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327

2. In der protestantischen (lutherischen und calvinistischen Kirche) regen
sich führende Kreise, die mit Erfolg die neuprotestantischen künstlerischen Ge-
bilde dem religiös-kirchlichen Bewußtsein näherbringen und auch die maß-
gebenden kirchlichen Organe immer mehr von der Notwendigkeit überzeugen,
daß der Protestantismus hier ein: Kulturaufgabs hat — und daß, sie wieder
liegen zu lassen, Schuld bedeutet, — sie zu fördern: Selbstbereicherung und
Erweiterung.
3. Es geht durch den Protestantismus ein Strom künstlerischer Er-
leuchtung von oben bei den Künstlern beginnend, aufgefangen in goldenen
Schalen von den Wegweisenden, und
4. begehrt von der Volkskirche des Protestantismus:
a) Der Beweis ist nicht schwer zu erbringen, daß auch die aszetisch-
pietistischen Kreise der Kunstbewegung sich nicht mehr ganz verschließen
können.
b) Der praktische Erfolg in Bildkunst und Baukunst zeigt, daß das Volk
Wille und Gefühl hat für eine verfeinerte kirchlich-ästhetische Kunstform.
o) Es ist Aufgabe der protestantischen Kirche, diesen Kunstwillen des
Volkes in seinem Zusammenhang mit dem modernen allgemeinen Kunst-
willen zu erkennen und ihn
ä) aus den Gefahren zu erlösen, bezw. zu bewahren, die daraus
entspringen, wenn, wie Troeltsch sagt: „Kunst nicht mehr bloß Schmuck des
Lebens, sondern. . . ein selbständiges Zentrum des Lebens wird (S. 659,
unten), — in dem die Einheit und Göttlichkeit der Welt auf besondere Weise
zur Empfindung kommt und die Moral ihre Vollendung zur Harmonie
empfängt." Aus dem nachfolgenden Satze aber von Troeltsch glaube ich
annehmen zu dürfen, daß wir tatsächlich doch zu denselben Resultaten
kommen: „Das sind Stimmungen, die bis tief in das Innerste der religiösen
Empfindung selbst hineingedrungen sind und sie oft genug iu einen ästhe-
tischen Pantheismus verwandelt haben."
Das Ziel des Ästhetizismus in der protestantischen Kirche ist nicht
ästhetischer Pantheismus, sondern ein ethischer Theismus, der die Kunst als
eines der göttlich gegebenen personbildenden Mittel der Menschheit betrachtet,
die dem primären und aszetischen Geist der Ethik nur begleitend zur Seite
steht. Ob und inwieweit durch die Kunst selbständige Lebenswerte geschaffen
werden, hängt von dem Individuum ab.
Die praktische Theologie und auch die theologische Ethik des Prote-
stantismus wird nicht umhin können, sich eingehender und systematischer
als bisher mit der Frage zu beschäftigen: Religion und Kunst oder rich-
tiger: Religion, Kirche und Ästhetizismus.
Es mag nicht uninteressant sein, daß ich zu diesen Ausführungen
prinzipieller Art gekommen bin durch einen sehr praktischen Anlaß, der
Zeugnis gibt für meine obige These 2 und 3. — Ich las in „Glaube und
Tat" von Julius Werner, Pfarrer an der Frankfurter Paulskirche, folgendes
Ausschreiben, das die „Pauluskirchen-Pfarrer" unterzeichnet haben:
 
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