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den Freunden einer künstlerischen Kultur in unseren Kirchen noch so sehr
Ästhetizismus oder gar Katholizismus unterschieben, den Vorkämpfern für
musikalischen Ausbau unsres gottesdienstlichen Lebens wird man das bei
gutem Willen nicht so sehr vorwerfen können. David Koch
I.
Der Herausgeber unseres „Christlichen Kunstblattes" bittet mich, ich
möchte mich zu seinem Gedanken einer deutschen Messe äußern und einen
praktischen Vorschlag machen, von dem ich ihm
schon mündlich gesagt hatte. Ich habe aus
seiner Arbeit manchen meinem Empfinden
verwandten Ton herausgehört und wertvolle
Anregung empfangen. Grundsätzliche Erörte-
rungen dazu möchte ich freilich den Kirchen-
musikern und Liturgikern vom Fach überlassen.
Koch erwartet für die Zukunft der deut-
schen Messe namentlich etwas von musikali-
schen Neuschöpfungen. Auf eine solche
als ein m. E. beachtenswertes Paradigma
möchte ich gern im folgenden aufmerksam
machen: Sommergesang „Geh aus, mein
Herz, und suche Freud" von Paul Gerhardt,
Kantate für Einzelstimmen (Sopran und Bariton), Kinderchor, gemischten
Chor und Gemeindegesang mit Begleitung der Orgel, komponiert von
Theodor Goldschmidt Leipzig, I. Rieter-Biedermann. 1908.
Es darf wohl billig eine hymnologische Merkwürdigkeit genannt werden,
daß dieser Meistergesang Paul Gerhardts noch keine dem Wort ebenbürtige
Weise erhalten hat. „Es gibt zu dem Gerhardtschen Liede leider keine
Melodie, die den Anspruch erheben könnte, allgemein verbreitet oder gar
klassisch zu sein" (Goldschmid). Die leichtfertige Marschmelodie, nach der „christ-
liche Sänger" das Lied gerne singen — in diesen Kreisen unter dem Namen
„Bethelmarsch" bekannt, zum Pfeifen viel geeigneter als zum Singen —
erscheint fast als Entweihung eines Heiligtums. Das wunderbare Sommer-
lied, in dem keine Theologie der Poesie sich widersetzt, wo alles reinste
Gottesliebe und Himmelslust atmet, läßt uns mit Wonne durchs Erdenparadies
wandeln und schon hineinschauen in Christi Garten droben. Wir werden
mit hineingezogen in den Iubelchor der ganzen Welt und gehen doch nicht
unter drin: ein jedes Geschöpflein Gottes darf sich seines Lebens freuen,
der Mensch mit allen, vor allen.
Muß solch Freudenlied nicht den Tondichter noch in besonderer Weise
locken, mitzusingen, wenn alles singt, und, was dem Höchsten klingt, aus
seinem Herzen rinnen zu lassen? Pfarrer Goldschmid hat seit vielen Jahren

Aus den Meisterbildern des
Kunstwarts: Dürer, Engelskopf


zurzeit Pfarrer im zürcherischen Dorf Pfäffikon
 
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