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Lharakterisierungskunst bewundern können und zugleich entdecken, wie die
durch das mystische Erlebnis zunächst ausgelöschten Einzelzüge erdenschweren
Menschentums mit seinen Ecken und Kanten doch allmählich wieder zum
Vorschein kommen.
Doch wir wenden uns zum Schlüsse dem schönsten und tiefsten aller Oster-
il ilder zu, einem der größten Meisterwerke religiöser Kunst überhaupt, dem
Emmaus-Bilde im Louvre. Rembrandt hat das Thema oft behandelt, aber
welch eine reiche künstlerische, menschliche und, es kann nicht anders sein,
auch religiöse Entwicklung liegt zwischen dem ersten Versuche, der mit wohl-
feilen Virtuosenkunststücken den Vorgang lediglich als ein Mirakel erscheinen
läßt, und unserm Bilde mit seiner unvergleichlichen seelischen Vertiefung.
Wie einfach groß und feierlich wirkt schon die Raumanordnung mit der
großen Wandnische, von der die Ehristusfigur sich abhebt! Man fange
bei der Betrachtung mit dem aufwartendeu Knaben an, in dessen Gesicht
sich die ehrfurchtsvolle Ahnung von etwas unverständlich Großem so unüber-
trefflich spiegelt, gehe weiter zu dem Jünger rechts, in dem das Verständnis
eben aufdämmert, zu dem zur Linken, der von der Erkenntnis wie von einem
Blitze getroffen, die Hände anbetend zusammenlegt (—wie leise und fein ist
das alles gesagt! —), und sehe dann dem Auferstandenen ins wunderbare
Antlitz. Ja dieser Ehristuskopf! Wie hier das Materielle vom Geistigen
gleichsam aufgesaugt ist! Schönheit ist Wahrheit und Tiefe des Ausdrucks
— das kann man hier lernen. Das ist ein Mensch, der alles Leiden des
Lebens ausgekostet, der durch die Schauer des Todes hindurchgegangen ist,
und in dessen Antlitz doch ein so tief innerlicher, aus hingehendstem Ver-
trauen auf den Vater geborener Friede leuchtet. Eine rührende unerschöpf-
liche Geduld zugleich und vor allem eine überwältigende Macht der Güte
und Freundlichkeit redet aus diesem Hagern Antlitz mit den unregelmäßigen
Zügen, strahlt aus den großen sanften Augen und spielt um den Mund.
Und welch stille Hoheit thront auf dieser Stirn. Ein wahrer Mensch sitzt
vor uns, aber ein Mensch, der von sich sagen konnte: ich und der Vater
sind eins! Eine ehrfurchtsvolle Scheu vor dem heiligen Geheimnis der
Persönlichkeit Christi hat hier dem Künstler den Pinsel geführt. Daher
auch die aller Pose so fremde große Natürlichkeit und Schlichtheit der Emp-
findung, der das Werk ein gut Teil seiner tiefen Wirkung verdankt. —
Unvergeßlich ist mir die Stunde, in der ich zuerst dies Bild bei einer Licht-
bildervorführung im Zimmer eines Freundes — erlebte. Denn es war ein
Erlebnis, als im dunkeln Zimmer diese Vision von Licht, Liebe und Leben
groß und hell vor unseren Augen anfstieg. Das war auch eine Erscheinung
des Auferstandenen, denn in solchen Werken vermag die Kunst eine Wirkung
zu üben, die mehr ist als ein bloßes ästhetisches Nachfühlen, die wirklich das
Ewige der Seele nahebringt. Nicht nur der Kunst, auch der Religion hat der
Künstler mit diesem Werke gedient. Das ist religiöse Kunst, Gott in der
Kunst. Johannes Manskopf-Daubhausen
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