Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
sonst sich verschiedene Vorlagen für seine Komposition verschaffen konnte: das aus-
geführte Original oder die Holfordsche Skizze, ja vermutlich auch den erst 1638 erschienenen
Stich von Witdoeck, wodurch sich wohl allein die Gegenseitigkeit des Hauptmotivs erklären
würde. Auch die berichtigende Änderung des Motivs der Annagelung des einen Schächers
in das der Fesselung würde dazu stimmen. Als Kompositionsübung eines begabten Schülers
wird man vohl von nun an das vortreffliche und mit dem Scheine der Genialität aus-
gestattete Blatt zu betrachten haben.
Wenn auch diese Zeichnung strenger kritischer Betrachtung nicht standhält, so zeigen
doch die beiden andern hervorragenden Skizzen deutlich die Gewalt des Aufschwungs
und der geistigen Anspannung, über die Rubens bei dem Schaffen dieses großen Werks
verfügt hat. Etwas weniger ist dies bei den beiden Außenseiten der Flügel der Fall, zu
denen die Skizze im Dulwich College aufbewahrt wird: es sind auf jeder Seite zwei
mächtige Heiligengestalten, über denen je zwei fliegende Engel Mitra und Blumenkrone
halten. Auf der einen Seite dominiert der männliche Heilige, der hl. Eligius, neben der
hl. Walpurgis, auf der andern die weibliche, die hl. Katharina, neben dem hl. Amandus.
Obwohl die Heiligengestalten denen der Seitenteile des Altars der Chiesa Nuova durchaus
ähnlich sind — die hl. Katharina ist mit der hl. Domitilla des römischen Altars in Haltung
und Aufblick fast identisch —, so ist die Kompositionsweise doch ganz verschieden: auf
dem römischen Altar herrscht noch ein gleichwertiges Nebeneinander, auf dem Antwerpner
eine ausgesprochene Unterordnung der zweiten Figur jedes Bildes unter die erste, die
Hauptfigur. Auch hier also das Streben nach Vereinfachung und dazu in diesem Falle
noch das Zurückdrängen des antiken Einflusses, der in dem Altar der Chiesa Nuova
so stark zutage tritt.
Der Kreuzaufrichtungsaltar enthält in seiner Gesamtheit die verschiedenen Elemente des
Stils, die Rubens’ Entwicklung während seines italienischen Aufenthalts und noch darüber
hinaus eigen sind und die ein heftiges Hin- und Herwogen zwischen weit entfernten
Polen, einen andauernden Kampf grundsätzlich entgegengesetzter Richtungen zeigen. In
den Jugendjahren des großen Künstlers, die mit der mächtigen einheitlichen Schöpfung der
Kreuzaufrichtung ihren Abschluß finden, laufen zwei kräftige und einander widersprechende
Strömungen1) nebeneinander her: die eine geht auf ruhige Monumentalität, auf ein Eben-
maß im Sinne der antiken Kunst aus, die andere, in der sich das schäumende Tempera-
ment des jungen Meisters zeigt, auf eine fast aufdringliche Art der Erzählung, auf eine
von innerer Unruhe erfüllte Bewegung, auf eine Überfüllung des Bildes mit einzelnen
Motiven. Diese Strömungen setzen sich auch nach seiner Rückkehr nach Antwerpen fort.
Nur daß jetzt die zweite zunächst die Überhand zu gewinnen scheint. Die veränderten
Lebensverhältnisse des Künstlers geben dafür die Erklärung: es gilt jetzt — nach acht-
jähriger Abwesenheit — wieder in seinem Vaterlande Fuß zu fassen, den Künstlern und
Laien seiner Heimat zu zeigen, was er für seine Kunst in Italien erlernt und errungen
hat, Dinge, von denen seine Landsleute noch keine Ahnung haben und die für sie un-
nachahmlich sind. Eine innere Unruhe erfaßt ihn und reißt ihn zur größten Kühnheit
hin, manchmal erscheint es fast, als ginge sein Streben geradezu dahin, aufzufallen um
jeden Preis. In den Werken, bei denen zum Teil mit urkundlicher Sicherheit, zum Teil
’) Ähnliche Beobachtungen hat der allzufrüh verstorbene ausgezeichnete Forscher auf diesem
Gebiete, Rudolf Oldenbourg, in seinem Aufsatz über »Rubens in Italien« (Jahrbuch der Preußi-
schen Kunstsammlungen XXXVII, 1916, S. 284) geäußert.

174
 
Annotationen