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Christlicher Kunstverein der Erzdiözese Freiburg [Hrsg.]
Christliche Kunstblätter: Organ des Christlichen Kunstvereins der Erzdiözese Freiburg — 6.1867

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https://doi.org/10.11588/diglit.7149#0029
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Chriſtliche

Kunſtblätter

Organ des chriſtlichen Kunſtvereins der Erzdiöceſe Freiburg
(Beilage zum Freiburger Kirchenblatt.)

Nro. 67.

Domine dilexi docorem domus tuae. Ps. 25, 8.

Juli 1867.

1. * Ein Schaugefäß des Freiburger Münſterſchatzes.
Das Schatzhaus des Freiburger Münſters bewahrt ein ſil-
bernes, an einigen Stellen Spuren ehemaliger theilweiſer Ver-
goldung zeigendes Oſtenſorium, das, wenn die Ueberlieferung
in Betreff ſeiner urſprünglichen Beſtimmung gegründet ſein ſollte,
wohl als das einzig erhaltene Kunſtwerk ſeiner Gattung gelten
muß. Es geht nemlich die freilich nicht weiter dokumentirte
Sage, in dem Glasgefäße, welches von dieſem Kunſtwerk ge-
tragen und beſchloſſen wird, ſei urſprünglich eine Handvoll
Erde aufgehoben geweſen, welche der erſte Spatenſtich bei der
Gründung des Münſters aus dem Boden geworfen habe; bei
jeder Sammlung zur Beiſteuer für die Vollendung des mit
kühnem Gottvertrauen unternommenen Baues habe ein kirchli-
cher Würdenträger das Schaugefäß umhergetragen, um zu from-
men Gaben aufzufordern.
Wir wollen dieſem Denkmal eine kurze Betrachtung wid-
men zur Aufklärung der beiden Fragen, welche dem Beſchauer
von ſelbſt ſich aufdrängen: — 1) hat das Gefäß wirklich die
Beſtimmung gehabt, welche von der Ueberlieferung behauptet
wird? 2) ſollte durch die Form des Deckels auf die letzte Auf-
gabe des unternommenen Werkes, die Krönung desſelben durch
eine hoch emporragende Thurmſpitze, hingewieſen werden? Die
Bejahung der erſten Frage kann nicht erwieſen, jedoch wahr-
ſcheinlich befunden, die zweite Frageſtellung muß entſchieden
verneint werden.
Dem fraglichen Gefäße, deſſen Geſammthöhe bis zu der in
ſpäterer Zeit beigefügten, von einem Kreuze überragten Kugel
16/. Zoll mißt, iſt eine Geſtalt geliehen, welche bei kirchlichen
Geräthen ſchon in ſehr früher Zeit), bei Reliquienbehältern
des ſpätern Mittelalters ſehr häͤufig vorkömmt. Die runde
Fußſcheibe deren Durchmeſſer 5'' 3''' beträgt, zieht ſich in einen
Ständer zuſammen, welcher nach oben ſich wieder erweiternd
eine Platte ſtützt, auf welcher eine, dermalen Reliquien um-
ſchließende Glasglocke ruht. Sechs runde Medaillons ſchmücken
die Fläche der Fußſcheibe; die Mitte des Ständers wird von

einer durch ſechs Einſchnitte getheilten, abgerundeten Handhabe
unterbrochen. Neben der Glocke bis zum oberen Rande der-
ſelben ſind zwei Widerlagspfeiler einander gegenüber geſtellt, von
welchen Strebebogen ausgehen, die ſich zu Fialen verjüngen.
Zwiſchen beiden iſt die obere und untere Platte, welche das
Glasgefäß abſchließen, noch durch zwei ſchmale Metallplatten
verbunden, welche zu größerer Sicherung in ſpäterer Zeit an-
gebracht ſcheinen. An einer derſelben iſt mittelſt eines Draht-
fadens eine alte ſtädtiſche Münze, Rappe genannt, befeſtigt.
Den Deckel bildet ein 4'' 9''' hohes ſechseckiges Thurmge-
bäude, das an ſeiner Baſis von 6 gothiſchen Ziergiebeln um-
ſtellt iſt, welche durch iſolirte Fialen von einander geſondert
und mit Krabben und Kreuzblumen verziert ſind. Die Seiten-
flächen des Thurmes ſind mit eingravirten Dachziegeln geſchmückt;
die Krabben waren vergoldet; eine Kreuzblume bildete muthmaß-
lich den urſprünglichen Abſchluß.
Vielfache Spuren der Abnutzung, namentlich die faſt hinge-
ſchwundene Vergoldung, weiſen darauf hin, daß das Gefäß kei-
neswegs früher mit beſtändiger Sorgfalt in einem Schreine
aufgehoben und nur bei hohen Feſtlichkeiten hervorgeholt wurde,
ſondern, daß wirklich häufig ein ſolcher Gebrauch davon gemacht
wurde, wie ihn die Ueberlieferung angiebt und wofür auch der
angehängte Rappe ein beſtätigendes Zeugniß abgelegt. Die vor-
ſtehenden Ränder, welche oben und unten die das Glasgefäß ab-
ſchließenden Platten umziehen, ſind gewaltſam eingebogen. Man
nimmt dadurch wahr, daß in früherer Zeit ein anderes Glas
oder Kryſtallgefäß von etwas größerem Umfang vorhanden war,
in welchem die beim Bau zuerſt ausgegrabene Erde niederge-
legt ſein mochte. Jn ſpäterer Zeit kann dieſe entfernt worden
ſein, ſei es nun um für erworbene Reliquien einen paſſenden
Behälter zu gewinnen, oder auch um durch ſolche dem Gefäße
ſelbſt eine geheiligtere Bedeutung zu geben, das für ſeine an-
fängliche Beſtimmung in fortwährendem Gebrauche blieb, der
in dem Gedächtniſſe des Volkes bis auf unſere Tage ſich er-
halten hat.
Daß in der Zeit, in welcher das Oſtenſorium entſtanden
iſt, noch nicht der herrliche durchbrochene Thurmhelm projectirt
war, welcher die ſchönſte Zier des Münſterbaues ausmacht, hat
alle Wahrſcheinlichkeit für ſich. Die ganze Formgebung des

*) Jn dem Teſtamente des Abtes Aregius vom Jahre 591 werden
unter andern kirchlichen Utenſilien Tarres erwähnt, deren Beſtimmung räth-
ſelhaft iſt.
 
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