſprengten,
von Pfeiler zu Pfeiler reichenden Fenſterbogen, durch die ein
magiſches Licht einfällt, mit den himmelanſtrebenden, allmählich
ſich verjüngenden Thürmen bildet eine großartige Symbolik, die
auf der Grundform des Kreuzes ruhend, eine mächtige Sprache
zu uns redet. Der Blick ſchweift von Bogen zu Bogen, von
Pfeiler zu Pfeiler, durch die in einander greifenden Linien der
Conſtruction immerfort weiter geleitet; die großartige Perſpec-
tive, in die das Auge hinausſieht, weckt die Jdee des Uner-
meßlichen und Unfaßbaren. Die gebündelten Säulen, welche wie
Springquellen aus der Erde zum Lichte aufſteigen, wie Heili-
genbilder, die in ſtillem verklärten Ernſt auf die ſtreitende und
leidende Menſchheit niederblicken, das Alles wirkt zuſammen,
um die Seele mit Ahnungen des Ewigen zu erfüllen. Der
ganze Bau iſt ein bis ins Einzelnſte hinein mit logiſcher Folge-
richtigkeit gegliederter Organismus, ebenſo fein durchgeführt als
coloſſal und gewaltig in ſeinen Maſſen, alle Theile ſind ſtreng
mathematiſch, frei von jeder Willkür, aus den einfachſten For-
men des Vierecks, Dreiecks und des Kreiſes entwickelt, während
die reiche Ornamentik, deren Motive der Pflanzenwelt entnom-
men ſind, das Werk des ordnenden Verſtandes, ,,des Chores
Maß und Gerechtigkeit'', mit der Friſche der Natur belebt.
Je weiter die Bewegung im Thurmbau nach Oben dringt, um
ſo kühner, ſchlanker, leichter werden die Verhältniſſe. Das acht-
eckige Obergeſchoß erſcheint bereits frei und durchbrochen, faſt
maſſenlos. Noch mehr die Spitze, die nur aus acht mächtigen,
frei ſtehenden Rippen beſteht, zwiſchen denen, wie im zierlichen
Spiele, ein durchbrochenes Roſenwerk eingeſpannt iſt. Wo
endlich die acht Rippen zur äußerſten Spitze zuſammenlaufen,
athmet die raſtloſe Bewegung, die in ſich keinen Abſchluß fin-
det, aus, und eine majeſtätiſche Blume, in heiliger Kreuzform
ihre Blätter gen Himmel emporbreitend, deutet auf das Ziel,
welches menſchliche Sehnſucht nicht zu erreichen vermochte. Es
iſt immer noch die romaniſche Kirche, aber vergrößert und ver-
herrlicht, ſchlank, leicht, luftig geworden — der architektoniſche
Gedanke des Chriſtenthums. Sursum corda! ruft ſie dem
Eintretenden zu.
Kein Götterbild ſoll hier im Dunkeln thronen
Von fern verehrt in ſchauerlicher Pracht;

chriſtliche Geiſt, der Cultus der Kirche insbeſondere, der die
bereits gegebenen Formen ſeinen Zwecken gemäß umbildete und
den neuen Jdeen ihre adäquate Darſtellung gab. Die Be-
ſtimmung des chriſtlichen Tempels iſt es, die gläubige Gemeinde
in ſich aufzunehmen, von der Außenwelt abzuſondern, innerlich
zu ſammeln und Aller Herzen und Blicke um den myſtiſchen
Altar des Herrn zu einen. Das Jnnere des antiken Tempels,
die Cella, iſt enge und einfach, auf lange Zeit verſchloſſen; im
Aeußeren dagegen iſt er reich mit Statuen geſchmückt. Der
heidniſche Tempel konnte daher der chriſtlichen Kirche Urform
nicht ſein; ſollten ja keine Opfer und Weihgeſchenke mehr dar-
gebracht werden in den die Wohnung des Gottes umgebenden
Vorhallen und Säulengängen. Die chriſtliche Kirche iſt vor-
zugsweiſe und zunächſt wegen des Jnnern da, und ihre weiten,
großen Räume ſind vielfach gegliedert und architektoniſch aus-
geſtaltet; das Aeußere ſchließt ſich jedoch nothwendig dem Jn-
nern an, da nur in der Harmonie des Aeußeren mit dem Jn-
neren eine vollendete Leiſtung der Kunſt gedacht werden kann.
Als ſichtbare Darſtellung des Reiches Gottes auf Erden, wo
der Herr wohnt in Mitte ſeines Volkes, als Ab- und Vorbild
des himmliſchen Reiches iſt fie vom Gewühle des weltlichen
Treibens geſchieden durch den Vorhof, der zur Sammlung des
Gemüthes einladet und die Seele vorbereitet, wo die letzten
Laute des geſchäftigen Alltagslebens verhallen. — So ideal der
Grundgedanke auch war, den der chriſtliche Kirchenbau zu reali-
ſiren ſuchte, ſo wurde doch die Continuität der Kunſtentwicklung
nicht gewaltſam durchbrochen, erging man ſich nicht in ſubjec-
tiven, völlig neuen Erfindungen. Wie bei allem wahrhaft
Großen ſchloß die Kirche ſich auch in dem Grundplane des
heiligen Baues an das Gegebene an, mit weiſer Auswahl und
von der Jdee des Ganzen ſelbſt geleitet, welche das fernere
Entwicklung Fähige ſich aneignete, das Fremdartige und nicht
weiter Aſſimilirbare ausſchied. Man erfand weder einen neuen
Styl, noch repriſtiirte man künſtlich einen in früheren ahr-
hunderten üblichen. Kein Styl, am wenigſten der chriſtliche
Kirchenſtyl, iſt gemacht; er iſt geworden, gewachſen auf
dem fruchtbaren Boden des von der Kraft der chriſtlichen Jdee
durchdrungenen Volksgeiſtes. Man bediente ſich der gewohnten
und Allen geläufigen Grundformen, wie auch auf anderen Ge-
bieten des kirchlichen Lebens; aber der Geiſt, der dieſe beſeelte,
war ein neuer, und leitete ſo den allmählichen, mit innerer
Nothwendigkeit verlaufenden Proceß ihrer Um- und Ausge-
ſtaltung ein. Es war auch hier der Geiſt, der lebendig macht.
Vergleichen wir daher die älteſten noch vorhandenen Kirchen mit
den gleichzeitigen Monumenten aus den letzten Zeiten des Hei-
denthums, die älteſten chriſtlichen Bildwerke und Moſaiken mit
den entſprechenden Bildungen der ſinkenden alten Welt, ſo er-
kennen wir trotz aller Mängel und Unvollkommenheiten, welche
beide mit einander gemein haben, hier ein Welken und ohn-
mächtiges Abſterben, dort aber ein kräftiges ſeiner ſelbſt ge-
wiſſes Emporblühen, voll Hoffnung und Zukunft.
So entſtand die Baſilika und romaniſche Kirche mit
der Kühnheit ihrer Conſtructionen, der höchſt feierlichen Kuppel
über dem Hauptaltare, dem Abbild des Himmelsgewölbes, den
hohen majeſtätiſch ernſten Hallen, wo die ganze Geſchichte der
Menſchheit und die Herrlichkeit des Himmels in wunderbaren
Bildern und Geſtalten von den Wänden uns entgegentritt.
Aber es ſtrebt der Geiſt, der nach Oben trägt, die letzten Feſ-
ſeln der Körperlichkeit zu brechen, der Materie ſich noch voll-
ſtändiger zu bemächtigen; und aus dem Kreuzgewölbe entwickelte
ſich der Spitzbogen, aus zwei Kreisſegmenten zuſammengeſetzt,
die maſſigen Wände löſen ſich zu einem Gurten- und Rippen-
werk mit leichter Füllung auf, und ſo erhebt ſich das gothiſche
Münſter, mit ſeinen Bogen leicht und kühn auf hochſtrebenden
Säulenbündeln ruhend. Alles Körperliche iſt belebt und durch-

Laß deine Hallen denn des Volkes Wellen
Jn breitem, ungehemmtem Strom empfangen,
Und die Altäre hocherhaben prangen;
Dem Tempel gib als Kinder rings Capellen,
Einſamer Andacht ſtiller nachzuhangen:
Und laß, wetteifernd mit den Sterngewölben,
Den hohen Dom ſich in der Mitte wölben.
(A. W. v. Schlegel.)
Die Wände und Fenſter des chriſtlichen Gotteshauſes ſchmückt
die Malerei. Jn der Seulptur iſt und bleibt die Antike Vor-
bild. Das Maßvolle in Haltung, Ausdruck und Bewegung,
dieſe ,,ruhige Gewalt im Sturm der Leidenſchaft'' hat nur der
glückliche Genius der Antike erkannt und zur Darſtellung ge-
bracht. Niemand wird daher läugnen, daß in der Sculptur
die Antike unübertroffen, ja ſelbſt im Ganzen und Großen un-
erreicht daſteht. Jch ſage im Ganzen und Großen; denn des
Michel Angelo Moſes ſowie ſeine Pietà, jener zu St. Peter
in vinculis, dieſe in der vaticaniſchen Baſilika, dürften den
Vergleich mit dem Höchſten und Beſten der Antike nicht ſcheuen.
Der Grund iſt klar; die ſpätere Zeit hat auf dieſem Gebiete
faſt nur copirt, und die Copie ſteht immer zurück hinter dem
Originale. Mit der Malerei verhält es ſich umgekehrt. Sie
iſt ganz beſonders die Geburt des chriſtlichen Geiſtes. Wie die
Architektur, ſo verhält ſich auch die bildende Kunſt des Alter-
 
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