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das Bild gemacht. Thoma ist rein sachlich. Er ist Ideenmaler, der das
Seelische, das Wesentliche heraushebt: Eine alte Mutter, eine blühende
Tochter, ein Gebetbuch. Alle drei sonnenbeschienen. Die Mutter in sich
versunken. Ihre Frömmigkeit ist durch Leiden gegangen. Die Tochter rankt
sich an der starken Mutter aufwärts. Ihr ist die Jugendzeit heilige Rein-
heit. Religion ist ihr so Natur geworden, daß sie nicht einmal die Hände
faltet — alles ohne Pose. — Daß es in der Seele des Künstlers selbst
so sonnig war, zeigen seine ersten Selbstbildnisse. Daß seine Religion
in der Naturmystik gründete, fühlen wir den folgenden Frühbildern an.
Der „Dorfgeiger" 1872, der in einfach behaglicher Landschaft sitzt, die
Noten auf den Knien, spielt so mit Andacht sein Lied, daß es gar nicht

Hans Thoma Großmutter
und Kind
Verlag Breitkopf L Härtel


Hans Thoma Leichnam Christi
Verlag Breitkopf L Härtel


in Betracht kommt, ob's ein weltlich oder geistlich Lied ist. Diesem Geiger
ist sein Spiel Andacht. Dieser Dorfgeiger ist mir immer ein Symbol
gewesen für die Erkenntnis, daß im Volke alle Musik, alle Lied- und
Bildkunst — einen unbewußten religiösen Nnterton hat - und daß mit
dieser natürlichen Synthese von Himmel und Erde, Gott und Welt —
Beten und Arbeiten — der Mann des Volkes näher an den Mauern
des verlorenen Paradieses wohnt, als wir verbildeten Menschenkinder.
Bei diesen Bildern Thomas klingt in meiner Seele aus Iugendtagen Selbst-
erlebtes nach in Berg und Wald, in Schloß und Mühle, in Bach und Schilf,
auf schweren Müllergäulen und hochbeladenen Erntewagen, im Gespräch
mit den Bauern und in der Gesindestube, von dem ich, je älter und ver-
bildeter ich werde, erkenne, daß die Stadtleute für diese Landpoesie nur
ein Sehnen aber kein Verstehen haben. — And dieses Sehnen nach dieser
Einheit von Welt und Gott, von Himmel und Erde — das hat vor einem
Menschenalter Hans Thoma die Herzen aufgetan, diese Naturreligion, die
doch kein Pantheismus, diese Volksreligion, die doch weder Bigotterie noch
Rationalismus ist.
 
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