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Christlicher Kunstverein der Erzdiözese Freiburg [Hrsg.]
Christliche Kunstblätter: Organ des Christlichen Kunstvereins der Erzdiözese Freiburg — 6.1867

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https://doi.org/10.11588/diglit.7149#0025
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Chriſtliche

Kunſtblätter

Organ des chriſtlichen Knnſtvereins der Erzdiöceſe Freiburg
(Beilage zum Freiburger Kirchenblatt.)

Nro. 66.

Domine diloxi decorem domus tuae. Ps. 25, 8.

Juni 1867.

J. Dr. Aug. Reichenſperger über Freiburg.

Elaſticität und Schmiegſamkeit der Gothik eigen iſt. Der zurück-
gebliebene romaniſche Kern findet ſich ſo innig mit dem früh-
gothiſchen Langhaus und dem ſpätgothiſchen Schiffe verwachſen,
daß ſchon ein kundiges Auge dazu gehört, um die Uebergänge
ausfindig zu machen. Nur dem Höhenverhältniß thut es hier,
wie beim Straßburger und Wiener Dome, überhaupt in allen
Kirchen, die auf romaniſcher Grundlage erwachſen ſind, ent-
ſchieden Eintrag, daß die Conception des Ganzen nicht ein-
heitlich gothiſch iſt. Der Thurm iſt zwar vom Fuß bis zur
Kreuzblume im gothiſchen Style ausgeführt, allein dem Plane
des erſten Meiſters wurde bei dem Beginne des Octogons ein
ganz neuer ſubſtituirt, welcher in jeder Beziehung eine höhere
Entwicklungsſtufe bezeichnet. Es erſcheint bewunderungswürdig,
mit welcher Kühnheit und Sicherheit jene Meiſter ihre Jn-
dividualität innerhalb des feſtſtehenden allgemeinen Geſetzes
geltend zu machen wußten, wie ſogar Anomalien unter ihrer
Hand Motive zu kunſtreichen Bildungen werden, wie ſie über-
haupt jede Diſſonanz harmoniſch zu löſen wiſſen. Nichts iſt
verkehrter als die landläufige Vorſtellung, daß dieſe Meiſter-
ſchaft einer Art von ungetrübtem Jnſtinkt beizumeſſen ſei; ſie
wurzelt vielmehr in klar erkannten Regeln und Principien und
iſt bedingt durch ein Gleichgewicht zwiſchen den verſchiedenen
Seelenkräften, durch ein einträchtiges Zuſammenwirken von Kopf
und Herz. Jn dem Maaße, in welchem dies Alles ſchwindet,
ſchwindet auch die ſchöpferiſche Freiheit und Kraft; die Kunſt-
übung wird kalt, konventionell, willkürlich, und verfällt endlich
der Bureaukratie, die ſie dann von oben herab polizeimäßig
reglementirt.
Solche und ähnliche Betrachtnngen wurden im mir durch den
Freiburger Münſterthurm angeregt, deſſen Fortentwiklung vom
unteren Stockwerk zu den obern ganz gewiß von keiner Ober-
baudeputation genehmigt worden wäre, auch wenn ſie es noch
ſo gut mit der Gothik gemeint hätte.
Das Jnnere des Münſters trägt noch ſeine hiſtoriſche, durch
allerhand Zufälligkeiten gehobene Farbe; die gemalten Fenſter
repräſentiren in bunter Pracht die verſchiedenſten Stlperioden,
ſelbſt die des Wiederauflebens dieſer edlen Kunſt in unſeren
Tagen. Als erſte Verſuche ſind die zu letzterer Kategorie ge-
hörenden Arbeiten des Meiſters Helmle alles Lobes werth, ſo

(Erinnerungen von einer Schweizerreiſe.)
Wie ſehr es mich auch nach der Schweiz hinzog und ob-
gleich überdies das raſche Abnehmen der Tage dringend zur
Eile mahnte, ſo konnte ich es doch nicht über mich gewinnen,
Freiburg im Breisgau zu paſſiren, ohne alte, liebe Erinner-
ungen, wenn auch nur im Fluge wieder aufzufriſchen. Es iſt
ein Wunder, oder doch ein halbes Wunder zu nennen, daß der
weltbekannte badiſche ,,Fortſchritt'' es hier im Aufräumen
noch nicht weiter gebracht hat. Der im Schatten des mäch-
tigen Münſters ruhende Ort ſieht ſich, in ſeinem Kerne wenig-
ſtens, noch ſo maleriſch und gemüthlich an, als ob innerhalb
des Weichbildes der Gottesfriede niemals geſtört worden ſei.
Bis jetzt kann das Freiburger Münſter noch von beſonderem
Glück ſagen. Es bildet architektoniſch wie dekorativ ein gewaltiges
Konglomerat, in welchem ſozuſagen jedes Jahrhundert ſeine
Richtung und Sinnesweiſe durch irgend eine Anſchwemmung be-
kundet hat. Der Chor nebſt dem Querſchiffe war in romaniſcher
rt fertig geſtellt, als die Gothik auftrat und hier wie aller-
wärts durch Germanien die Herrſchaft in den Bauhütten über-
kam. Die Meiſter und ihre Geſellen, welche die mächtigen
romaniſchen Dome aufgerichtet oder begonnen hatten, beugten
ſich ſammt und ſonders vor dem neuen Princip — und heut-
zutage ſtreitet man noch darüber, welcher von beiden Stylen
den Vorzug verdient, welcher der bildſamere, fruchtbarere,
ſchönere ſei, welcher von beiden insbeſondere dem deutſchen
Weſen am meiſten entſpreche! Der Streit wird übrigens jeden-
falls noch eine geraume Zeit lang fortgeführt werden, mag man
auch in noch ſo evidenter Weiſe darthun, daß der gothiſche
Styl dem Genius unſerer Nation entſproſſen ſei, und daß er in
höherem Maaß, als irgend ein anderer Styl allen Anforderungen
zu entſprechen im Stande iſt. Jnsbeſondere werden nur diejenigen
Architekten ſich dazu bekehren, welche ihn wahrhaft bemeiſtern
oder doch die Muhe nicht ſcheuen, die allerdings bedeutenden
Schwierigkeiten, welche er darbietet, überwinden zu lernen. Die
Anderen werden nach wie vor beliebige Formen wählen und
dieſelben mit irgend einem gelehrt kliugenden Namen bezeichnen.
Am Freiburger Münſter zeigt ſich wieder ſo recht, welche
 
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