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Wort des Iohannesevangeliums illustrieren: „Das Licht scheinet in der
Finsternis, und die Finsternis hat's nicht begriffen" - da webt die Mystik
eines Jakob Böhme, da ist es ihr Fragen und Sehnen, das zum Bilde
gedrängt hat. Vor Rembrandts Genie versagen die geschichtsphilosophischrn
Rechnungen; seine Person und sein Werk bleiben ein Mysterium mehr als
die andrer Künstler. In vielem war er eines Calvin geistiger Widerpart.
Die unaufhebbaren Spannungen zwischen Gefühl und Intellekt, aber auch
der Widerstreit zwischen Religion und Kunst sind in den Namen dieser beiden
Großen Calvin und Rembrandt gekennzeichnet. Beide suchen der Aberwelt,
die in unser Sein hineinragt, Form zu geben. Calvin erfaßt ihren sittlichen
Wert und prägt seine Normen; Rembrandt findet Farbe und Gestalt, sie
darzustellen. Beide aber haben ihr Heimatrecht in der protestantischen Kultur,
von deren Gegensätzlichkeit und Einheit sie Zeugen sind.
An einer Frucht des calvinischen Geistes durfte Rembrandt aber in
seinen Ruhmestagen teilnehmen, an der Schätzung des Wertes der Per-
sönlichkeit.* Calvin hatte seine Vorherbestimmungslehre sittlich fruchtbar
zu machen gewußt. Der Erwählte sollte in zuchtvoller Arbeit seiner Er-
wählung gewiß werden; unermüdliche Regsamkeit war die neue Art von
Aszese. Das Bewußtsein, erwählt zu sein, half alle Lebenskräfte ent-
falten. Der äußere Erfolg blieb nicht aus. Als innere Folge stellte sich not-
wendig eine in Gott wurzelnde Selbsteinschätzung ein, für die uns in unfern
zerfahrenen Zeiten der Maßstab fehlt. Denn unmittelbar von Gott selbst
aus der Masse der Verlorenen herausgehoben zu sein, dieses Bewußtsein
gab auch einem kleinen Leben etwas Großzügiges, Kühnes, Festes. Diese
Individualitäten, welche ihren Rückhalt an Gott selber hatten, mußten mehr
geschlossene Kraft besitzen als die vielseitigen Persönlichkeiten der Renaissance-
kultur, die ihr Leben zur harmonischen Ausrundung zu bringen suchten,
indem sie Wissen und Kunst in ihren mannigfachsten Auszweigungen zu
einer Einheit in ihrer Seele gestalteten. Auch die straffe Gemeindezucht des
Calvinismus wollte und konnte die Entwicklung ausgeprägter Persönlich-
keiten nicht unterbinden. Die calvinistischen Prediger wurden charaktervolle
Typen, der calvinistische Kaufmann, der sich als Werkzeug des weltbeherr-
schenden Willens fühlte, wurde bei aller Strenge und Enge seiner privaten
Lebenshaltung der Förderer jeder kraftvollen, persönlichen Wert offenbaren-
den Arbeit, er wurde Kuustmäzen. Die Durchbrechung des Durchschnitts-
menschentums, die der Calvinismus mit sich brachte, kam dem Künstler
zustatten. Mochte auch er seine Individualität zur Vollreife bringen. Er
fand in dem stolzen Geschlecht seine Auftraggeber. Denn diese vornehmen
Bürger, die trotz mancher philisterhaften Allüren und gelegentlichen An-
wandlungen von Protzentum gediegen, kernig, „deftig" waren, schmückten
ihre Häuser gern mit den Bildern, die ihre eigene Solidität und Kraft
widerspiegelten. Sie liebten die persönliche und heimatliche Note in den

* Vgl. dazu die Ausführungen von Dilthey in den „Preußischen Jahr-
büchern 1894" und die Abhandlung Troeltschs in Hinnebergs „Kultur der Gegenwart"
 
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